EWR 6 (2007), Nr. 4 (Juli/August 2007)

Ingo Richter
Recht im Bildungssystem
Eine EinfĂĽhrung
Stuttgart: Kohlhammer 2006
(196 S.; ISBN 3-17-018859-4; 18,00 EUR)
Recht im Bildungssystem Wer in einer Einrichtung des Bildungssystems tätig ist oder dies zu werden beabsichtigt, wird nolens volens mit Rechtsvorschriften in Berührung kommen. Insofern ist es z.B. für zukünftige Erzieherinnen, Lehrkräfte oder an Hochschulen Tätige so sinnvoll wie notwendig, sich zumindest grundlegend auch mit rechtlichen Aspekten ihrer Tätigkeit vertraut zu machen. Dies gilt für Bildungsrecht im engeren Sinne – z.B. Schul-, Berufsbildungs- oder Hochschulrecht – ebenso wie für die Grundlagen des auf das Bildungswesen anzuwendenden Verwaltungs- und Verfassungsrechts.

Mit dem hier vorzustellenden Band verfolgt der Autor das Ziel, Nichtjuristen – und hier wiederum speziell Studierende und Berufsanfänger – in die komplexe Materie des Rechts im Bildungswesen einzuführen. Dazu hat er exemplarisch relevante Bereiche und Institutionen des Bildungswesens ausgewählt: Kindertagesstätten, Schulen, die berufliche Bildung, die Hochschulen und den Weiterbildungssektor. Besonders umfassend finden sich Schulen, die in ihnen tätigen Lehrkräfte sowie Schüler und Eltern berücksichtigt. Überdies werden in zwei separaten Kapiteln zentrale Dimensionen von Schule beleuchtet, die mit den Begriffen „Identität“ und „Leistung“ gefasst werden. Insoweit als damit allein fünf der insgesamt neun Kapitel des Bandes Themen im Zusammenhang mit Schule gewidmet sind, ist die Lektüre für jene besonders interessant, deren Aufgaben- und Interessengebiete in diesem Bereich liegen.

In der Einleitung definiert und erläutet der Autor zunächst die seine weiteren Ausführungen tragenden Begriffe. Es sind dies „Bildung“, „Lernen“, und „Erziehung“, sowie, natürlich, „Recht“. Schließlich geht er knapp auf das Verhältnis von Recht und Bildung ein und stellt unter anderem die Bindung der Gesetzgebung an die Grundrechte sowie die Prinzipien des Gesetzesvorbehalts, des Gesetzesvorrangs und der Rechtsweggarantie als zentrale, für das Bildungsrecht besonders bedeutsame Grundsätze heraus. Wie sich diese im „pädagogischen Alltagsgeschäft“ auswirken, wird in den nachfolgenden, einheitlich strukturierten Kapiteln verdeutlicht, die jeweils mit einem exemplarischen, in den betrachteten Gegenstandsbereich einführenden Fall beginnen. Hieran schließen sich Hinweise zur historischen Entwicklung des jeweiligen Themengebietes an. In einigen Kapiteln wird die historische Herleitung um systematische, theorieorientierte Aussagen ergänzt. So finden sich z.B. zur Schule Anmerkungen zu der Begriffstrias von Qualifikation, Selektion und Allokation, mit der deren zentrale Funktionen in gesellschaftstheoretischer Perspektive gekennzeichnet werden. Vor diesem Hintergrund erfolgt dann die Erörterung ausgewählter rechtlicher Aspekte. Ein „nützliche Hinweise“ überschriebener Abschnitt enthält die Auflösung des eingangs wiedergegebenen Falles sowie einige weiterführende Literaturempfehlungen. Beschlossen werden die Kapitel mit einer knappen Zusammenfassung in Form je dreier Merksätze zu den zentralen Aspekten des behandelten Themenfeldes.

Der gängigen Darstellung des Bildungssystems entlang der Altersentwicklung der Lernenden folgend beginnt auch Richter mit dem Bereich der vorschulischen Bildung, Erziehung und Betreuung. In dem „Kindertagesstätten“ überschriebenen Kapitel finden sich neben zentralen Rechtsvorschriften wie dem Kindertagesbetreuungsgesetz (KTG) relevante rechtliche Fragen, so zum Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz oder rechtliche Regelungen zum Wettbewerb zwischen Trägern von Kindertageseinrichtungen. Hieran schließen sich fünf Kapitel an, die sich mit Schule im weiteren Sinne befassen. Dabei geht es zunächst um die Schule als Bildungs- und Erziehungseinrichtung, den Prozess ihrer Institutionalisierung und die im Zuge dieses Prozesses geschaffenen rechtlichen Regelungen, so z.B. zum Verhältnis von Land und Kommune, von Staat und Kirche sowie zum durch die Verfassung geschützten Recht auf Gründung privater, d.h. nichtstaatlich getragener Schulen. Hierauf bezogen werden rechtliche Regelungen u.a. im Zusammenhang mit dem Begriff der Staatlichkeit des Schulwesens, mit der kommunalen Verantwortung für die Schule und mit nichtstaatlichen Schulen erklärt. Im Kapitel zu Schülerinnen, Schülern und Eltern stehen der Übergang von der Grundschule an weiterführende Schulen und damit verbundene Aspekte des Elternrechts sowie der staatlichen Schulaufsicht im Mittelpunkt. Behandelt werden zudem mögliche Konflikte an der Schnittstelle von individueller Persönlichkeitsentwicklung und Gemeinschaftsorientierung im Schulwesen. Hierbei geht es u.a. um die Wahrung religiöser Neutralität im Unterricht, aber auch um die rechtliche Beurteilung der Frage, ab welchem Punkt das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit hinter die im schulischen Bereich ebenfalls zu beachtende Gemeinschaftsorientierung zurückzutreten habe.

Von großer Relevanz insbesondere für Lehrkräfte sind die Hinweise zum Thema Leistungsbeurteilungen, die mit Blick auf den Übergang von der Grundschule in die weiterführenden Schulen sowie bei den Abschlüssen der Schularten in der Sekundarstufe einschneidende Wirkungen für die Betroffenen haben können. Die Ausstellung eines Zeugnisses, so wird hier verdeutlicht, hat nicht nur pädagogische Implikationen; sie stellt zugleich einen – gerichtlich überprüfbaren – Verwaltungsakt dar. Zugleich sind aber der Prüfung von Zeugnissen durch Gerichte Grenzen gesetzt, auf die der Autor ebenfalls hinweist. Die auf Schule bezogenen Teile des Bandes werden mit einem „Die Lehrerinnen und Lehrer“ überschriebenen Kapitel beschlossen, in dem vor allem Grundzüge des Rechts des öffentlichen Dienstes mit ihren Konsequenzen für das Verhalten von Lehrkräften dargestellt werden.

Im Abschnitt zur beruflichen Bildung stehen Regelungen des Berufsbildungsgesetzes im Mittelpunkt; im Zusammenhang mit dem Thema Hochschulen befasst sich der Autor vor allem mit dem Aspekt der Wissenschaftsfreiheit. Knapp gefasst sind schließlich die Ausführungen zur Weiterbildung, in denen insbesondere auf die Heterogenität bestehender rechtlicher Regelungen in diesem Feld Bezug genommen wird. Ein juristisch einklagbares „Recht auf lebenslange Bildung“, so der Verfasser, existiere nicht.

Insgesamt bietet der Band eine gut verständliche Einführung in zentrale Rechtsgrundsätze und ihre Anwendung im Bereich des Bildungswesens und seiner wichtigsten Institutionen. Darüber hinaus zeigt Richter anhand je eines Fallbeispiels auf, wie Recht durch die zuständigen Gerichte – insbesondere Verwaltungs-, aber auch Verfassungsgerichte – angewandt und interpretiert wird. Dies ist in den meisten der gewählten Fälle im besten Sinne lehrreich. Die zudem einigen Kapiteln ergänzend angehängten „Übungsfälle“ werden allerdings eher zu Ratespielen, da der Autor für sie im Gegensatz zu den an den Kapitelanfängen platzierten Fällen keine Lösung bereithält. Überdies ist der Fall zum Thema Hochschulen unglücklich gewählt, da hier eine Ausgangssituation in Bezug auf eine eher untypische Universität mit spezifischen Studienbedingungen geschildert und zudem erst im letzten Satz der Lösung deutlich wird, dass hier das Bundesverwaltungsgericht schließlich anders entschieden hat als das zuvor mit dem Fall befasste Gericht. Im Sinne eines Desiderats wäre schließlich auf den sozialpädagogischen Bereich, konkret auf das Feld der Kinder- und Jugendhilfe zu verweisen, das von Richter nicht explizit angesprochen wird. Nicht erst in jüngster Zeit zeigt sich, dass sozialpädagogische Intervention und Betreuung sowohl im vorschulischen als auch und gerade im schulischen und nachschulischen Bereich an Bedeutung gewinnt und es daher z.B. für zukünftige Lehrerinnen und Lehrer immer wichtiger wird, auch diesbezüglich über juristische Grundkenntnisse zu verfügen.

Dessen ungeachtet kann „Recht im Bildungssystem“ angesichts seines inhaltlichen Zuschnitts und seines didaktischen Aufbaus für verschiedene Nutzer eine lohnende Lektüre sein. Dies gilt zunächst für die bereits im Vorwort angesprochenen Studierenden. Interessant ist die Lektüre aber auch für Eltern, die sich über grundlegende rechtliche Vorschriften zu den von ihren Kindern besuchten Bildungs- und Betreuungseinrichtungen informieren wollen. Empfehlenswert ist der Text schließlich für alle, die ihren (zukünftigen) Arbeitsplatz in einer Bildungseinrichtung finden. Er zeigt, wo und wie man als Lehrende/r oder Erziehende/r mit Bildungsrecht in Berührung kommt und wie die Anwendung von Rechtsgrundsätzen auf den Bildungsbereich grundsätzlich verstanden werden kann.

Verdeutlicht wird zudem, wie sich das Bildungsrecht und die mit ihm eng verbundene Bildungspolitik im Zeitverlauf auf die Entwicklung und Ausgestaltung des Bildungssystems auswirkten. In vielen Bereichen stellt das Bildungsrecht heute mehr als nur einen äußeren Rahmen dar, innerhalb dessen sich Bildung, Betreuung und Erziehung auf der Basis der pädagogischen Autonomie der in Bildungseinrichtungen Tätigen mehr oder weniger frei entwickeln. Vielmehr legten und legen die Gesetzgeber – Bund und Länder – vielfach auch die Strukturmerkmale von Einrichtungen und die inhaltliche Ausgestaltung von Bildungsgängen detailliert fest.

Historisch nicht ganz zutreffend und sehr zugespitzt erscheint die Bemerkung Richters, dass die eingangs genannten rechtlichen Grundsätze wie Gesetzesvorrang, Gesetzesvorbehalt und Rechtsweggarantie Bildung erst zum Gegenstand des Rechts hätten werden lassen und seither „zwischen Pädagogen und Juristen eine Mauer“ stehe (17). Vielmehr dürfte es eher die ebenfalls erwähnte wechselseitige „Unkenntnis“ hinsichtlich der Spezifika der jeweils anderen Sphäre sein, welche die Einschätzung tragen könnte, dass ein u.a. durch Vorbehalte und Schweigen geprägtes „Nicht-Verhältnis der Disziplinen“ (ebd.) herrsche. Wenn Richter nun postuliert, er wolle mit seiner Schrift „zum Verständnis von Juristen und Pädagogen beitragen“ (ebd.), dann erscheint dies dem Rezensenten so ehrenwert wie unrealistisch. Schließlich ist der Band hinsichtlich seines Zuschnitts erkennbar nicht für Juristen verfasst, die sich einführend mit dem Bildungssystem, seiner Entwicklung und damit zusammenhängenden Rechtsfragen vertraut machen wollen, wiewohl dies angesichts der vielfältigen bildungshistorischen und systematisch-pädagogischen Erläuterungen durchaus möglich wäre. Vielmehr können sich – und hierin liegt der zentrale Wert des Bandes – im Bildungswesen Tätige mit grundlegenden rechtlichen Aspekten ihres jeweiligen Arbeitsbereiches vertraut machen. Ironisch gewendet ließe sich sagen: das Buch kann „zum Verständnis von Juristen durch Pädagogen“ beitragen; schon dies zu erreichen wäre angesichts der stetig wachsenden Bedeutung des Rechts im Bildungssystem nicht das Wenigste.
Hans-Werner Fuchs (GieĂźen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Hans-Werner Fuchs: Rezension von: Richter, Ingo: Recht im Bildungssystem, Eine EinfĂĽhrung. Stuttgart: Kohlhammer 2006. In: EWR 6 (2007), Nr. 4 (Veröffentlicht am 26.07.2007), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/17018859.html