EWR 3 (2004), Nr. 5 (September/Oktober 2004)

Basil Schader
Sprachenvielfalt als Chance – Das Handbuch
Hintergründe und 101 praktische Vorschläge für den Unterricht in mehrsprachigen Klassen
Troisdorf: Bildungsverlag EINS/ Orell Füssli Verlag AG 2004
(414 Seiten; ISBN 3-427-24310-9; 25,00 )
Bunt ansprechend im Cover, griffig, handlich, hochwertig broschiert, so präsentiert sich die erste überarbeitete Ausgabe des Handbuches ‚Sprachenvielfalt als Chance’. Die Originalausgabe erschien bereits 2000 im Orell Füssli Verlag, Zürich. Sein Autor, Prof. Dr. Basil Schader, ist Leiter des Fachbereichs Deutsch als Zweitsprache/ Sprachen der Migration an der Pädagogischen Hochschule Zürich.

Dieses Handbuch sei Lehrern und Lehrerinnen gewidmet, deren Aufgabe es ist, den Unterricht der "unbestrittenen Realität" sprachlich heterogener Klassen anzupassen, denn mehrsprachige Klassen seien heute die Norm, und Deutsch bei ca. einem Fünftel der Schülerschaft nicht die Erstsprache. Die Einstellungen der Lehrerschaft zu dieser Herausforderung sind jedoch unterschiedlich. Schader unterteilt seine Adressaten in die Gruppe derer, die sich verantwortlich und positiv der Herausforderung stellen, in die Gruppe der Ignoranten und in die Gruppe derjenigen, die sich über die heutige Klassensituation ärgern (15).

Der Titel verrät Botschaft und Prämisse zugleich. Schader versteht sein Handbuch als Versuch eines "tendenziösen" Buches mit der Botschaft, Sprachenvielfalt als Chance zu nutzen: Anstatt sich auf Probleme deutschschwacher Kinder zu fixieren, solle sich die Lehrperson den Ressourcen und Verständnismöglichkeiten für ein zukunftsweisendes Miteinander- und Voneinanderlernen zuwenden – auch in weniger sprachlich und kulturell heterogen zusammengesetzten Klassen (9).

Da Schader in dem geforderten Umdenken einen längeren Prozess sieht, möchte er nun mit dem vorliegenden Werk Lehrer dabei unterstützen. Sicherlich ist es daher auch für Studierende des Lehramts sinnvoll, sich bereits während ihres Studiums mit den hier gebotenen Darlegungen, Anregungen und Vorschlägen auseinander zu setzen.

Im ersten, aus acht Kapiteln bestehenden Teil werden Hintergründe bzgl. Umfeld der Schule und Schülerschaft, methodisch-didaktische Überlegungen, Ziele und Möglichkeiten einer interkulturellen Öffnung des Unterrichts sowie der Ausblick auf Förderung der Erst- und Zweitsprachen dargelegt. Der zweite Teil bietet konkrete Unterrichtsvorschläge für Kindergarten bis Ende der Sekundarstufe I. Eine Suchhilfe in Form einer tabellarischen Detailübersicht über die Unterrichtsvorschläge, geordnet nach Rubriken, nach Klassenstufen und nach Form der Aktivitäten von einer Unterrichtseinheit bis zur Projektwoche, rundet im Schluss das praktische Handbuch ab.

Im ersten Kapitel stellt Schader den charakteristischen Prozess hoch entwickelter Industrienationen dar. Dazu gehören gesellschaftlicher Wandel, Migration und Multikulturalität. Indessen sei "ein Pluralismus verschiedenster individueller und gruppenspezifischer Interpretationen" an die Stelle eines bisherigen Konsenses über Werte und Normen gerückt (15). Diese Herausforderung betreffe auch Vorstellungen und Erwartungen gegenüber Erziehung, Schule und Autorität.

Allmählich seien neue Anforderungen an das Berufsprofil des Lehrers entstanden. Hierzu zählt Schader u.a. die entwickelte Wahrnehmungsfähigkeit für die zunehmende Heterogenität der Schülerschaft, Kompetenzen zur individuellen Förderung, Toleranz, Ich–Stärke und Belastbarkeit gegenüber der heterogenen Elternschaft in Bezug auf Vorstellung von Schule und Erziehungszielen. Des Weiteren führt er interkulturelle Offenheit, Fähigkeit bei der Planung von Inhalten umzudenken sowie Kompetenzen in sprachlicher Diagnose und Förderung und schließlich die Fähigkeit, den gesamten Unterricht der mehrsprachigen Regelklasse sprachfördernd auszurichten, an (18).

Der Unterricht in Regelklassen sei interkulturell zu öffnen. Gängiger Unterricht basiere i.d.R. auf dem Erfahrungshintergrund und den Perspektiven monolingual aufgewachsener Lehrer. Schuld an der mangelnden Beachtung und Geltung des sprachlichen und kulturellen Potenzials sind für Schader die monokulturelle, nationalstaatliche Tradition des Bildungswesens, zudem die monokulturelle Tradition und Ausrichtung der Fachdidaktiken und ihre Vermittlung in der Aus- und Weiterbildung, darüber hinaus die Zusammensetzung des Lehrkörpers, ferner die geringe Anzahl praxistauglicher Unterrichtsvorschläge sowie die Lehrmittel, welche die multikulturelle Realität unzureichend aufgreifen und widerspiegeln.

Das zweite Kapitel ist das zentrale Kapitel, in dem Schader Schwierigkeiten und spezifische Schulprobleme für Schüler mit Migrationshintergrund erörtert. Diese Kinder wie auch Kinder aus bilingualen oder bikulturellen Ehen verfügten über Sonderkompetenzen. Es seien dies: die Kenntnis und Erfahrung einer weiteren Sprache und einer weiteren Kultur sowie die damit verbundenen sprachlich-kommunikativen Kompetenzen, z. B. Vermittlungskompetenzen. Diesen Sonderkompetenzen seien jedoch Grenzen gesetzt: Als Lehrperson dürfe man die Kinder sprachlich nicht überfordern oder gar mit ihren besonderen Fähigkeiten vor der Klasse "bloßstellen" (35). Die Schüler sollen integriert und nicht in die Rolle des Andersseins gedrängt werden.

Schader erläutert im folgenden Kapitel die Prinzipien des Interkulturellen Unterrichts, die Persönlichkeit des mit "interkulturellem Bewusstsein und Handlungskompetenzen" ausgestatteten Lehrers, die notwendige pädagogische Grundhaltung und methodisch-didaktische Kompetenzen, den Unterricht mehrperspektivisch und interkulturell zu gestalten. Die ‚Didaktische Landkarte’ veranschaulicht umfassend Lehrkompetenzen eines (Sprach-) Unterrichts in mehrsprachigen Klassen (50).



Im Weiteren begründet Schader, warum sprachbezogene Projekte, auch diejenigen, die sich mit Dialekt und lokaler Mundart befassen, Kernstücke des interkulturellen Unterrichts seien und in Wechselbeziehung zum Fremdsprachenunterricht stehen können. Methodisch-didaktische Überlegungen zu Sozialformen, Lernarten, Unterrichtsformen, Aufgabenstellung, unterrichtlichen Kontexten, Exkursformen des interkulturell geöffneten Unterrichts werden im fünften Kapitel dargelegt. Hilfreiche Merkpunkte mit mehreren Beispielen, Hinweisen und Checkliste für die tägliche Arbeit und Umsetzung eines interkulturell geöffneten Unterrichts listet Schader im sechsten Kapitel auf.

Die ‚Förderung der individuellen Sprachkompetenz’, d.h. Stärkung der muttersprachlichen Kompetenz und Unterstützung des Deutscherwerbs, sieht der Autor als bedeutende Arbeit in der mehrsprachigen Klasse. Zur intensiveren Auseinandersetzung mit dem Thema ‚Deutsch als Zweitsprache’ nennt er im siebten Kapitel weiterführende Literatur und gibt hier nur einen Ausblick. Da sich Sprachförderung nicht nur auf einzelne, wenige Schulstunden beschränken dürfe, müsse der gesamte Unterricht sprachfördernd gestaltet werden. Hierzu bietet Schader im letzten Kapitel Merkpunkte mit Hinweisen und Beispielen zu beliebigen Fächern sowie Kontrollfragen zur Selbstevaluation bei der Planung.

Für den zweiten Teil seines Handbuches erprobte Schader "entdeckende, handlungs- und kommunikationsorientierte" Lernanlässe für den Einsatz vom Kindergarten bis zur 10. Klasse (9). Jeder Vorschlag wird mit Thematik und Ziel der Aktivität eingeführt. Anschließend werden Schulklasse, Zeitbedarf und Unterrichtsbereiche angegeben. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Aktivitäten, wie z. B. Fragestellungen zu Schreibanlässen oder Spielverläufe, werden danach ausführlich aufgezeigt. Dabei lockern Schwarzweiß-Fotos aus der Praxis oder Auszüge aus den Schülerarbeiten das Gesamtbild des Vorschlagkataloges auf.

Die Aktivitäten unterteilt Schader thematisch in neun Bereiche bzw. Rubriken. Beginnend mit dem Bereich ‚sprachliche und kulturelle Vielfalt bewusst machen und erleben’ schlägt er z.B. vor, im Deutsch- und Kunstunterricht plakativ die Mehrsprachigkeit und Herkunft des einzelnen Schülers auf verschiedene Weise zu visualisieren. Ein weiteres Lernziel, nämlich das Reflektieren und Diskutieren übers Sprachelernen, könne laut Schader schon ab dem 2. Schuljahr verfolgt werden. Durch kontrastive Gegenüberstellung seien weiterhin Sprachen der anderen zu erkunden und verschiedene Kulturen kennen zu lernen. Wichtige Voraussetzung für alle vorgeschlagenen Aktivitäten ist, dass die Ebenbürtigkeit der betroffenen Sprachen präsent und von allen Beteiligten akzeptiert werde.

Recht umfangreich sind die Vorschläge zur Sprachbetrachtung und Grammatik. Aktivitäten zur Sprachbetrachtung fordern von den Schülern bereits ab dem 2. Schuljahr ein "Forscherinteresse". Strukturen werden somit nicht gepaukt, sondern erkundet. Schüler erstellen beispielsweise selbst Sprachtrainer, wie z.B. Formentrainer oder Übersetzungsmaschinen. Es geht also um Vergleiche zwischen Deutsch und Erstsprache, in ihrer Wortbildung und Lexik, der Register, der Sprichwörter und Formeln, der Rituale, der Gestik und Körpersprache, der Mundarten, aber auch um den Vergleich zwischen Standardsprache und "Schrumpf- oder Gastarbeiterdeutsch".

Schader spricht nicht nur den Deutschlehrer an, Themen des Alltags interkulturell zu betrachten. Auch der Mathe-, Sachkunde-, Sozialkunde-, Kunst- und Sportkollege sei hier gefordert. Von allen Lehrkräften sei überdies Aufmerksamkeit und Sensibilität gegenüber möglichen sprachlichen Schwierigkeiten von Lernaufgaben verlangt. Es solle generell und fächerübergreifend viel sprachliches Input angeboten werden, um dieses dann in vielen Gelegenheiten verarbeiten und anwenden zu können.

Wie der Titel bereits suggeriert, ist dies vielleicht das erste bzw. einzige Handbuch seiner Art auf dem deutschsprachigen Markt. Dem Konzept eines Handbuches entsprechend können alle Kapitel unabhängig voneinander gelesen werden. Doch mit gewisser Skepsis gegenüber Leser und Benutzer rät Schader, den ersten theoretisch orientierten Teil nicht gänzlich zu überlesen, damit "die Arbeit mit dem Praxisteil nicht zum unüberlegten Reproduzieren von Rezepten verkommt" (10).
Helga Grabbe (Köln)
Zur Zitierweise der Rezension:
Helga Grabbe: Rezension von: Schader, Basil: Sprachenvielfalt als Chance – Das Handbuch, Hintergründe und 101 praktische Vorschläge für den Unterricht in mehrsprachigen Klassen, Troisdorf: Bildungsverlag EINS/ Orell Füssli Verlag AG 2004. In: EWR 3 (2004), Nr. 5 (Veröffentlicht am 05.10.2004), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/42724310.html