EWR 4 (2005), Nr. 2 (März/April 2005)

Adi Winteler
Professionell lehren und lernen
Ein Praxisbuch
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2004
(183 S.; ISBN 3-534-17258-2; 24,90 )
Professionell lehren und lernen Ein Thema von wachsendem praktischen Interesse, zu dem die bisherige Literaturlage nicht gerade als unüberschaubar zu bezeichnen ist, wird hier aktuell und umfassend vorgestellt: Eine ebenso dankenswerte wie herausfordernde Aufgabe! Wie nahezu alle Bildungsbereiche ist auch die Hochschullehre ins Gerede gekommen – vielfältige Qualifizierungsprogramme sind angetreten, die vielfach konstatierten Desiderata akademischer Didaktik zu bearbeiten. Abgesehen vom "Neuen Handbuch Hochschullehre" und den einschlägigen Fachzeitschriften (HSW, DUZ) ist der Bestand an einschlägiger Literatur nicht sehr befriedigend. Umso erfreulicher für das einschlägig interessierte Fachpublikum ist die vorliegende Monographie des Autors Adi Winteler, der sich langjährig in der Praxis der Hochschuldidaktik verdient gemacht hat (u.a. ProLehre an der TU München und ProfiLehre an den bayrischen Universitäten) und in diesem Opus gleichsam den Ertrag seiner theoretischen und reflexiven Auseinandersetzung mit dem Thema integriert.

Die Einleitung stellt das Buch als Praxisbuch auf wissenschaftlicher Basis vor und entfaltet mit den Kriterien von guter Hochschullehre zugleich das nicht bescheidene Programm: Exzellente Lehre begegnet dem Leser/der Leserin schon an dieser Stelle als reflexive Praxis. Die Bedingungen hierfür sind vielfältig: das profunde Fachwissen wird vom Enthusiasmus für dieses Fach gerahmt, Methoden- und Planungskompetenz zählen ebenso dazu wie die gelungene Beziehungsgestaltung zu den Studierenden und alles zusammen mündet in der Sinnhaftigkeit der Tätigkeit als Hochschullehrer/in (10). Dem Handlungsgegenstand entsprechend, ist das Buch modularisiert aufgebaut: Die Abschnitte und Kapitel können unabhängig voneinander behandelt werden, auch wenn sie entwickelnd aufeinander aufbauen.

Das erste Kapitel, das von "Ansichten über Lehren und Lernen" handelt, beginnt insofern reflexiv, als der an Selbsterkenntnis interessierte Leser sich einem Test unterziehen kann, der Auskunft gibt über die individuelle Lehrorientierung und die daraus resultierende Lehrstrategie (studenten- oder dozentenzentriert). Theoretisch kontextuiert werden diese Lehrstile durch Ausführungen zu einem aktuellen Leitbegriff der Hochschuldidaktik: "The Shift from Teaching to Learning" (Dieses Diktum wurde im Anschluss an den internationalen Diskurs in die deutschsprachige Diskussion eingeführt von Brigitte Berendt, 2002). Hier wird der Paradigmen-Wechsel eingeführt als mehrstufiger Prozess von passiver Rezeptivität hin zu selbstständiger (De-)Konstruktion von Wissensstrukturen auf der Lernseite bzw. vom puren Überlebenskampf in der pädagogischen Realsituation hin zum virtuosen Facilitator auf der Seite des Lehrens. Lernen wird am Beispiel der Kompetenzerweiterung von Lehrenden erklärt, das dann auf Studierende übertragen wird. Mit den beiden Dimensionen effektiver Hochschullehre (intellektuelle Begeisterung, interpersonale Fähigkeiten), fünf Kriterien guter Lehrveranstaltungen und sechs lernförderlichen Merkmalen von Hochschulunterricht (22) wird der Zielrahmen beschrieben, in dem sich der Anspruch des Buches bewegt.

Das zweite, eher knapp gehaltene Kapitel entfaltet die unterschiedlichen Aufgaben eines/r Hochschullehrers/in, die daraus resultierenden Rollen und Rollenkonflikte und erteilt schon sehr konkrete Ratschläge: "Bringen Sie den Zeitaufwand für die Vorbereitung einer Lehrveranstaltung und deren Dauer in eine vernünftige Balance (das Verhältnis sollte 1:1 nicht überschreiten)" (24). Das ist angesichts der Erkenntnis des Autors, dass sich der Vorbereitungsaufwand – je nach Lehrdeputat – auf bis zu 30 Stunden die Woche belaufen kann (23) für diejenigen ein hilfreicher Vorschlag, die sich neben der Lehre noch qualifizieren möchten!

Nach diesen normativen und reflexiven Vorüberlegungen wird es nun zunehmend konkret: Das dritte Kapitel handelt von der Planung einer Lehrveranstaltung unter der Prämisse "Lernorientierung". Die Planung folgt damit der Lerntätigkeit als solcher und nicht mehr der Fülle an Inhalten (, welche dann wieder zu reduzieren sind). Das Tool "Lernziel-Inventar" hat die Funktion, die Zielkategorien zu klären: Geht es um komplexe Denkoperationen, Fachwissen oder Persönlichkeitsentwicklung (um drei von sechs zu nennen)? Das didaktische Planungs- und Bedingungsgefüge wird in diesem Kapitel abgearbeitet, welches sowohl für "didaktisch Eingeweihte" als auch für pädagogische Novizen eine sinnvolle Wissensbasis darstellt.

Kapitel vier bis sechs sind die Beiträge der anderen Autoren und Autorinnen zu den Themen Visualisierung (Kap. 4, Christoph Bartscherer), digitale Projektion (Kap. 5, Gerhard Lehrberger) und E-Learning (Kap. 6, Claudia Geyer). Hier finden sich praktische Tipps und Tricks zu Visualisierung im Allgemeinen und Powerpoint-Präsentationen im Besonderen sowie Formen, Prinzipien und Beispielen von E-Learning; letztere werden vergleichsweise ausführlich vorgestellt (73-80).

Das siebte Kapitel schließt inhaltlich wieder an das sechste zur Planung von Lehrveranstaltungen an: Es hat die Durchführung der Lehrveranstaltung zum Inhalt und bezieht dieses Thema wieder konsequent auf das Leit-Paradigma – "Das Lernen ermöglichen". Schwerpunkt dabei sind die Themen Kommunikation und Einstieg. Die Kommunikationstheoretischen Grundlagen spannen den Bogen von Watzlawick/Beavin/Jackson über Schultz von Thun bis hin zum NLP (Grinder) und beleuchten die vier Seiten einer Nachricht ebenso wie Fragen, Feedback und Killerphrasen. Das Thema Einstieg reicht vom bedeutungsvollen ersten Auftritt über die erste Stunde zu den ersten Wochen im Semester mit der jeweiligen psychosozialen Dynamik. Auch dieses Kapitel enthält wieder einige Checklisten, z.B. zur Planung, zum Umgang mit Problemfällen oder Motivierung der Studierenden.

Auch Kapitel acht über Prüfungen steht unter der Prämisse eines Lehrverständnisses als Hilfe zur Selbstorganisation und legt eingangs im Anschluss an einschlägige pädagogische Literatur die Funktion von Prüfungen (Flechsig) und Ebenen kognitiver Operationen (abgeleitet aus der Bloom´schen Lernziel-Taxonomie) dar. Die Gütekriterien für psychologische Testverfahren (Lienert) werden auf Prüfungen bezogen, um potenzielle Fehlerquellen zu erkennen bzw. zu umgehen.

Abschließend werden unter dem Titel "Evaluation" (Kapitel 9) studentenzentrierte Evaluationsmethoden und das Lehrportfolio als Form der Selbstevaluation – eher knapp – skizziert.

Die nächsten beiden Kapitel schließen den theoretischen Bezugsrahmen, der am Beginn des Buches grundgelegt wurde. "Aktives Lernen" wird als Meta-Prinzip begründet (Kapitel 10) und daraus werden entsprechende Lehrstrategien (Kapitel 11) abgeleitet. Aktives Lernen wird aus lernpsychologischen Gründen zum Prinzip ernannt, um träges Wissen in Handlungs- und Anwendungsbezüge zu transferieren. Das Anschauungsbeispiel ist hier ebenso erschreckend wie eindrücklich: Auf Fragen gaben Harvard-Studierende Antworten, die einem präkopernikanischen Weltbild entsprachen, obwohl sie es eigentlich sicher besser wissen (müssten)! Entsprechend werden nachfolgend (Kapitel 11) Lehrstrategien entfaltet, die mit möglichst hoher studentischer Selbstständigkeit einhergehen. Dabei wird die Vorlesung nicht von vornherein ausgeklammert, vielmehr werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie selbst bei dieser "dozentenzentrierten" Arbeitsform aktivierende Elemente mehr "Studentenzentrierung" bewirken. Auf diesem Kontinuum (dozentenzentriert – studentenzentriert) geht es dann im weiteren Verlauf immer stärker in Richtung Aktivierung & Selbstständigkeit: Die methodische Vielfalt geht von der Diskussionen über Gruppenarbeit bis hin zum problemorientierten Lernen (um hier nur die prominentesten Beispiele zu nennen).

Dem Thema Qualitäts-Entwicklung widmet sich das nächste Kapitel, was – wiederum kurz – unter dem Zuschnitt "Förderung von Studierenden" abgehandelt wird. Als Quintessenz des Vorangegangenen führt Kapitel dreizehn "sieben Grundsätze guter Praxis" als Basispostulate ein, operationalisiert diese in einem Fragebogen, der der Selbstevaluation der Lehrenden dient und exegesiert sie jeweils mit ein paar Sätzen. Auf den letzten fünf Seiten wird die Zukunft des Lehrens und Lernens thematisiert (Kapitel 14): Dazu zählen die sich im Buch durchgängig abgebildeten Rollenveränderungen von Lehrenden und Lernenden sowie die Professionalisierung der Hochschullehre. Leser/innen bzw. Lehrende erhalten hierbei die Möglichkeit, sich und ihre Kompetenz selbst einzuordnen und werden zur weiteren hochschuldidaktischen Qualifizierung ermutigt.

Diese Darstellung wird schon angedeutet haben, dass sich das Buch in einem großzügig abgesteckten Terrain bewegt: Es handelt einerseits von theoretischen Grundlagen und normativen Prämissen und hat andererseits einen Ratgeber-Charakter, weil man als wohlwollender Leser an der einen oder anderen Stelle einfach ablesen kann, "wie es geht" (auch wenn eigentlich die "effiziente und elegante" Adaption intendiert ist, 12). Daraus resultiert ein Spannungsfeld, weil das Buch insgesamt natürlich nicht alle Ansprüche gleichermaßen bedienen kann. Mit wissenschaftlichem Interesse an hochschuldidaktischen Fragen muss man sich an einigen Stellen fragen, woher die angeführten empirischen Ergebnisse stammen: Aus den am Schluss des Buches kapitelbezogen bibliographierten Angaben wird nicht immer deutlich, wo die Belege für einzelne Aussagen zu finden sind und wodurch die Formulierung "wie die Forschung gezeigt hat" (z. B. 89, 90, 96, 116, 121) jeweils gestützt wird.

Das Buch stellt eine verdienstvolle Zusammenstellung verschiedener Erklärungs- und Gestaltungsansätze der Hochschuldidaktik dar, die der Autor mit einer überzeugten und überzeugenden Leidenschaft für sein Thema vorträgt. Es beinhaltet konkrete Tools (z.B. Checklisten) ebenso wie vielfältige Anregungen zur (normativen) Selbstvergewisserung. Das Basistheorem der aktuellen hochschuldidaktischen Diskussion – Lernorientierung versus Lehrorientierung - ist dabei konsequent durch die verschiedenen Themen und Aspekte durchdekliniert. Allerdings scheinen mitunter auf der operativen Ebene Widersprüche hierzu durchzuscheinen, so z. B. wenn im Falle eines Verbal-Angriffes der Angreifer gestisch "festgenagelt" werden soll (102).

In formaler Hinsicht ist die klare und verständliche Sprache des Autors hervorzuheben. Auch der modulare Aufbau des Buches ist positiv zu würdigen: Dies erlaubt eine themenspezifische Lektüre – je nachdem welche Fragen oder Probleme vorliegen. Umgekehrt führt das zwangsläufig auch zu Redundanzen, weil bestimmte Überzeugungen und Basispostulate an mehreren Stellen vorgetragen werden. Der Nutzungsfreundlichkeit dient auch das Register am Ende des Buches, das es ermöglicht, stichwortbezogen bestimmte Textstellen im Buch aufzuspüren.

Bei allen – berechtigten – Hoffnungen, die mit der Hochschuldidaktik verbunden sind, dürfen deren Grenzen jedoch nicht verschwiegen werden. So kann sie nur begrenzt auf strukturelle Probleme der Universität und universitärer Ausbildung einwirken. In Kapitel sechs wird E-Learning beispielsweise mehrfach als Lösung des Phänomens "Massenveranstaltungen" vorgestellt. Abgesehen davon, dass es sicher – hoffentlich! – noch ganz andere, fachliche Gründe für das Lernen mit und über neue Medien gibt, kann und sollte die Hochschuldidaktik nicht mit dem Anspruch antreten, strukturelle Dilemmata der Universitäts-Bildung zu beheben. Ähnliches gilt für das mehrfach vorgetragene Postulat, dass Hochschullehrer/innen berufsbezogen ausbilden sollen. Wie ist dieser durchaus berechtigte Wunsch einzulösen, wenn die wissenschaftliche Laufbahn in der Regel gar keine Berufspraxis außerhalb der Hochschule vorsieht?

Die Begeisterung und Überzeugung für die Sache macht das Buch zu einem lesenswerten Standardwerk für hochschuldidaktisch interessierte Lehrende. Für diese Leserschaft wird das Buch sicher umso ertragreicher, je besser sie einschlägig vorgebildet sind. Aus erziehungswissenschaftlicher Sicht bleiben manche Fragen offen (s.o.). Das kann insofern nachgesehen werden, als die Vertreter/innen unseres Faches nicht die primäre Zielgruppe des Buches sind.
Karin Reiber (TĂĽbingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Karin Reiber: Rezension von: Winteler, Adi: Professionell lehren und lernen, Ein Praxisbuch, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2004. In: EWR 4 (2005), Nr. 2 (Veröffentlicht am 06.04.2005), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/53417258.html