EWR 2 (2003), Nr. 5 (September/Oktober 2003)

Hanna Kiper / Hilbert Meyer / Wilhelm Topsch
Einführung in die Schulpädagogik
Berlin: Cornelsen 2002
(208 Seiten; ISBN 3-589-21657-3; 12,95 EUR)
Einführung in die Schulpädagogik Das Buch basiert auf einer von den Autoren in Zusammenarbeit mit Renate Hinz konzipierten Vorlesungsreihe, die seit geraumer Zeit kontinuierlich im Wintersemester an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg zur Einführung in das Lehramtsstudium angeboten wird. Mit der Publikation dieser Vorlesungsreihe ist – neben dem Interesse der Studieneinführung – die Intention verbunden, einen Beitrag zur Entwicklung eines Kerncurriculums Lehrerbildung zu leisten und ausbildungsrelevantes Wissen zu kanonisieren.

Das erste Kapitel "Schulpädagogik studieren" (Kiper) macht zunächst darauf aufmerksam, dass das Lehrerwerden ein berufsbiographischer Entwicklungsprozess ist, auf den die universitäre Lehrerbildung einen nur relativen Einfluss hat. Sinnvoll ist die universitäre Ausbildungsphase nach Kiper, wenn sie Theorie und Praxis durch die Einbeziehung des Professionswissens erfahrener Lehrkräfte verzahnt und Berufsqualifikationen früh anbahnt. Schulpädagogik wird als erziehungswissenschaftliche Teildisziplin eingeführt und näher als "Theorie pädagogischen Handelns unter schulischen Bedingungen" (22) bestimmt. Diese sehr enge Bestimmung erweist sich jedoch als nur bedingt richtungsweisend für die nachfolgenden Kapitel, die punktuell auch andere als handlungstheoretische Ansätze referieren.

Das zweite und dritte Kapitel über "Schultheorien" (Kiper) und das "Schulsystem in der BRD" (Hinz) informieren über den historischen Prozess der Schulentwicklung, die reformpädagogische Schulkritik, die jüngere pädagogisch-programmatische Schuldiskussion und die formalstrukturellen Merkmale der verschiedenen Schularten. Schultheoretische Fragen im engeren Sinne werden nur gestreift, etwa mit sehr knappen Ausführungen zu H. Fends Bestimmungsstücken einer Theorie der Schule. Gar keine Erwähnung und Ausführung erfahren historisch-systematische Theorien zur Entwicklungsdynamik moderner Bildungssysteme, bildungssoziologischen Reproduktionstheorien, organisationssoziologische Schultheorien und Ansätze und Befunde der jüngeren Schulqualitäts- und Schuleffektivitätsforschung.

Mehr Aufmerksamkeit schenkt das Buch der Allgemeinen Didaktik. Im vierten Kapitel gibt R. Hinz zunächst einen kursorischen Überblick über verschiedene Didaktikbegriffe und nimmt eine Zuordnung der jüngeren Theorien zu bestimmten wissenschaftstheoretischen Positionen vor, ohne allerdings eine befriedigende Begründung für den nicht unumstrittenen Wissenschaftsanspruch der Allgemeinen Didaktik zu liefern. Die drei Folgekapitel widmen sich ausführlich den Modellen der bildungstheoretischen (Meyer), der lern-/lehrtheoretischen (Topsch) und der kommunikativen (Kiper) Didaktik.

Einen weiteren Schwerpunkt des Buches bilden Handreichungen für die Praxis. Insbesondere die Kapitel "Unterricht analysieren, planen und auswerten" (Meyer), "Umgang mit Heterogenität" (Kiper), "Leiten einer Schulklasse" (Kiper) und "Schulentwicklung" (Meyer) sind auf die Bewältigung berufsspezifischer Herausforderungen bezogen. Die dabei gegebenen Empfehlungen rekurrieren auf die in den vorangegangenen Kapiteln vorgestellten didaktischen Theorien, ausgewählte Befunde der Unterrichts- und Lehr-Lern-Forschung und populäre Ansätze der Organisationsberatung. Die Kapitel über Klassenführung und Heterogenität lassen in Ansätzen erkennen, dass schulpädagogisches Handeln im Fall der Rezeption entsprechender Befunde auch einer empirisch-wissenschaftlichen Begründung zugänglich ist.

Das Kapitel "Beobachten im Unterricht" von W. Topsch erfüllt deutlich Funktionen der Vorbereitung des Schulpraktikums. Es bemüht sich um eine verständliche Einführung des Beobachtungsbegriffs, unterscheidet verschiedene Formen der Beobachtung, macht auf deren allgemeine Vor- und Nachteile aufmerksam und erläutert Grundfunktionen der Beobachtung in der Schule.

Eigenständige Kapitel gibt es zu den Themen "Unterrichtsmethodik" (Meyer), "Neue Medien im Unterricht" (Topsch) und "Leistung messen und bewerten" (Topsch). H. Meyer führt ausschließlich sein eigenes, zwar in anderen Publikationen gut begründetes, aber deshalb doch keineswegs alternativloses Methodenmodell vor. Auf die Frage der Effektivität von Unterrichtsmethoden und die Versuche ihrer Beantwortung im Rahmen der empirischen Unterrichts- und Lehr-Lern-Forschung wird nicht eingegangen. Topsch gibt im Medienkapitel einen informativen Überblick über einige Grundbegriffe der Medienpädagogik und setzt sich kritisch mit Fragen des Einsatzes von Computern und Softwaremedien im Unterricht auseinander; aber auch dieses Kapitel ist frei von Ausführungen zu Theorien, Modellen und Befunden der empirischen Medienforschung. Das Kapitel über "Leistung messen und bewerten" informiert über den Leistungsbegriff, die Funktionen, Gütekriterien und Bezugsnormen der schulischen Leistungsbeurteilung und stellt alternative Formen der Leistungsbeurteilung vor.

Insgesamt ist festzuhalten, dass das Buch den drei Ansprüchen, in die Schulpädagogik einzuführen, aber auch einen Beitrag zu einem Kerncurriculum Lehrerbildung zu leisten und wichtiges schulpädagogisches Wissen zu kanonisieren, nur rudimentär gerecht wird. Bedenklich ist, dass die Kriterien für die Zusammenstellung des referierten Wissenskanons im Dunkeln bleiben und das Konzept der Schulpädagogik eine im Gegensatz zum paradigmatischen Pluralismus der Disziplin stehende handlungstheoretische Verengung erfährt. Vor allem aber gelingt es nicht, die Schulpädagogik als eine in den modernen Sozial- und Erfahrungswissenschaften verankerte, forschende und theoretisch differenzierte Disziplin vorzustellen. Die für eine zeitgemäße Einführung wünschenswerte Orientierung am wissenschaftlichen Entwicklungsstand der Schulpädagogik wird substituiert durch eine hoch selektive, z.T. am Faktischen, z.T. am Bedürfnis der Praxisberatung orientierte Strategie der Bereitstellung vermeintlich leicht lernbarer Grundinformationen. Die Wahl dieser Strategie mag im Einklang mit der für eine Einführung angemessenen didaktischen Maxime der Einfachheit stehen. Einfachheit lässt sich jedoch auf zwei Wegen erzeugen: durch differenzierte Darlegung und verständliche Explikation komplexer Zusammenhänge oder durch Selektion und Simplifizierung. Leider ist es der zweite Weg, den diese Einführung beschreitet.
Manfred Lüders (Wuppertal)
Zur Zitierweise der Rezension:
Manfred Lüders: Rezension von: Kiper, Hanna / Meyer, Hilbert / Topsch, Wilhelm: Einführung in die Schulpädagogik, Berlin: Cornelsen 2002. In: EWR 2 (2003), Nr. 5 (Veröffentlicht am 01.10.2003), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/58921657.html