EWR 1 (2002), Nr. 5 (Oktober - Dezember 2002)

Alexander Shuk
Das nationalsozialistische Weltbild in der Bildungsarbeit von Hitlerjugend und Bund Deutscher Mädel
Eine Lehr- und Schulbuchanalyse
Frankfurt a.M. / Berlin / Bern: Peter Lang 2002
(114 Seiten; ISBN 3-631-39269-9; 23,00 EUR)
Die angezeigte Veröffentlichung ist überflüssig und elend schlecht. Sie ist eigentlich keine Besprechung wert. Eine solche wird hier einzig deshalb unternommen, weil das Buch einen Titel führt, der ihm Aufmerksamkeit garantiert. Jugenderziehung im Dritten Reich ist ein Thema von latenter gesellschaftlicher Aktualität und historiographischer Nachfrage bei Experten wie bei Laien. Nun könnte gerade der Laie dem Titel nach meinen, es läge ein Buch vor, das ihn aktuell und gut zum Thema informierte Dem ist aber ganz und gar nicht so.

Das Buch von Shuk bietet im Bereich "Bildungsarbeit von HJ und BDM" weniger, als wir bereits seit 1964 allein aus der grundlegenden Studie von Hans-Jochen Gamm "Führung und Verführung. Pädagogik des Nationalsozialismus" wissen. Auf diese Studie spielt das Vorwort zu Shuks Buch gleich mit dem ersten Satz an, der da lautet: "Führung und Verführung liegen nahe beieinander" (S. 5). Shuk selbst aber kennt den Band von Gamm nicht oder ignoriert ihn. So ist eine überflüssige Publikation zustande gekommen. Schlecht ist sie, weil ihre Quellen- und Literaturbasis sowie ihr historiographisches Niveau deplorabel sind; überdies löst sie ihren Titel nicht ein.

Der Titel unterstellt, das Buch handle vom "nationalsozialistischem Weltbild" im Zusammenhang mit der "Bildungsarbeit von HJ und BDM". Es wird aber kein Zusammenhang hergestellt. Es werden noch nicht einmal die beiden Gegenstände "nationalsozialistisches Weltbild" und "Bildungsarbeit" von HJ und BDM angemessen abgehandelt. Das gilt in inhaltlicher wie in formaler Hinsicht. Es gibt weder eine Quellenprüfung noch eine Quellenkritik; die Materialbasis des Werkes ist mehr als dürftig: Zustande gekommen ist ein Flickwerk im semantischen Modus naiven Zitierens, schlichter Behauptung und teils kontingenter, teils redundanter, teils banaler Aussage.

Es gibt vier Kapitel:

  1. Eine Einführung zur "Klärung der Begrifflichkeit des Nationalsozialismus". – Diese Begriffsklärung geht allein über den Begriff "Nationalsozialismus" und ist aus weithin bekannten (Nachschlage)Werken zusammengeschrieben. Dabei sind die Verweispfeile der einfacherweise eingescannten Lexikonartikel hier funktionslos stehen geblieben – ein Hinweis auf die "Sorgfalt", mit der der Autor arbeitet.

  2. Ein Kapitel "zur historischen Retrospektive auf die HJ und den BDM". – Diese "Retrospektive" ist in der Hauptsache Zitat und unkritische Nacherzählung zweier bereits vorliegender Geschichtswerke (Schubert-Weller 1993; Jürgens 1996); beide Bezugsbücher sind jedoch kritisch zu lesen; ihre Einseitig- und Kurzsichtigkeiten sind längst ausführlich nachgewiesen worden (vgl. u.a. die Rezensionen von Michael Buddrus zu Schubert Weller in: Jb. des Archivs der Deutschen Jugendbewegung Nr. 18, 1999, und zu Jürgens in: Jb. des Instituts für zeitgeschichtliche Jugendforschung 1, 1994). Die für ein halbwegs solides Kapitel zur Geschichte von HJ und BDM heute heranzuziehende Primär- und Sekundärliteratur (mindestens: Gamm 1964; v. Hellfeld/Klönne 1985; Jahnke/Buddrus 1989; Keim 1995; 1997; Klönne 1955; Lingelbach 1970; Miller-Kipp 2001; Rüdiger 1983; 1984) wird von Shuk ausgelassen – ein historiographisches Unding.

  3. Ein Kapitel über die "ideologischen Grundlagen der Pädagogik des Nationalsozialismus". – Dieses Kapitel ist in vergleichbarer Weise ärgerlich. Es macht Angaben zur Person wortführender Erziehungsideologen des Dritten Reiches (i.e. Hitler, Baldur v. Schirach, Ernst Krieck und Alfred Baeumler) und zitiert diese mit ihren ideologischen bzw. programmatischen Aussagen. Nichts davon ist nicht längst bekannt, zitiert und diskutiert – nur: Shuk nimmt das einfach nicht zur Kenntnis. Er ignoriert die einschlägige Literatur selbst dort, wo es sich um Standardwerke handelt, z.B. Steinhaus (1981) über "Hitlers pädagogische Maximen" oder die Biographien von Gerhard Müller (1978) und Ernst Hoyer (1996) über Ernst Krieck. Shuk bezieht seine Angaben und Aussagen mit wenigen Ausnahmen nämlich aus einer einzigen Sekundär-Quelle, nämlich aus Herrmann Giesecke (1993): "Hitlers Pädagogen". Man greife also besser gleich zu diesem Werk. – Dass es Shuk nicht kümmert, bei diesem Vorgehen reihen- und seitenweise Tertiärzitate zu produzieren (wie auch schon in seiner Einleitung), markiert die handwerkliche "Qualität" der vorgelegten Publikation.

  4. Ein Kapitel zum "nationalsozialistischen Weltbild in der Bildungsarbeit von HJ und BDM". Dieses Kapitel sollte wohl das ganze Unterfangen rechtfertigen, macht jedoch nur ein Fünftel des vorliegenden Buches aus. Dabei wird wiederum nichts anderes geleistet, als Zitate zusammenzustellen und Lesefrüchte zusammenzufassen, hier zu folgenden kategorialen Anhaltspunkten nationalsozialistischer Ideologie und Weltanschauung: "Politik", "Glaube an Deutschland", "Volk und Rasse" , "Blut und Boden", "Feindbild" und "der Typus des Soldatischen in der HJ und im BDM". Jeder einzelne dieser Anhaltspunkte und auch das Ganze des ideologischen Gebräus ist hinlänglich in zugänglicher und guter Literatur abgehandelt. Angesichts dessen ist Shuks Beitrag dazu eher peinlich. Das betrifft auch dessen methodische Grundlegung:

Das Kapitel basiert nominell auf sechs Schul- bzw. Jugendbüchern aus der NS-Zeit, einem Korpus von fünf (Jugend)Lesebüchern aus der Zeit 1923-1925, einem Lesebuch von 1890 (!) und drei (!) selbst geführten Interviews. Von den "Lehr- und Schulbüchern" wird überwiegend nur ein Titel herangezogen, und das Ganze ist aus dem Kapitel "Geschichte und Jugendliteratur im Nationalsozialismus" des Katalogs der Ausstellung "GeschichtsBilder – Historische Jugendbücher aus vier Jahrhunderten" (Staatsbibliothek zu Berlin 2000) abgezogen. – Ein historiographischer Ansatz, sei es ein ideen-, sei es ein mentalitätsgeschichtlicher, ist nicht zu erkennen; ebensowenig werden ein Erkenntnisinteresse oder ein – historisch-systematisches – Verfahren ausgewiesen. Das Quellenmaterial wird schlicht als Fundgrube genommen, entsprechend wird mit ihm umgegangen: Die Textgattungen werden statusgleich behandelt, die Interviewaussagen werden den Buchaussagen analog zugeordnet, Epochenunterschiede werden ignoriert, weil der Autor simplicite lineare Entwicklung unterstellt – alles zusammen eine nahezu sträfliche Arbeitsweise.

Die so "durchgeführte Literaturrecherche" (S. 97) nebst Zeitzeugenbefragung mutiert im Umschlagtext auf der Buchrückseite zu einer "größtenteils exemplarischen Lehr- und Schulbuchanalyse", die den "Weg zur Entwicklung einer Ideologie" dokumentiere. Nichts dergleichen trifft zu. Im Fazit zu seiner Arbeit ergeht sich der Verfasser in sozio-politischen Überlegungen, die schlecht an die vorhergehenden Kapitel anknüpfen. Man darf das ganze Buch vergessen.
Gisela Miller-Kipp (DĂĽsseldorf)
Zur Zitierweise der Rezension:
Gisela Miller-Kipp: Rezension von: Shuk, Alexander: Das nationalsozialistische Weltbild in der Bildungsarbeit von Hitlerjugend und Bund Deutscher Mädel, Eine Lehr- und Schulbuchanalyse, Frankfurt a.M. / Berlin / Bern: Peter Lang 2002. In: EWR 1 (2002), Nr. 5 (Veröffentlicht am 01.12.2002), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/63139269.html