EWR 3 (2004), Nr. 5 (September/Oktober 2004)

Helmut Pauls
Klinische Sozialarbeit
Grundlagen und Methoden psycho-sozialer Behandlung
Weinheim/München: Juventa 2004
(416 Seiten; ISBN 3-7799-0738-0; 24,50 )
Klinische Sozialarbeit Das vorliegende Buch von Helmut Pauls zur klinischen Sozialarbeit greift eine wichtige Debatte in der Sozialen Arbeit auf. In der Schnittstelle psychosozialer, professioneller Tätigkeiten und Aufgaben im Kontext gesundheitlicher Problemlagen und gesundheitsbezogener Dienstleistungen wird die Frage nach einer Standortbestimmung der Sozialen Arbeit bedeutsam. Das Konzept der klinischen Sozialarbeit verspricht diese Konturierung einer eigenen Professionalität sozialer Praxis im Gesundheitsbereich zu ermöglichen. Doch dieses Unterfangen erweist sich als durchaus schwierig und bisher kaum wirklich gelungen. Gilt es doch das schwer zu bestimmende theoretische wie professionelle Selbstverständnis von Sozialer Arbeit in der Kooperation wie Abgrenzung zu anderen letztlich sehr dominierenden Professionen im gesundheitlichen Feld zu positionieren. In dieses diskursive Bemühen kann das Werk von Helmut Pauls als ein wichtiger Beitrag gewertet werden. Mit einem Konvolut von über 400 Seiten handelt es sich nicht um einen skizzenhaften Beitrag, sondern um den anspruchsvollen Versuch, eine ernst gemeinte Grundlegung in der Standortbestimmung klinischer Arbeit zu leisten. Allerdings werden die Leserin und der Leser Analysen und systematische Erörterungen psychosozialer Problemlagen im klinischen Feld oder die Beschreibung von Arbeitsfeldern vermissen. Wie der Untertitel des Buches verrät, geht es dem Verfasser nicht um die lehrbuchartige Darstellung des Gesamtbereichs klinischer Sozialarbeit. Vielmehr ist ein spezifischer Fokus gewollt: theoretische Grundlegungen und vor allem methodischen Konzepte einer psycho-sozialen Behandlung stehen im Zentrum der Ausführungen. Entsprechend baut sich das Buch auf, werden spezifische Schwerpunkte gesetzt und ist auch die Bedeutung dieses Beitrages von Helmut Pauls zur Debatte um die klinische Sozialarbeit zu sehen.

Dem ersten Kapitel "Unterwegs zur klinischen Fachsozialarbeit" kommt die Bedeutung einer inhaltlichen Einleitung zu. Die Diskussion um eine klinische Sozialarbeit in der BRD sowie in den USA, die Beziehung der Sozialen Arbeit zu den Nachbarprofessionen sowie das Verhältnis zwischen Praxis und Wissenschaft, verbunden mit der Forderung, dass klinische SozialarbeiterInnen wissenschaftliche PraktikerInnen sein sollten, markieren diese Ausführungen. Es werden Bezüge und Differenzen zu den anderen Professionen des gesundheitlichen Feldes systematisch und übersichtlich vorgestellt und damit Fragen und Perspektiven für die weiteren Ausführungen gelegt.

Im folgenden, zweiten Kapitel steht eine "Synopse theoretischer Grundlagen" im Vordergrund. Es ist als eines der zentralen Kapitel dieses Werkes zu werten. Mit dem Begriff Synopse angedeutet erörtert Helmut Pauls theoretische Perspektiven einer klinischen Sozialarbeit ohne dabei in den Anspruch zu verfallen, einen theoretischen Gesamtentwurf leisten zu können. Das gewählte Spektrum theoretischer Bezugnahmen ist dabei breit ausgelegt. Neueste Erkenntnisse der Neurobiologie, psychologische Theorien und soziologische Konzepte werden in Bezug zu einander für die Theorie einer klinischen Sozialarbeit gesetzt. In einem ersten Schritt werden bio-psycho-soziale Zusammenhänge und ihre Bedeutungen in Kontext gesundheitlicher Lebens- und Problemlagen. Kann die Medizin sich in vielen Bereichen auf ein biologisches Grundverständnis des kranken Menschen begrenzen, so wird die Soziale Arbeit weitere theoretische Perspektiven nutzen müssen. Helmut Pauls thematisiert diesbezüglich eine sozialisations- und lebenslaufbezogene Perspektive, die Entwicklung des Selbst-in-der-Welt B und eine situationsbezogene Perspektive, die Person-in-der-Situation. Darauf aufbauend wird eine kritische Position zum bio-medizinischen Ansatz und die Notwendigkeit eines bio-psycho-sozialen Krankheitsmodells positioniert. Insbesondere das Konzept der Salutogenese mit seinem ressourcenorientierten Ansatz avanciert zu einem wichtigen Baustein einer neuen den pathogenetischen Perspektiven gegenüberstehendem Konzept. Für eine weitere Konturierung theoretischer Fragmente einer klinischen Sozialarbeit werden Konzepte der sozialen Unterstützung und der Bewältigung von Belastung als bedeutsame Ansätze vorgestellt. Die fast 100 Seiten umspannende theoretische Grundlegung in diesem Buch macht die große Spannbreite einer Theorie klinischer Sozialarbeit deutlich. Die Ausführungen von Helmut Pauls stellen einen wichtigen Anfang dar. Sie machen aber gleichsam deutlich, dass diese Diskussionen mit den vorliegenden Ausführungen keineswegs beendet sind, sondern gerade erst angefangen haben. Insbesondere der interdisziplinäre Charakter einer sozialen Grundlegung von Krankheit und ihrer professionellen Bearbeitung macht es notwendig die unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven, wie die biologischen, psychologischen und soziologischen Ansätze, nicht nur additativ miteinander in Beziehung zu setzen, sondern integrative Denkfiguren zu schaffen, die eine interdisziplinäre Kohärenz ermöglichen: Ein soziologisch verstandener Subjektansatz könnte hier eine wichtige Perspektive für ein verändertes Krankheitsverständnis und eine Praxis klinischer Sozialarbeit darstellen. Sie hätten den vorliegenden Erörterungen eine größere Konturierung geben können. Auf jeden Fall bieten die Ausführungen von Helmut Pauls wichtige Versatzstücke einer Grundlegung und noch wichtiger: Sie fordern zum Weiterdenken heraus.

Wie schon angedeutet stellt die zweite wichtige Perspektive des vorliegenden Werkes die Bestimmung methodischer Profile klinischer Sozialarbeit dar. Etwas erstaunlich ist es dann allerdings doch, dass nach den theoretischen Grundlegungen zu Konzepten psycho-sozialer Belastungen und sozialer Unterstützungen im Zentrum des ersten Methodenkapitels Ausführungen zu psychotherapeutischen Ansätzen folgen. Ausführlich und systematisch gut sowie übersichtlich dargestellt werden die Rolle der Psychotherapie in der klinischen Sozialarbeit, schulübergreifende Perspektiven und unspezifischen Wirkfaktoren sowie einzelne therapeutische Grundrichtungen B wie tiefenpsychologische, verhaltenstherapeutische und erfahrungstherapeutische Perspektiven erörtert. So notwendig psychotherapeutische Methoden im Kontext professioneller Arbeit mit kranken Menschen sein werden, so bleibt dennoch die Frage, ob sie konzeptionell als zentrale Methoden einer klinischen Sozialarbeit verstanden werden sollten. Die oftmals kritisch diskutierte Frage der Psychotherapeutisierung Sozialer Arbeit insbesondere im klinischen Bereich droht durch die gewählte Positionierung dieses Kapitels (berechtigt) wieder neu entfacht zu werden.

Das folgende Kapitel stellt die psychosoziale Behandlung in den Vordergrund. Zwei Schwerpunkte werden fokussiert: psycho-soziale Diagnostik und Grundformen psycho-sozialer Behandlung. Bemerkenswert ist die Betonung der Bedeutung diagnostischer Kompetenzen. In vielen sozialpädagogischen Arbeitsfeldern und methodischen Beschreibungen wird Diagnostik immer noch vernachlässigt. Im Kontext der klinischen Sozialarbeit wird ihr in diesem Band eine große Bedeutung zugewiesen: eben als eine Kernkompetenz professionellen Handelns. So werden über 70 Seiten genutzt, um unterschiedliche Formen möglicher Diagnostik für die klinische Sozialarbeit in ihren Einsatzmöglichkeiten, Reichweiten und Grenzen vorzustellen, so z. B. situationsorientierte Belastungsdiagnostik, netzwerk- und familienorientierte Diagnostik, Mehrebenendiagnostik u. a. Damit wird ein breites methodisches Spektrum diagnostischer Strategien dargestellt und das Buch bietet einen großen Fundus für interessierte PraktikerInnen. Leider werden nur Konzepte psychosozialer Diagnostik vorgestellt und hermeneutische Ansätze biographischer Diagnostik und Fallanalyse nicht mit einbezogen. Damit wird eine systematische, subjektorientierte Perspektive für die klinische Sozialarbeit nicht explizit konzeptualisiert und die Bestimmung einer originär sozialpädagogischen Diagnostik, wie sie im Kontext des Diskurses zur Fallanalyse und hermeneutischer Diagnosen in der Sozialen Arbeit diskutiert werden, nicht genutzt. Der zweite Teil des vierten Kapitels stellt wie schon angedeutet die Grundformen psychosozialer Behandlung in den Vordergrund. Beratungsansätze, Soziale Therapie, Netzwerkarbeit, Soziale Unterstützung, Psychoedukation u. v. a. werden systematisch und sehr übersichtlich präsentiert und erörtert. Die ausführlichen Darstellungen methodischer Konzepte für die klinische Sozialarbeit können dabei nicht nur als Verweis auf die Vielschichtigkeit der Arbeitsfelder und Aufgaben in diesem Bereich gewertet werden, sondern verweisen indirekt auf einen wichtigen Zusammenhang, dass Professionalisierung von Sozialer Arbeit immer auch eine Professionalisierung methodischer Kompetenzen beinhalten sollte. Eine kurze Erörterung zu den professionellen Grundhaltungen schließen die inhaltlichen Ausführungen ab.

Das vorliegende Buch stellt ein großes und notwendiges Kompendium zur klinischen Sozialarbeit dar. Das Unterfangen Helmut Pauls vielzählige theoretische Perspektiven zu bündeln und unterschiedliche methodische Ansätze zu präsentieren und sie für die klinische Sozialarbeit nutzbar zu machen, muss anerkennend gewürdigt werden. Das Buch liefert viele Anregungen für Personen aus Wissenschaft und Praxis, die in diesem Bereich tätig sind. Aufgrund der systematischen Präsentation lässt sich das Buch in vielen Teilen auch als Lehrbuch wie Handbuch nutzen. Insofern ist es weit mehr als eine wissenschaftliche Spezialpublikation. Gleichzeitig zeigt es aber auch, dass der Begriff der Grundlegung nicht das Ende, sondern der Anfang einer Diskussion sein muss. Die Bestimmung einer sozialpädagogischen Kontur in einem gesellschaftlichen Bereich, der durch die Hegenomie anderer Professionen bestimmt ist, unterliegt schnell der Gefahr, sich den Spielregeln und Strukturen der Anderen anzupassen. Insofern sollte darüber nachgedacht werden, inwieweit klinische Sozialarbeit immer wieder der Stachel in einem professionellen Feld sein muss, in dem die soziale und subjektive Dimension gesundheitlicher Problemlagen zu gerne übersehen werden. In diesem Sinne bietet das Buch eine Grundlegung an Ideen, Theorien und Methoden und ist gleichzeitig notwendige Anregung, den Dialog zur klinischen Sozialen Arbeit theoretisch, konzeptionell und methodisch weiterzuführen.
Andreas Hanses (Bremen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Andreas Hanses: Rezension von: Pauls, Helmut: Klinische Sozialarbeit, Grundlagen und Methoden psycho-sozialer Behandlung, Weinheim/München: Juventa 2004. In: EWR 3 (2004), Nr. 5 (Veröffentlicht am 05.10.2004), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/77990738.html