EWR 1 (2002), Nr. 3 (Juli 2002)

Norbert Seibert (Hrsg.)
Probleme der Lehrerbildung
Analysen, Positionen, Lösungsversuche
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2001
(281 Seiten; ISBN 3-7815-1167-7; 21,50 EUR)
Probleme der Lehrerbildung "Probleme der Lehrerbildung" – das Thema hat Konjunktur; ihm neue Aspekte abzugewinnen, ist angesichts der Fülle von Büchern, die dazu bereits veröffentlicht wurden, nicht leicht. Die "Analysen", "Positionen" und "Lösungsversuche", die dieser Band vereint, sind in ihrer Zusammenstellung nun aber so, dass man nach der Lektüre doch Gewinn verbuchen kann. Dazu tragen die eingestandene Unfertigkeit des Produktes, die unterschiedlichen disziplinären Zugänge, mit denen der Herausgeber die Einladung zum gegenseitigen Erfahrungsaustausch verbindet, und sicher auch die andernorts vielleicht für ungewöhnlich befundene Kombination von Autoren aus Wissenschaft und (bayerischer Landes-)Politik bei.

Der Einleitung von Norbert Seibert, die die "Lehrerbildung zwischen Reformstau und Profilbildung" verortet und die Beiträge mit ihren Schwerpunkten vorstellt, folgen vier Kapitel. Sie behandeln (1) Belastungen im Schulalltag und psychische Gesundheit, (2) Professionalität im Lehrberuf, (3) Schulartspezifische Reformvorschläge und – mit dem Passauer Lehrerbildungsmodell – (4) Ein schulartübergreifendes Pilotprojekt zur Reform der Lehrerbildung.

Unter einer Kapitelüberschrift, aber mit deutlich anderer Akzentsetzung widmen sich Fritz Bohnsack und Uwe Schaarschmidt den Belastungen im beruflichen Alltag von Lehrern. Bohnsack geht es nach der Zusammenfassung zentraler Positionen zu Stress und Burnout und einer Unterscheidung von objektiven und subjektiven Faktoren vor allem um den praktischen Umgang mit dem Problem. Dafür rät er unter Bezugnahme auf Dewey zum Aufbau von "Seins-Vertrauen" durch "Selbsterziehung" und "Religiösität". Der Autor, der mit diesem - für manche Erziehungswissenschaftler sicher irritierenden - Rat bereits Kritik ausgelöst hat (vgl. S. 63), erklärt die "religiöse Fundierung" nicht mit Rückzug auf die Person, sondern mit dem Anliegen, Lehrern "Voraussetzungen" für den "Kampf um eine ‚bessere‘, eine humanere Schule" zu geben (64). Während Bohnsack das Feld des Unwägbaren beschreitet, richtet Schaarschmidt den Blick auf die Analyse empirischer Daten. Er stellt Untersuchungen vor, in deren Ergebnis er 2 Bewältigungs- und 2 Risikomuster für Belastungen im Lehrerberuf unterscheidet. Interessant ist, dass diese Muster nach Deutschland Ost-West und Nord-Süd differieren, sich aber für Ost-West im Zuge der fortschreitenden Einheit die Differenzen aufzulösen scheinen. Die Belastungsrisiken sind damit freilich nicht ausgeräumt, weswegen sich die Schlussfolgerungen auf Maßnahmen beziehen, die diese Risiken reduzieren können.

Walter Eykmann, dem es um die Besinnung auf die pädagogische Rolle des Lehrers als "Verführer" (107) zu Lernen und Bildung geht, führt mit Comenius die historische Dimension ein, um gleichzeitig für ein zukunftsorientiertes Verständnis des Berufs zu plädieren. Dies schließt die Warnung ein, Pädagogik nicht auf eine ausschließlich empirisch ausgerichtete Wissenschaft zu verkürzen. Kurt Czerwenka und Karin Nölle gehen der für die erste Phase der Lehrerbildung zentralen Frage nach, ob sich Grundkompetenzen des Berufs bereits während der Studienzeit gezielt anbahnen lassen. Und: Sie bezeichnen das Bemühen nicht als hoffnungslos. Der Weg, dies über eine Erhöhung der Praxisanteile zu erreichen, scheint ihnen allerdings nicht fruchtbar, denn sie befürchten, dass dies ein "mehr des gleichen" (115) bedeuten könne. Vielmehr zeigen sie unter Hinweis auf "persönliche Unterrichtsmuster" (121) von Studierenden, wie man diese Muster ins Bewußtsein holen kann, um daran weiterzuarbeiten. Ihr Ansatz, unterschiedliche Wissensformen zu verbinden, geht weit über die bloße Konstatierung von differenten Wissensformen hinaus und lässt die Möglichkeit aufscheinen, dass ein professionelles Handlungsrepertoire tatsächlich bereits im Studium aufgebaut wird.

Das Kapitel zur Professionalität wird mit zwei Aufsätzen von Sigrid Blömeke - zum Erwerb professioneller Kompetenz und zu B.A. und M.A.-Abschlüssen in der Lehrerausbildung, bei denen sie für eine grundständige berufsbezogene Ausbildung eintritt - geschlossen. Auch sie weist darauf hin, dass ausgedehnte Praxisphasen nicht das Allheilmittel sind und legt das Augenmerk auf eine Hochschuldidaktik, die von der Dekonstruktion subjektiver Vorstellungen ausgeht und schließlich ein modernes, selbstgesteuertes Lernen in Modulen ermöglicht.

Bei den schulartspezifischen Reformvorschlägen, die von Gerhard Waschler für die gymnasiale Lehrerbildung und von Peter F.E. Sloane und Thomas Hasenbank für die Ausbildung der Diplomhandelslehrer vorgetragen werden, wird die Aufmerksamkeit auf die Differenz der Anforderungen für den künftigen Beruf gelegt. Von Waschler, der die gegenwärtige Ausbildung als "zu sehr verwissenschaftlicht" (200) einschätzt und der einen Zugang über den Bildungsbegriff und die veränderten Welten der Kinder und Jugendlichen vorschlägt, wird die Forderung nach einer Gymnasialpädagogik erhoben. Sein Argument ist, dass die künftigen Lehrer an Gymnasien mit Schülern von der Vorpubertät bis zum Erwachsenenalter zu tun hat. Dies zu berücksichtigen, erfordere eine spezifische Pädagogik und eine entsprechend reflexive und aktive Lehrer-Bildung, durch die die Lehrer stärker als bisher mit erziehungswissenschaftlichen Fragestellungen interdisziplinär in Kontakt treten dürften. Sloane und Hasenbank gehen für die Diplomhandelslehrer über Programmatisches hinaus und skizzieren ein Modell modularisierter Lehrer(aus)bildung, das auf ein Baukastensystem hinausläuft, bei dem berufspraktische Erfahrungen, unterrichts- und schulpraktische Erfahrungen, fachwissenschaftliche Studien und (berufs- und wirtschafts-)pädagogische Studien miteinander verknüpft und in einem pädagogischen System verankert werden sollen. Die Pointe bei ihrer Bestimmung des Verhältnisses von Fachwissen und pädagogischer Kompetenz ist, dass dieses Modell Professionalisierung für Direktstudierende und Seiteneinsteiger in unterschiedlicher Hinsicht und auch nach individuellem Bedarf ermöglicht. Die Weiterführung ihrer Gedanken mündet schließlich in fünf Thesen, die neben der Individualisierung der Lehrerbildung auch ihre Entstaatlichung und ihre Konzeption als langfristige Personalentwicklung sowie als Integration von Aus- und Weiterbildung vorsehen.

Der letzte Beitrag von Hans-Stefan Fuchs stellt das Passauer Lehrerbildungsmodells vor, das von einem integrativen Kerncurriculum mit deutlichem Berufsfeldbezug bestimmt wird. Sein Kennzeichen ist eine Verzahnung auf drei Ebenen. In den Grundkursen (I: Unterrichten, Erziehen; II: Beurteilen, Beraten, Innovieren) kooperieren Allgemeine Pädagogik, Schulpsychologie und Schulpädagogik, dann, im universitären Rahmen die Fächer und schließlich gibt es schulartspezifische, wissenschaftliche betreute Praxiskontakte.

Als das Buch erschien - das allen empfohlen sei, die über den Tellerrand der eigenen Hochschule hinausschauen wollen - war das Modell noch nicht durchlaufen. Inzwischen ist das der Fall. Auf die Ergebnisse darf man gespannt sein.
Heidemarie Kemnitz (Berlin)
Zur Zitierweise der Rezension:
Heidemarie Kemnitz: Rezension von: Seibert, Norbert (Hg.): Probleme der Lehrerbildung, Analysen, Positionen, Lösungsversuche, Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2001. In: EWR 1 (2002), Nr. 3 (Veröffentlicht am 01.07.2002), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/78151167.html