EWR 5 (2006), Nr. 1 (Januar/Februar 2006)

Sigrid Blömeke / Peter Reinhold / Gerhard Tulodziecki / Johannes Wildt (Hrsg.)
Handbuch Lehrerbildung
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2004
(636 S.; ISBN 3-7815-1344-0; 42,00 EUR)
Handbuch Lehrerbildung Es ist eine Wohltat, wenn das grundlegende und oft ausufernde Wissen in den einzelnen erziehungswissenschaftlichen Subdisziplinen durch HandbĂŒcher zusammengefasst und kritisch sortiert wird (z.B. Handbuch GrundschulpĂ€dagogik und -didaktik, Handbuch Kritische PĂ€dagogik, Handbuch Schulforschung). Das Handbuch Lehrerbildung möchte nun diesen Trend fortsetzen und dabei dem gestiegenen Interesse an Fragen der Lehrerprofessionalisierung und der kaum noch zu ĂŒberblickenden Publikationslage Rechnung tragen. Es kommt also zur rechten Zeit und geht mit weit reichenden und ambitionierten Zielen an den Start. Die Herausgeber möchten zunĂ€chst einmal zusammenfassende BeitrĂ€ge ĂŒber das deutschsprachige Lehrerbildungssystem zur VerfĂŒgung stellen. Dabei soll gleichzeitig „fĂŒr die Forschung ein systematischer Zugang zur Lehrerbildung ermöglicht werden „(10). Ein zweites Ziel ist die Thematisierung des Mangels an empirischen Untersuchungen als einem "grundlegenden Defizit" (11) der Lehrerbildungsforschung. Wo immer möglich sollen international vorliegende empirische Befunde dargestellt und aufgearbeitet werden. UnmissverstĂ€ndlich wird bereits in der Einleitung eine wichtige Konsequenz aus dieser defizitĂ€ren Situation gezogen: „Als notwendige Fortsetzung der Schulleistungsvergleiche steht nun ein nationaler und internationaler Vergleich der Wirksamkeit der Lehrerbildung an" (ebd.). Des weiteren möchten die Herausgeber mit ihrer Zusammenstellung die Bedeutung der Fachdidaktiken fĂŒr eine Reform der Lehrerbildung betonen und „reagieren damit auf die - sich verstĂ€rkt durchsetzende - Anerkennung der SchlĂŒsselstellung der Fachdidaktik, welche die Aufgabe hat, die disziplinĂ€re und pĂ€dagogische Perspektive zu integrieren, bei gleichzeitig immer noch festzustellender personeller und zeitlicher Marginalisierung in der Lehrerbildung" (10). Eine langfristige und gewagte Intention dieses Handbuchs ist der Gedanke an eine mögliche Vorarbeit fĂŒr eine Didaktik der Lehrerbildung: "Die an der Lehrerbildung beteiligten Disziplinen, die fĂŒr gewöhnlich die Reflexion des Bildungs- bzw. Erziehungssystems außerhalb ihrer selbst betreiben, wenden ihr analytisches Potential reflexiv auf sich selbst an. Damit kommt die Praxis der Lehrerbildung in den Blick, die zumeist einen 'blinden Fleck' des wissenschaftlichen Erkenntnisinteresses darstellt" (ebd.). Inwiefern wird das Handbuch diesen selbst gesetzten Zielen gerecht?

Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis zeigt, dass sich die Herausgeber viel vorgenommen haben und einen hinreichend vollstĂ€ndigen Überblick geben möchten. Auf ĂŒber 600 Seiten werden 37 EinzelbeitrĂ€ge zu sieben zentralen Kapiteln zusammengefasst. Die ersten beiden Kapitel beschĂ€ftigen sich mit Struktur, Entwicklung und Grundsatzfragen der Lehrerbildung. Vor allem in Kapitel 2 werden die inhaltlichen und methodologischen Themen der aktuellen Professionalisierungsforschung bearbeitet (Standardbasierte Evaluation, VerhĂ€ltnis von Wissen und Handeln, Polyvalenz, ...). Die Kapitel 3 bis 7 variieren das Thema Lehrerbildung auf unterschiedlichen Dimensionen: Phasen und Orte der Lehrerbildung, AusbildungsgĂ€nge, Komponenten der Lehrerbildung, berufliche Aufgaben und fĂ€cherĂŒbergreifende Inhalte der Lehrerbildung. Durch diese feine Gliederung werden zwar alle relevanten Gebiete breit abgedeckt, jedoch kommt es im Gegenzug zu Wiederholungen und Überschneidungen. Auf der anderen Seite bekommt ein wichtiges Thema wie z.B. die europĂ€ische Harmonisierung der Lehrerbildung keinen gesonderten Beitrag.

Kapitel 1 beginnt mit BeitrĂ€gen zu Struktur und Entwicklung der Lehrerbildung. Den Auftakt macht Uwe Sandfuchs mit einer kompakten und ĂŒbersichtlichen Darstellung der Lehrerbildungsgeschichte in Deutschland. Beginnend mit den Impulsen der AufklĂ€rung im 18. Jahrhundert werden die wichtigsten Meilensteine der Professionalisierung und Institutionalisierung (Gymnasiallehrerausbildung, Volksschullehrerausbildung, weitere LehrĂ€mter und Lehrerinnenausbildung) chronologisch vollstĂ€ndig beschrieben und in die zeitgeschichtlichen BezĂŒge eingebettet. Der Beitrag schließt mit einer Zusammenfassung historischer Entwicklungslinien, die an ihren Endpunkten zu einer strukturellen Beschreibung des gegenwĂ€rtigen Standes der Lehrerbildung ĂŒberleiten.

Mit der strukturellen Organisation und den damit verbundenen Problemstellungen beschĂ€ftigt sich der Beitrag von Ewald Terhart. Ausgehend von der einzigartigen deutschen Form der Lehrerbildung und den daraus resultierenden Folgeproblemen (Zersplitterung der Erstausbildung; wiederkehrende Forderungen nach Polyvalenz des Lehramtsstudiums; mangelnde Wirkungsforschung; Berufsbiografie und Belastungen) kommt Terhart zu einer Auflistung aktueller Entwicklungen und Reformimpulse, die er kritisch kommentiert: „Insofern ist durch diese Modellversuche und Reforminitiativen die etablierte Struktur der Lehrerbildung deutlich in Bewegung geraten. Vieles konzentriert sich noch auf die Erste und - schon deutlich geringer - auf die Zweite Phase. In den Bereichen der Fort- und Weiterbildung (...) sind demgegenĂŒber deutlich weniger Initiativen anzutreffen" (53). Mögliche Konsequenzen und Optionen, die aus der Forderung nach einer europĂ€ischen Bildungslandschaft entstehen, werden angedeutet. Konkret diskutierte Konzepte oder bereits praktizierte Umsetzungsbeispiele des Bologna-Prozesses wĂ€ren hier noch eine interessante ErgĂ€nzung.

Empirische Befunde zur Wirksamkeit der Lehrerbildung sondiert Sigrid Blömeke. Sie gibt in ihrem Beitrag zunĂ€chst einen kurzen Überblick zu theoretischen und methodologischen Problemen der empirischen Lehrerbildungsforschung. Dabei betont sie besonders den noch nicht schlĂŒssig bewiesenen Zusammenhang zwischen Lehrerausbildung und SchĂŒlerleistungen. Dies betrifft auch die zentralen Ergebnisse der US-amerikanischen Wirksamkeitsstudien, die sie bezĂŒglich ihrer problematischen bildungspolitischen Verflechtungen kritisch diskutiert. Ihr fast resignatives Zwischenfazit regt zum Nachdenken an: „Fokussiert man die Frage der Wirksamkeit von Lehrerbildung darauf, ob durch sie eine hohe QualitĂ€t von Lehrerhandeln erreicht wird (...) muss man feststellen, dass eine solche Frage auf der Basis der vorhandenen empirischen Befunde nicht beantwortet werden kann. Fraglich ist, ob das in dieser Form jemals möglich sein wird" (75). Blömeke bringt fĂŒr die Zukunft deshalb drei ambitionierte und noch zu prĂ€zisierende Aufgabenfelder ins Spiel: Sammlung international einheitlicher Strukturdaten zur Aufdeckung zentraler struktureller Probleme, international vergleichende Untersuchung der Wirksamkeit von Lehrerbildung und VerknĂŒpfung von empirischer Bildungsforschung, Bildungstheorie und -geschichte.

Dass in diesem ersten Kapitel die Entwicklungen und Strukturen der Lehrerbildung in der ehemaligen DDR beschrieben werden, trĂ€gt zur historischen VollstĂ€ndigkeit dieses Handbuchs bei. Heidemarie Kemnitz sieht die Zeit gekommen, sich in distanzierter Gelassenheit mit dem DDR-Bildungssystem zu befassen und liefert durch ihren Beitrag zur Lehrerbildung in der DDR das nötige Sachwissen fĂŒr eine historisch-kritische Bewertung und Einordnung, nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund heutiger Reformdebatten.

Aufgrund Ă€hnlicher struktureller und historischer Gegebenheiten werden in diesem Handbuch auch die Lehrerbildungssysteme in der Schweiz und in Österreich dargestellt. Friedrich Buchberger, Irina Buchberger und Heinz Wyss skizzieren Strukturen, Reformimpulse und eingeleitete Entwicklungen in den beiden NachbarlĂ€ndern. Vor allem die Schweizer Reformbestrebungen regen zum Nachdenken an: Trotz kantonaler EigenstĂ€ndigkeit und des traditionell stark zersplitterten Bildungswesens konnte das Alpenland Prozesse der zunehmenden Standardisierung und Niveausteigerung in der Lehrerbildung einleiten.

Sabine Larcher und JĂŒrgen Oelkers vergleichen die deutsche Lehrerbildung mit neueren Entwicklungen in den USA, Großbritannien, den Niederlanden und Irland. Mit diesem Beitrag möchten die Autoren zwei zentralen Fragen nachgehen: Wo liegen die Potenziale und Schwerpunkte der anderen Lehrerbildungssysteme? Wie lassen sich diese Erfahrungen und Entwicklungen auf das deutsche System ĂŒbertragen? Alle vier ausgewĂ€hlten LĂ€nder haben in den zurĂŒckliegenden Dekaden beeindruckende und grundlegende Reformprozesse eingelĂ€utet und zum großen Teil auch umgesetzt. Die Autoren unterscheiden dabei kritisch zwischen der Semantik einer Reform und der realen Umsetzung. Zu wenig thematisiert werden allerdings empirische Studien, die Reformeffekte im Lehrerbildungssystem der beschriebenen LĂ€nder auch nachweisen. Eine Antwort auf die zweite Frage ist nach Larcher und Oelkers nur bedingt möglich, weil Lehrerbildung immer ein stark national und kulturell abhĂ€ngiges Unternehmen ist. Dennoch lassen sich zentrale Reformimpulse aus den internationalen Erfahrungen fĂŒr das – aus Sicht der Autoren - stark traditionslastige und zu wenig flexible deutsche Lehrerbildungssystem ableiten. Sehr ĂŒberzeugend wird hingegen die zukĂŒnftige Bedeutung einer lebenslangen Weiterbildung von LehrkrĂ€ften herausgearbeitet. Larcher und Oelkers ziehen die Schlussfolgerung, „die Ausbildung zu kĂŒrzen und die gewonnene Zeit sowie die eingesparten Mittel in die Fort- und Weiterbildung zu investieren" (144). Ein weiterer ĂŒbertragbarer Reformimpuls wĂ€re die stĂ€rkere Verkoppelung und Berufsfeldorientierung der beiden Erstausbildungphasen. Schwammig und schlagwortartig bleiben allerdings die Überlegungen zur einer verstĂ€rkten QualitĂ€tskontrolle (Standards und Evaluation) und einer Managementorientierung der Lehrerbildung.

Das zweite Kapitel widmet sich Grundsatzfragen der Lehrerbildung und beginnt mit dem Thema Persönlichkeitsbildung von Lehrerinnen und Lehrern. Hier greift Fritz Bohnsack eine traditionelle Fragestellung auf, die in der heutigen Professionalisierungsdiskussion etwas zu kurz kommt. Er diskutiert Möglichkeiten der Persönlichkeitsbildung in der Lehrerbildung und innerhalb der anschließenden BerufstĂ€tigkeit und suggeriert damit deren Machbarkeit. Die heikle, jedoch stets virulente Frage, ob bereits bei der Aufnahme eines Lehramtsstudiums die fĂŒr eine spĂ€tere BerufsausĂŒbung notwendigen Persönlichkeitsmerkmale diagnostiziert werden können und sollen, wird auf diese Weise elegant ausgeklammert.

Einen prĂ€zisen und systematischen Überblick zur Forschung in der Lehrerbildung geben Altrichter und Mayr in ihrem Beitrag. Sie liefern BegrĂŒndungen fĂŒr forschendes Lernen und liefern eine Typologie von Forschungsformen in der Lehrerbildung. Dabei betrachten die Autoren nicht nur die Forschung in den beiden ersten Phasen der Lehrerausbildung, sondern auch Forschungsmöglichkeiten in dem bisher stark vernachlĂ€ssigten Feld der Lehrerweiterbildung. Konsequent wird in diesem Zusammenhang dann auch auf die defizitĂ€ren ForschungsaktivitĂ€ten und -möglichkeiten von Lehrerbildnerinnen und Lehrerbildnern an UniversitĂ€ten und PĂ€dagogischen Akademien bzw. Seminaren hingewiesen.

Bereits ein Standard in der Lehrerbildungsdiskussion ist das Konzept einer standardbasierten Evaluation von Fritz Oser. In seinem Beitrag benennt er ein zentrales theoretisches Problem der Professionalisierungsforschung: Welches Wirkungsmodell wird gewĂ€hlt? Und wie kann der Zusammenhang zwischen Theorie, Empirie, situativer Praxis und Expertise so modelliert werden, dass sich fĂŒr alle an Lehrerbildung Beteiligten handlungsleitende Standards beschreiben lassen? Ausgehend von bisher implizit verwendeten, jedoch defizitĂ€ren Wirkungsmodellen, beschreibt Oser das der Schweizer Lehrerbildungsstudie zugrunde liegende Professionsgenerierungsmodell. Abschließend folgen klare Hinweise fĂŒr eine Weiterentwicklung des Konzepts einer standardbasierten Evaluation von Lehrerbildung. Dabei betont er immer wieder die Notwendigkeit der VerknĂŒpfung von praktischen Beispielen und theoretischer Reflexion: „Guter Unterricht darf nicht zufĂ€llig guter Unterricht sein. WĂŒrde dieses Geschenk des Himmels einmal eintreten, mĂŒsste immer noch daraus gelernt werden, warum dieser gelungene Unterricht gut und ein Kompetenzprofil (Standard) erfolgreich ist" (203).

Kapitel drei orientiert sich an der horizontalen Gliederung des Professionalisierungsprozesses. Nacheinander werden die verschiedenen Ausbildungsphasen sowie die Möglichkeiten ihrer Verzahnung diskutiert. Sigrid Blömeke beleuchtet strukturelle Defizite der Erstausbildung von Lehrerinnen und Lehrern an UniversitĂ€ten und fĂŒhrt diese vor allem auf historische Entwicklungen und aktuelle gesellschaftliche Funktionszuschreibungen zurĂŒck. Lehrerbildung leidet vor allem unter allgemeinen Desintegrationsprozessen einer MassenuniversitĂ€t. Die institutionelle EigenstĂ€ndigkeit der Erstausbildung an PĂ€dagogischen Hochschulen in Baden-WĂŒrttemberg wird von Blömeke zwar erwĂ€hnt, hĂ€tte in diesem Zusammenhang als Kontrastmodell eine vertiefte Erörterung verdient, denn gerade dort ist durch die institutionelle Konzentration auf Lehrerbildung eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Fachdidaktikern, Fachwissenschaftlern und Erziehungswissenschaftlern besser möglich.

Hartmut Lenhard und Peter Daschner stellen Strukturen, Konzepte und Problemfelder des Vorbereitungsdienstes bzw. der Lehrerfortbildung dar und leiten daraus jeweils zentrale Entwicklungsperspektiven ab. Höhepunkt und Abschluss dieses Teilkapitels ist die Frage der Verzahnung von drei institutionell und zum Teil auch konzeptionell deutlich getrennten Ausbildungsblöcken. Uwe Hericks geht hierzu auf die Erfahrungen mit bereits existierenden Zentren fĂŒr Lehrerbildung als mögliche Orte und Organisationsformen fĂŒr eine Verzahnung ein. Wie bereits in den vorangehenden BeitrĂ€gen erwĂ€hnt, kann auch Hericks zeigen, dass die Ausbalancierung und VerknĂŒpfung von theoretischem Reflexionswissen und Praxiserfahrungen der zentrale inhaltliche Standard fĂŒr eine sinnvolle interinstitutionelle Kooperation sein muss.

Auch in diesem Kapitel weisen die Autoren auf das grundlegende Problem der aktuellen Reformdiskussion hin: Es fehlt die empirische Evidenz, um Aussagen zu den einzelnen Phasen der Ausbildung sowie zu Modellprojekten der Verzahnung machen zu können.

Das vierte Kapitel ist nach AusbildungsgĂ€ngen fĂŒr das Lehramtsstudium gegliedert. In den BeitrĂ€gen dieses Kapitels werden verstĂ€rkt die Auswirkungen des Bologna-Prozesses fĂŒr die Weiterentwicklung der einzelnen LehramtsstudiengĂ€nge reflektiert. Wolfgang Einsiedler beschreibt die zunehmende Professionalisierung der Grundschullehrerausbildung, die sich in vielen BundeslĂ€ndern als eigenstĂ€ndiger und von den anderen LehrĂ€mtern unabhĂ€ngiger Ausbildungsgang etablieren konnte. Einsiedler betont vor allem die zunehmenden ForschungsaktivitĂ€ten im Bereich der GrundschulpĂ€dagogik als wichtiges Fundament fĂŒr ein wissenschaftliches Grundschullehrerstudium. Sein Beitrag endet mit einer deutlichen Warnung davor, die Ausbildung fĂŒr das Grundschullehramt im Zuge der EinfĂŒhrung von konsekutiven StudiengĂ€ngen auf BA-Niveau herabzustufen.

Dieter Spanhel vergleicht in seinem Aufsatz zur Lehrerausbildung fĂŒr Haupt- und Realschulen die föderale Vielfalt an Studiengangskombinationen, Regelungen und Inhalten in diesem Bereich. Über diese strukturelle Beschreibung hinaus bleibt die Analyse der konzeptionellen Ausgestaltung und Weiterentwicklung dieser StudiengĂ€nge eher oberflĂ€chlich. Auch die Skepsis gegenĂŒber konsekutiven Studienstrukturen fĂŒr die Haupt- und RealschullehrĂ€mter wird nur pauschal mit dem Argument einer Verschiebung mangelnder Berufsfeldorientierung begrĂŒndet.

Ulrich Herrmann widmet sich den spezifischen Problemen der Gymnasiallehrerausbildung. Seine differenzierte und historisch fundierte Analyse des Spannungsfeldes zwischen Fachlichkeit der Ausbildung und pĂ€dagogischen Erfordernissen der BerufsausĂŒbung kulminiert in der Forderung nach verstĂ€rkter Orientierung des Gymnasiallehrerstudiums an fachdidaktischen und pĂ€dagogischen Standards. Realistisch ist seine EinschĂ€tzung, dass hier einzelne Studiengangreformen nur wenig bewirken können, solange der gesamte gymnasiale Bildungsbereich sich nicht dieser Entwicklungsaufgabe stellt.

Nach einer Darstellung der bundesdeutschen Strukturen und Herausforderungen ordnet Peter F.E. Sloane die hiesige Lehrerausbildung fĂŒr das berufsbildende Schulwesen in die internationale Diskussion ein. Interessant ist die Dynamik der Entwicklungstendenzen und die konsequente Akademisierung und Professionalisierung in diesem Überschneidungsbereich zwischen Erziehungs- und Wirtschaftssystem: „Die Entwicklung beruflicher Arbeit löst aber den Gegensatz von Theorie und Praxis zusehends auf. (...) Daher ist es letztlich folgerichtig, wenn in allen betrachteten europĂ€ischen LĂ€ndern die Akademisierung aller Lehrerausbildungen fĂŒr den berufsbildenden Bereich angestrebt wird, und zwar mit dem Ziel, die LeistungsfĂ€higkeit des beruflichen Bildungssystems zu erhöhen" (366).

Von der allgemeinen Lehrerbildungsdebatte etwas in den Schatten gestellt, wird auch in der SonderpĂ€dagogik ĂŒber neue Modelle der Professionalisierung nachgedacht. Alexandra Obolenski beschreibt die aktuelle Kontroverse zwischen konsequenter Weiterentwicklung sonderpĂ€dagogischer StudiengĂ€nge und verstĂ€rkter Integration sonderpĂ€dagogischer Inhalte in alle LehramtsstudiengĂ€nge. Der Umgang mit heterogenen Lerngruppen wird als eine Kompetenz beschrieben, die jeder Lehrer in seiner Ausbildung erwerben sollte. Obolenski geht zum Schluss ihres Beitrags auf verschiedene Möglichkeiten der Integration sonderpĂ€dagogischer Inhalte in die Lehramtsausbildung ein: Z.B. Gemeinsames Grundstudium fĂŒr alle LehrĂ€mter mit entsprechenden Pflichtmodulen zum Umgang mit heterogenen Lerngruppen.

Die einzelnen Komponenten der Lehrerbildung werden im 5. Kapitel systematisch durchforstet. Besonders eindrĂŒcklich sind die beiden ersten BeitrĂ€ge von Michael KĂ€mper-van den Boogaart und Gottfried Merzyn zur schon chronisch defizitĂ€ren fachwissenschaftlichen Komponente der Lehrerbildung. Traditionelles SelbstverstĂ€ndnis und eine stetig fortschreitende Ausdifferenzierung der Wissenschaften sind ihrer Ansicht nach die Hauptursachen fĂŒr eine geradezu hartnĂ€ckige Ignoranz der universitĂ€ren Natur- bzw. Geisteswissenschaften gegenĂŒber der Lehrerbildung. Bezeichnend ist auch die Tatsache, dass fĂŒr die beiden BeitrĂ€ge zur fachwissenschaftlichen Komponente der Lehrerbildung keine Fachwissenschaftler als Autoren gewonnen werden konnten.

Peter Reinhold leitet die Reihe zu fachdidaktischen BeitrĂ€gen mit allgemeinen Gedanken zur Stellung der Fachdidaktik innerhalb der Lehrerbildung ein. Er arbeitet die Bedeutung fachdidaktischer Studieninhalte als wichtiges Bindeglied zwischen Fachwissenschaft und Allgemeiner Didaktik bzw. Lernpsychologie heraus. Die zunehmende Orientierung der Fachdidaktiken an Forschung und international diskutierten Lehrerbildungsstandards sind weitere Indikatoren fĂŒr die Bedeutung und Dynamik dieser Lehrerbildungskomponente. Dies belegen auch die nachfolgenden KurzbeitrĂ€ge zur Lehrerausbildung in den einzelnen Fachdidaktiken (von Biologiedidaktik bis WirtschaftspĂ€dagogik). Weil alle möglichen Fachdidaktiken kurz zu Wort kommen, wirkt dieser Teil des Handbuchs allerdings enzyklopĂ€disch und zersplittert.

Ein berufsfeldbezogenes Kerncurriculum fĂŒr die erziehungswissenschaftlichen Studienanteile ist fĂŒr Marianne Horstkemper der einzig denkbare Ausweg aus der viel beklagten Marginalisierung und Beliebigkeit. DarĂŒber hinaus nennt sie weitere wesentliche Ziele einer Reform dieser Lehrerbildungskomponente: Neue Vermittlungsformen erziehungswissenschaftlichen Wissens und der Aufbau eines forschenden Habitus. Ein noch weitgehend ungelöstes Problem ist nach Horstkemper auch die sinnvolle Verzahnung erziehungswissenschaftlicher Studien mit fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Studieninhalten. Gerade durch die zahlreichen Überschneidungsbereiche können Studierende genuin erziehungswissenschaftliche Fragestellungen nicht mehr eindeutig lokalisieren.

Wilhelm Topsch listet systematisch die wesentlichen GrĂŒnde fĂŒr Schulpraxis in der Lehrerbildung auf und versucht eine kurze historische Verankerung. In seinem Beitrag fehlt allerdings die Fokussierung auf die Frage nach der Effizienz der schulpraktischen Ausbildung sowie die Diskussion unterschiedlicher Modelle und Möglichkeiten fĂŒr eine sinnvolle VerknĂŒpfung von schulpraktischen und wissenschaftlichen Inhalten.

Kapitel 6 eröffnet eine weitere Dimension zur Strukturierung der Diskussion ĂŒber Lehrerbildung: Die beruflichen Aufgaben von Lehrerinnen und Lehrern. Gerhard Tulodziecki greift die zentrale Lehreraufgabe „Lernprozesse anregen und unterstĂŒtzen" auf und skizziert didaktische Traditionslinien, lehr-lerntheoretische Modelle und neuere konstruktivistische AnsĂ€tze zu dieser Thematik. Seine Schlussfolgerungen fĂŒr die Lehrerbildung sind zwar Ă€ußerst knapp und skizzenhaft, deuten jedoch klar an, inwiefern bereits in der ersten Phase diese zentrale Lehreraufgabe angebahnt werden könnte. Auch Jörg Ziegenspeck referiert den aktuellen Erkenntnisstand zum Thema schulische Leistungsmessung und -bewertung. Erst im letzten Teil seines Beitrages werden VorschlĂ€ge zur Einbindung in ein Lehrerbildungscurriculum unterbreitet. Wichtig und gut ist sein expliziter Hinweis auf die schultheoretische und gesellschaftliche Dimension der Leistungsbeurteilung.

Die beiden letzten BeitrĂ€ge dieses Kapitels beschĂ€ftigen sich mit den eher ‚neuen’ Lehreraufgaben. Beatrix Wildt gibt einen profunden Überblick zu Beratungsaufgaben im Lehramt und Sibylle Rahm und Nikolaus Schröck thematisieren das Aufgabenfeld Schulentwicklung. Vor allem im letzten Beitrag wird die Diskussion auf einem anspruchsvollen theoretischen Niveau gefĂŒhrt. Unter dem Stichwort ‚Lehrerbildung als Konstruktionsarbeit’ kommen mögliche Ausbildungsszenarien fĂŒr diese neueren Aufgabenfelder zur Sprache.

Nachdem nun Ausbildungsstufen, Ausbildungskomponenten und professionsspezifischen Aufgabenstellungen eingehend durchleuchtet wurden, hĂ€tte auf das letzte Kapitel zu fĂ€cherĂŒbergreifenden Inhalten der Lehrerbildung gut verzichtet werden können. Hier wird unter einer anderen Perspektive im Wesentlichen wiederholt, allenfalls neu akzentuiert. Ludwig Huber fragt sich zu Beginn des Kapitels selbstkritisch, ob der sich etablierende Lehrerbildungskanon (Fachwissenschaft, Fachdidaktik, Erziehungswissenschaft, Schulpraxis) noch um weitere fĂ€cherĂŒbergreifende Elemente angereichert werden muss. Nach der Herleitung und Auflistung möglicher fĂ€cherĂŒbergreifender Themen kommt er dann zu dem Ergebnis, dass diese in den herkömmlichen Studienelementen allesamt enthalten sein mĂŒssten, insofern diese herkömmlichen Studienelemente ausreichend komplex und problemzentriert angelegt sind. Seine methodischen Forderungen nach einer verstĂ€rkten Vernetzung decken sich dann folglich mit VorschlĂ€gen vorausgehender Autoren. Die BeitrĂ€ge in diesem siebten Kapitel verweisen somit noch einmal auf vordringliche und zentrale Inhalte der Lehrerausbildung, die in der ein oder anderen Form jedoch genuine Elemente der fachdidaktischen bzw. erziehungswissenschaftlichen Ausbildung sein sollten: Umgang mit HeterogenitĂ€t, Förderung selbstgesteuerten Lernens, MedienpĂ€dagogische Kompetenz, SozialpĂ€dagogische Kompetenz, Umwelterziehung und Bildung fĂŒr nachhaltige Entwicklung.

Das Handbuch ist insgesamt benutzerfreundlich gestaltet. Jedes Kapitel beginnt mit einer Einleitung, in der die zentralen Fragestellungen aufgezeigt und die folgenden EinzelbeitrÀge knapp zusammengefasst werden. Die EinzelbeitrÀge sind durch ein Abstract, ihre Àhnliche Struktur und die ungefÀhr gleiche BeitragslÀnge leserfreundlich gestaltet. Höchst leserunfreundlich sind allerdings die absatzlosen und klein gedruckten Literaturlisten am Ende der BeitrÀge.

Bezogen auf die eingangs zitierten Intentionen der Herausgeber kann folgendes Fazit gezogen werden: Das Handbuch Lehrerbildung ist eine gut strukturierte und oppulente Sammlung aktueller BeitrĂ€ge zur Thematik. Es gibt einen Einblick in grundlegende Strukturen, historische Bedingungen sowie aktuelle und internationale Entwicklungstendenzen im Bereich der Lehrerprofessionalisierung. Die bisher fehlende empirische Orientierung in diesem Feld wird von den Herausgebern und auch in zahlreichen EinzelbeitrĂ€gen zu Recht angemahnt, eingefordert und durch das Aufzeigen von Forschungsperspektiven konstruktiv angegangen. Die etwas breite Darstellung der Fachdidaktiken zeigt, dass Lehrerbildung in diesem wichtigen Überschneidungsbereich ernst genommen wird. Ob das Handbuch eine Vorarbeit fĂŒr eine Didaktik der Lehrerbildung ist, wird man noch sehen. Auf jeden Fall wird es die weitere Diskussion prĂ€gen und strukturieren.
Uwe Maier (SchwĂ€bisch GmĂŒnd)
Zur Zitierweise der Rezension:
Uwe Maier: Rezension von: Blömeke, Sigrid / Reinhold, Peter / Tulodziecki, Gerhard / Wildt, Johannes (Hg.): Handbuch Lehrerbildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2004. In: EWR 5 (2006), Nr. 1 (Veröffentlicht am 13.02.2006), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/78151344.html