EWR 2 (2003), Nr. 3 (Mai/Juni 2003)

Jochen Wissinger / Stephan Gerhard Huber (Hrsg.)
Schulleitung – Forschung und Qualifizierung
Opladen: Leske und Budrich 2002
(238 Seiten; ISBN 3-8100-3427-4; 24,90 EUR)
Schulleitung – Forschung und Qualifizierung Verstärkte Selbstständigkeit der Einzelschule ist seit einigen Jahren nicht mehr bloß ein reformpädagogischer Blütentraum einiger weniger Schulentwickler, sondern in den meisten Ländern der Bundesrepublik Deutschland gehört das dreißig Jahre alte Paradigma mittlerweile zur Grundausstattung der Schulgesetze. Schulprogrammarbeit und Systemmonitoring ziehen so als Begriffe ein in die Prozessgestaltung hin zu "guten Schulen". Im Spannungsfeld zwischen externer Schulaufsicht durch die staatliche Gemeinschaft und interner Unterrichtswirklichkeit in den Kollegien steht dabei traditionell der Schulleiter bzw. die Schulleitung.

Jochen Wissinger und Stephan Gerhard Huber ist es in ihrem Band zu einer Tagung der Kommission Bildungsorganisation, Bildungsplanung, Bildungsrecht der DGfE aus dem Frühjahr 2001 gelungen, das Thema Schulleitung kurz und prägnant bilanzierend mit dem Thema Schulentwicklung zu verknüpfen. Damit erhellen sie das in Deutschland traditionell eher blasse Wissen um diesen Zusammenhang. Der Schulleiter ist uns zwar auch hier kein "marginal man"[1] geblieben, doch würden wir um die kontinuierlich aus dem Bamberger Kontext der Forschungsstelle für Schulentwicklung und Schulmanagement um Heinz S. Rosenbusch systematisch vorgelegten Arbeiten nicht wissen, es sähe noch düsterer aus.

Der Band gliedert sich in zwei Teile. In fünf Beiträgen geht es zunächst um Schulleitung als Gegenstand der Forschung, in weiteren sieben Beiträgen um Qualifizierung der Schulleitung – Konzepte und Erfahrungen.

Der erste Teil hat seine besonderen Stärken in der Komprimierung des derzeitigen internationalen Wissens um den Zusammenhang zwischen Schulleitungshandeln und prozessualer Schulqualität und der Infragestellung einer Sichtweise, die darauf abzielt, einen direkten Zusammenhang zwischen "Schulleitungshandeln und Schülerleistung" zu konstruieren, so Jochen Wissinger schon in der Einleitung. Der zweite Teil gewinnt den Leser für sich durch die Möglichkeit, unterschiedliche Qualifizierungsprogramme für Schulleitungen in einzelnen Bundesländern vergleichend betrachten zu können (Rheinland-Pfalz, NRW, Brandenburg). Hier werden neben den an Landesinstituten angesiedelten Modulen auch solche der Hochschulen vorgestellt, die über Fernstudien angeboten werden (Kaiserslautern, Hagen).

Der offensichtlichste Trend im internationalen Vergleich verweist uns schon im ersten Beitrag des quasi empirischen Teils des Tagungsbandes auf die eingangs vorgelegte Einschätzung. Danach werden "Wirkungen von Schulleitung (...) vor allem und immer differenzierter als indirekt beschrieben, vor allen Dingen vermittelt über die Zielsetzungen der Schule" (Hermann Pfeiffer, 27). In Jochen Wissingers eigenem Beitrag zu einer Reanalyse des Schulleiterdatensatzes aus TIMSS in der Population 2 (Sekundarschulen aus Österreich, Dänemark, Frankreich, Schweden, USA und Deutschland) findet sich selbiges, denn die Analyse zeigt, dass "die Erwartungen an die Rolle der Schulleitung als einer in den Unterricht hinein und auf das Lernergebnis wirkenden pädagogischen Leitung durch die ihnen zugeschriebenen Aufgaben und durch die von ihnen ausgeübten Tätigkeiten nur bedingt gedeckt sind" (58). Dies selbst dort, wo, wie in Deutschland, über ein Drittel der Arbeitszeit der Schulleiter in eigenem Unterricht und anderen pädagogischen Tätigkeiten aufgeht. Letztlich markiert die Betrachtung der Arbeitszeit, dass weit über die Hälfte davon sich in allen verglichenen Ländern an Management- und Führungstätigkeiten bzw. allgemeine Verwaltungsarbeit bindet (56).

Der Beitrag von Martin Bonsen aus dem Dortmunder Institut für Schulentwicklungsforschung kann schließlich darauf aufmerksam machen, dass Management- und Führungsqualitäten durch die Lehrerinnen und Lehrer von ihren "heads" selbstverständlich erwartet werden, diese aber nicht in soft skills aufgehen dürfen. In einer Befragung an dreißig Schulen in NRW und dem Kanton Basel-Land hatte sich nämlich gezeigt, dass "solchen Handlungsdimensionen keine statistische Bedeutung zu (kommt), die sich auf die direkte Einflussnahme der Schulleitung auf die sozialen Beziehungen im Kollegium und die individuelle Begleitung einzelner Lehrkräfte beziehen" (73). Insbesondere erwiesen sich die "Dimensionen der zielbezogenen Führung, der Innovationsbereitschaft des Schulleiters sowie die wahrgenommene Organisationskompetenz (...) als bedeutsame Merkmale erfolgreicher Schulleiter" (75). Dass diese Perspektive nicht nur an einen männlichen Lebenszusammenhang geknüpft ist, darauf konnte Susanne Miller aus Bielefeld hinweisen. Ihr gelang es durch standardisierte Befragung Nordrhein-Westfälischer Schulleiterinnen und Schulleiter an Grundschulen vergleichend festzustellen, dass "einige liebgewonnene Erklärungsmuster zu kurz greifen" (42). Weder gibt es "Anlass, über eine geschlechterdifferente Karriereplanung (...) zu spekulieren" (39), noch führt ein weiblicher Lebenszusammenhang aus Berufstätigkeit und Elternschaft zu vermindertem Engagement, wenn Parität einmal hergestellt ist, wie im berichteten Kontext.

Im zweiten Teil des Bandes rahmen zwei Beiträge zum Stand der nationalen und internationalen Qualifizierungsmaßnahmen für Schulleitungen die bundesrepublikanischen Praxisbeispiele ein (Rosenbusch/Huber, Huber). Sie illustrieren dabei sehr gut die dann beschriebene deutsche Eigenart, Schulleitungsqualifizierung zunächst traditionell akademisch-seminaristisch abzuhalten und damit an den Bedürfnissen der Klientel vorbeizugehen. Erst nach und nach entwickeln sich in den Fortbildungseinrichtungen Teilmodule, die den einzelnen (in der Regel potentiellen Schulleiter) in die Lage versetzen sollen, über Fallarbeit Leitungsexpertise zu entwickeln, wie dies in anderen Ländern schon längst selbstverständlich ist.

Insgesamt fällt dieser Teil deutlich hinter den ersten zurück. Dies liegt zum einen an den eher programmatisch gehaltenen Darstellungen der hochschulgebundenen Qualifizierungsmaßnahmen in Hagen und Kaiserslautern, die über Wirkungen noch wenig Auskunft geben können und so spröde bleiben und zum anderen an der verklausulierten Präsentation der Brandenburgischen Schulleitungsfortbildungen nach der Vereinigung, die mehr vernebelt als erhellt (Hofmann/Gruner). Für die zu sehr an eine Rekrutierungsbroschüre erinnernde Vorstellung des Rheinland-Pfälzischen Führungskollegs im Institut für schulische Fortbildung und schulpsychologische Beratung des Landes gilt ähnliches (Priebe/Seidel). Abgesehen davon findet sich hier aber auch sehr Bedenkenswertes, nämlich die Möglichkeit für Kursteilnehmer, in einem Praktikum Managementerfahrungen in Industrie und Wirtschaft zur erwerben (148).

Der vorliegende Band gibt Anlass und Anregung, über das Verhältnis von Schulleitung und Schulentwicklung neu nachzudenken. "Gute Schulen" kommen danach, wie schon immer gewusst, nicht aus ohne "gute Führung". Doch vielleicht liegt die Perspektive "guter Schulleiter" zukünftig gar nicht in der Bearbeitung der Schnittstelle zwischen Schulaufsicht und Lehrerkollegium, weil in vielen Kollegien längst angekommen ist, was für eine verselbstständigte Schule notwendig scheint und von professionellen Lehrerinnen und Lehrern selbst zu bearbeiten ist? Den Kollegien hierfür den Rücken freizuhalten, wäre danach Aufgabe einer qualifizierten Schulleitung.

[1] Döring, Peter A. (1981): Der Schulleiter zwischen Kultusadministration und Schulpädagogik. In: Twellmann, W. (Hrsg.): Handbuch Schule und Unterricht. Band 2: Die Schule als Institution und Organisation. Düsseldorf: Schwann, S. 195-215, hier S. 195.
Axel Gehrmann (Berlin / Rostock)
Zur Zitierweise der Rezension:
Axel Gehrmann: Rezension von: Wissinger, Jochen / Huber, Stephan Gerhard (Hg.): Schulleitung – Forschung und Qualifizierung, Opladen: Leske und Budrich 2002. In: EWR 2 (2003), Nr. 3 (Veröffentlicht am 01.06.2003), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/81003427.html