EWR 4 (2005), Nr. 4 (Juli/August 2005)

Fritjof Börnhold
Geschlecht - Subjekt - Erziehung
Zur Kritik und pädagogischen Bedeutung von Geschlechtlichkeit in der Moderne
Herbholzheim: Centaurus 2003
(612 S.; ISBN 3-8255-0406-9; 32,80 EUR)
Geschlecht - Subjekt - Erziehung Mit dem Buch "Geschlecht – Subjekt – Erziehung" legt der Erziehungswissenschaftler Fritjof Bönold seine an der Erlanger Universität verfasste Dissertation vor. Deren Untertitel "Zur Kritik und pädagogischen Bedeutung von Geschlechtlichkeit in der Moderne" beschreibt so-wohl den programmatischen Rahmen als auch das methodologische Leitprinzip der Arbeit. Auf dem Weg der Kritik bzw. der Dekonstruktion bestehender Begriffe und Theorien soll die besagte "pädagogische Bedeutung von Geschlechtlichkeit" herausgearbeitet werden. Dass der von Bönold verwendete Begriff "Geschlechtlichkeit" und nicht "Geschlecht" lautet, macht die dekonstruktiv-kritische Positionierung deutlich. Gegenüber jeder Art differenzieller Fest-schreibung von Geschlecht – ob in Gestalt alltäglicher Naturalisierungen von 'Män-nern/Frauen' oder positiver Bezüge auf 'das Weibliche' oder 'das Männliche' – werden die Merkmale "Weiblichkeiten" und "Männlichkeiten" als "dynamische Konfigurationen von Pra-xis" (47-48) gefasst, durch die komplexe "Geschlechterordnungen" (48) etabliert werden. Bönold bezieht sich hierbei auf den Männerforscher Robert Connell, der über die Betonung der Vielgestaltigkeit Geschlechtlichkeit reproduzierender sozialer Praxen vor allem auch auf den hegemonialen Aspekt von Männlichkeiten hingewiesen hat (49).

Seine zentralen Begriffe entwickelt der Autor zunächst in Auseinandersetzung mit Vertretern der klassischen Rollentheorie (Mead, Parsons, Habermas), die in ihren unterschiedlichen begrifflichen Ausprägungen als statisch, funktional (Parsons), abstrakt-rationalistisch und machtblind (Mead, Habermas) kritisiert wird. Daraus ergibt sich nun theoretisch ein (Ge-gen)Programm, in dessen Mittelpunkt die Analyse hegemonialer, sozialer und größtenteils vorbewusst-routinisierter Konstruktionsprozesse von Geschlechtlichkeit gestellt wird.

Einen zentralen Aspekt der Kritik bildet die historische Dimension der Geschlechterkonstruk-tion, die von Bönold als Defizit vieler Ansätze aufgezeigt wird und der er in einem eigenen Unterkapitel nachgeht (75ff.). Das Buch gliedert sich insgesamt in drei große Kapitel. Im er-sten Kapitel werden Gegenstand und Begriffe geklärt. Das Feld wird dadurch breit abge-steckt, dass Bönold seine Arbeit als "eine Studie zum modernen Subjektbegriff" einordnet (9). Von hier aus werden nicht nur die Verbindungen zu sozialwissenschaftlichen, erzie-hungswissenschaftlichen und philosophischen Geschlechtertheorien hergestellt, sondern auch zur Allgemeinen Pädagogik. So heißt es, "Geschlechtertheorie sollte über ein struktu-relles und historisch-sozialwissenschaftliches Verständnis der modernen Geschlechterver-hältnisse zu einem allgemeinen Subjektbegriff vordringen, um so anschlussfähig zur Allge-meinen Pädagogik zu sein. Damit werden auch Vermittlungs- und Aneignungsprozesse der Erziehung geschlechterpolitisch neu thematisierbar" (46).

Hier wird also der Anschluss an die Allgemeine Pädagogik gesucht, die sich mit Fragen der Bildung und Veränderung des Subjekts befasst, wobei der Vorwurf an die erziehungswis-senschaftliche Geschlechterforschung gemacht wird, dass sie keine Verknüpfung mit der Allgemeinen Pädagogik hergestellt habe, obwohl dies von der Sache her notwendig sei (535). Diese Lücke möchte Bönold mit seinen theoretischen Bemühungen beginnen zu fül-len.

Entsprechend werden im zweiten Teil die erziehungswissenschaftlichen Theorien zur Ge-schlechterforschung vorgestellt, die von feministischen Sozialisationstheorien über die Ko-edukationsdebatte bis hin zur Pädagogik der Vielfalt (Annedore Prengel) reichen. Im dritten Abschnitt referiert der Autor ausführlich philosophische und sozialwissenschaftliche Ge-schlechtertheorien, die poststrukturalistisch orientiert sind (281-403) und diejenigen, die die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung thematisieren (404-531). Hierbei liegt ein Verdienst der Arbeit darin, auch weniger prominente Theorien wie etwa das Wert-Abspaltungstheorem von Roswitha Scholz vorzustellen (482-530). Anhand des dritten Abschnitts wird auch deut-lich, dass die Verknüpfung von symbolisch-diskursanalytischen Ansätzen mit Analysen von (geschlechtstypischer) Arbeitsteilung einen wichtigen Aspekt des Buches darstellt.

Aus der Vielzahl der referierten Ansätze ergibt sich aber nicht zwangsläufig ein durchgängig roter Faden im Sinne einer einheitlichen Theoriebildung und daher betont der Autor auch, dass es nicht um eine resümierende "Aufrechnung" (532) der unterschiedlichen Theorien gehe. Vielmehr wird eine – ich möchte sagen – komplexe Genealogie von Geschlechter- und Subjekttheorie entfaltet, deren unterschiedliche Stränge und Verbindungen aufgezeigt wer-den. Dabei liegt die Betonung auf dem Nachweis der Möglichkeiten und Grenzen der theo-retischen Positionierung, um so eine Öffnung und Vernetzung möglich zu machen, die aber nicht sozusagen direktiv vorgegeben wird. Viele Ausführungen sind als Angebot an die Lese-rInnen zu verstehen, ein solches Netz auch selbst zu knüpfen. Die kritischen Auseinander-setzungen des Autors beugen dabei einem theoretischen Voluntarismus vor und insofern begeben sich die LeserInnen auf ein sehr fruchtbar vorstrukturiertes Feld, das Anschluss-möglichkeiten eröffnet. Die am Ende eines Kapitels immer wieder in Resümeeteilen konsta-tierten gemeinsamen Merkmale unterschiedlicher Ansätze und Perspektiven verbleiben da-her notwendig auf einem sehr allgemeinen Niveau – so wenn etwa gesagt wird, dass das Geschlechterverhältnis "den Handelnden weitgehend nicht bewusst ist" und dass Männlich-keiten/Weiblichkeiten mit anderen Handlungsstrukturen einen "Gesamtzusammenhang" konstituieren (532).

Die Disparatheit der von Bönold aufgezeigten Verbindungslinien macht es auch für eine Re-zension schwer, etwas Abschließendes zu formulieren. Hier lassen sich nur Knotenpunkte im entfalteten Diskurs festhalten wie etwa der, dass das Geschlechterverhältnis doppelt kon-stitutiv ist für Subjekttheorien im Allgemeinen und für die Pädagogik im Speziellen und weiter die Allgemeine Pädagogik als der Ort einer adäquaten Thematisierung von Geschlecht in-nerhalb der Pädagogik anzusehen ist (246), wie auch invers die "Allgemeine Pädagogik nicht ohne Theorie der Geschlechterverhältnisse möglich" sei (539). Somit ist der 'Ge-schlechtsvergessenheit' und dem abstrakten Subjektbegriff der Allgemeinen Pädagogik ent-gegenzuwirken, indem die subjektkonstituierenden Differenzsetzungen in ihren konkreten Praxisformen untersucht werden müssen.

Dazu bedarf es zweifellos insbesondere der Ansätze, welche die Asymmetrien des Verhält-nisses von Weiblichkeiten und Männlichkeiten aufzeigen. Der größte Verdienst (??) der Stu-die liegt so aus meiner Sicht im Kontrastieren der verschiedenen Machtkonzeptionen von Irigaray, Butler, Foucault, Becker-Schmidt/Knapp, Bourdieu und Scholz – nicht formal, son-dern am Gegenstand, den modernen Geschlechter- und Subjektverhältnissen.

Über eine dezidierte Analyse zentraler sozialtheoretischer Begriffe stellt Bönold so in vielfa-cher Weise die Verbindung zu soziologischen Theorien her. Es sei notwendig, so lautet eine abschließende These, dass Geschlechtlichkeit für die Pädagogik nicht vom Gesellschafts-verständnis zu trennen sei (539). Darauf hinzuweisen, ist deshalb wichtig, da pädagogische Perspektiven auf das Subjekt oftmals unter Abstraktion sozialer Konstitutionsbedingungen charakterisiert sind und daher mit der grundlegenden Thematisierung der Geschlechterdiffe-renz notwendig eine sozialtheoretische Ausweitung des Subjektbegriffs verbunden ist.

Thomas Höhne (Gießen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Thomas Höhne: Rezension von: Börnhold, Fritjof: Geschlecht - Subjekt - Erziehung, Zur Kritik und pädagogischen Bedeutung von Geschlechtlichkeit in der Moderne, Herbholzheim: Centaurus 2003. In: EWR 4 (2005), Nr. 4 (Veröffentlicht am 10.08.2005), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/82550406.html