EWR 6 (2007), Nr. 2 (März/April 2007)

Ekkehard Martens / Christian Gefert / Volker Steenblock (Hrsg.)
Philosophie und Bildung
Beiträge zur Philosophiedidaktik
(Reihe: Philosophie und Bildung)
MĂĽnster: Lit 2005
(280 S.; ISBN 3-8258-8898-3; 29,90 EUR)
Philosophie und Bildung Dieser Sammelband vereint 17 Beiträge, die sich mit dem auch von philosophischer Seite immer mehr beachteten Zusammenspiel von Philosophie und Bildung beschäftigen. In seiner Allgemeinheit scheint der Titel des Sammelbandes das Verhältnis von Philosophie und Bildung offen zu lassen, jedoch kündigt der Untertitel, der sich allerdings nicht auf der Titelseite findet, explizit an, diese Thematik aus einer philosophiedidaktischen Perspektive in den Blick zu nehmen. So findet dieser Sammelband in seiner thematischen Fragestellung im ersten Band der von Volker Steenblock verfassten Münsteraner Studienbücher von 2002 seinen Vorläufer.

Befremdlich für den Lesenden ist, dass in dem halbseitigen Vorwort des 280 Seiten umfassenden Bandes keine eindeutige Fragestellung formuliert wird. In drei Sätzen wird in die komplexe Thematik eingeleitet: „Warum eigentlich Philosophen überhaupt in Bildungszusammenhänge schicken? Wozu für Schule, Erwachsenenseminare und andere Bildungsorte ausbilden? Ist ein reflexiv und philosophisch nicht begleitetes Leben – wie gelegentlich auch in philosophie-didaktischen Periodika gefragt – etwa nicht lebenswert?“ (7). Da nach dieser äußerst knappen Hinführung zu dieser komplexen Thematik sofort die verschiedenen Hinsichten benannt werden, in denen der Zusammenhang von Philosophie und Bildung analysiert wird, bleibt der Lesende darüber im Unklaren, welches Verständnis von Philosophie respektive Bildung diesem Band zugrunde liegt. Auch das spezifische Verständnis von Philosophiedidaktik, das von vielen Beiträgen thematisiert wird, wird eingangs nicht beschrieben und nicht gegen andere didaktische Haltungen abgesetzt. Einzig in einer Fußnote ist ein Aufsatz angeführt, der eine scheinbar von diesem Sammelband abweichende didaktische Sichtweise auf die Thematik verfolgt und als Gegenfolie zum Ansatz der verschiedenen Autoren verstanden werden soll. Durch die knappe Einleitung wird der Lesende auch nicht darüber informiert, an wen sich dieser Sammelband richtet und ob ein philosophisches Vorverständnis vorausgesetzt ist oder nicht. Dieser Eindruck erhärtet sich, sieht man sich die unterschiedlichen Beiträge an. Sie reichen von einer umfassenden Einführung in Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen über das Philosophiestudium an der Ruhr-Universität Bochum, das der BA/MA Studienstruktur gehorcht, bis hin zur Fragestellung, wie mit rechtsradikaler Geschichtsverfälschung umgegangen werden kann. Erst während der Lektüre kann der Lesende feststellen, dass die unterschiedlichen Beiträge in ihren Voraussetzungen differieren und sich in ihrer philosophischen Komplexität unterscheiden.
Obgleich es im wissenschaftlichen Feld nicht unüblich ist, verschiedene Beiträge nachträglich unter bestimmten systematischen Hinsichten zu bündeln, hat man bei der Lektüre mancher Beiträge den Eindruck, dass zusammen gewürfelte Aufsätze bestimmten systematischen Perspektiven auf die Thematik zugeordnet wurden, denen die Autoren aufgrund der Spezifizierung ihrer Beiträge nicht immer in ihrer Komplexität entsprechen. Für sich genommen verspricht der systematische Aufbau des Buches hingegen eine umfassende und perspektivenreiche Einführung (?) in das Zusammenspiel von Philosophie und Bildung. Den Auftakt bildet das erste Kapitel „Geschichtliche Aspekte philosophischer Bildung“ (9-41), danach folgen „Theoretische Beiträge zur philosophischen Bildung“ (41-135), als dritter Punkt werden „Organisationsformen philosophischer Bildung“ (135-165) diskutiert und schließlich die „Philosophische Bildung in der Praxis“ (165-265) anhand vielfältiger Beispiele verfolgt.

Die oft verwirrende Systematik der bestimmten Oberpunkten zugeordneten Aufsätze zeigt sich vor allem anhand der unter dem ersten Abschnitt erschienenen Beiträge. Unter dem Stichwort geschichtliche Beiträge zur philosophischen Bildung sind zwei Aufsätze versammelt. Der erste diskutiert unter dem Titel „Wissen ohne Bildung. Adelungs Enzyklopädie im Philosophieunterricht des 18. Jahrhunderts“ (Vanessa Albus) die ausschließlich wissenszentrierte Unterrichtsstruktur dieser Zeit, während sich der zweite Beitrag von Franz Schüppen den Einsätzen und Beiträgen des Herner Philosophielehrers Eduard Fey widmet. Auch wenn die Herausgeber eingangs betonen, dass die Systematik des Buches nur beispielhaft abgedeckt werden kann, erwartet sich der Lesende von einer geschichtlichen Hinführung zu diesem Thema doch mehr und anderes: einen philosophiegeschichtlichen Einblick in das Zusammenspiel von Philosophie und Bildung, der anhand ausgewählter Autoren unterschiedliche Positionen skizziert.

Ähnliche Schwierigkeiten zeigen sich in den unter dem zweiten Aspekt versammelten Aufsätzen, die sich in ihren philosophischen Voraussetzungen doch sehr unterscheiden. Während Gregor Kertelge eine umfassende Einführung in Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen gibt, widmet sich Gabriele Münnix einer noch ausstehenden interkulturellen Philosophiedidaktik.

Als zentral erscheint das von allen Beiträgen des zweiten Kapitels verfolgte Ziel, bestimmte Momente von Bildung bzw. Bildungsprozessen hervorzuheben, die in vielen öffentlichen wie auch wissenschaftlichen Diskussionen oft im Hintergrund verbleiben. Fast alle Autoren widmen sich explizit den Momenten des Entzugs, d.h. der reflexiven Uneinholbarkeit menschlicher Welt- und Selbstverhältnisse, der nicht einzuholenden Fremdheit des Anderen, des in Sprache nicht aufgehenden Wissens sowie der unterschiedlich kulturellen, nicht in Einheit zu überführenden, Voraussetzungshaftigkeit von Bildung. Momente, die konstitutiv für Bildung sind. Für diese Vorhaben nimmt die Mehrheit der Autoren auf französische Philosophen wie Emmanuel Lévinas, Maurice Merleau-Ponty und vor allem Jacques Derrida wie auch auf den Philosophen Ernst Cassirer Bezug.

Das den verschiedenen Beiträgen zugrunde liegende Verständnis von Bildung ließe sich vielleicht als ein Prozess der Selbsteinholung der kulturellen wie auch leiblichen Voraussetzungen des menschlichen Zur-Welt-Seins deuten, die sich in ihrer Auseinandersetzung mit der Welt und anderen Menschen bilden. Die Philosophie leitet unter bestimmten gesellschaftspolitischen wie auch lebensweltlichen Fragestellungen diesen Prozess des Reflexivwerdens an, indem sie den Blick auf bestimmte Phänomene lenkt und sie in ihrer Vielseitigkeit befragt. So stellt sie die Frage, welche Bedeutung Interkulturalität, Pluralität, Vernunft und Leiblichkeit für das intersubjektive Zusammenleben haben und wie sie philosophisch beschrieben werden können. Die philosophisch geleitete Auseinandersetzung mit lebensweltlich bedeutsamen Themen soll zugleich die Möglichkeit eröffnen, eine Veränderung der eigenen Wahrnehmungs-, Denk- und Erfahrungsstrukturen in Gang zu bringen.

Bereits in diesen Ausführungen wird deutlich, dass Philosophie wie auch Bildung kein Monopol institutionell verankerter Disziplinen sind, sondern eine Thematik beschreiben, welche die Lebensführung der Menschen durchwirkt, in ihr präsent ist und so zur wiederholenden Aussprache ihrer selbst treibt. Genauer wird der Zusammenhang von Philosophie und Bildung im letzten Kapitel unter dem Titel „Philosophische Bildung in der Praxis“ thematisiert. Plastisch zeigt sich dieser Zusammenhang in Heidi Salaverrias Beitrag „Gedankenbildung zwischen Experiment und Gewohnheit – Ein pragmatistischer Entwurf“ (173-185). Philosophie und Bildung „treffen“ sich gleichsam in der Gewohnheitsbildung, da Gewohnheiten als leibliche Verortung des Denkens und Handelns sowohl die Voraussetzung als auch das Resultat von Veränderungsprozessen darstellen.

Philosophie zeigt sich aus der den Beiträgen zugrunde liegenden Perspektive nicht nur als eine institutionell verankerte Disziplin, sondern vielmehr als Philosophieren. Sie zeigt sich als eine denkerische Tätigkeit, die von der leiblichen Verortung allen Denkens und Tuns ihren Ausgang nimmt und in einem intersubjektiven Prozess diese zur Aussprache ihrer selbst treibt. Philosophie, das heben auch die anderen Beiträge hervor, erweist sich als Philosophieren, als ein Tun, das alltäglich Selbstverständliches auf seine Voraussetzungen, auf sein Un(b)gefragtes reflektiert, ohne dass dieser Vorgang allein in Sprache aufgeht. Vielmehr ist das Philosophieren, auch und gerade im Unterricht, auf Bilder und Fantasie angewiesen, die das Unsichtbare sichtbar machen können.

Hinsichtlich der Beiträge, die sich der philosophischen Bildung in der Praxis widmen, muss darauf hingewiesen werden, dass sich in einigen Ausführungen die leibliche Verankerung allen Tuns und Denkens in die Rede von Ganzheitlichkeit aufzulösen droht. Leiblichkeit meint mehr und anderes als den Versuch, im Unterrichtsgeschehen alle Sinne der Lernenden anzusprechen und anzuregen. Nicht zuletzt drohen dabei leibliche Prozesse wie Schamhaftigkeit, Aufbegehren, Zorn und Schmerz, die das Lernen wie den Bildungsprozess begleiten, zugunsten einer an den reformpädagogischen Diskurs gemahnenden Rede der Ganzheitlichkeit in den Hintergrund zu geraten.

Auch nach der Lektüre ist nicht auszumachen, an wen sich dieser Sammelband richtet, setzt er doch über weite Teile hinweg ein profundes philosophisches Vorwissen voraus bzw. erfordert er zuweilen ein sehr spezifisches Interesse an der Thematik. Kritisch zu erwähnen ist auch die Tatsache, dass der Sammelband, wird er als Einführung in das Zusammenspiel von Philosophie und Bildung gelesen, dem unkundigen Lesenden den Eindruck vermittelt, dass unter dieser Thematik alles und jedes verhandelt werden kann.
Christiane Deibl (Flensburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Christiane Deibl: Rezension von: Martens, Ekkehard / Gefert, Christian / Steenblock, Volker (Hg.): Philosophie und Bildung, Beiträge zur Philosophiedidaktik (Reihe: Philosophie und Bildung). MĂĽnster: Litt 2005. In: EWR 6 (2007), Nr. 2 (Veröffentlicht am 28.03.2007), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/82588898.html