EWR 8 (2009), Nr. 1 (Januar/Februar)

Lars Knopke
Kinder im Visier der SED
Eine Untersuchung zur marxistisch-leninistischen Ideologisierung von Kindern und Jugendlichen im DDR-Schulwesen und darüber hinaus
Hamburg: Dr. Kovac 2007
(226 S.; ISBN 3-8300-3083-5; 38,00 EUR)
Kinder im Visier der SED Der Autor moniert eingangs das Fehlen von Publikationen, welche „die Ideologisierung als Gesamtprozess beschreiben“ (19f.) und will diesem Manko begegnen, indem er (a) einen Gesamtüberblick über den Prozess der Ideologisierung im Zusammenspiel verschiedener Instrumente und Mittel (mit der Schule im Zentrum) zu geben versucht, (b) „auf der Basis von Lehrplananalysen und exemplarisch veranschaulicht durch Schulbücher die im Unterricht vermittelten ideologischen Inhalte“ (21) beschreibt und (c) „den Bezug zwischen den im Zuge der Ideologisierung verbreiteten Lehren und dem Marxismus-Leninismus“ (ebd.) herzustellen versucht.

Knopke wählt folgende Bereiche aus, in denen die SED eine Ideologisierung anstrebte: Schulwesen, FDJ und Pionierorganisation, Jugendweihe, Wehrerziehung und Staatssicherheit. Jeder einzelne dieser Aspekte verlangte eine eigene umfangreiche Arbeit, wollte man dem ernsthaften Anspruch einer differenzierten Darstellung nachkommen. Und der versierte Leser (also auch Knopke?) weiß: Solche Arbeiten liegen bereits vor! Knopke skizziert die Konturen dieser Abhandlungen nach; das heißt er schreibt das ihm wichtigste aus diesen eigenständigen Abhandlungen zusammen. Somit gibt er zwar den angekündigten Überblick, jedoch sehr oberflächlich. Die Auswahl der einbezogenen Schulbücher und die entsprechenden Bilder sind dem Fachmann gut vertraut und auch die Interpretationen sind nicht neuartig.

Insgesamt wertet Knopke zu oft pauschal und aus eigenem Empfinden heraus anstatt valide Quellen als Interpretationsgrundlage zu nutzen. So schreibt er als Einstieg zum letzten Kapitel „Ideologisierung durch Benachteiligung und Bestrafung Andersdenkender“ (177): „Für andersdenkende Kinder und Jugendliche ist in der DDR, insbesondere im Schulwesen, kein Platz. Von der Ideologie der SED abweichende Meinungen oder abweichendes Verhalten findet keine Duldung und führen regelmäßig zu Bestrafung und Benachteiligung“ (ebd.). Solche thesenhaften Aussagen werden lediglich mit Zitaten aus zweiter Hand belegt, so auch die vage Bewertung von Falldokumentationen, die sich folgendermaßen lesen: „Auch wenn nicht davon auszugehen ist, dass ähnliche Verhaltensweisen generell auf diese Weise beantwortet werden, so gibt es doch keinen Grund anzunehmen, dass es sich hier um Einzelfälle handelt. Wahrscheinlicher ist, dass abhängig von den Verantwortlichen vor Ort auch auf ähnlich unwesentliche aber unangemessene Verhaltensweisen vergleichbar reagiert wird“ (178).

Der Autor widmet sich hierbei, wenn auch sehr knapp, dem Spannungsfeld „Schule und Staatssicherheit in der DDR“, das bis heute nicht umfangreich genug erforscht ist [1]. Die Begründung dafür liefert der sublime Gegenstand selbst. Nicht nur der verklärende Rückblick der Betroffenen erschwert eine differenzierte Bearbeitung, sondern auch die Fragwürdigkeit dieser Einschätzungen, wenn sich einstige Kinder und Jugendliche an das Phänomen heute als Erwachsene erinnern und hierzu Stellung beziehen sollen. Das ist ebenso schwierig, als wollte man einen Erwachsenen über seine Meinungen über die Grimmsche Märchenwelt befragen. Mein Vergleich mag manchem Forscher unangemessen erscheinen, offenbart aber ein weiteres Problem zum oben genannten Forschungsgegenstand, denn die Beschreibung von dem, was „Stasi“ im Konkreten und „Ideologisierung“ in der DDR im Allgemeinen war, gleicht der Beschreibung eines solchen Mythos'. Zitate aus den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit spiegeln nur den gewünschten Blick der führenden Behörden wider, das ist richtig. Andererseits kranken die Erinnerungen relevanter Probanden an den oben genannten Verklärungen – und das mehr noch als es beim allgemeinen Forschungsgegenstand "DDR" ohnehin der Fall ist. Allerdings beschreiben solche subjektiven Berichte dennoch Facetten der Wirkung, die es gegeben hat und gibt. Hier zeigt sich jedoch das Manko der einseitigen und lückenhaften Quellenauswahl von Knopke, die schon auf den ersten Blick erkennbar ist. Es fehlen einschlägige Forschungsergebnisse, die für Knopkes Bewertungen (bzw. Vermutungen!) eindeutige Argumente liefern würden.

Knopkes Untersuchung bleibt auf der deskriptiven Analyse anhand weniger Originaldokumente und einer Mehrzahl von Sekundärliteratur stecken. In seiner Zusammenfassung bringt er zaghafte Vermutungen an: „...möglicherweise war das tatsächliche Ausmaß der Ideologisierung im Schulwesen und in den übrigen Ideologisierungsbereichen geringer als von der SED gewünscht und vorgesehen - mit entsprechenden Folgen für die Wirkung“ (199). Solche Aspekte sind bereits exakter erforscht und aussagekräftiger beschrieben worden. Zudem überraschte mich, dass eine derartig pauschale Darstellung heute noch möglich ist, denn in fachlicher Metareflexion stellten Pasternack und Kollegen [2] fest, dass die Zeit delegitimierender Darstellungen zur DDR-Geschichte seit Mitte der neunziger Jahre vorbei sei. Knopke beweist mit seiner vorgelegten Untersuchung das Gegenteil.

[1] Eine Ausnahme bildet: Wiegmann, Ulrich (2007): Pädagogik und Staatssicherheit. Schule und Jugend in der Erziehungsideologie und -praxis des DDR-Geheimdienstes. Berlin.

[2] Pasternack, Peer (unter Mitarbeit von A. Glück, J. Hüttmann, D. Lewin, S. Schmid und K. Schulze) (2001): Gelehrte DDR. Die DDR als Gegenstand der Lehre an deutschen Universitäten 1990-2000. Wittenberg.
René Börrnert (Wolgast)
Zur Zitierweise der Rezension:
René Börrnert: Rezension von: Knopke, Lars: Kinder im Visier der SED, Eine Untersuchung zur marxistisch-leninistischen Ideologisierung von Kindern und Jugendlichen im DDR-Schulwesen und darüber hinaus. Hamburg: Dr. Kovac 2007. In: EWR 8 (2009), Nr. 1 (Veröffentlicht am 04.02.2009), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/83003083.html