EWR 6 (2007), Nr. 3 (Mai/Juni 2007)

Rudolf W. Keck / Sabine Kirk / Hartmut Schröder (Hrsg.)
Bildungs- und kulturgeschichtliche Bildforschung
Tagungsergebnisse - ErschlieĂźungshorizonte
Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren 2006
(190 S.; ISBN 3-8340-0087-6; 18,00 EUR)
Bildungs- und kulturgeschichtliche Bildforschung Das Wahr- und Ernstnehmen von Bildern und Bildlichkeit wird in zahlreichen wissenschaftlichen Disziplinen vorangetrieben. Diskurse sind entstanden, die bekunden, wie um Antworten auf die Frage nach der Rolle und Bedeutung von Bildern und Abbildungen aller Art gerungen wird. Die Diskussionen reichen von dem Wert und dem Nutzen von Bildern als Quellen für die Forschung über methodologische und methodische Probleme bis hin zur Erörterung der Wirkung und Wirksamkeit von Bildlichkeit, wie sie u.a. in der interdisziplinär ausgerichteten Bildwissenschaft diskutiert wird. Auch in der Erziehungswissenschaft, insbesondere wenn es um sozialgeschichtliche Fragestellungen geht, wird einerseits das Bild als Quelle für bildungsgeschichtliche Erkenntnisse wahrgenommen, die Wirkung und Funktion von Bildern in Bildungsprozessen wird erörtert oder es werden Bilder in ihrer Funktion als Medien diskutiert. Andererseits stehen aber auch ganz pragmatische Probleme wie die Erhebung und optimale Archivierung von Bildern im Zentrum der Auseinandersetzung.

Sehr zu begrüßen ist deshalb die Dokumentation des Symposions „Das Bild in der historischen Forschung“ vom Oktober 2004 in Hildesheim, das einen großen Teil der immensen Bandbreite von Themen des in der Mitte des ersten Jahrzehnts unseres Jahrhunderts diskutierten Umgangs mit Bildern repräsentierte. So kommen in dem Tagungsband „verschiedene Aspekte der Bilderschließung in der Geschichtsforschung, der allgemeinen und der fachlich-speziellen zum Tragen“ sowie „Fragen der Bilderschließung, -erhebung und -archivierung“ und die Herausstellung der „mentalitäts- und sozialgeschichtlichen Präferenz der Bildinterpretation“ – wie Rudolf W. Keck in der Einleitung schreibt (3).

Einen systematischen und äußerst aufschlussreichen Einstieg bietet die Historikerin Heike Talkenberger in ihrem Beitrag „Bilder als historische Quellen – Zur Methode und Praxis der Interpretation“, der einen Überblick über gängige Methoden der Bildinterpretation gibt, die sie jeweils mit einem praktischen Beispiel aus der historischen Forschung zu veranschaulichen sucht. Ausgewählt hat sie die Realienkunde, die Ikonologie, die Serielle Ikonografie, die Funktionsanalyse, die Semiotik und die Rezeptionsästhetik.

In einem methodenkritisch angelegten Beitrag diskutiert und problematisiert der Historiker Alexander Kraus den Umgang mit Bildmaterial in der Geschichtswissenschaft. Seine Würdigung der Ikonologie des Kunsthistorikers Erwin Panofsky zeigt deren Grenzen für die zeitgenössische wissenschaftliche Bild-Forschung und bietet zugleich ein Plädoyer für die methodische Erweiterung dieses Ansatzes, um der Vieldeutigkeit und Vielschichtigkeit von Bildern ebenso wie ihrer „neuen“ Rolle in der aktuellen Medienwelt gerecht werden zu können.

Die Erziehungswissenschaftlerin Sabine Kirk und der Militärhistoriker Torsten Loch stellen jeweils Ergebnisse ihrer auf bildlichem Quellenmaterial basierenden Forschungen vor. Kirk befragt Bilddokumente zum Rechenunterricht des 16. und 17. Jahrhunderts und konstatiert, dass sie neben der Bestätigung von bereits Bekanntem auch neue Erkenntnisse für die Schulgeschichte zutage fördern können, u.a. die „Verdeutlichung der sozialen Stellung der Lehrer und der Schüler, (…) die schriftliche Einbeziehung des Rechnens mit Ziffern im Rechenschulbereich sowie (…) das sich verändernde Alter der Schüler (…)“ (52). Loch rekonstruiert ein von Reformwillen bestimmtes neues Selbstverständnis der Bundeswehr im politisch brisanten Nachkriegszeitraum der 1950er Jahre anhand einer für den Eintritt in die Armee werbenden Zeitungsanzeige.

Der Erziehungswissenschaftler Hartmut Schröder beschreibt die Entstehung, den Aufbau und die Systematik des pädagogisch-historischen Bildarchivs am Institut für Angewandte Erziehungswissenschaft und Allgemeine Didaktik an der Universität Hildesheim, das Rudolf W. Keck und andere seit 1978 aufgebaut haben und das seit 2001 als Teil der Online-Datenbank „Pictura Paedagogica Online“ [1] im Internet frei zugänglich ist. In dieser Datenbank fließen die Bestände des Hildesheimer Archivs und der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung in Berlin zusammen. Mit dem Aufbau und dem Zugang, aber auch mit Problemen dieser Datenbank beschäftigt sich der sehr informative Beitrag von Stefanie Kollmann.

Die Historiker/innen Verena Hupasch, Sabine Todt und Peter Müller fragen nach dem Ertrag einer methodisch fundierten Analyse historischer Bildquellen aus dem Mittelalter. Der Pädagoge Otto May illustriert, was Postkarten als Quellen zur Erforschung von Mentalitäts- und Propagandageschichten leisten können.

Durch die Erziehungswissenschaftlerin Karin Priem wird mit der Fotografie eine weitere Quellengattung thematisiert, die in ihrer Bedeutung gar nicht zu unterschätzen ist, weil sie nahezu allgegenwärtig ist. Sie beschreibt die Fotografie als eine visuelle Praxis, die Erziehungsinstitutionen – hier am Beispiel der Familie – bildlich fixiert, damit immer wieder neu konstruiert und so Möglichkeiten der distanzierten und wissenschaftlichen Diskussion über diesen Gegenstand schafft.

Insgesamt gibt der Tagungsband damit einerseits einen sehr nützlichen Überblick über die beachtliche Entwicklung, die der Umgang mit dem Bild als Quelle in der Geschichtswissenschaft, aber auch ansatzweise in den Sozialwissenschaften genommen hat. Andererseits veranschaulicht er deutlich den Entwicklungsbedarf, vor allem hinsichtlich von Methoden des Umgangs mit visuellen Erkenntnisquellen. Ein wenig verwundert allerdings, dass mit der seriell-ikonografischen Fotoanalyse nach Pilarczyk/Mietzner [2] ein wichtiger Bestandteil des damaligen und aktuellen Diskurses in den Erziehungswissenschaften in allen Beiträgen außen vorgelassen wird, obwohl damit ein methodisch ausgefeiltes und seit zehn Jahren bewährtes Methodenset für die Nutzung von Fotografien als Quellen vorliegt.


[1] http://www.bbf.dipf.de/virtuellesbildarchiv/index.html

[2] Vgl.: Mietzner, Ulrike/Pilarczyk, Ulrike (1997): Der Blick des Fotografen. Pädagogische Perspektiven in der Fotografie. In: Schmitt, Hanno (Hg.): Bilder als Quellen der Erziehungsgeschichte. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. S. 253-373.
Dies. (2005): Das reflektierte Bild. Die seriell-ikonografische Fotoanalyse in den Erziehungs- und Sozialwissenschaften. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Jane Schuch (Berlin)
Zur Zitierweise der Rezension:
Jane Schuch: Rezension von: Keck, Rudolf W. / Kirk, Sabine / Schröder, Hartmut (Hg.): Bildungs- und kulturgeschichtliche Bildforschung, Tagungsergebnisse - ErschlieĂźungshorizonte. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren 2006. In: EWR 6 (2007), Nr. 3 (Veröffentlicht am 12.06.2007), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/83400087.html