EWR 1 (2002), Nr. 3 (Juli 2002)

Otmar PreuĂź
Schule halten
Vom Abenteuer, Lehrer zu sein
MĂĽnchen/Mehring: Rainer Hampp Verlag 2001
(256 Seiten; ISBN 3-87988-553-2; 27,20 EUR)
In der Veröffentlichung ´Schule halten. Vom Abenteuer, Lehrer zu sein´ wendet sich Otmar Preuß an Lehrerinnen und Lehrer sowie an solche, die es werden wollen. Dabei formuliert er Umrisse eines beruflichen Entwurfs, in dem Lehrende sich nicht länger als durch die Wissenschaften definierte Rollenträger, sondern als liebende, ihr Handeln selbst verantwortende Wesen definieren. Ein Zukunftsentwurf, der die Professionals orientiert und dabei gleichzeitig die Erziehungswissenschaft auf ´Pädagogik als Begleitung´ zurechtstutzt - eine spirituelle Orientierung für AkademikerInnen im Lehrberuf also.


Mit Ratgeberliteratur tun ErziehungswissenschaftlerInnen sich schwer. Zu offen die Übergänge zwischen traditioneller (historischer) Pädagogik und empirischer Erziehungswissenschaft; zu gefährlich die Nähe zur Bekennungsliteratur und ihren bis heute ungeklärten Normativitäten (vgl. dazu D. Benner: Hauptströmungen der Erziehungswissenschaft, Weinheim 2001, 4. Auflage). Scheinbar notwendige Abgrenzungen haben ihren Preis: Sie blockieren die kritische Auseinandersetzung mit Unterströmungen, die ein Licht werfen können auf das, was sich dem offiziellen erziehungswissenschaftlichen Diskurs entzieht: orientierende Veröffentlichungen, die persönliche Dilemmata thematisieren und sie vor dem Hintergrund ausgewählter pädagogischer Literatur aufzulösen versprechen. Auf ein solches Abenteuer lässt Otmar Preuß sich ein; dabei gerät das Schulehalten zum adventure, die Lehrertätigkeit zur Offenbarung des integralen Bewusstseins (21).

Was treibt einen Erziehungswissenschaftler wie Otmar Preuß nun dazu, ein Buch über Schulehalten zu schreiben, das sich dem gängigen Diskurs widersetzt, das Schule als "haltende Um-Gebung, eine Insel der Nach-Haltigkeit" (11) verstanden wissen will? Der Verfasser möchte Lehrer und solche, die es noch werden möchten, orientieren, er möchte ihnen deutlich machen, was heilend und was zerstörend ist (21). Dies ist nun interessant, weil polar gedacht, von daher durchaus bekannt: Was hier formuliert wird, ist eine Ausdehnung der reformpädagogischen Kindzentrierung auf den Lehrer; auch ihn gilt es zu retten und dies ist nicht einfach in Zeiten, in denen die Schulentwicklungsdebatte eine Fülle von Ratschlägen zur Schulentwicklung formuliert, dabei aber die verzweifelten und überforderten PädagogInnen immer noch nicht ins rechte Licht rückt. Es geht um Substantielles, Sinnsuche eben. Und die hat sehr viel mit Sehnsüchten, sehr wenig mit einer Aufhäufung von Aufgaben, die Lehrer zu erfüllen hätten, zu tun (17).

Ähnlich wie im pädagogischen Sehnsuchtsdiskurs des 20. Jahrhunderts ist die Formulierung des Neuen mit einer Abrechnung verbunden; diese wird in einer bildreichen Sprache vermittelt. Wissenschaftliche Perspektiven werden in dieser Perspektive von Drachen gehortet – dem Erziehungsdrachen, dem Belehrungsdrachen, dem Sozialisationsdrachen, dem Genetik-Drachen, dem Entwicklungsdrachen (32ff). Als Hüter erziehungswissenschaftlicher ´Geheimnisse´ wachen sie über die Einhaltung gesellschaftlicher Erwartungen. Skepsis sei aber angesagt gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen, so Preuss: der Behauptung, Kinder müssten erzogen und belehrt werden, sie müssten zu produktiv Realität verarbeitenden Subjekten sozialisiert werden, sie seien durch ihre genetischen Anlagen determiniert oder sie sollten Entwicklungsziele erreichen und dann erst seien sie vollkommene Menschen. Das integrale Bewusstsein, wie Preuß es skizziert, geht über die solchermaßen gespieenen Vorstellungen hinaus; es erfasst intuitiv, dass Lehrer nichts mit anderen machen müssen; alles ist so, wie es ist, gut – nichts muss bekämpft, nichts erreicht, aber alles verstanden werden. Dies ist ein geschlossener Diskurs. Innerhalb dessen eröffnen sich Möglichkeiten einer jenseits deterministischen Denkens liegenden, veränderten Sicht vom Menschen: "Nach Ursachen zu suchen, ist vergeudete Energie und Zeit" (90). Nicht nur herbe Kritik am Wissenschaftsbetrieb also, sondern auch ein Angriff auf das gängige Verständnis pädagogischer Professionalität, die sich, wie wir wissen, eben als dieser Wissenschaft zugeneigt definiert.

Was pädagogische Professionalität ´wirklich´ ist, liegt jedoch jenseits vermeintlicher Rationalität, so der Verfasser. Sie kann "... somit nichts anderes sein als die Fähigkeit, andere beim Erwachsenwerden wahrnehmend und wahrgebend – also wahrend – zu begleiten, und dies zu bekennen, was ja der Kern der Bedeutung von Profession ist, abgeleitet vom lateinischen profiteri, was soviel wie öffentlich bekennen bedeutet" (172). Lehrer sollten ihre Rolle nicht spielen, sie sollten einen Beruf ausüben, so Preuß (31) – entscheidend sei die innere Berufung, nicht etwa Anweisungen der Wissenschaften. In diesem Zusammenhang wird Autonomie gesetzt. Sowohl Kinder als auch Erwachsene handeln autonom; damit sind sie frei von jeglichen Ansprüchen seitens der Wissenschaften. Dieser abenteuerliche spirituelle Weg ist ein antipädagogischer. Eine radikale Absage an das pädagogische Geschäft, eine Aufladung des Unternehmens Schule mit spiritueller Energie. Da löst sich dann alles auf: neben der Erziehung und der Erziehungswissenschaft auch das messende, beobachtende, kategorisierende, behandelnde Denken (152) und zum Schluss der Gegensatz zwischen Objekt und Subjekt. Dies ist spannend, führt es doch von der reformpädagogischen Betrachtungsweise hin zu antipädagogischen und schließlich konstruktivistischen Positionierungen. Die neue ´Beziehung´ zwischen Lehrer und Schüler ist denn auch die des Miteinanders, des gemeinsamen Weges, des homöopathischen Prinzips, in dem Gleichgewichte gefunden werden – oder eben auch nicht. Jede Begegnung wird damit zur Selbsterfahrung des Lehrers; gegenüber den Dingen, wie sie eben sind, tut Gelassenheit not.

Die radikale Absage an den erziehungswissenschaftlichen Betrieb, formuliert von einem Erziehungswissenschaftler, kann im Kontinuum pädagogischer Sehnsuchtsdiskurse gedeutet werden. Der alternative Weg, der auf Tieferliegendes deutet, findet bei Preuß seinen Ausdruck noch nicht einmal mehr in didaktischen Missionen, sondern ausschließlich in der Aufladung des Lehr-Meisters als konstruierendem Betrachter. Dies weist auf die Radikalisierung eines beständigen Anliegens nach ca. 100 Jahren empirischer Pädagogik. Siegfried Bernfeld formulierte 1925: "Unter allen gesellschaftlichen, kulturellen Tätigkeiten entbehrt fast allein die Pädagogik dieser Tatbestands-Gesinnung: der Wissenschaftlichkeit. Sie steht beinahe auf der Entwicklungsstufe, welche die Medizin inne hatte, als Heilkunst und Heilwissenschaft voneinander unabhängig bestanden, ja als die Heilwissenschaft noch nicht erfunden war. Auch damals wurde Heilverfahren geübt, auch damals wurde sogar geheilt" (S. Bernfeld: Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung, Frankfurt 2000, 13). Dass vom Abenteuer, Lehrer zu sein, in der Reihe Managementkonzepte, u.a. herausgegeben von DaimlerChrysler AG, zu lesen ist, klärt auf über Koalitionen, die auch in der Schulentwicklungsdebatte eine Rolle spielen. Auch dies ist abenteuerlich.
Sibylle Rahm (Bamberg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Sibylle Rahm: Rezension von: PreuĂź, Otmar: Schule halten, Vom Abenteuer, Lehrer zu sein, MĂĽnchen/Mehring: Rainer Hampp Verlag 2001. In: EWR 1 (2002), Nr. 3 (Veröffentlicht am 01.07.2002), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/87988553.html