EWR 5 (2006), Nr. 2 (März/April 2006)

Cornelia Füssenhäuser
Werkgeschichte(n) der Sozialpädagogik: Klaus Mollenhauer – Hans Thiersch – Hans-Uwe Otto
Der Beitrag der ersten Generation nach 1945 zur universitären Sozialpädagogik
Baltmannsweiler: Schneider 2005
(370 S.; ISBN 3-89676-979-0; 26,00 EUR)
Werkgeschichte(n) der Sozialpädagogik: Klaus Mollenhauer – Hans Thiersch – Hans-Uwe Otto Seit etwas mehr als 10 Jahren ist man in der Sozialpädagogik nun dabei, in einer Art intensivierter Selbstbeobachtung nach den einheitsstiftenden intellektuellen Grundlagen Ausschau zu halten, die den sozialpädagogischen Blick auf die Wirklichkeit auszeichnen. Dabei nehmen neben den üblichen programmatischen Auseinandersetzungen insbesondere theoriegeschichtliche Studien von Anfang an eine Schlüsselrolle ein, versprechen sie doch, jener paradigmatischen Konsolidierung ein Stück weit näher zu kommen, die im Zuge einer sich ausdifferenzierenden Forschungspraxis sowie des anhaltenden Imports theoretischer Konzepte aus den Nachbardisziplinen in immer weitere Ferne zu rücken scheint. Ausgehend von der Debatte um die sogenannten „Klassiker“ der Disziplin entwickelte sich dabei nach und nach ein Feld von Studien, die die Absicht verfolgten, mit der historiographischen Rekonstruktion des akademischen Erbes der Sozialpädagogik zugleich einen Beitrag zur aktuellen Theoriediskussion zu leisten.

Konzentrierten sich diese Arbeiten vorwiegend auf die Phase zwischen 1880 und 1930, also jenen Zeitraum in dem sich die Sozialpädagogik als ein eigenständiger Diskurszusammenhang zu entfalten und sich in der akademischen Ausbildungslandschaft zu institutionalisieren begann, so liegt mit der Dissertation von Cornelia Füssenhäuser nun erstmals eine Studie vor, die den Blick auf Vertreter lenkt, deren theoretische Positionen sich im Umfeld des zweiten Akademisierungsschubs der Sozialpädagogik seit den 1960er Jahren herausgebildet haben. Mit der von ihr verfolgten „ideengeschichtliche(n) und diskursgeleite(n) Rekonstruktion“ (8) der Theorieentwürfe von Klaus Mollenhauer, Hans Thiersch und Hans-Uwe Otto wird das Unternehmen der theoriegeschichtlichen Selbstvergewisserung nicht nur auf die jüngere und jüngste Vergangenheit ausgedehnt, vielmehr wendet sie sich damit zugleich Autoren zu, deren Überlegungen auf den ersten Blick keine in sich geschlossene und systematisch ausgearbeitete „Theorie“ zu erkennen geben, sondern in einer Vielzahl von Einzelpublikationen vorgebracht worden sind, die auf unterschiedliche Diskussionsanlässe verweisen und die hinsichtlich der in ihnen angelegten Theoriegestalt erst erschlossen werden müssen. Cornelia Füssenhäuser spricht denn auch nicht von Theorien, sondern von „Werkgeschichte(n)“. Gleichzeitig soll der Begriff den konzeptionellen Hintergrund und das Anliegen der Untersuchung kennzeichnen: Füssenhäuser möchte die jeweiligen Positionen nicht nur je für sich rekonstruieren und ein verdichtetes Profil erstellen, sondern auch Unterschiede und Gemeinsamkeiten sichtbar machen; außerdem ist ihr daran gelegen, sie im Lichte des jeweils erreichten Stands der Disziplinentwicklung zu betrachten und zeitgeschichtlich zu kontextualisieren. Daneben geht es ihr darum, im Anschluss an eine „Topographie“ (15) von Themen, die – wie etwa die Frage nach dem Wissenschaftscharakter oder dem Gegenstand der Sozialpädagogik – im Zentrum der Theoriediskussion der letzten Jahrzehnte gestanden haben, den Beitrag der Autoren zu einer „Theorie der Sozialen Arbeit“ zu spezifizieren.

Die Auseinandersetzung mit den einzelnen Werkgeschichten wird im zweiten Teil des Buches aufgenommen. Nacheinander wendet sich Füssenhäuser den Schriften von Mollenhauer, Thiersch und Otto zu. Eingeleitet werden die jeweiligen Kapitel mit einer Kurzbiographie der Autoren, einem Überblick über wichtige Publikationen sowie einer Verortung innerhalb der sozialpädagogischen Theoriediskussion. Daneben weist Füssenhäuser auf wichtige Referenzautoren und Theorieressourcen hin und skizziert das für die einzelnen Werke bedeutsame wissenschaftstheoretische Selbstverständnis. Im Anschluss nimmt sie sich der von ihr beabsichtigten Rekonstruktion der einzelnen Positionen an. Dabei geht sie weitgehend chronologisch vor, will „durchlaufende(n) Fragestellungen“ „Grundlinien“ und „Themen“ ermitteln, aber auch Umwege, Brüche, Differenzierungen und Variationen kenntlich machen (47). Spätestens hier wird nun aber deutlich, dass die Autorin im Grunde keine eigenständige Fragestellung und kein spezifisches Erkenntnisinteresse verfolgt, sondern sich darauf beschränkt, mit aller Sorgfalt verfügbare Informationen zusammenzutragen und ein möglichst getreues Abbild der einzelnen Werkgeschichten zu liefern. Was man im Folgenden vorfindet, ist in weiten Teilen schlicht und einfach eine den Inhalt des Ausgangsmaterials reproduzierende und kommentierende Darstellung, die stellenweise in unzählige, weithin Bekanntes kolportierende Einzelaussagen zerfällt und kaum einmal den Eindruck erweckt, als würden die von der Autorin ohnehin spärlich ausgewiesenen Befunde in einem systematischen Zusammenhang zu dem eingangs umrissenen Bezugsrahmen der Studie stehen.

Bei der Darstellung des Mollenhauerschen Oeuvres unterscheidet die Autorin drei Schaffensperioden, in denen er sich mit unterschiedlicher Intensität und auf je andere Weise als sozialpädagogischer Denker betätigt hat. Damit folgt sie im Wesentlichen den gängigen Einteilungen. Die erste „primär sozialpädagogischen Phase“ (318) sieht Füssenhäuser dadurch gekennzeichnet, dass Mollenhauer hier mit seinen sozialpädagogischen Arbeiten maßgeblich an der sozialwissenschaftlichen Modernisierung der Pädagogik als Wissenschaft und der Überwindung des geisteswissenschaftlichen Erbes beteiligt ist, für die zweite Phase ab dem Ende der 1970er Jahre konstatiert sie eine Hinwendung zu allgemeinpädagogischen Fragestellungen, die in einem kulturtheoretisch ambitionierten Bildungskonzept mündet, während die dritte Phase ihres Erachtens dadurch geprägt ist, dass Mollenhauer hier vor allem als kritischer Beobachter der sozialpädagogischen Theoriediskussion in Erscheinung tritt. Im Zuge der Darstellung referiert sie so ausführlich wie detailliert die von Mollenhauer angebrachten Überlegungen, entwickelt aber keine eigenständige und erst recht keine kritische Lesart des von ihr herangezogenen Materials. Zu den wenigen spezifischen Befunden, die sich aus der Rekonstruktion heraus ergeben, gehört beispielsweise der Hinweis darauf, dass Mollenhauer zwischen einem theoretischen, die gesellschaftlichen Bedingungen des Aufwachsens und der Erziehung thematisierenden Sozialpädagogikbegriff und einem rein institutionenbezogenen Verständnis hin und her springt, wobei letzteres, wie Füssenhäuser moniert, auf den Teilbereich der Jugendhilfe beschränkt bleibt. Auch macht sie darauf aufmerksam, dass Mollenhauer zwar schon sehr früh die Notwendigkeit einer gegenstandstheoretischen Bestimmung der sozialpädagogischen Praxis erkennt, diese selbst aber nicht erbracht hat.

Im Mittelpunkt der Darstellung des Theorieangebots von Hans Thiersch steht, wie sollte es auch anders sein, das von ihm entwickelte Konzept einer alltags- bzw. lebensweltorientierten Sozialpädagogik. Hier orientiert sich Füssenhäuser dann doch enger an der eingangs skizzierten Topographie von Schlüsselthemen der sozialpädagogischen Theoriediskussion und die Rekonstruktion nimmt gegenüber der vorherigen deutlich systematischere Züge an, ohne aber die Ebene der Darstellung zu überschreiten. Eingehend beschäftigt sich Füssenhäuser mit der Vielfalt der „Wurzeln“ und „Bezugsdiskurse“ (157ff.) des Konzepts und führt aus, in welcher Weise darin Einsichten aus unterschiedlichen Theorietraditionen Eingang gefunden haben, versucht ihren jeweiligen Stellenwert für Thierschs Überlegungen zu bestimmen und macht auf von Thiersch selbst nicht klar herausgearbeitete Anschlussmöglichkeiten (z.B. zum Bourdieuschen Habituskonzept) aufmerksam. Über das Konzept der Lebensweltorientierung hinausgehend diskutiert sie Thierschs Verständnis von Sozialpädagogik bzw. Sozialer Arbeit als einer sozialwissenschaftlich aufgeklärten Erziehungswissenschaft. Es folgen Ausführungen zu den Konsequenzen, die sich aus dem Konzept für die Gestaltung institutioneller Arrangements und die Orientierung des professionellen Handelns ergeben, schließlich geht sie in einem eigenen Unterkapitel auf arbeitsfeldspezifische Konkretisierungen und Akzentverschiebungen innerhalb des Ansatzes, wider Erwarten jedoch nicht intensiver auf dessen jugendhilfepolitische Bedeutung ein. Füssenhäuser würdigt Thiersch wie zuvor schon Mollenhauer und später auch Otto als jemanden, der in entscheidendem Maße zur sozialwissenschaftlichen Öffnung und Konsolidierung der Disziplin beigetragen hat. Gleichzeitig betont sie vor allem die Fruchtbarkeit seiner Überlegungen für Fragen der Gestaltung und Reform der professionellen Praxis. Die kritischen und weiterführenden Anmerkungen der Autorin beziehen sich ausschließlich auf das Konzept einer lebensweltorientierten Sozialen Arbeit. So beklagt sie etwa den schleichenden Verlust des professions- bzw. gesellschaftskritischen Potentials des Ansatzes und plädiert dafür, ihn von seinen ursprünglichen Intentionen her neu zu überdenken.

Der Zugang zum Werk Hans-Uwe Ottos wird von Füssenhäuser über die zentralen, seine Arbeiten durchziehenden Themen gesucht. Dabei greift sie auch auf die Vielzahl der in Ko-Autorschaft erschienenen Veröffentlichungen zurück und wirft damit zugleich, wenn auch eher unbeabsichtigt, einen Blick auf die Rezeption bzw. die Weiterführung seiner Arbeiten. Zunächst wendet sie sich seinen professionstheoretischen Beiträgen zu, geht dann über zu seinen wissenschaftstheoretischen Überlegungen, nimmt das Konzept der Dienstleistungsorientierung in den Blick und schließt mit einem Kapitel, dass sich mit seinen wissenschafts- und professionspolitischen Stellungnahmen befasst. Füssenhäuser macht in ihrer Darstellung die enge Verknüpfung wissenssoziologischer, wissenschaftstheoretischer und professionsbezogener bzw. handlungstheoretischer Überlegungen deutlich und zeigt, wie Otto darüber zu einer Neuqualifizierung des Theorie-Praxis-Verhältnisses gelangt. Zu Recht hebt sie hervor, dass Otto in entscheidendem Maße zur Etablierung eines sozialpädagogischen Kommunikationszusammenhanges beigetragen hat. Ferner bemüht sie sich darum zu zeigen, wie im Denken Ottos gesellschaftstheoretische, sozialpolitische und demokratietheoretische Momente in einem kritisch-reflexiven Zugang miteinander verschränkt werden. In seinen Arbeiten erkennt sie schließlich eine „soziologisch angereicherte Theorie der Sozialpädagogik“ (332) sowie ein primäres Interesse an, wie sie es nennt, „disziplinären Analysen“ (340), die als solche ganz im Zeichen der Weiterentwicklung der professionellen und wissenschaftlichen Identität der Sozialpädagogik stehen.

Im dritten Teil der Untersuchung macht sich Füssenhäuser nun daran, auf der Basis der vorgenommen Rekonstruktion der einzelnen Werkgeschichten so genannte „Kurzporträts“ (318) zu erstellen, die das jeweilige „Profil“ der theoretischen Ansätze deutlich zu erkennen geben sollen. Tatsächlich beschränkt sie sich aber darauf, einige der bereits im zweiten Teil formulierten Aussagen noch einmal in einer gedrängten Darstellung zu wiederholen. Daneben weist sie knapp auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin. Alle drei Theorieentwürfe stehen, so Füssenhäuser, stellvertretend für eine gesellschaftskritisch-emanzipatorische und sozialwissenschaftlich ausgerichtete Sozialpädagogik, die es sich zur Aufgabe macht, die Wirklichkeit im Horizont besserer Möglichkeiten zu thematisieren, wobei sie bei Thiersch und Mollenhauer insgesamt eine größere Nähe zur pädagogischen Reflexionstradition ausmacht als bei Otto. Nachdem einige etwas unentschlossene kritische Bemerkungen zu den einzelnen Positionen vorgetragen werden, unternimmt sie abschließend den Versuch, den Gewinn der Rekonstruktion zu verdeutlichen, indem sie nochmals auf den konzeptionellen Rahmen der Studie Bezug nimmt. Leider werden an dieser Stelle lediglich einige der schon im ersten Teil präsentierten Ausgangsüberlegungen aufgegriffen, so dass man sich am Ende fragt, worin denn nun der besondere Ertrag dieser Untersuchung besteht.

Mit dem Buch von Cornelia Füssenhäuser liegt eine umfangreiche und durchaus informative Darstellung der einzelnen Werkgeschichten vor, die übersichtlich gegliedert ist und aufgrund vieler Zusammenfassungen auch in didaktischer Hinsicht überzeugt. Nun wollte die Autorin aber keine Einführung vorlegen, sondern einen Beitrag zur Aufklärung der jüngeren Disziplingeschichte leisten. So verdienstvoll zunächst einmal das Vorhaben ist, die innere Logik und Entwicklung der einzelnen Positionen nachzuvollziehen und für die gegenwärtige Diskussion zugänglich zu machen, so wenig sind – anders als Füssenhäuser suggeriert – personalisierende und textimmanente Studien dieser Art in methodologischer Hinsicht dazu geeignet, disziplinäre Formierungsprozesse zu analysieren. Um Letzteres in Angriff zu nehmen, wäre es mindestens auch nötig gewesen, einerseits den von den Autoren jeweils vorgefundenen sozialpädagogischen bzw. erziehungswissenschaftlichen Theorieraum zu beschreiben und zu beobachten, wie sie sich darin positioniert haben sowie andererseits ihre Wirkungsgeschichte anhand der Rezeption ihrer Arbeiten zu studieren. Die dazu notwendigen methodologischen Instrumente liegen ja durchaus vor, man denke nur an Foucaults Diskursanalysen. Im Vergleich dazu freilich wirkt die Untersuchung mit ihrer Konzentration auf die Werkexegese wie ein Anachronismus.
Sascha Neumann (Wallerfangen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Sascha Neumann: Rezension von: Füssenhäuser, Cornelia: Werkgeschichte(n) der Sozialpädagogik : Klaus Mollenhauer - Hans Thiersch - Hans-Uwe Otto, Der Beitrag der ersten Generation nach 1945 zur universitären Sozialpädagogik. Baltmannsweiler: Schneider 2005. In: EWR 5 (2006), Nr. 2 (Veröffentlicht am 04.04.2006), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/89676979.html