EWR 3 (2004), Nr. 3 (Mai/Juni 2004)

Lothar Wigger / Norbert Meder (Hrsg.)
Raum und Räumlichkeit in der Pädagogik
Festschrift für Harm Paschen
Bielefeld: Janus Verlagsgesellschaft 2002
(277 Seiten; ISBN 3-922607-94-2; 19,80 EUR)
Was zu allererst auffällt: Die fünfzehn verschiedenen Autorinnen und Autoren verstehen die Begriffe Raum und Räumlichkeit als Termini und als Metaphern für vielfältige Zugänge zu pädagogischen Wissensformen, allerdings scheint nur der Titel "Pädagogik" der Präzisierung zu bedürfen, während der Titel im Inneren des Buches darauf verzichtet. Folgerichtig widmet sich der erste Text der Topik pädagogischen Wissens, und in der Folge wird klar, dass die verschiedenen Beiträge auch den konkreten Bezug zum Ort der Schule nicht scheuen, ohne jedoch darauf fixiert zu sein. Nicht zufällig listet der letzte Text von Cornelia Arend die aufschlussreichen Publikationen von Harm Paschen auf, ein Beweis dafür, dass die Topik pädagogischen Wissens einer unausgesetzten Recherche bedarf, die gewürdigt werden möchte.

Pädagogisches Wissen räumlich-ordnend zu verstehen, wie dies Andreas Dörpinghaus unternimmt, heißt nach einer Systematik zu suchen und sich einer ähnlichen Situation ausgesetzt zu sehen wie ein Kosmologe, der den Himmel betrachtet. Die Möglichkeit einer Systematischen Pädagogik sucht nach einer die Phänomene bindenden Ordnung. Trotz der Vorläufigkeit der zu findenden Ordnung ist deren Wichtigkeit unbestritten: Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf die Struktur, die Bedeutung und die praktische Erfahrung. Der temporäre Überblick im Wald der Begriffe ist auf die Explikationen angewiesen. Topisches Wissen als Systematisierung erschrickt darum nicht selten vor den Geistern, die es rief. Die Heteronomie und Heterogenität pädagogischen Wissens sorgt für eine Verwirrung, in welcher ein "Chaos von Bekanntem, Neuem und Befremdlichem" (11) die Unübersichtlichkeit pädagogischen Wissens zu belegen scheint. Wenn widersprechende Thesen mitwirken, ist es nicht unpassend von "loci", "Örtern" oder "Fundstätten" zu reden, von wo aus Argumente entworfen und verschickt werden können. Eine topische Ordnung ist situativ, lebensförmig und auf ein Vokabular in einer bestimmten Sprache angewiesen. Jede Sprache verfügt über grammatikalische, semantische und pragmatische Dimensionen mittels welcher wir wittgensteinorientiert ein Bild finden, "das übersichtlich macht, Nähen aufzeigt und Differenzen räumlich abbildet" (19). Doch auch diese Klärung ist trügerisch, weil jedes Bild auf Darstellungsformen angewiesen ist, auf Vermittlung, die sich ebenso an Voraussetzungen misst wie die Argumente. Folgerichtig schliesst Andreas Dörpinghaus mit Ruhloff und dessen Plädoyer der offenen Ordnung, welche Übergänge thematisiert und das Provisorium zum Anlass für anschließende Klärung versteht.

Martha Friedenthal-Haase beschreibt den historischen Wandel des Faschisten Dorst zum stalinistischen Sozialisten und hochrangigen DDR-Erziehungswissenschafter. Wenn Raum und Räumlichkeit politisch und ideologisch interpretiert werden, lassen sich anhand der drei Karrieren von Dorst die Irrtümer und fachlichen "Kunstfehler" (43) verfolgen, was deutlich macht, dass das Befassen mit der Topik und Optik marxistisch-leninistischer Erziehungswissenschaft mit der Abschaffung des dazugehörigen politischen Staates keineswegs überflüssig ist. Es steht die Aufarbeitung systematischer, fachgeschichtlicher, ideologie- und mentalitätsgeschichtlicher Fragen an, die an pädagogische Moralität und an ein Wissenschaftsethos gerichtet werden wollen. Dabei soll aber nicht aus der Distanz der Nachgeborenen leichte Kritik geübt werden, vielmehr geht es um die Klärung der "Übersetzungen" in die Gegenwart, die sich immer noch mit Ost-West-Differenzen beschäftigen muss. Sind denn Fragen nach Werten, Leitbildern, Neutralität und pädagogischen Freiräumen notwendig? Sind Grundsatzfragen, wie Erziehung zu Mündigkeit, zu Freiheit überflüssig? Martha Friedenthal-Haase schlägt nichts Geringeres vor, als dass die traditionellen kulturellen Räume ohne Vorbehalt ausgeleuchtet werden.

Karl Helmer breitet in seinem Aufsatz eine himmlische Landkarte aus. Er folgt einem "unwesentlich verfälschten" Satz von Paschen (52, Fußnote 1), wonach falls "...fremde Räume im Bewusstsein als subjektiv oder objektiv noch zu erschließende, als unfertige und noch gestaltbare Räume erscheinen", diese nicht nach ihrer geographischen Gestalt, "sondern nach ihrer allegorischen, tropologischen und anagogischen angeschaut" werden (52). Von dieser Freiheit macht Helmer ebenso Gebrauch wie die Kartographen der Ebstorfer Weltkarte, die diese zwischen 1330 und 1350 entstehen lassen. Dabei gerät das außerhalb von Raum und Zeit beschriebene Jerusalem der Apokalypse in die vergegenwärtigte Heilsgeschichte, wie sie in Kreuzen seit dem Mittelalter symbolisiert werden - was mehr ist als ein medialer Transfer, wie uns die Kulturgeschichte lehrt.

Ludwig Huber und Ellen Thormann berichten über Großraumschulen, Erwartungen an diese und Erfahrungen mit ihnen. Dreidimensionalität kann absolute wie relative Raumvorstellungen repräsentieren, sie kann real oder virtuell sein, physisch oder sozial. Sie kann kontinuierliche oder diskontinuierliche Erfahrungen ermöglichen und Wechselwirkungen erzeugen zwischen Bedingungen, die sie bereithält und Prozessen, die innerhalb dieser Bedingungen stattfinden. Die These ist, dass Räume die Pädagogik nicht determinieren, aber Grenzen aufweisen, innerhalb welcher die Variationen von Lehren und Lernen gestaltet werden. Die Hoffnung der 60er Jahre, wonach die moderne oder zeitgemäße Schule auch durch die Gestaltung ihrer Räume machbar ist, wird erheblich abgekühlt. Beachtenswert in diesem Diskurs ist die Tatsache, dass nach Huber und Thormann die Großraumschulen zuallererst nach dem Beispiel neuer Bürolandschaften gebaut wurden, und nicht nach Kriterien der pädagogischen Praxis. Es erstaunt darum nicht, dass die geforderte Flexibiliät, Mobilität, Kommunikation und Kooperation nicht nur pädagogische Akzeptanz erfuhr. Der große Raum für pädagogische Zwecke versprach indessen Öffentlichkeit, soziale Kontrolle und Einübung in reale Arbeitssituationen. Das Aufbrechen von Einheitlichkeit von Formen und Farben zeigte umgehend Vorteile: Es wurde weniger Vandalismus verübt. Pädagogische Forderungen wie Tageslicht, frische Luft, angemessene Temperaturen, sowie die innere Gestalt als eine nicht-einengende, vielfältige und anregende, wie Huber und Thormann sie im Anschluss an Rittelmeyer und Forster (69) für Schulbauten nennen, müssen auch für großräumige Schulen gelten und sind meines Erachtens keine übertriebenen Forderungen für einen Ort, in welchem Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler und sonstiges Personal täglich mehrere Stunden bzw. qualitative Zeit verbringen. Die Kriterien für die Güte der Schularchitektur, wie sie von Schularchitekten und Pädagogen erarbeitet wurden, zeigten außerdem, dass die Raumorganisation mit der Zeitorganisation abgestimmt werden muss. Es ist zudem ein Unterschied, ob Kinder, Jugendliche oder junge Erwachsene den Ort frequentieren, und ob eine Ganztagsschule oder ein Gymnasium mit Freistunden den Ort vereinnahmt. Wenn man zudem Vorstellungen von konstruktivistischem Lernen oder bescheidener: von eigenverantwortlichem Lernen teilt, dann verlangt die Verbindung von Raum, Zeit und Lernen angepasste Bedingungen. Es zeigt sich, vorhandene Zwischenräume vorausgesetzt, dass diese von den Lernenden nicht adäquat genutzt werden. Die Schule, so mein kleiner Kommentar, ist ein komplexes Gebilde, in welchem unüberschaubar viele Prozesse stattfinden. Trotzdem scheint die innere Differenzierung nicht nur an den architektonischen Bedingungen zu scheitern, sondern auch auf Barrieren in den Köpfen zu stoßen – in jenen der Lehrenden ebenso wie in jenen der Lernenden.

Die Reform des Schulraumes in Richtung Großraumschule ist disziplinierungsgeschichtlich modern, aus der Sicht der pädagogischen Praxis ein Versagen, weil deren Komplexität nicht mit der realen Situation korrespondiert. Ludwig Huber und Ellen Thorman sehen die Frage des Unterrichts-Grossraums in der Bundesrepublik immer mit der Idee der Gesamtschule verbunden, angestrebt wurde ein produktiver Umgang mit Heterogenität und reformpädagogischen Unterrichtskonzepten. Und sie stellen fest, dass die Rück- und Umbauten der Modellschulen meist mit einem durch die Praxis gewandelten Verständnis für Gesamtschulen einhergehen. Für die Schularchitektur gälte es, im Anschluss an das erfahrungsgesättigte und trotzdem vorläufige Verständnis von Schule, eine "neue Balance zu finden und auszuprobieren zwischen Räumen des Rückzugs zu stiller Arbeit und Räumen der Öffnung zu vielfältigem, kooperativem und handelndem Lernen" (82) – nicht zu vergessen: unterschiedlich gestaltete Flächen, wenig Türen und viel Durchsicht.

Joachim H. Knoll stellt den Sondercharakter der Erwachsenenbildung im Vergleich mit dem öffentlichen Schulwesen dar. Dabei fällt auf, dass die Erwachsenenbildung nicht nur darum als Erfolgsgeschichte geschrieben werden kann, weil Erwachsenenbildung zunehmende bildungspolitische Wertschätzung genießt, sondern auch weil das Prinzip des lebenslangen Lernens als Aneignung von Kompetenzen zunehmend gesellschaftliche Akzeptanz erfährt. Erstaunlicherweise bleibt die Erwachsenenbildung lange Jahre ohne eigene Räume aktiv, weil sie als evening institutes in bestehenden Schulräumen Unterschlupf fand und sich jetzt mit selbstorganisiertem Lernen und Fernunterricht von institutionengebundenem, räumlichen Lernen löst. Die Erwachsenenbildung wird entortet, was nicht heißt, das die Lernarchitektur und der Lernort nicht ständiges Thema von Erörterungen sind. Der Lernort-Begriff beinhaltet gestaltete und geplante Räumlichkeit und eine Lernkultur, die sich nicht nur an einen räumlichen Mittelpunkt des Erwachsenenlernens klammert. Was die Dezentralisierung und Regionalisierung der Erwachsenenbildung dem öffentlichen Schulwesen voraus hat, ist die Zielgruppengenauigkeit, die die Bildungsaktivitäten sogar in die Betriebe oder ihnen zugehörigen Einrichtungen verlagert; die Verflechtung ist damit garantiert.

Die Baukunst nach Joachim H. Knoll hat mit Blick auf die Pädagogik die theoretische und praktische Aufgabe, Räume und Gebäude zu schaffen und zu gestalten, eine Lernarchitektur, die dem Lernen dient, Räume, Häuser, Plätze, um sich Wissen anzueignen und Fähigkeiten zu erweitern. Womit der Aufsatz beinahe in einer Bildungsdiskussion landet.

Hermann Lange diskutiert die PISA-Resultate. Der Vergleich im Internationalen Raum erhält schon im Titel das Remedium gegen die Krankheit: "Reisen bildet. Deutsche Schulen im internationalen Vergleich". Reisen als Bildungsmetapher symbolisiert das Gegenbild zur Tatsache, dass pädagogisches Handeln meist in geschlossenen Räumen stattfindet. Nach dem Bericht über die Großraumschule scheint mir jedoch diskutabel, ob und wieweit die Türen offen stehen sollen, wenn Lernprozesse in der Gestalt des Konstruktivismus angeregt werden. Beklagt wird die Reaktion auf die Individualisierung der Arbeitsgestaltung, die möglicherweise ein Gefühl "des Alleingelassenseins und der Überforderung" (103) weckt, was sich unter Lehrerinnen und Lehrern häufig findet. Immerhin sei an dieser Stelle kritisch angemerkt, wie schwierig es ist, allgemeine Aussagen zu einem komplexen Thema zu machen.

Hermann Lange diskutiert das funktionalistische Grundbildungskonzept von PISA, welches die Unterscheidung zwischen Inhalten und Werkzeugen nahe legt, Befunde und Ursachen, wie sie inzwischen häufig dargestellt wurden. Er schlägt vor, Handlungsfelder, curriculare und didaktische Veränderungen, die "Schule als Betrieb" mit strukturellen Probleme zu verstehen und die auch an anderer Stelle schon diskutierte Wiederannäherung von Bildungsforschung und Bildungspolitik zu suchen.

Die Raummetapher in der Wissensorganisation und im Internet von Norbert Meder untersucht die Logik, die Anschauung, die Strukturen im Internet, die an Zeitbewusstsein gebunden sind. "Raum ist Logik in der Anschauung und Logik ist Raum in mente" (128), das ist die zentrale These. Allgemein ist der dreidimensionale Raum der Ort für die Logik in der Sinnlichkeit, und die Logik ist der Raum im Geiste oder das innere symbolische Bild des Raumes. Die Analogie zwischen den Metaphern des Raumes wird durch den neuen Wissensanbieter Internet bestätigt: Wie navigieren wir durch die vorhandenen Informationssysteme ohne Raum- und Zeitbewusstsein? Der Hypertext bedient sich der Lexikontechnik, welche im einen Artikel auf einen anderen verweist und dieser wiederum auf einen weiteren - was eine Verfeinerung des semantischen Netzes repräsentiert. Dabei ist vernachlässigbar, dass sich der Hypertext sowohl dem Medium des Textes, des Bildes und des Tones bedient. Die Verfeinerung des Hypertextes resultiert in einer Metasprache, einer Sprache über der Sprache der Dokumente, die hochgradig generalisiert. "Kanten" heißen links, "Knoten" sind Nomen, Superzeichen sind Schlagworte, die "eine Art semantische Abkürzung" (133) darstellen. Die Metasprache stellt darum einen formalen Raum dar, der potentielle Verwendung der basalen Dokumente bereithält. Wer hätte es nicht schon erfahren: Die Schwierigkeit der Informationsgewinnung im Internet enthält Labyrinthe, durch die wir mit mehr oder weniger Erfolg navigieren.

Folgen wir der Net-Begeisterung, hängt die "gesellschaftliche Partizipation (...) von der Fähigkeit ab, Hypertexte zu können" (35). Wenn die bildungstheoretische Annahme gilt, dass die Medien die Funktion haben, die gemeinsame Welt darzustellen, zu dokumentieren und archivieren oder zu speichern und die Verständigung darüber anzuregen, dann braucht es Zeit, wie in allen anderen Bildungsprozessen. Im Vocabular des Internets nennt sich dies die vierte Dimension. Es entzieht sich der genauen Kenntnis der Rezensentin, ob die Strukturen, welche sich der Darstellung paralleler Zeitstränge bedienen, tatsächlich etwas Neues sind in der Ordnung des Wissens. Es besteht der Verdacht, dass der kognitive Raum auf den logischen verengt wurde und damit all das ausklammert, was die Fantasie, die Vorstellung, das Denken produktiv werden lässt. Die Knowledge-City nimmt wohl unüberschaubare Dimensionen an, aber ihre Bildungsqualität steht nur formal zu Diskussion.

Gerade Letzteres lässt sich an der "Frau in freier Landschaft" von Gisela Miller-Kipp überprüfen. "Im Raum, zumal in einem fremden, erfährt und erschliesst der Mensch sich selbst" (145). Im Raum und niemals außerhalb kann sich Bildung ereignen, wenn Lernen und oft auch Lehren geschieht. Damit erweitert sich der 3-D-Raum zum soziologischen, psychologischen und anthropologischen und was der Klassifizierungen mehr sind. Das Bild dient seit längerer Zeit als Quelle für Bildungsforschung. Vorausgesetzt, dass das darstellende, figurative Bild gemeint ist, rückt in der Forschung auch das im Bild als Raumformat ins Bewusstsein, "der Raum als eine pädagogische Funktion und in seiner pädagogischen Funktion" (146).

Gisela Miller-Kipp analysiert drei Bilder des 18. und 19. Jahrhunderts, die alle drei mit unterschiedlichem Fokus die getrennten Lebenswelten von Mann und Frau darstellen, wie sie die Erziehungstheorie z.B. mit Rousseau und Campe und die Literatur z.B. mit Schiller eindrücklicher nicht schildern konnten. Bild und Sprache, Ikonographie und Ikonologie gelang es gemeinsam, eine normenvermittelnde Wirkung zu erzeugen, die das Geschlechterverhältnis von mehreren Generationen beeinflusste oder gar prägte. Dass die Wissenschaft und die Literatur männlich dominiert und keineswegs kritisch zur gesellschaftlichen Praxis des weiblichen "Drinnen" und männlichen "Draussen" stand, vermag Pädagoginnen bis heute zu erstaunen.

"Bildungssysteme und Bildungsräume im Paradigmenwechsel" von Wolfgang Mitter beschreibt den Wandel normensetzender Instanzen. Während PISA nationale Bildungssysteme international vergleicht, orientiert sich das internationale Rahmenkonzept an Konzeptionen, die von Expertengruppen im Auftrag transnationaler Organisationen geleistet werden. Damit werden nicht nur wirtschaftliche, sondern auch soziale und kulturelle Prozesse von grenzüber-schreitender Reichweite erfasst, die als Identitäts- und Mentalitätswandlungen im Denken und Handeln virulent sind. Die "codings" (158), welche unter nationalstaatlichen Verhältnissen die Regeln des Bildungswesens in Abstimmung zur Bildungspolitik gestalten, verändern sich derart, dass wir vorzugsweise von grenzauflösenden Herausforderungen ausgehen: Staat, soziologische Zeit und kultureller Raum zerrinnen und verunklären die Kontexte, welche die Regeln für das Bildungswesen festlegen. Das will belegt sein.

Wolfgang Mitter beschreibt Bildungssysteme im modernen Staat und in vormodernen Gesellschaften und vergleicht diese mit der Entstehung regionaler und globaler Bildungsräume, wie sie in der Gegenwart zu beobachten sind. Deren regionale Dimension konzentriert sich auf gegenseitige Anerkennung von Abschlüssen und im Austausch von Lehrenden und Lernenden. Dabei möchte die EU-Kommission "einen europäischen Raum des lebenslangen Lernens" schaffen (165) um zu einem europäischen Bildungsraum zu werden. Die globale Dimension beinhaltet sowohl formale Aktivitäten der Weltorganisationen wie den Markt als anonymen Steuerungsmotor für expansive Bildungsaktivitäten. Im Bereich des Bildungsmarktes sind angelsächsische Unternehmen bestens auf Test-Dienste, Evaluation und Zertifizierung vorbereitet. Die Rezensentin vermutet darum, dass zukünftig immer mehr Ausbildung statt Bildung gefragt sein wird. Außerdem befürchtet Mitter mit Kenway (168), dass die Bildungsmärkte nicht unbedingt den Grundsätzen der Fairness oder Gleichheit gehorchen. Wenn die Bildungspolitik an Gerechtigkeitsoptionen im Bereich der öffentlichen Bildung festhält, müsste sie nicht nur den Markt beschränken, sondern den Einsatz des Internet in der Schule mit politischer Bildung kontern. Die Globalisierung verflüchtigt die eindeutige Zuordnung von Raum und Zeit – gerade dies aber bleibt unersetzliche Bildungsaufgabe in einer Zeit, die nationale Bildungssysteme zu regionalen Bildungsräumen und zum globalen Bildungsraum differenziert: in Labyrinthen verirrt man und frau sich unversehen.

Klaus Prange nimmt sich dem Verhältnis von Offenheit und Geschlossenheit in der Erziehung an. Wenn die Schule als "Haus des Lernens, als Lebens- und Erfahrungsraum" (176) verstanden wird, in welchem lebenslanges Lernen vorgeübt wird, dann können Raum und Lernen nur so zueinander gepasst werden, dass sowohl auf der pragmatischen Ebene wie auf der semantisch-begrifflichen Ebene eine Form von Offenheit selbstverständlich sind. Diese Form wird kritisch begleitet, so lange es sie gibt. Die Kritik gehört also zur Struktur des offenen, weniger reglementierten Lernens.

Die Grenze und die Unterscheidung von Offenheit als Schülerzentrierung und Geschlossenheit als Themenorientierung eignen sich für Pendelschwingungen, die dafür sorgen, dass sich beispielsweise die scharfe Selektion von der Notenfreiheit abgelöst sieht – und umgekehrt. Prange sympathisiert darum mit Luhmann hinsichtlich der Beobachtung, dass Pädagogen nicht nur Kinder, sondern immer auch die Pädagogik selbst erziehen (177).

Brauchen Kinder Grenzen? Das Russell-Paradox, "jedes Kind möchte von Zeit zu Zeit ungezogen sein" (180), legt uns nach Prange sogar nahe, Kindern wenig vernünftige Regeln zu geben, die sie dann schadlos brechen können. Denn ohne die Regeln gibt es keine Ausnahme, "ohne Muster und Grenzen, Disziplin und Autorität auch keine Originalität und schöpferische Energie" (181). Das kann nur heißen, dass wir auch den Umgang mit Grenzen lernen sollten, nicht zuletzt um sie zu relativieren, variabel zu behandeln oder gar sie aufzulösen. Die Grenzsensibilität meint auch dies: "Das Lernen steht diesseits, das Erziehen – in welcher Form auch immer – steht jenseits" (184), zwei Systeme, welche in einem asymmetrischen Verhältnis stehen. Wenn es da keine Grenzen gäbe, wäre die Willkür allmächtig.

Gerhard Priesemann unternimmt Streifzüge im Raum des Geistes, der zur Bedingung hat, dass Sprache gelernt wird, damit wir uns über-individuell verständigen. In bezug auf die Schule kann das Ziel des Lernens aber nur sein, "die Schüler bis zum Erreichen einer dritten Stufe sprachlicher Kompetenz zu bringen", d.h. dass sie im Wissen um die gewordene Sprache zu neuen Meisterschaften angeregt werden und damit geistige Souveränität erreichen. Mit einem Gedicht von Rilke gelingt es Priesemann dessen "Weltinnenraum" als Dimension des Geistigen zu vermitteln, die frei ist von jeder Dreidimensionalität – womit Jean Paul bestätigt würde: "Die Sprache ist ein Wörterbuch verblasster Metaphern", aber der Raum, in welchem die blassen Metaphern hier und da einen Einsatz finden, ist entgrenzt.

Im täglich-alltäglichen Leben gelingt es uns nicht, uns um die Verfassung von Wirklichkeit zu kümmern, die den entgrenzten Raum bereithält. Trotzdem verspricht der Begriff "Cybers-pace" eine neue Wirklichkeit, eine Erweiterung eines Raumes, dessen ontischer Status noch nicht geklärt ist, obwohl sich der Raum täglich vergrößert und wir uns in "unüberprüfbaren Illusionen verlieren" (200). "Wenn also nach der Bedeutung des Raumes im Prozess des Erziehens und im Prozess erziehungswissenschaftlichen Erkennens gefragt" wird, dann ist geraten, "der Kraft des Geistes" (219) wenn nicht alles, so doch sehr vieles zuzutrauen.

Christian Rittelmeyer bearbeitet die Qualitätsmerkmale des Schulbaus anhand eigener Forschung und historischer Lektüre. Nach PISA diskutieren wir, wie die Qualität von Schulen und von Unterricht verbessert werden können, ohne dass die Schulraum-Gestaltung mitgedacht wird. Immerhin darf angenommen werden, dass "die Gestaltung der Schulgebäude einen erheblichen Einfluss auf die positiv oder negativ erlebte Atmosphäre einer Schule, auf die Lernkultur und auch auf die Schülerleistungen hat" (203). Die von Fend treffend kritisierte "Symbolisierungsarmut" trostloser Schulareale steht dem Wunsch nach "Symbolisierungsreichtum" bezüglich Innenraum wie bezüglich Fassadengestaltung gegenüber. Aber wie müsste dieser beschaffen sein? Fünf Aspekte zeichnen den Differenzierungsgrad der kritischen Punkte auf:

  1. Anthropologisch-ästhesiologische Aspekte gehen davon aus, dass die Architekturwahrnehmung multisensoriell geschieht. Die Information der Aussenwelt trifft gleichzeitig mit derjenigen der Innenwelt zusammen. Wie spielen sie zusammen? Gegeben scheint die körperliche Reaktion auf ein Bauwerk, wie wir leicht an uns selbst feststellen können. Einer Beobachtung von Rittelmeyer folgend, ist diese oft als Kompensation erklärbar. Nach Volkelts obliegt es unserem organismischen Urteil, architektonische Gebilde zu "beseelen". Dies geschieht sowohl durch die Sensomotorik der Raumwahrnehmung, wie durch emotionale Urteile und der Tatsache, dass ein Schulhaus als ein Ort verstanden wird, an dem man lernen darf und lernen muss.
  2. Schulbauten sind Zeugnisse ihrer Zeit und ihrer Region. Sie altern und empfangen nachfolgende Generationen mit ihren Signaturen, die eine mögliche Fortschrittlichkeit längst eingebüsst haben. Von Heranwachsenden unserer Tage werden vor allem Gemütlichkeit, Überschaubarkeit, Abwechslungsreichtum, Wärme und freilassende Formen favorisiert.
  3. Schulbauten werden oft mit einem Vokabular aus der sozialen Rhetorik beschrieben. Aus dieser Sicht sind sie "Interaktionspartner".Es scheint, dass mittels Analogiebildungen semantische Differentiale gebildet werden, die dem "Abwechslungs- und Anregungsreichtum der Formen und Farben" (224), dem Ausdruck von Freiheit, Wärme und Weichheit den Vorrang geben. Eine genaue phänomenologische Analyse könnte vorgreifen: das Schulhaus ist und kreiert ein soziales Milieu.
  4. Empirische Aussagen von Schulhausbauten gehen davon aus, dass Schulhausqualität mit den Interpretation derjenigen übereinstimmen müsste, die darin aktiv sind – die Gefahren des Populären als Referenzpunkt sind nicht von der Hand zu weisen.
  5. Die Rahmenbedingungen eines jeden Schulhausvorhabens haben nur all zu oft einen einschränkenden Einfluss: Es soll meistens kostengünstig gebaut werden.

Diese fünf Kriterien könnten als Wegleitung dienen, "sich den für das Lebensgefühl von Lehrenden und Lernenden so wichtigen Attributen der Kindergarten- und Schularchitektur übend und sensibilisierend zuzuwenden". (226). Ob damit Goethe (Eingangszitat, 203) revidiert wird? "’...Um nun aber aus der Unvernunft in das Vernünftige überzugehen, vermelde ich schuldigst, dass wir die neue Bürgerschule besucht haben. Das Gebäude bewirkt schon selbst Kultur, wenn man es von außen ansieht und hineintritt. Die rohsten Kinder, die solche Treppen auf- und abgehen, durch solche Vorräume durchlaufen, in solchen heiteren Sälen Unterricht empfangen, sind schon auf der Stelle aller düstern Dummheit entrückt und sie können einer heitern Tätigkeit ungehindert entgegen gehen...’ Goethe an Carl August, 20. Juli 1826".

Angenommen, Goethes Meldung würde zutreffen, der Schulraum kultivierte an sich, die Unwissenheit würde flüchten, dank der Möglichkeit heiterer Tätigkeit, müssten wir mit Heinz-Elmar Tenorth annehmen, dass dies nur darum geschehen kann, weil wir die Wirkungserwartungen eingrenzen. Die pädagogische Begrenzung käme einer Ermöglichungsform gleich: Mit Kultur in der Schule meinten wir Schulkultur, die organisierte Erziehung wäre zeitlich befristet und das Lernen würde nach dem Läuten in die Eigenwelt der Lernenden jenseits der pädagogischen Welt entlassen. Andersherum können wir Schulen als geschlossene Welten verstehen, die gerade ihrer Begrenztheit wegen Bildung, präziser: Schulbildung ermöglichen. Das hat Geschichte. Die Pädagogik der Aufklärung wusste um funktions- und aufgaben-spezifische Nutzung des begrenzten Raumes. Die Reformpädagogik versuchte das schulisch kontrollierte Lernen und die pädagogisch erwünschte Erfahrung als besondere Form zu denken. Unvermeidlich ist seither die Konfrontation der "schulischen Formierung der Erfahrung" mit der "pädagogischen Konstruktion des Lernens" (235). Nicht zu vergessen "die dominierenden Bedingungen der Sozialität" (236). Sie bilden das Gefäß oder die Räumlichkeit der pädagogischen Form. Weder sie noch ihre Materialität sind häufiges Thema der Theorie.

Seitdem Universitäten um die Studierenden werben wollen oder müssen, sind ästhetische Kategorien in Bezug auf das Gebäude und dessen Stil, die Lage und die Nähe zu kultureller Attraktivität immer auch Kriterien, mit welchen die Aufmerksamkeit auf die eigene Sache gelenkt wird.

In seinem Aufsatz "Universität als Lernfabrik" stellt Lothar Wigger u.a. die Geschichte der Planung, Ausführung und Benutzung der Universität Bielefeld dar. Hier wie bei allen Planungen von Bildungsinstitutionen stellt sich die Frage, ob und in welcher Weise die architektonische Gestaltung des Raumes Lehren und Lernen ermöglichen, fördern oder behindern – eine Frage, die bislang von den Erziehungswissenschaften eher vernachlässigt wurde.

In der neueren Diskussion nach PISA ist die Autonomie der Bildungsinstitution Thema der Verbesserung. Alle möchten eine eigene Lehr- und Lern-, bzw. Studienkultur, ein "Gesicht" und in Wechselwirkung dazu, einen Habitus herausbilden. Damit geraten auch die Atmosphäre oder die ästhetischen und aisthetischen Merkmale des Raumes in den Blick. Die Universität Bielefeld zeichnet sich durch räumliche Verdichtung, zentrale Erschliessung, funktionale Zonierung, Variabilität der Räume und ihrer Erweiterung aus. Die "Lernfabrik" ist funktional konzipiert, der bestehende Bau spricht die Sprache seiner Bedingungen. Die künstlerische Attraktivität reduziert sich auf Farbtupfer und den Gestus der Bewegung, obwohl versucht wurde, auch "psychische Bedürfnisse der Benutzer", und wie ich anmerken darf: hoffentlich auch der Benutzerinnen, "zu berücksichtigen" (253). Nicht Behaglichkeit von Studierenden und Lehrenden war das Ziel, sondern ein funktionales Gebäude unter größtmöglicher Kosteneinsparung.

Eine Befragung aus der Ecke der Gesundheitswissenschaften zeigte, dass gerade die psychischen Bedürfnisse der Benutzer und Benutzerinnen doch etwas zu kurz kommen. Neben "Zeitstress und Hektik, sind es die fehlenden Rückzugsmöglichkeiten und der Lärm" (257), aber auch die "schlechte Gebäudegestaltung", die als einschränkend bezeichnet werden. Daraus wird klar, dass die Hauptaufgaben der Institution "Vermittlung von Wissen und Kompetenzen" nicht ohne "eine Bedeutung als Sozialraum" geschehen kann – die "Sphäre der Bildung" scheint einen Zusammenhang zwischen Vermittlung und Aneignung innerhalb einer räumlichen Struktur zu beanspruchen, die immer irgendwie gestaltet ist. Um die Frage des Jubilars dieses Bandes zu übernehmen: "wie erschliessen sich - im Doppelsinn eines räumlichen und logischen Aneignens von etwas Neuem"(260) die Lernenden das Gelehrte? – und worin, in welcher Hülle?

Diese Frage kann mit den vielseitigen Beiträgen der Festschrift für Harm Paschen nicht beantwortet werden, was nach Auffassung der Rezensentin nichts mit dem Band zu tun hat. Worauf also finden sich Antworten? Wer sich mit Raum und Räumlichkeit der Pädagogik mit den komplexen Bedingungen des Verhältnisses und der Bedingungen räumlicher Signale, Signaturen und Symbole beschäftigt, erhält eine Fülle von Anregungen. Die zahlreichen Verweise auf weiterführende Literatur sind ein zusätzlicher Indikator für die selbstverständliche und vielleicht gerade darum vernachlässigte Beziehung zwischen Individuen, die lernen oder lehren und Räumen, die real oder virtuell als raumbietende Interaktionspartner die Aktivitäten wechselwirksam unterstützen oder behindern. Es entspricht folglich einem öffentlichen Interesse, dass sich sowohl die pädagogische Praxis, die Architekten, die Bildungspolitik wie die Bauherrschaften damit beschäftigen (anlässlich der Tagung vom 21.4.04 in Luzern befasste sich die Stiftung Corymbo und die EDK (Schweizerische Konferenz der Kantonalen Erziehungsdirektoren) mit dem Thema. Ein Tagungsband wird die erarbeiteten Thesen im Laufe des Jahres 2004 öffentlich machen.)
Li Mollet (Bern)
Zur Zitierweise der Rezension:
Li Mollet: Rezension von: Wigger, Lothar / Meder, Norbert (Hg.): Raum und Räumlichkeit in der Pädagogik, Festschrift für Harm Paschen, Bielefeld: Janus Verlagsgesellschaft 2002. In: EWR 3 (2004), Nr. 3 (Veröffentlicht am 02.06.2004), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/92260794.html