EWR 4 (2005), Nr. 2 (März/April 2005)

Wolff-Dietrich Webler
Lehrkompetenz
Über eine komplexe Kombination aus Wissen, Ethik, Handlungsfähigkeit und Praxisentwicklung
Bielefeld: Universitäts Verlag Webler 2004
(45 S.; ISBN 3-937026-27-4; 9,95 EUR)
Das hier zu rezensierende Heft dient "der Orientierung des Nachwuchses darüber, wie die individuelle Qualifikation für diese Seite des Berufes (Aufgaben in Lehre und Beratung, K.R.) als Hochschullehrer gestaltet werden muss", so der Autor im Vorwort. Er ist als Geschäftsführer des Interdisziplinären Zentrums für Hochschuldidaktik (IZHD) der Universität Bielefeld und Herausgeber der Zeitschrift "Das Hochschulwesen" ein ebenso ausgewiesener wie erfahrener Experte für Hochschuldidaktik.

Der Autor eröffnet gleich in der Einführung die dreifache Mängelliste der Lehre an Hochschulen: Die Hochschuldidaktik ist mangelhaft, die Lehrer/innen-Bildung wird vernachlässigt und die Wissenschaft kommuniziert ihre Prozesse und Ergebnisse zu wenig oder unverständlich in der Öffentlichkeit (9f). Aus der Analyse der Anforderungen an Lehrende sollen im Folgenden – so das Programm der Schrift – die Kompetenzen abgeleitet werden, die die Voraussetzungen guter Lehre sind. Der dabei verwendete Kompetenzbegriff integriert Wissen, Ethik, Handlungsfähigkeit sowie Fähigkeit zur Praxisentwicklung.

Hierfür rekurriert der Autor im zweiten Abschnitt auf die rechtlichen Rahmenbedingungen und leitet aus den Verfassungszielen ein demokratisches Lehrverständnis ab, das von Partizipation und Selbstständigkeit der Lernenden geprägt ist. Aus diesem Rechtsverständnis und der Gründungsidee der Universität heraus wird als übergeordnetes Ziel von Hochschul-Bildung verantwortliches Handeln definiert, was wiederum eine bestimmte Lernkultur impliziert.

Nach diesen grundlegenden Bestimmungen schließt sich die Darstellung der drei didaktischen Leitideen der deutschen Hochschulen an (Kapitel 3). Vorgestellt werden das Humboldt´sche Bildungsideal, die Didaktik der Polytechnischen Lehranstalten und der paradigmatische Einfluss der Betriebswirtschaftslehre. Was lehrt das die geneigte Leserschaft? Es zeigt die unterschiedlichen Traditionslinien, Erwartungen und damit verbundenen Rollenkonflikte auf. Präzisiert werden nun im nächsten Abschnitt die Erwartungen der Gesellschaft und das Dilemma zwischen fördern und auslesen wird – leider nur sehr kurz – angerissen (4. Kapitel).

Im nächsten Schritt wird - nun etwas ausführlicher - die Verbindung von Wissenschaft und Forschung in der Schnittmenge von Wissenschafts- und Ausbildungssystem erörtert. Dabei bezieht sich der Autor auf die angelsächsische Diskussion, von der er acht Ausbildungsziele und sieben Werte für die Qualifizierung von Hochschullehrern/innen überträgt (22f). Die zwei zentralen Paradigmenwechsel, die die Hochschuldidaktik derzeit kennzeichnen, werden dabei eher beiläufig eingelassen: Kompetenzorientierung (versus Stoffzentrierung) sowie Optimierung des Lernens (versus Fokussierung der Lehre). Das Beispiel Gymnasiallehrer/innen-Bildung als Kristallisationspunkt mangelnder Hochschuldidaktik dient der Veranschaulichung der Bruchstelle zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Als Lösungsmöglichkeit wird der Einsatz projekt- und problembezogener Arbeitsformen mit Rückbindung an Theoriebestand und Systematik einer Disziplin vorgeschlagen.

Daraus werden nun nachfolgend die erforderlichen Einstellungen und Qualifikationen abgeleitet. Kapitel sechs widmet sich ersteren und konstatiert zunächst ein Negativbild von Studierenden bei Lehrenden, das aus Kommunikationsdefiziten und wechselseitiger Enttäuschung resultiert. Stattdessen schlägt der Autor eine Haltung vor, die sich als Interesse an menschlichen Entwicklungs- und Lernprozessen beschreiben lässt und in einzelne Einstellungen – z. B. Respekt & Entwicklungsorientierung - operationalisiert wird. Diese bilden gleichsam den motivationalen Kanon, der sich in den im nächsten Kapitel ausgeführten Kompetenzen entfalten wird.

Als Kompetenzbereiche werden Selbstkompetenz, Sozialkompetenz, Didaktische Fachkompetenz und die Fähigkeit zur zeitgemäßen Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses in der postgradualen Phase unterschieden. Zu dem erstgenannten Bereich (7.1) zählen in der Systematik des Autors beispielsweise Selbstorganisation (sich!), Rollenvergewisserung, Reflexionsfähigkeit und Selbstpflege. Unter dem Oberbegriff Sozialkompetenz (7.2) wird vom Autor eine Auswahl aus den an dieser Stelle "regelmäßig geforderten Kompetenzen" (33) getroffen, die für die wiederum übergeordnete Lehrkompetenz von besonderer Bedeutung erscheinen. Hier findet übrigens nur eine Auflistung/Aufzählung statt, während die Teilkompetenzen der anderen Kompetenzbereiche ausgeführt werden. Zur Didaktischen Fachkompetenz (7.3) zählen u.a. Planungs-, Methoden-, Medien-, Prüfungs- und Evaluationskompetenz. Als letzter, kleinster, aber eigenständiger Kompetenzbereich (7.4) wird im Umfang von einer halben Seite die Fähigkeit zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses auf der Grundlage der einschlägigen rechtlichen Grundlagen skizziert.

Der abschließende achte Abschnitt des Heftes nimmt eine Rückbindung des umfangreichen Anforderungs-Kataloges an hochschuldidaktische Aktivitäten und Angebote vor. Im Anhang wird auf immerhin 15 Seiten das modularisierte hochschuldidaktische Angebot des Autors vorgestellt.

Das Heft setzt im Verhältnis zum detailliert-differenzierten Kompetenzprofil sehr weit unten an mit (verfassungs-)rechtlichen Grundlegungen. Da diese im Rahmen des Gesamtumfanges der Broschüre sehr knapp ausfallen müssen, stellt sich die Frage nach ihrer Funktion. Auch insgesamt könnte an mehreren Stellen zu Rezeptions-Problemen führen, wenn Begründungen fehlen oder ausgesprochen knapp ausfallen. Fraglich ist auch, ob die "umfangreichen empirischen Studien des Verfassers" eine hinreichend empirisch-gehaltvolle Basis der jeweils darauffolgenden Ausführungen darstellen.

Der Kompetenz-Begriff als Ausgangs- und Bezugspunkt der Broschüre ist gut gewählt, da er hoch anschlussfähig ist an erwachsenenpädagogische und hochschuldidaktische Diskurse. Die hier vorliegenden Ausführungen können vor diesem Hintergrund einen wichtigen Beitrag zur Fachdiskussion leisten. Allerdings löst die Kompetenz-Systematik, wie sie hier vorgestellt wird, einige Fragen aus. Warum ist beispielsweise die "Fähigkeit, zu ermutigen ohne zu schönen" (32) dem Kompetenzbereich "Selbstkompetenz" und nicht der "Sozialkompetenz zugeordnet? Während interkulturelle Kompetenz (33) der sozialen Kompetenz subordiniert wird, bildet die "Fähigkeit zur zeitgemäßen Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses in der postgradualen Phase" (38) einen eigenen Kompetenzbereich – ist interkulturelle Kompetenz nicht auch ein eigenständiger Kompetenzbereich oder liegt gleichsam quer zu den anderen Kompetenzbereichen? Auch der Begriff "Selbstorganisation" (30) als Unterpunkt der Selbstkompetenz könnte verwirrend sein, da er im erwachsenenpädagogischen Diskurs als feststehender Begriff mit einer anderen Konnotation verwendet wird – unverfänglicher wäre hier ein Begriff wie Selbstmanagement. Insgesamt wäre in diesem Kapitel der Hinweis auf den Idealtypus derartiger Systematisierungen wünschenswert.

Zentrale Zusammenhänge und Probleme werden klar benannt, z. B. der Sachverhalt, dass Studierende zunächst auf einen "sinnvollen Gebrauch akademischer Freiheit" vorbereitet werden müssten - stattdessen wird ihnen "ein verschultes Studium verordnet" (27). An dieser und weiteren Stellen würde man sich Ausführungen wünschen, die derlei Desiderata mit dem Kompetenzprofil verbinden und diese damit kritisch-konstruktiv anschlussfähig machen.

Der Text atmet insgesamt eine hohe Parteilichkeit für die Sache und hat an manchen Stellen einen stark normativen Charakter. Auch wenn die jeweiligen Postulate einleuchten bzw. ihnen schwer zu widersprechen ist, wären Begründungen für deren Auswahl bzw. Einsatz sinnvoll. Warum beispielsweise werden die Ausbildungsziele und Werte der "Kolleginnen und Kollegen in der Staff and Educational Development Association" (22) an dieser Stelle (Kapitel 5: Fähigkeit zur Verbindung von Forschung und Lehre) übernommen?

Das Vorhaben, ein Qualifikationsprofil des Hochschullehrers/der Hochschullehrerin herzuleiten und zu beschreiben, ist neu und lohnenswert. Die Stringenz der Argumentation vermag jedoch nicht durchgehend zu ĂĽberzeugen. Insofern ist die Schrift gleichsam Einladung und Aufforderung, an der weiteren systematischen ErschlieĂźung des Themas "Lehrkompetenz" zu arbeiten.
Karin Reiber (TĂĽbingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Karin Reiber: Rezension von: Webler, Wolff-Dietrich: Lehrkompetenz – ĂĽber eine komplexe Kombination aus Wissen, Ethik, Handlungsfähigkeit und Praxisentwi, Bielefeld: Universitäts Verlag Webler 2004. In: EWR 4 (2005), Nr. 2 (Veröffentlicht am 06.04.2005), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/93702627.html