EWR 6 (2007), Nr. 4 (Juli/August 2007)

Heinrich Greving (Hrsg.)
Kompendium der HeilpÀdagogik
Band 1 (A - H)
Troisdorf: Bildungsverlag Eins 2007
(468 S.; ISBN 978-3-427-04874-9; 30,90 EUR)
Heinrich Greving (Hrsg.)
Kompendium der HeilpÀdagogik
Band 2 (I - Z)
Troisdorf: Bildungsverlag Eins 2007
(400 S.; ISBN 978-3-427-04877-0; 30,90 EUR)
Kompendium der HeilpĂ€dagogik Kompendium der HeilpĂ€dagogik Das gerade erschienene zweibĂ€ndige, von Heinrich Greving herausgegebene „Kompendium der HeilpĂ€dagogik“ unterscheidet sich von den gegenwĂ€rtigen EinfĂŒhrungen und Überblicken des Faches (eine Sammelrezension folgt) in zweierlei Hinsicht: Einerseits verzichtet es in wohltuender Weise auf die nach wie vor ĂŒbliche prominente Aufgliederung des Faches in behindertenspezifische Fachrichtungen und andererseits deutet das Preisniveau darauf hin, dass es nicht in erster Linie von Studierenden gekauft, sondern als Nachschlagewerk in den Bibliotheken vorgehalten werden soll (beide BĂ€nde sind als Hardcover erschienen mit durchgehend zweifarbiger Gestaltung).

Das Werk ist in insgesamt 80 Stichworte in alphabetischer Reihenfolge gegliedert, die ebenfalls teilweise aus dem ĂŒblichen Rahmen fallen (z.B. ‚Daseinsgestaltung‘ – bearbeitet von Emil E. Kobi, ‚EuropĂ€ische HeilpĂ€dagogik‘ – bearbeitet von Alois BĂŒrli, ‚Fachbereichstag HeilpĂ€dagogik‘ – bearbeitet von Norbert Störmer oder ‚Zeichen‘, bearbeitet von Christian MĂŒrner). Ein Blick auf den Titel, die Herkunft des Herausgebers und die einschlĂ€gig ausgewiesene Autorenschaft verweist dabei auf eine deutliche Orientierung dieses Kompendiums auf den außerschulischen Bereich, und hier auf das vorwiegend an bundesdeutschen Fachhochschulen angesiedelte Fach ‚HeilpĂ€dagogik‘. Dabei sind die Aufnahme von aktuellen Forschungsgebieten (Disability Studies, Professionalisierung) und die Bezugnahme auf die verĂ€nderte Sozialgesetzgebung (Persönliches Budget, Assistenz) besonders zu begrĂŒĂŸen.

Wie im knappen Vorwort betont wird, wird HeilpĂ€dagogik hier als Handlungswissenschaft gefasst. Die Aufbereitung der Stichworte erfolgt nach jeweils gleichem Schema (Etymologie, Geschichte des Stichworts, Aktuelle Relevanz und theoretische AnsĂ€tze, Problem- und Erfahrungsfelder, Ausblick, kommentierte Literaturliste). Diese Einteilung erweist sich als weitgehend tragfĂ€hig, allerdings ist die Relevanz eines etymologischen Zugriffs in diesem Bereich nicht unumstritten, so zitiert denn auch Dieter Gröschke im Stichwort ‚Behinderung‘ an dieser Stelle Heidegger:

„Jede Etymologie wird zu einer sinnlosen Spielerei mit Wörtern, wenn der Sprachgeist der Sprache, d.h. das Wesen des Seins und der Wahrheit, nicht erfahren ist, woraus die Sprache spricht.“ Bd. 1, 97).

Hinsichtlich der Gliederung könnte man allerdings kritisch einwenden, dass die unterschiedlichen Ebenen der behandelten Thematiken wie behinderungsspezifische Fachrichtungen (Blinden-/Sehbehinderten-, Hör-, und LernbehindertenpĂ€dagogik), Theorierichtungen (Kritisch-Materialistische und Empirische BehindertenpĂ€dagogik, Geisteswissenschaftliche HeilpĂ€dagogik, Konstruktivismus), Syndrome (Schwerstbehinderung, Verhaltensstörungen, Trisomie 21, Autismus), methodische Fragestellungen (Basale Kommunikation, Ästhetische Erziehung, GesprĂ€chsfĂŒhrung, heilpĂ€dagogische Übungsbehandlung etc.), Konzepte (Empowerment, Normalisierungsprinzip etc.), entwicklungsbezogene Thematiken (Spielen, Sprache etc.), institutionelles Handeln (Wohnen, FrĂŒhförderung etc.), berufsbezogene Fragestellungen (Professionstheorie, StĂ€ndige Konferenz der AusbildungsstĂ€tten etc.) sowie allgemein erkenntnistheoretische Überlegungen (Neurophysiologische Grundlagen, Wahrnehmung, Zeichen etc.) und weitere Themenkomplexe in einer rein alphabetischen Stichwortanordnung die Systematik des Faches nicht wiedergeben können. Dieses hĂ€tte aber so einem Grundlagenwerk gut getan, auch weil dann offensichtliche LĂŒcken (so fehlen z.B. Geistige Behinderung, Körper- und Sprachbehinderung als Syndrome, wie auch Systemische ZugĂ€nge im Bereich von Theorie und Methodik, und schließlich zentral auch das Stichwort ‚Integration/Inklusion‘) geschlossen wĂ€ren. SelbstverstĂ€ndlich sind solche Kompendien immer unvollstĂ€ndig, aber eine erkennbare Systematik des Faches hĂ€tte hier auf beabsichtigte und unbeabsichtigte LĂŒcken aufmerksam machen können.

Auch ist es bedauerlich, dass keine weitere Verschlagwortung stattgefunden hat, durch die Querverbindungen zu den unterschiedlichen Stichworten herstellbar gewesen wĂ€ren. DafĂŒr erscheint ein identisches Literaturverzeichnis sowohl in Band 1 als auch in Band 2.

Von diesen Problemen abgesehen, die fast immer mit der Herausgeberschaft eines solchen Unterfangens verbunden sind, werden jedoch die jeweiligen Stichwortartikel dem Anspruch gerecht, einen Überblick ĂŒber die historische und gegenwĂ€rtige Bedeutung des gestellten Themas vorzulegen und dabei auf einschlĂ€gige, weiterfĂŒhrende Literatur hinzuweisen. Insofern leistet dieses Nachschlagewerk einen wichtigen Beitrag im Sinne eines aktuellen einfĂŒhrenden Überblicks in spezifische heilpĂ€dagogische Themenfelder und erfĂŒllt auch hinsichtlich der Lesbarkeit der Texte diesen Anspruch. Die bislang vorwiegend aus sonderschulischer Perspektive verfassten EinfĂŒhrungs- und Überblickswerke erfahren durch das „Kompendium der HeilpĂ€dagogik“ eine wichtige ErgĂ€nzung.
Vera Moser (Gießen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Vera Moser: Rezension von: Greving, Heinrich (Hg.): Kompendium der HeilpĂ€dagogik, Band 1. Troisdorf: Bildungsverlag Eins 2007. In: EWR 6 (2007), Nr. 4 (Veröffentlicht am 26.07.2007), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978342704874.html