EWR 15 (2016), Nr. 3 (Mai/Juni)

Klaus-Dieter Beims
Antike Texte an christlichen Schulen
Die römischen Autoren im Lateinunterricht des Halleschen Pietismus
Reihe: Hallesche Forschungen, Band 41
Wiesbaden: Harrassowitz 2015
(482 S.; ISBN 978-3-447-10386-2; 62,00 EUR)
Antike Texte an christlichen Schulen Klaus-Dieter Beims, Altphilologe und selbst im Lehramt tätig, legt mit seiner 2015 im Druck erschienenen Dissertation auf stolzen 482 Seiten eine akribisch recherchierte und in ihrer Materialfülle beeindruckende Monografie zur „Geschichte des gelehrten Unterrichts“ vor: am Beispiel des Lateinunterrichts am Paedagogium regium, der Eliteschule der hochberühmten Franckeschen Stiftungen zu Halle , dokumentiert er Bildungskanon und praktische Umsetzung der Lernziele für die auch an der Schwelle zum 18. Jh. für Franckes pietistische „Reformschule“ noch unverzichtbare lingua franca – das Latein – und belegt, dass die Krone der Franckeschen Anstalten zumindest sub specie latinitatis noch immer traditionelle althumanistische Gelehrtenschule war [1]

Über Unterrichtsinhalte und Stundentafeln für den lateinischen Unterricht gibt Francke selbst in seinen Schulordnungen von 1702 und 1721 in extenso Auskunft. Diese abstrakten Vorgaben durch die Auswertung der von den Informatoren geforderten und geführten Lektionsbücher , die bislang ungedruckt im Archiv der Franckesche Stiftungen lagern, erlebbar zu machen, ist das Haupt-Verdienst der vorliegenden Arbeit: In bewundernswerter (den Leser zuweilen erschöpfender) Kleinarbeit dokumentiert und exemplifiziert Beims an diesen Quellen Lehrbetrieb und Lehrinhalte, Lernpensen und Arbeitstempo in den nach Leistungsniveau gestuften Lateinklassen Quinta, Quarta, Tertia, Secunda und Prima und berücksichtigt ebenso die seit Paulsen und Eckstein stetig gewachsene Sekundärliteratur.

Breiten Raum nehmen in Quinta – wie Beims belegt – zunächst die Lehrwerke des verdienstvollen Christophorus Cellarius sowie ihre Bearbeitungen durch Johann Christian Schöttgen ein, den Kanon der Originalautoren der höheren Stufen eröffnet der (bekanntlich bereits von Comenius als erster Schulautor abgesegnete) Cornelius Nepos, in Secunda und Prima treten Caesar und Cicero hinzu. Das Bildungs- oder besser Ausbildungsziel bleibt das Erreichen geläufiger Sprachkompetenz vor allem im Bereich lateinischer Schriftlichkeit (cf. Ciceros Briefe) und Rhetorik; der ethischen Komponente trägt die Lektüre von „De officiis“ Rechnung.

Während aus der Sicht des heutigen Lateinlehrers in allen Klassenstufen immense (vor allem Lektüre-)Pensa bewältigt werden, wird von den zeitgenössischen Lehrkräften bereits ein Leistungsniedergang konstatiert, dem u.a. Förderklassen wie die Latina Secunda inferior entgegensteuern sollen. Die in der Arbeit nicht näher beleuchteten Ursachen dürften im Geist der Zeit liegen: auch und gerade in Halle sinkt spätestens seit Thomasius (der seit 1690 in Halle wirkt) der Stern des Lateinischen, auch wenn am Paedagogium regium (widrigenfalls Taschengeldkürzung[2]) den Zöglingen auch privatim nur lateinische Konversation gestattet blieb.

Dem im engeren Sinne „pietistischen“ Moment des lateinischen Unterrichts widmet Beims ein eigenes umfängliches Kapitel. Hauptautoren bzw. -bearbeiter der christlich motivierten Textauswahl sind Joachim Lange und Hieronymus Freyer. Freyer hatte bereits 1735 die Frage, „an scriptores pagani in scholis tolerandi sint“ „tolerant“ beantwortet und den stilistischen Nutzen über die potentielle moralische Gefährdung (die der verbotenen Frucht noch in viel höherem Maße innewohnen könne) gestellt. So finden sich denn im Lektürekanon – wenn auch z.T. ad usum Delphini gereinigt und „entmythologisiert“ – neben Horaz (Carmina) und Terenz (cf. Freyers Colloquia Terentiana oder Langes Flores) u.a. auch Vergil und Ovid.

Im letzten Kapitel geht Beims kontrastierend zur althumanistischen Tradition Franckes auf die Intentionen des Neuhumanisten Gesner ein und unterstreicht, daß der ältere Neuhumanismus Latein als Kommunikationsmittel der gelehrten Welt weiterhin beibehält, sich zugleich aber inhaltlich den Bildungswerten der Antike durch unzensierten Zugang zu den Originalen ganz öffnet. Wechselbeziehungen zu den Einrichtungen Franckes werden nicht beleuchtet.

Interessant ist die Einbeziehung des berühmten Rektors der Thomasschule, den noch Basedow als Mitstreiter gegen den „Schulstaub“ [3] beschwören wird, in jedem Falle.

Dem Umfang der gründlich recherchierten Dokumentation Beims' trägt der des Anhanges (367-482) Rechnung mit Verzeichnis der Quellen und Sekundärliteratur, Personen- und Sachregister und – besonders verdienstvoll – den vorzüglichen Übersetzungen aller zitierten lateinischen Quellen, auch wenn ihre Notwendigkeit – diese Anmerkung sei der Rezensentin in ihrer Profession als Altphilologin gestattet – belegt, welche Kluft den heutigen akademisch gebildeten Leser von den ihrer schwindenden Lateinkenntnisse inkulpierten Zöglingen des Franckeschen Institutes inzwischen trennt.

[1] Das Inhaltsverzeichnis der Arbeit findet sich unter: http://d-nb.info/1067670351/04
Verwiesen sei auch auf die umfangreiche Besprechung von Hanspeter Marti: http://ifb.bsz-bw.de/bsz428442757rez-1.pdf

[2] Paulsen, F.: Geschichte des gelehrten Unterrichts. Leipzig: Von Veit und Comp 1885. Digitale Ausgabe verfĂĽgbar unter: https://archive.org/stream/geschichtedesge01paulgoog#page/n6/mode/2up

[3] Basedow, J.B.: Das in Dessau errichtete Philanthropin. Leipzig 1774, 9
Inge Karl (Halle / Saale)
Zur Zitierweise der Rezension:
Inge Karl: Rezension von: Beims, Klaus-Dieter: Antike Texte an christlichen Schulen, Die römischen Autoren im Lateinunterricht des Halleschen Pietismus Reihe: Hallesche Forschungen, Band 41. Wiesbaden: Harrassowitz 2015. In: EWR 15 (2016), Nr. 3 (Veröffentlicht am 25.05.2016), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978344710386.html