EWR 14 (2015), Nr. 1 (Januar/Februar)

Meyer zu Schlochtern, Josef (Hrsg.)
Die Academia Theodoriana
Von der Jesuitenuniversität zur Theologischen Fakultät Paderborn, 1614-2014
Paderborn: Schöningh 2014
(667 S.; ISBN 978-3-506-77976-2; 78,00 EUR)
Die Academia Theodoriana Schon 1614 wurde im Fürstbistum Paderborn eine Universität gegründet, die dann – von Kaiser Matthias und Papst Paul V. im Folgejahr förmlich privilegiert – ihren Lehrbetrieb lange vor der Entstehung der nachmals so berühmten und traditionsreichen deutschen Hochschulen in Halle (1694) oder Göttingen (1737) aufnahm. Damit öffnete sie ihre Pforten auch deutlich vor der Zeit der Gründung ihrer wohl wichtigsten westfälischen Konkurrentin, der Universität Münster, die erst ab 1773 Vorlesungen anbot, obgleich auch sie schon seit dem frühen 17. Jahrhundert über gültige Gründungsprivilegien von Kaiser und Papst verfügte. Von Anfang an zog Paderborn interessante Gelehrte an, wobei der bedeutendste von ihnen gewiss der Theologe und Dichter Friedrich Spee war, der Verfasser des bekannten Adventsliedes „O Heiland, reiß die Himmel auf“ (1622). Als Autor der „Cautio Criminalis“ (1631) war er zugleich einer der wichtigsten Kritiker der frühneuzeitlichen Hexenprozesse. Zwischen 1623 und 1630 lehrte Spee in Paderborn Logik, Physik und Moraltheologie.

In ihrer langen Geschichte erlebte die Universität Paderborn neben herausragenden Momenten geistiger Strahlkraft aber auch bedrückende Jahre, insbesondere in den Jahrzehnten der napoleonischen Wirren, als sie erst preußisch wurde, dann zum neugebildeten Königreich Westfalen kam, bis sie nach der Niederlage Napoleons wieder an Preußen fiel, um schließlich im Zuge der preußischen Neuorganisation des Hochschulwesens – mit dem Plan, in Bonn eine neue Landesuniversität zu errichten – im Jahr 1818 ihre Aufhebung widerstrebend zu erdulden. Dieses Schicksal teilte sie mit der Universität Münster, denn beide westfälischen Universitäten wurden im selben Zeitraum und in einem Zuge von den zuständigen preußischen Bildungsbehörden zu bloßen „Lehranstalten“ herabgestuft.

Doch anders als die Universität Münster, die 1902 ihren Universitätsstatus nach beharrlichem Bemühen zurückerlangen konnte, sollte ein Gleiches der Lehranstalt in Paderborn zu keinem späteren Zeitpunkt mehr gelingen, obgleich hier ein entsprechender Wunsch nicht minder ausgeprägt vorhanden war. Denn die heute existierende Universität Paderborn, um das an dieser Stelle schon einmal deutlich hervorzuheben, ging nicht aus der zur Lehranstalt abgewerteten älteren Universität hervor. Sie ist eine gänzliche Neugründung, ein Produkt der umfassenden Hochschulreformen der noch jungen Bundesrepublik Deutschland, hervorgegangen aus der 1946 gegründeten Pädagogischen Akademie Paderborn, die 1972 zunächst zur Gesamthochschule und dann, im Jahr 2002, zur Universität aufgewertet wurde.

Diese etwas ausführlicher geschilderten Zusammenhänge sollten unbedingt als bekannt vorausgesetzt werden, um zu verstehen, wie der voluminöse und vom Paderborner Fundamentaltheologen Josef Meyer zu Schlochtern herausgegebene Band zu verstehen, einzuschätzen und zu beurteilen ist; ein Band, der die faszinierende Entwicklungsgeschichte der älteren Paderborner Universität in Form von 28 Einzelbeiträgen ausgewiesener Fachleute – Theologen aller Disziplinen sowie Universitäts-, Kirchen-, Landes-, Frühneuzeit- oder auch Verfassungshistoriker – eingehend beleuchtet und analysiert. Meyer zu Schlochtern kommt es darauf an zu zeigen, dass die Academia Theodoriana – wie die alte Paderborner Universität bereits seit 1614 auch hieß, benannt nach ihrem Gründer, dem Fürstbischof Dietrich (lat. Theodor) IV. von Fürstenberg – zwar 1818 zur Lehranstalt degradiert wurde, aber in dieser neuen Gestalt eben nicht unterging. Fortentwickelt wurde sie im Jahr 1917 zur „Bischöflich philosophisch-theologischen Akademie“, welche dann ab 1966 den Namen „Theologische Fakultät Paderborn“ tragen durfte, verbunden mit dem Recht, die akademischen Grade zu verleihen. Für Meyer zu Schlochtern gilt es damit als ausgemacht, dass diese heutige Theologische Fakultät noch immer als eine „universitäre Hochschule“ (27) zu betrachten ist. In jedem Fall ist sie heute diejenige Paderborner Hochschule, die sich in der „Kontinuität mit der Academia Theodoriana des Anfangs“ (27) weiß. So kommt es zum selbstbewussten Untertitel des Bandes: „Von der Jesuitenuniversität zur Theologischen Fakultät Paderborn, 1614–2014“.

Einerseits liegt nun also mit diesem Band eine Universitätsgeschichte vor, die als klassische Jubiläumsgabe gelten kann, publiziert anlässlich der zeitgemäßen Erinnerung an die vor 400 Jahren erfolgte Gründung der Academia Theodoriana. Andererseits aber gibt ein solches Werk auch generell Anlass zur exemplarischen Reflexion darüber, wie die Geschichte einer jahrhundertealten Hochschule überhaupt geschrieben und durchgängig erzählt werden kann, deren universitäre Tradition nicht bruchlos ist. Eine solche, von Diskontinuitäten geprägte Geschichte weisen neben Paderborn und dem bereits genannten Münster ja einige deutsche Universitäten auf, so beispielsweise die Universität Mainz – die 1477 gegründet, 1798 von französischen Besatzern geschlossen und 1946 von einer ganz andersartigen französischen Militärregierung wiederbegründet wurde – oder auch die Universität Bamberg, gegründet 1647, zu Beginn des 19. Jahrhunderts aufgelöst, als Lyzeum fortgeführt, wiederbegründet als Philosophisch-Theologische Hochschule im Jahr 1923 und schließlich erweitert zur Gesamthochschule, die seit 1979 wieder den Namen einer Universität tragen darf. Auch die Universitäten in Duisburg, Kassel oder Osnabrück ließen sich in diesem Zusammenhang anführen. Was können Bildungshistoriker, die sich mit der deutschen Universitätsgeschichte beschäftigen – vor allem auch mit den in ihr sichtbar werdenden typischen Brüchen –, aus dem neuen Paderborner Band lernen?

Im Wesentlichen lernen lässt sich wohl dies: Eine Bildungsinstitution kann sich immer dann in die Traditionslinie einer in Jahrhunderten sowohl äußerlich als auch innerlich vielfach umgestalteten Vorgängeranstalt stellen, wenn ein roter Faden sichtbar gemacht werden kann, ein stabiles Bildungsziel, ein über die Zeiten hinweg gleichbleibender Name, eine kontinuierliche und identitätsstiftende Traditionspflege, welche Generationen von Lernenden und Lehrenden miteinander verbindet. Für die heutige Paderborner Theologische Fakultät, die sich in der Nachfolge der 1614 gegründeten Universität weiß, lässt sich jedenfalls sagen, dass ihr in der vorliegenden Universitätsgeschichte geschildertes Selbstverständnis nicht trügt: Bis heute bezeichnet sie sich als Academia Theodoriana, leistet bedeutende universitäre Lehre, verleiht die akademischen Grade und pflegt in Lehre und Forschung jene wissenschaftlichen Disziplinen, die schon 1614 im Zentrum des Hochschulcurriculums standen, namentlich die katholische Theologie und die Philosophie.

Die wichtigsten Beiträge des Bandes lassen die beeindruckende Geschichte der Paderborner Academia Theodoriana vor den Augen des Lesers klar konturiert sichtbar werden. Der an der heutigen Universität Paderborn lehrende Frühneuzeithistoriker Johannes Süßmann führt eingangs aus (101–117), dass der Universitätsgründer Dietrich von Fürstenberg, der die Jesuiten mit der Gründung der Hochschule beauftragte, diesen Orden nicht nur aus religiösen, auf Rekatholisierung des Landes zielenden Erwägungen unterstützte, sondern auch deshalb, weil der Orden zur Sicherung der fürstbischöflichen Landesherrschaft beitragen sollte. Denn Fürstenbergs und die kirchliche Landesherrschaft überhaupt waren am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges durch vielerlei Umstände bedroht. Große Teile Ostwestfalens waren reformiert und auch ganz grundsätzlich zweifelten die protestantischen Stände die kirchlich-katholischen Landesherrschaften an. Dem versuchten die Jesuiten durch eine „verborgene Agenda“ (112) gegenzusteuern: Den Studierenden wurde vermittelt, dass alles menschliche Leben der geistlichen Führung bedarf, die bei den Jesuiten lag – und beim Fürstbischof. So vermittelte die neue Universität ihren Studierenden diese Notwendigkeit bischöflicher (Hirten-)Führung. Süßmanns Interpretation des Gründungsgeschehens der Universität ist besonders wertvoll, weil die von ihm geschilderte eminent politische Bedeutung der Universitätsgründung bislang noch kaum ins Auge gefasst wurde.

Dass die Universität dann aber im 17. Jahrhundert auch dem kritischen Denken Raum ließ, belegen gleich zwei Beiträge, die sich dem Wirken Friedrich Spees widmen. Hans Gleixner beleuchtet Leben und theologisches Profil seines Werkes (157–174), während Frank Sobiech Spees Verhalten während der Zeit der Hexenverfolgungen untersucht (175–190) und zu dem Schluss kommt, dass dessen Kritik „nicht die Meinung eines Einzelgängers war, sondern dem Geist seines Ordens entsprach“ (178). Gefolgt werden diese aufschlussreichen Beiträge von einer von Michael Ströhmer verfassten, längeren Analyse der nun von „Strukturkonservatismus“ (207) geprägten Paderborner Jesuitenuniversität im Zeitalter der Aufklärung (207–238).

Der Abschnitt der Geschichte der Academia Theodoriana, der im Band die größte Aufmerksamkeit beansprucht, ist die Zeit zwischen der Aufhebung der Universität im Jahr 1818 und ihrer 1966 erfolgten, bis heute gültigen Umwandlung in die als staatliche Hochschule anerkannte „Theologische Fakultät“. Hervorzuheben sind hier die verschiedenen Beiträge von Benjamin Dahlke, der zum einen die Lehre der Hochschule zur Zeit des Kulturkampfs beschreibt (265–312), zum anderen aber auch ehrlich und außerordentlich gründlich untersucht, wie sich Lehrende und Studierende in der Zeit des Nationalsozialismus verhielten (313–346), wobei er folgert, dass in Paderborn „die Distanz gegenüber dem Nationalsozialismus“ dominierte, „bedingt nicht zuletzt durch die fortwährende Prägekraft des katholischen Milieus und die nach außen doch recht starke Abgeschlossenheit der verschiedenen Priesterausbildungsstätten“ (332). Unerwähnt bleibt an dieser Stelle lediglich, dass der heute weltweit rezipierte Philosoph Hans Blumenberg, der seit 1970 als Professor an der Universität Münster lehrte, im Jahr 1939 zeitweilig als Student an der Paderborner Academia Theodoriana Zuflucht suchte, weil er dort vergleichsweise frei und kritisch arbeiten durfte.

Aspekte der Bau-, Kunst- und Bibliotheksgeschichte der Academia Theodoriana bleiben im Band nicht unbeachtet. Sie werden von Klaus Hohmann, Eva-Maria Sing, Norbert Börste, Josef Meyer zu Schlochtern und Hermann-Josef Schmalor ausführlich untersucht und beschrieben (435–538), wobei diese Beiträge allesamt sehr davon profitieren, dass ihnen aussagekräftige Illustrationen beigegeben sind, die – zum Teil auch in Form von Farbtafeln – den gut ausgestatteten Band auch an anderer Stelle schmücken. Auch einschlägige Statistiken, die sämtliche Professoren der Academia Theodoriana oder alle zwischen 1617 und 2014 angefertigten Promotionen und Habilitationen auflistet – wie die 1978 vorgelegte Habilitationsschrift des umstrittenen Theologen Eugen Drewermann, der bis zu seiner Suspendierung im Jahr 1991 an der Theologischen Fakultät unterrichtete – fehlen im Band nicht. Drewermanns Wirken wird zudem in einem einfühlsam und klar geschriebenen Beitrag von Konrad Schmidt, der die Entwicklung der Theologischen Fakultät seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil thematisiert, ausführlich gewürdigt (378–384).

Wiewohl der Band insgesamt überaus gelungen ist und den wissenschaftlichen Standards einer modernen Universitätsgeschichte voll und ganz genügt, bleibt aber doch kritisch anzumerken, dass dem in die Paderborner Hochschulgeschichte nicht gründlich eingeweihten Leser über weite Strecken verborgen bleibt, welche Beziehung die Theologische Fakultät nun eigentlich zur heutigen Universität Paderborn hat und warum die neue Paderborner Universität nicht aus der alten hervorging, vielleicht sogar von der damals SPD-geführten nordrhein-westfälischen Landesregierung als explizite Gegengründung zu der dem katholisch-christdemokratischen Milieu verbundenen Academia Theodoriana gemeint und gewollt war – wie ja übrigens auch schon die Errichtung der benachbarten Universität Bielefeld im Jahr 1969 als eine Art Gegenentwurf zu Paderborn zu verstehen ist. Vielleicht sind es die noch nicht vollends verheilten Wunden der Enttäuschung über diese in den 1960er und 1970er Jahren getroffenen Entscheidungen, die als Ursache dafür gelten können, dass nur an wenigen Stellen des Bandes über die heutige Universität Paderborn gesprochen wird.

Immerhin erfahren die Leser dann aber doch, dass es zwischen der Theologischen Fakultät und der Universität Paderborn seit einigen Jahren Kooperationsvereinbarungen zwischen den jeweiligen theologischen und philosophischen Instituten und Fakultäten gibt, die es den Studierenden beider Hochschulen erlauben, von den Angeboten beider Bildungseinrichtungen zu profitieren (408–410). Diese Zusammenarbeit weiter auszubauen, das wäre sowohl der Universität als auch der Theologischen Fakultät zu wünschen, damit sich beide Hochschulen gemeinsam in der Verantwortung sehen, eine möglichst breit gefächerte, gute universitäre Lehre zu erteilen – an einem Ort, der nun schon seit 400 Jahren eine stolze Universitätstradition vorzuweisen hat.
JĂĽrgen Overhoff (MĂĽnster)
Zur Zitierweise der Rezension:
JĂĽrgen Overhoff: Rezension von: Schlochtern, Josef Meyer zu (Hg.): Die Academia Theodoriana, Von der Jesuitenuniversität zur Theologischen Fakultät Paderborn, 1614-2014. Paderborn: Schöningh 2014. In: EWR 14 (2015), Nr. 1 (Veröffentlicht am 06.02.2015), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978350677976.html