EWR 8 (2009), Nr. 6 (November/Dezember)

Rainer A. Müller (Hrsg.)
Bilder – Daten – Promotionen
Studien zum Promotionswesen an deutschen Universitäten der frühen Neuzeit
(Bearbeitet von Hans-Christoph Liess und Rüdiger vom Bruch)
Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2007
(390 S.; ISBN 978-3-515-09039-1; 53,00 EUR)
Bilder – Daten – Promotionen Der vorliegende Sammelband stellt in gewisser Weise eine Art Vermächtnis des verstorbenen Eichstätter Frühneuzeithistorikers Rainer A. Müller (1944–2000) dar. Es ist das Verdienst des Historikers Rüdiger vom Bruch und seiner Mitarbeiter, dass das Kongressdokument trotz des viel zu frühen Todes des Herausgebers überhaupt erscheinen konnte, dem sein Eichstätter Kollege Karsten Ruppert einen sensiblen Nachruf verfasst hat (378–381). Die insgesamt zehn Beiträge des Sammelbandes, die „nach Verortung und Facetten, nach Deutung und Bedeutung des Graduierungswesens an deutschen Universitäten der Frühmoderne“ (7) fragen, repräsentieren in mancherlei Hinsicht die gesamte Bandbreite des universitäts- und bildungsgeschichtlichen Forschungsprofils Müllers, der als einer der Pioniere der Sozial- und Kulturgeschichte der Universität in Deutschland bezeichnet werden muss. Sein Œuvre – beigefügt ist auch ein Schriftenverzeichnis Müllers (382–390) – legt wie auch die im vorliegenden Band versammelten Beiträge beredt Zeugnis ab von der Einlösung des zentralen Postulats moderner Universitäts- und Bildungsgeschichte von der fruchtbaren Verbindung klassischer Forschungszugänge der Institutionen- und Verfassungs-, der Wissenschafts- und Gelehrtengeschichte mit sozial- und kulturhistorischen Problem- und Fragehorizonten.

Dies gilt etwa für die stärkere Einbeziehung von Bildern als historische Quellen – ein Anliegen, welches Rainer A. Müller bereits in anderen Studien stets konsequent verfolgt hat. Die Universitätsgeschichtsforschung hat sich nur selten mit dieser Quellengattung beschäftigt, was auch daran liegt, dass das vormoderne Hochschulwesen nur wenig beziehungsweise thematisch stark eingeschränkte Bildquellen hinterlassen hat. Wolfgang Smolkas „Gedanken zur akademischen Ikonographie“ (11–23) sind unter diesem Aspekt auch als leidenschaftliches Plädoyer zu lesen. Dies zeigt er am Beispiel der Analyse von vormodernen „Disputations- und Promotionsszenen“ und verweist auf die in Aufbau befindliche Eichstätter Bilder-Datenbank „AkadBild“. Nicht minder anregend sind die Ausführungen von Wolfgang E. J. Weber zur „Rolle des Bildes in der Universitätsgeschichte“ (24–55), welche einen ersten Einblick in die erstaunliche Vielfalt bildlicher Darstellungen aus dem akademischen Leben geben und – etwa am Beispiel der im Laufe der Frühen Neuzeit zunehmend typisierten Professorenporträts – neue Auswertungsperspektiven aufzeigt. Inwieweit auch aufwändig erstellte akademische Druckwerke in Text und Bild Ausdruck einer spezifisch ständischen Repräsentationskultur waren, zeigt die Studie von Sibylle Appuhn-Radtke über „Thesenblätter als Dokumente barocken Mäzenatentums“ (56–83). Exemplarisch an der Emblematik und den Widmungsadressen illustrierter Thesenblätter kann sie die Zusammenhänge von (adliger) Patronage und akademischer Graduierungspraxis aufzeigen.

Mehrere Beiträge im Sammelband beschäftigen sich im engeren Sinne mit dem Promotions- und Graduierungswesen an deutschen Universitäten, so etwa die beiden Studien von Manfred Komorowski. Die erste behandelt das „Promotionswesen an den Universitäten Königsberg und Duisburg“ (303–318), auch wenn ein echter Vergleich dieser beiden protestantischen Hochschulen nicht zuletzt aufgrund der im späteren 17. und 18. Jahrhundert bezüglich der schieren studentischen Besucherzahlen sehr unterschiedlichen Verhältnisse zuweilen schwer fällt. Königsberg und Duisburg waren typische „Promotionsuniversitäten“, die sich durch geringe Kosten bei der Graduierung auszeichneten. Echte Pionierarbeit leistet hingegen die zweite Studie von Komorowski, welche 382 Inauguraldissertationen der Universität Heidelberg in ihrer späthumanistischen Blütezeit am Beginn des 17. Jahrhunderts sorgfältig auswertet (319–377). Die Studie ist gerade für wissenschafts- und personengeschichtliche Fragestellungen wertvoll, werden doch einerseits die Heidelberger Professoren des 17. Jahrhunderts in ihrer Funktion als Präsides aufgelistet (330–333), andererseits eine bio-bibliographische Prosopographie Heidelberger Graduierter anhand der ermittelten Dissertationsdrucke – geordnet nach den vier Fakultäten und mit einem Personen- und Ortsregister (364–376) versehen – erstellt (333–364). Dagegen stellt Michael Maaser aus seiner leider noch unveröffentlichten Dissertation lediglich in vagen Grundzügen und auf sehr begrenztem Raum „Studium und Doktorpromotion an der Universität Helmstedt im späten 16. Jahrhundert“ vor (120–125). Von einigem Interesse ist sein knapper Hinweis auf die Sakralität des Graduierungsaktes, wenngleich die Formulierung, dass „Promotionen als akademisches Sakrament“ (123) zu betrachten seien, dann wohl doch etwas überpointiert erscheint.

Reiner Flik untersucht erstmals systematisch das „Promotionswesen der Staatswirtschaftlichen bzw. Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen“ (274–302) und kommt dabei zu bemerkenswerten Ergebnissen. Die Staatswirtschaftliche Fakultät – institutioneller Vorläufer der heutigen Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät – wurde im Jahre 1817 als fünfte Fakultät an der reorganisierten Tübinger Universität eingerichtet. Dargestellt werden neben den Umständen der Errichtung der Fakultät aus der Tradition kameralwissenschaftlicher Studien innerhalb der Philosophischen Fakultät insbesondere der Kampf um das Promotionsrecht und die Entwicklung ihres Studien- und Promotionswesens bis zur Einführung der Diplomstudienordnung Volkswirtschaftslehre (1923) im Spannungsfeld von Universitätsautonomie und staatlichen Eingriffen. Es wird deutlich, dass das bis in aktuelle universitätsgeschichtliche Darstellungen zuweilen noch bemühte Bild von der vermeintlichen Wirkmächtigkeit der Humboldtschen Reformen um 1800 außerhalb des Königreichs Preußen kaum zutrifft. In Tübingen lebten bis ins frühe 20. Jahrhundert vielmehr ältere, auf die Vormoderne verweisende Strukturen fort – so etwa Studiengebühren als Teil der Professoreneinkünfte –, die Reformanstrengungen nachhaltig behinderten.

Interessante Analogien zum Promotionswesen weist Kurt Mühlberger in seinem Beitrag über „Poetenkolleg und Dichterkrönung in Wien“ auf (84–119). Er gibt unbekannte Einblicke in die Gründungsgeschichte des „Collegium Poetarum et Mathematicorum“ nach der Berufung von Conrad Celtis an den kaiserlichen Hof Maximilians I. in Wien. Aus den wenigen Überlieferungen rekonstruiert Mühlberger die personelle Zusammensetzung (vier Lekturen), die Lebensdauer des Poetenkollegs sowie dessen Stellung zur Universität – namentlich dessen sukzessives Aufgehen in die Artistenfakultät – sowie deren kurzzeitige Reaktivierung im Zusammenhang mit der Kaiserkrönung Ferdinands I. (1558). Verwiesen sei ferner auf eine ganz andere Fragestellungen behandelnde Studie von Michael Philipp zu „Berufsperspektiven von Politikstudenten des 17. Jahrhundert“ (126–149), welche nicht das Graduierungswesen, sondern die Absolventen akademischer Bildung in den Blick nimmt. Bemerkenswert – aber eigentlich kaum verwunderlich – ist der Befund, dass an den Universitäten Jena und Altdorf das Politik-Studium sehr verbreitet war. Dies bestätigt die Analyse von Studien-, Lebens- und Karrierewegen mehrerer Nördlinger Studenten. Das Politik-Studium war – zumindest in Jena und Altdorf – offenbar sehr praxisnah. Die Wahl der Promotionsthemen zeugt von der bemerkenswerten Berufsbezogenheit des Politik-Studiums.

Ganz grundlegenden Charakter hat dagegen die im Vergleich mit den anderen Beiträgen des Sammelbandes geradezu als monographisch zu bezeichnende Studie von Ulrich Rasche über „Die deutschen Universitäten und die ständische Gesellschaft“. Sie stellt „institutionengeschichtliche und sozioökonomische Dimensionen von Zeugnissen, Dissertationen und Promotionen in der Frühen Neuzeit“ ins Zentrum (150–273) und beweist einmal mehr, dass die Beschäftigung mit der Geschichte von Universitäten keineswegs eine randständige Disziplin innerhalb der Geschichtswissenschaft ist. Der Beitrag ist sehr facettenreich und muss als eine umfassende und neue Standards setzende Neubewertung des Promotions- und Graduierungswesens vom ausgehenden Mittelalter bis um 1800 betrachtet werden, die konsequent in die allgemeine Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Vormoderne eingeordnet wird. Angesichts der aspektreichen Darstellung fällt eine differenzierte Gesamtwürdigung schwer. So kann Rasche etwa aufzeigen, dass auch das Graduierungswesen nach der „Erosion der humanistischen Studienordnung“ (224) an den protestantischen Universitäten tief greifenden Modernisierungs- und Rationalisierungsprozessen unterworfen war. Eine Folge der geringen Akzeptanz des Präzeptorenmodells Melanchthons, der Aufgabe von Paedagogien als propädeutische Internatsschulen und des schleichenden Verlusts des akademischen Zwischengrades eines Bakkalaureus (und später des Lizentiaten) – zudem der Rückgang zeremonieller Graduierungspraktiken – war bereits um 1600 nicht nur die Entstehung des freien Studenten, sondern auch langfristig eine Ökonomisierung des Promotionsverfahrens, so dass fortan gewissermaßen die Zahlungskräftigkeit eines Studenten über den Erwerb eines akademischen Grades entschied. Insbesondere die Graduierungen an den Medizinischen Fakultäten gerieten so zu einem allgemein gültigen Standard, der für angehende Ärzte nahezu obligatorisch wurde. Die Tatsache, dass Promotionen „in absentia“ stattfinden konnten, mithin einzelne Universitäten zu regelrechten „Doktorfabriken“ wurden – ein Phänomen, von welchem die Professoren finanziell profitierten –, verweist auf neue Leistungs- und Anforderungsprofile, aber eben auch auf das generell niedrigere wissenschaftliche Niveau dieser akademischen Qualifikationsschriften. Das akademische Graduierungswesen folgte im 17. und 18. Jahrhundert eben weniger wissenschaftlich-inhaltlichen Kriterien, sondern den spezifischen Regeln der Altständischen Gesellschaft zur sozialen Elitenreproduktion. Angesichts der erschöpfenden Analyse Rasches erscheint es fast schon als ein unverschämter Wunsch des Rezensenten, auch etwas über das Graduierungs- und Promotionswesen an katholischen Universitäten – gewissermaßen als Gegenprüfung zu den Verhältnissen an protestantischen Hochschulen – erfahren zu wollen.

Wenngleich auch die Beiträge – wie stets in Sammelbänden – von sehr unterschiedlicher Qualität und Analysedichte sind, liegt doch ein bemerkenswertes und anregendes Beispiel produktiver, wegweisender Universitätsgeschichtsforschung vor – ein Sammelwerk übrigens, welches erfreulicherweise nahtlos an zwei weitere Sammelbände der letzten Jahre anschließen kann [1]. Der vorliegende Band beweist somit erneut geradezu mustergültig, dass Studien zum früher nur gelegentlich thematisierten Promotions- und Graduierungswesen – werden sie interdisziplinär betrieben – zu überaus fruchtbaren Ergebnissen führen können.

[1] Rainer A. Müller (Hg.) (2001): Promotionen und Promotionswesen an deutschen Hochschulen der Frühmoderne. Köln: SH-Verlag; Rainer Christoph Schwinges (Hg.) (2007): Examen, Titel, Promotionen – akademisches und staatliches Qualifikationswesen vom 13. bis zum 21. Jahrhundert. Basel: Schwabe Verlag.
Matthias Asche (Tübingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Matthias Asche: Rezension von: Müller, Rainer A. (Hg.): Bilder – Daten – Promotionen, Studien zum Promotionswesen an deutschen Universitäten der frühen Neuzeit (Bearbeitet von Hans-Christoph Liess und Rüdiger vom Bruch). Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2007. In: EWR 8 (2009), Nr. 6 (Veröffentlicht am 01.12.2009), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978351509039.html