EWR 7 (2008), Nr. 4 (Juli/August)

Helmut Fend
Schule gestalten
Systemsteuerung, Schulentwicklung und Unterrichtsqualität
Wiesbaden: VS Verlag 2008
(395 S.; ISBN 978-3-531-15597-5; 24,90 EUR)
Schule gestalten Im Anschluss an die „Neue Theorie der Schule“ und die „Geschichte des Bildungswesens“ legt Helmut Fend mit „Schule gestalten“ den dritten seiner auf vier Bände angelegten Schultheorie vor. Entstanden ist – erneut, so möchte man sagen – ein komplexes Werk von hoher Informationsdichte, in dem sich zentrale Bestände des Wissens über Schule und Unterricht, ihre politisch-administrative Steuerung, die Bedingungen des „Schule haltens“ und die Gestaltung der Interaktionen von Lehrenden und Lernenden zusammengetragen finden und das sich schon aufgrund seines Facettenreichtums einer Vorstellung en détail entzieht.

Fend selbst versteht das vorgelegte Werk als Summe seiner „Bemühungen, das Ganze des Bildungswesens und seiner Gestaltungsmöglichkeiten in den Blick zu nehmen“ (11). Dieses „Ganze“ deutet sich bereits im Untertitel des Bandes an, in dem auf die Ebenen verwiesen wird, auf denen sich „Bildungsrealität“ (12) systematisch abbildet. Es sind dies die Makroebene des Bildungssystems und der dieses gestaltenden Bildungspolitik, die Mesoebene der Einzelschule und ihrer Entwicklung sowie die auf der Mikroebene verortete konkrete Tätigkeit des Unterrichtens. Damit ist bereits die Grundstruktur des Bandes umrissen, der mit einer konzisen Skizze schultheoretischer Erklärungsansätze eingeleitet wird, die Fend in „Neue Theorie der Schule“ umfassend entfaltet hat. Überdies verweist er hier auf sein erweitertes Verständnis von Schulpädagogik, das über die Analyse der Gestaltung institutionalisierter Lehr- und Lernprozesse hinausreicht und in der „Gestaltungsinstrumente auf der bildungspolitischen, der schulischen und der unterrichtlichen Ebene ausgearbeitet und miteinander verbunden werden“ sollen (13).

Im Anschluss an eine akteurstheoretische Einordnung des Bildungswesens und eine Beschreibung seiner Aufgaben sowie einige Hinweise zur Bedeutung des mit Governance-Forschung verbundenen Konzepts der Rekontextualisierung im Bildungswesen werden in drei sehr umfassenden Kapiteln die genannten Ebenen in ihren Ausprägungen und ihren Wirkungen auf Schule und Unterricht in den Blick genommen. Fend durchmisst das Bildungswesen – präziser wäre vom Schulwesen zu sprechen, dessen allgemein bildender Teil implizit im Fokus der Betrachtung steht – sozusagen von oben nach unten; er beginnt mit der Makroebene, die er mit Hilfe des Konstrukts Educational Governance analysiert. In den Blick treten die Handlungsebenen Politik und Verwaltung; hier werden die Rahmenbedingungen von Schule und Unterricht festgelegt, in dem unter anderem grundlegende Rechts- und Verwaltungsvorschriften beschlossen, Bildungsziele und Standards definiert, Bildungspläne erstellt, die institutionelle Gestalt des Schulwesens in ihren zentralen Dimensionen fixiert, die an das eingesetzte Personal zu stellenden Qualifikationsanforderungen bestimmt und Instrumente der Qualitätssicherung installiert werden; schließlich finden auf dieser Ebene Entscheidungen über die Bereitstellung und Festlegung der zentralen Ressourcen Geld (z.B. für Personal) und Zeit (z.B. hinsichtlich der Dauer von Bildungsgängen) statt. Fend zeigt zudem, dass sich im internationalen Vergleich die genannten und weitere Elemente der Makrosteuerung in vielen Schulsystemen finden lassen, dass es aber zugleich regional nicht unerhebliche Differenzen in der Kombination dieser Makro-Steuerungselemente und ihrer jeweiligen Bedeutung in einem Schulsystem gibt. Diese Kombinationen bezeichnet er als Konfigurationen; identifiziert werden u.a. ostasiatische, skandinavische oder angelsächsische Varianten, welche ungeachtet ihrer Unterschiedlichkeit die Voraussetzung für „erfolgreiche“ Schulsysteme bilden.

Das dritte Kapitel ist der Mesoebene gewidmet; hier wird Schule als pädagogische Handlungseinheit betrachtet und zugleich als korporativer Akteur verstanden, der im jeweiligen lokalen oder regionalen Umfeld agiert. Fend leitet in diesen Teil mit einer qualitativ-exemplarischen Beschreibung guter, von äußeren Problemen nahezu freier Schulen einerseits und belasteter Schulen andererseits ein, mittels derer die Differenzen zwischen Schulen paradigmatisch deutlich werden. Vor diesem Hintergrund beschreibt er die Gestaltung und Entwicklung von Schule unter den jeweils vor Ort gegebenen Rahmenbedingungen als zentrale Aufgabe des korporativen Akteurs, d.h. der in einer Schule zusammentreffenden Lehrenden und Lernenden, der Schulleitung, der Eltern, der Vertreter des Schulträgers etc. Auf die Frage, warum Schulen ungeachtet ähnlicher Ausgangsbedingungen auf der Makroebene in der Realität so unterschiedlich sind, antwortet er mit dem Verweis auf die lokalen Kontexte, zu denen die soziale Zusammensetzung der Schüler- und Elternschaft ebenso zu zählen ist wie die Haltung und die Aktivitäten der in Schule Handelnden. Letztere wiederum stehen in einem engen Zusammenhang mit Dimensionen wie Gestaltungswille, Schulethos und Schulkultur.

Diese Hinweise leiten über zu der dritten zentralen Betrachtungsebene – der „Mikroebene der ‚Menschenbildung’ im Bildungswesen“ (235). Hier nun stehen die Lehrkräfte im Vordergrund. Fend beschreibt zunächst das Aufgabenspektrum des Lehrers/der Lehrerin, das er im Sinne des von ihm gewählten Ansatzes als „Rekontextualisierung des Bildungsprogramms an ‚lernende Subjekte’“ (ebd.) interpretiert. Im Weiteren geht er dann sehr ausführlich auf das zum Lehrerhandeln verfügbare empirische Wissen ein; dabei geht es im Kern darum, zu zeigen, wann Lehrkräfte ihre Arbeit gut machen. Abschließend wird das Lehrerhandeln wieder an den Gesamtkontext von Schule rückgebunden, in dem gezeigt wird, wie die Tätigkeit eines Lehrers oder einer Lehrerin vor Ort durch die auf der Makro- und Mesoebene bestimmten Rahmenbedingungen beeinflusst wird.

Fend beschließt seine Darstellung mit einem knappen, wiederum nach Ebenen differenzierten Ausblick auf mögliche Fortentwicklungen von Schule, der, wie er selbst sagt, notwendigerweise spekulativ bleiben muss. Abschließend verweist er auf die hier nicht umfassend bearbeitete, gleichwohl thematisch zentrale und implizit stets mitschwingende Frage, wie die Kinder und Jugendlichen selbst mit Schule umgehen, wie sie Schule und Unterricht für sich nutzen und welche Spuren Schule im Leben der heranwachsenden, sich entwickelnden Persönlichkeiten hinterlässt. Dies umfassend zu analysieren wird, so darf man erwarten, Gegenstand des vierten Bandes der Fendschen Schultheorie sein.

Wie an letztlich jedem Werk lässt sich auch an „Schule gestalten“ das Eine oder Andere kritisieren. So erscheint z.B. der Vergleich von Schulen mit Clubs der Fußball-Bundesliga (202) im Blick auf die hieraus zu ziehenden Schlüsse gewagt, da Letztere gewinnorientierte Wirtschaftsunternehmen sind und die implizite Gleichsetzung von Schulen mit Wirtschaftsunternehmen und der dahinter stehende Bildungsproduktionsansatz durchaus kontrovers diskutiert werden. Überdies hätte man sich an vielen Stellen gewünscht, dass die jeweils zu einem Teilaspekt aufgenommene Diskussion um weiterführende Hinweise angereichert worden wäre. So weist Fend z.B. bei seiner Darstellung der Folgen der Selbständigkeit von Schulen (202ff.) nicht nur auf den Nutzen, sondern auch auf Probleme hin, die aus erweiterten Selbstgestaltungsrechten von Schulen erwachsen können. Da diese erweiterte Selbständigkeit bildungspolitisch gewünscht ist und die notwendigen Kompetenzen nach und nach erweitert werden, steht die Frage im Raum, wie Schulen mögliche negative Folgen dieser Entwicklung vermeiden können. Dies indes wird nicht unmittelbar mitdiskutiert.

Da Fend auch aktuelle Prozesse in seine Studie einbezieht und diesbezüglich vieles noch im Fluss ist, formuliert er nachvollziehbarer Weise an vielen Stellen im Konjunktiv oder belässt es bei der Beschreibung der Erwartungen, die mit der Umsetzung spezifischer Maßnahmen verbunden sind. Dies ist einerseits nachvollziehbar, hinterlässt gleichwohl beim Rezensenten bisweilen das Gefühl des »hierzu-mehr-wissen-wollens«. Insgesamt ließe sich monieren, dass gerade angesichts der Fülle der ausgebreiteten Gedanken diese oder jene empirische Erkenntnis oder alternative Sichtweise auf Schule auch noch hätte Erwähnung finden können. Letztlich erscheint diese Erwartung an Vollständigkeit aber unangemessen, zumal enzyklopädische Lückenlosigkeit nicht das Ziel einer Theorie der Schule sein kann. In diesem Zusammenhang ist nochmals darauf zu verweisen, dass Fend seine Darstellung der Schule und ihrer Gestaltung – wie bereits in seiner „Geschichte der Schule“ – an ausgewählte theoretische Zugänge bindet. Es sind dies hier governance- und akteurstheoretische Ansätze, über die der Blick in einer ganz spezifischen Weise auf Schule gerichtet wird; andere Varianten einer theoriegestützten Betrachtung von Schule werden dementsprechend ausgeblendet. Diese Vorgehensweise erscheint indes durchaus legitim und ist insofern nicht zu kritisieren.

Jenseits der obigen „Mäkeleien“ im Detail ist der Band eine äußerst lohnende Lektüre für Alle, die sich umfassend darüber informieren wollen, wie sich heute „Schule gestalten“ lässt. Hier wird grundlegendes Wissen zur Schulpolitik, oder, in aktueller Diktion, zur schulischen Governance, zur Gestaltung der Schule als professioneller Handlungseinheit und zur Durchführung des Unterrichts durch Lehrpersonen in einem profunden, detaillierten und überdies sehr gut lesbaren Überblick zusammengeführt. Dabei lässt sich „Schule gestalten“ nicht nur als Einführung in zentrale theoretische Annahmen der „Educational Governance“, d.h. der sich auf unterschiedlichen, interagierenden Ebenen vollziehenden Steuerung und Entscheidungsfindung im Bereich des Schulwesens, sondern zugleich und tatsächlich auch als schulpädagogisches Lehrbuch lesen. Letzteres wird insbesondere in den Abschnitten deutlich, in denen Fend zu Fragen wie „Was ist eine gute Schule?“, „Was kennzeichnet eine gute Lehrkraft?“ oder „Wie gelingt guter Unterricht?“ Stellung nimmt.

Wer sich mit Hilfe eines Bandes über zentrale Gestaltungsfelder von Schule und Unterricht und die wesentlichen Bestände des empirisch hierzu verfügbaren Wissens informieren will, wird an diesem „Fend“ nicht vorbeikommen. „Schule gestalten“ ist auch insofern eine anregende Lektüre, als sie sich für die auf den betrachteten Handlungsebenen Tätigen eignet, Wissen über die jeweils anderen Felder zu erwerben, auf denen ebenfalls Schule gestaltet wird. Gerade dieser Verzahnung der verschiedenen Ebenen von Schule ist, worauf Fend selbst hinweist, systematisch Beachtung zu schenken. Nur so lassen sich Reibungsverluste vermeiden, die entstehen, wenn auf einer Ebene Handelnde die auf den anderen Ebenen entstehenden Wirkungen ihres Handelns nicht mitdenken.
Hans-Werner Fuchs (Hamburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Hans-Werner Fuchs: Rezension von: Fend, Helmut: Schule gestalten, Systemsteuerung, Schulentwicklung und Unterrichtsqualität. Wiesbaden: VS Verlag 2008. In: EWR 7 (2008), Nr. 4 (Veröffentlicht am 06.08.2008), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978353115597.html