EWR 8 (2009), Nr. 3 (Mai/Juni)

Sebastian Boller
Kooperation in der Schulentwicklung
Interdisziplinäre Zusammenarbeit in Evaluationsprojekten
Wiesbaden: VS Verlag fĂĽr Sozialwissenschaften 2009
(384 S.; ISBN 978-3-531-16127-3; 39,90 EUR)
Kooperation in der Schulentwicklung Bei dem vorliegenden Titel handelt es sich um die Dissertation von Sebastian Boller, die im übergeordneten Kontext einer qualitativ ausgerichteten Schulentwicklungsforschung verortet werden kann. Erwartungskonform zum Titel werden im ersten Teil der Arbeit relevante Themenfelder der Schulentwicklungsforschung dargestellt, wobei Boller mit dem Bereich Evaluation beginnt, ein Teilkapitel über die Schule als „lernende Organisation“ bereitstellt und mit Betrachtungen zur Kooperation in Schulentwicklungsprozessen schließt. Dieser theoretische Teil seiner Dissertation ist einerseits informativ, da eine Reihe von Arbeiten benannt und zum Teil auch diskutiert werden, zum anderen wirken die Teile des ersten Abschnitts dieser Arbeit (19-138) additiv und bei genauerem hinsehen auch nicht immer gut recherchiert. So fehlen beispielsweise Hinweise auf zentrale Arbeiten aus dem Themenheft zur Kooperation der Zeitschrift für Pädagogik [1] sowie die im Kontext dieser Dissertation wichtigen Arbeiten zur Schulprogrammforschung im Sammelband von Holtappels (2004) [2]. Eine Einbindung internationaler Beiträge, wenn man einmal von deutschsprachigen Beiträgen aus Österreich und der Schweiz absehen mag, wird der Leser ebenfalls nicht finden.

Angesichts des im Anschluss entfalteten Forschungsgegenstands „Teams kooperativer schulinterner Evaluation“, die sich aus Mitgliedern des Oberstufen-Kollegs und Mitgliedern der Universität Bielefeld zusammensetzen, wäre eine alternative theoretische Einbettung denkbar gewesen und auch der Forschungsstand hätte sich wohl anders dargestellt, da es insbesondere im angloamerikanischen Raum eine lange Tradition der Kooperation zwischen Schulen und Universitäten gibt.

Diese Lücken sind aber durchaus zu verschmerzen, da die eigentliche Leistung der Arbeit auf der Darstellung und der Analyse eines Sonderfalls schulinterner Kooperation, nämlich der „kooperativen schulinternen Evaluation“, basiert. Der Gegenstand der Untersuchung ist das Resultat einer Entwicklung am Oberstufen-Kolleg, der von Hartmut von Hentig begründeten Versuchsschule des Landes Nordrhein-Westfalen in Bielefeld. Aus dem dort lang erprobten Lehrerforschermodell wurde in einem seit 2002 fortwährenden Erneuerungsprozess das Konzept der „kooperativen schulinternen Evaluation“, das die Kooperation von Fachlehrkräften mit wissenschaftlichen Mitarbeitern der Universität Bielefeld, den so genannten Evaluatoren, vorsieht. Kapitel fünf widmet sich den historischen Entwicklungen am Oberstufen-Kolleg sowie den konkreten Beschreibungen der Aufgaben der Evaluationsteams (139-184).

Grundlage seiner Untersuchung sind insgesamt 11 Interviews mit Personen aus zwei Evaluationsteams, die als Fall 1 und 2 ausgewertet werden, wobei vier Fragestellungen leitend sind:

  1. Welche ĂĽbergeordneten Strukturmerkmale weist kooperative schulinterne Evaluation als Sonderform schulinterner Evaluation auf?
  2. Wie gestaltet sich die Umsetzung kooperativer schulinterner Evaluation unter jeweils gegebenen Bedingungen und wie verhalten sich die beteiligten Akteure?
  3. Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit sich kooperative schulinterne Evaluation realisieren lässt?
  4. Welchen Einfluss üben ‚schulfremde’ Akteure auf evaluationsbezogene Kooperationsprozesse aus? (312).


Zur Beantwortung der Fragestellungen greift Boller auf Interviews mit Lehrkräften und Evaluatoren zurück, die er zunächst inhaltsanalytisch (212) und daran anschließend unter Verwendung der dokumentarischen Methode (215) auswertet. Hierzu ist anzumerken, dass Boller ein eher allgemeines interpretatives Verständnis bei der Auswertung zu Grunde legt, als ein Vorgehen, das sich an der dokumentarischen Methode orientiert, die er als Auswertungsverfahren angibt. Die Ergebnisse der Inhaltsanalyse werden in der Arbeit nicht explizit dargestellt.

Auf fast 90 Seiten bearbeitet Boller die zwei von ihm ausgewählten Fälle. Die Fallpräsentation erfolgt entlang der gleichen thematischen Auswertungsaspekte, wobei die Auswahl dieser Aspekte unklar bleibt. Das Kapitel wird mit einem Fallvergleich beschlossen. Der Autor präsentiert in diesem Abschnitt interessantes mitunter gar spannendes Interviewmaterial. Die anschließenden vom Autor vorgestellten Interpretationen sind dann zwar nachvollziehbar, keinesfalls aber immer zwingend. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass bestimmte Antworten auf Fragen, die für die Interpretation der Interviews wichtig sind, nicht gegeben werden. Das betrifft beispielsweise die folgenden Fragen:
  • Wie kam es zur Fallauswahl?
  • Wie kam es zur Auswahl der Textpassagen?
  • Welche Rolle hatte der Autor (Mitarbeiter an der Uni Bielfeld) in der Gesamtkonstellation?
  • Wer sind die Evaluatoren und wie wurden diese auf ihre Aufgabe vorbereitet (Berufsanfänger, Mitarbeiter mit langjähriger Berufserfahrung)?
  • Wie sahen die, auch formalen, Rahmenbedingungen der Kooperation aus (wie oft getroffen, welcher formale Auftrag, etc.)?


Von dieser Einschränkung abgesehen, kann Boller einige wichtige Strukturmerkmale aus dem Interviewmaterial herausarbeiten. Hierzu zählen die entstehenden Probleme durch das Aufeinandertreffen zweier Logiken, die ganz allgemein als Aktualisierung des Theorie-Praxis-Problems zu lesen sind (323). Besonders bemerkenswert ist die Ausarbeitung der Bedeutsamkeit der Geschichtlichkeit von Kooperationsbeziehungen bzw. den an Kooperation beteiligten Personen. Insbesondere langjährige Traditionen (Lehrerforscher-Modell nach von Hentig) sind bei neu entstehenden Kooperationen zu berücksichtigen. Darum kommt Boller auch zu dem Schluss, dass sich kooperative schulinterne Evaluation ihrer Grundstruktur nach als dilemmatisches Konzept darstellt.

Insgesamt gesehen hat das Buch vor allem in den Auswertungen der Interviews seine Stärken und dies gilt trotz einiger kleiner Schwächen in der Kohärenz des methodischen Vorgehens. Entgegen der Ankündigung des Klappentextes muss jedoch gesagt werden, dass Potenziale dieser spezifischen Form der internen Evaluation nicht deutlich werden (können), da das Forschungsdesign zur Beantwortung dieser Frage – wie Boller zu Recht selbst einräumt – gar nicht geeignet ist. Vielmehr handelt es sich um einen Mikroeinblick in eine spezifische Kooperationsform zwischen Universität und Schule.

[1] Terhart, E./Klieme, E.: Kooperation im Lehrerberuf – Forschungsproblem und Gestaltungsaufgabe. Zur Einführung in den Thementeil. In: Zeitschrift für Pädagogik, 52, 2, 2006, S. 163-166.
[2] Holtappels, H.G. (Hrsg.): Schulprogramme - Instrumente der Schulentwicklung. Weinheim und MĂĽnchen: Juventa 2004.
Nils Berkemeyer (Dortmund)
Zur Zitierweise der Rezension:
Nils Berkemeyer: Rezension von: Boller, Sebastian: Kooperation in der Schulentwicklung, Interdisziplinäre Zusammenarbeit in Evaluationsprojekten . Wiesbaden: VS Verlag fĂĽr Sozialwissenschaften 2009. In: EWR 8 (2009), Nr. 3 (Veröffentlicht am 05.06.2009), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978353116127.html