EWR 12 (2013), Nr. 6 (November/Dezember)

Elisabeth Baum / Till-Sebastian Idel / Heiner Ullrich (Hrsg.)
Kollegialität und Kooperation in der Schule
Theoretische Konzepte und empirische Befunde
Wiesbaden: Springer VS 2012
(207 S.; ISBN 978-3-531-18104-2; 29,95 EUR)
Kollegialität und Kooperation in der Schule Zusammenarbeit wird in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts als Beitrag zur Professionalisierung und in den 80er Jahren als Mittel zur Verbesserung von Schulen beschrieben. Kollaboration unter Professionellen erhält dadurch eine Zweckorientierung. Parallel dazu wird aber auch die spezifisch individuumsbezogene Seite beruflicher Arbeit in der Forschungsliteratur bekannt: Kooperation zum Abbau von berufsbezogener Unsicherheit und bedrohter Wertschätzung und damit einhergehend auch das Verhältnis von Autonomie und Kollegialität.

Eine große Anzahl von Arbeiten konzentriert sich in der Folge darauf, welche Formen von Kooperation und Autonomie es denn in der beruflichen Zusammenarbeit und in der Auseinandersetzung zwischen Kolleginnen und Kollegen gibt. Welche Kollaborationsformen lassen sich kategorial im Spannungsfeld eher individualistischer und eher kollektiver Berufsauffassung identifizieren? Solche Formen der Zusammenarbeit in Kollegien werden mit Blick auf die Entwicklung von Unterrichts- und Schulqualität seit Beginn des gegenwärtigen Jahrhunderts oft untersucht. Teilweise wird auch die Art der individualisierten Berufsarbeit untersucht. Kategorial unterschieden wird dabei zwischen abgrenzungs- und rückzugsbetonter individueller Arbeitsweise, frei gewählter oder zugewiesener bzw. zugestandener individueller Arbeit im Sinne von individueller Projekt- oder Planungsarbeit, die unter dem Begriff ‚ascribed autonomy‘ bekannt geworden ist [1].

Durch all diese Forschungsarbeiten, wird eine Landschaft professioneller Arbeit erkennbar, welche die Dimensionen des professionellen Verhältnisses von Autonomie und Kollegialität im Spannungsfeld von Schulklima, Schülerleistung und Schulqualität umfasst. Aktuelle Berichte und Forschungsergebnisse zu diesen Forschungs- und Tätigkeitsfeldern liegen in zwei neueren Buchpublikationen vor, einerseits in dem hier zu rezensierenden Band „Kollegialität und Kooperation in der Schule“ und andererseits in dem 2013 erschienenen Buch „Professionalität und Kooperation in Schulen“ [2].

Der Herausgeberband von Baum, Idel und Ullrich geht auf eine Tagung zum Thema „Lehrerkooperation“ an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zurück. Er umfasst eine Einleitung und zwölf Beiträge, welche das Spannungsverhältnis von Kollegialität und Kooperation aus einem theoretischen und/oder empirischen Zugriff bearbeiten. In der Einleitung werden drei verschiedene Forschungsansätze zur Lehrerkooperation fokussiert dargestellt und deren unterschiedliche Zielstellungen herausgearbeitet. Es wird deutlich, dass sich die Ansätze auf Elemente aus verschiedenen Analyse- und Forschungsrichtungen beziehen, sei es der von einem „eher berufsfeldunspezifischen“ Begriff von Kooperation herstammende sogenannte organisationspsychologische Ansatz, mit welchem vor allem Kooperationsformen in schulinternen und schulübergreifenden Fachgruppen untersucht wurden oder der aus der angloamerikanischen Schuleffektivitäts- und Schulqualitätsforschung hergeleitete Ansatz zur Untersuchung Professioneller Lerngemeinschaften oder der auf Niveaustufen innerschulischer Kooperation ausgerichtete Kooperationskompetenzansatz. Die Darstellung der Forschungsansätze macht deutlich, dass diese zwar immer Kooperation und Kollegialität thematisieren, aber – und das muss kritisch angemerkt werden – dass sie vom sie generierenden Forschungsinteresse her betrachtet nicht auf dieses Spannungsverhältnis ausgerichtet entstanden sind.

Letzteres wird Lesenden denn auch durch die beiden ersten Beiträge bewusst. Fussangel/Gräsel bilanzieren darin Ansätze zur Kooperationsforschung mit Blick auf die Differenzierung verschiedener Kooperationsformen und definieren in Weiterführung von Spieß [3] die drei verschiedenen Kooperationsformen Austausch, gemeinsame, aber arbeitsteilige Planung und ko-konstruktive Kooperation. Sie folgern, dass die schulischen Rahmenbedingungen Lehrerkooperation eher hemmen als fördern, und deshalb müsse sie bewusst gestaltet werden. Zu einem ähnlichen Schluss gelangen Kuper/Kapelle aus organisationssoziologischer Sicht. In beiden Beiträgen wird allerdings der Aspekt des zeitlichen Kontexts nicht erwogen: Studierende wie auch Lehrpersonen unterschiedlicher Generationen bzw. Zeitepochen unterscheiden sich in ihrer Gewohnheit und Erfahrung bezüglich Zusammenarbeit.

Die folgenden zehn Beiträge fokussieren die Bedeutung personaler (Pröbstel/Soltau; Kullmann) und organisationaler (de Boer; Meister) Faktoren, welche Kooperation mitbestimmen; Probleme bei verordneter (Bondorf), frei gewählter (Werner) oder selbst verwalteter Kooperation (Ullrich/Idel) wie auch unterschiedliche Kooperations-Intensitäten und deren Deutung zwischen schulübergreifender bzw. schulinterner Zusammenarbeit (Killus/Gottmann). Die Thematisierung individueller Einstellungen von Lehramtsstudierenden zur Zusammenarbeit (Rothland) und kollektiver Selbstwirksamkeit von Lehrerkollegien in Bezug auf Kooperation in Innovations- und Schulentwicklungsprojekten (Zlatkin-Troitschanskaia/Förster) beschließen den Band.

Innerhalb dieser weitgefächerten Thematik kommt – wie oft bei Tagungsberichten – den einzelnen Beiträgen ein unterschiedliches Gewicht zu. Auch in diesem Band finden sich mit Details überfrachtete Studien geringer Aussagekraft bzw. wenig anregender theoretischer Relevanz bezüglich Kollegialität und Kooperation. Umso ertragreicher ist die Lektüre jener Beiträge, die ihren Forschungsgegenstand und ihr Forschungsvorgehen konzis beschreiben, die Ergebnisse übersichtlich dokumentieren und (selbst-)kritisch reflektieren. Beispiele hierfür: die empirische Analyse von Killus/Gottmann über Kooperation in Schulnetzwerken, der hervorragende Fallstudienbericht von Borndorf über Jahrgangsstufenteams im Spannungsfeld von Steuerungsauftrag, Steuerungsambition und Be- oder Entlastung durch eine exklusiv erfahrene und mitgestaltete Zwangsgemeinschaft; Kullmanns Suche nach Gelingensbedingungen für die Wahl von Kooperationspartnern im Kollegium, Pröbstel/Soltaus konzise Befunderarbeitung und -darstellung bezüglich infrage zu stellender bisheriger Annahmen (und Lehrmeinungen) betreffend Autonomiebedürfnis und beruflicher Unsicherheit als Hemmfaktor für Kooperation von Lehrpersonen.

Insgesamt beeindruckt der Band durch die Vielfalt der vorgelegten Forschungsansätze und angesprochenen Themenbereiche. Etwas zu wenig kritisch aufgearbeitet erscheint dabei die Reflexion normativer Aspekte geforderter oder verordneter Kooperation – obwohl dieser Gesichtspunkt durch die Herausgebenden in ihrer Einleitung zutreffend thematisiert worden ist. Dem Band seien daher viele kritische Lesende gewünscht, auch wenn dadurch den Forschungsarbeiten immer wieder mehr oder weniger Anerkennung in der Forschungs-Community widerfahren wird.

[1] Clement, M./Vandenberghe, R.: Teachers‘ Professional Development: A Solitary or Collegial (Ad)Venture? Teaching and Teacher Education 2000 (16), S. 81-101
[2] Keller-Schneider, M./Albisser, S./Wissinger, J.: Professionalität und Kooperation in Schulen. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2013
[3] Spieß, E.: Kooperation und Konflikt. In: H. Sulzer (Hrsg.): Organisationspsychologie – Gruppe und Organisation. Göttingen: Hogrefe 2004, S. 193-250
Stefan Albisser (Zürich)
Zur Zitierweise der Rezension:
Stefan Albisser: Rezension von: Baum, Elisabeth / Idel, Till-Sebastian / Ullrich, Heiner (Hg.): Kollegialität und Kooperation in der Schule, Theoretische Konzepte und empirische Befunde. Wiesbaden: Springer VS 2012. In: EWR 12 (2013), Nr. 6 (Veröffentlicht am 03.12.2013), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978353118104.html