EWR 7 (2008), Nr. 3 (Mai/Juni)

Martin Dust
"Unser Ja zum neuen Deutschland"
Katholische Erwachsenenbildung von der Weimarer Republik zur Nazi-Diktatur
(Studien zur Bildungsreform; Bd. 49)
Frankfurt am Main: Lang 2007
(631 S.; ISBN 978-3-631-55693-1; 97,50 EUR)
"Unser Ja zum neuen Deutschland" In der Historiographie der Erwachsenenbildung werden drei verschiedene Möglichkeiten genannt, sich der Erwachsenenbildung im Zeitraum von 1933 bis 1945 zu nähern. Den Modus der Ausklammerung bevorzugte insbesondere die ältere Geschichtsschreibung. Eine sich an Traditionslinien orientierende zweite historische Betrachtungsweise diagnostizierte für die Erwachsenenbildung jener Jahre einen Kontinuitätsbruch. Weitaus seltener wird die Bildung Erwachsener in der Zeit des Nationalsozialismus als Zwischenglied zur heutigen Entwicklung der Weiterbildung gesehen. Diese These der „Kontinuitäten mentaler Muster“ vertritt Martin Dust mit Blick auf die katholische Erwachsenenbildung. In seiner Dissertation vertritt er die Auffassung, dass vor dem Hintergrund antiliberaler, autoritär-hierarchischer und patriarchalischer Elemente die katholische Kirche und die katholische Erwachsenenbildung bzw. ihre Protagonisten in ausgezeichneter Weise dem Nationalsozialismus in die Hände arbeiteten.

Während Kapitel I und II einen einführenden bzw. kontextualisierenden Anspruch haben, unternimmt Dust in Kapitel III eine ideologiekritische Analyse der Predigtzeitschrift „Der Prediger und Katechet“. In Kapitel IV unterzieht er die Erwachsenenbildungszeitschrift „Volkstum und Volksbildung“ (sowie ihre Vorgänger- und Nachfolgezeitschriften) einer detailgenauen Betrachtung und im abschließenden Kapitel V widmet er sich dem Leben und Werk Emil Ritters, eines Repräsentanten der katholischen Erwachsenenbildung. „Unser Ja zum neuen Deutschland“, der Titel vorliegender Dissertation, lässt sich auf die Überschrift eines programmatischen Artikels dieses Autors aus dem Jahre 1933 zurückführen.

Neben seiner persönlicher Motivation für die Thematik und einem Aufweis der defizitären Forschungslage in diesem Bereich erwähnt Dust in Kapitel I drei Fragestellungen des Direktors der Kommission für Zeitgeschichte e.V., Karl Josef Hummel, die sein erkenntnisleitendes Interesse maßgeblich beeinflussten. So lässt er sich erstens von der Fragestellung leiten, mit welchem weltanschaulichen Gepäck die Katholiken 1933 im Dritten Reich ankamen. Zweitens interessiert ihn, wohin die Sehnsucht nach nationaler Größe und christlichem Abendland, Vaterlandsliebe und Obrigkeitsverständnis führten bzw. verführten und schließlich – drittens – geht er der Frage nach, wie weit die Übereinstimmung der Katholiken mit bestimmten gesellschaftspolitischen oder außenpolitischen Zielen des Regimes reichte (vgl. 45). Methodisch orientiert sich Martin Dust an der von Wolfgang Klafki 1971 formulierten „Pädagogischen Hermeneutik“, welche von Rittelmeyer und Parmentier im Jahre 2001 aktualisiert wurde. Ein ideologiekritischer Ansatz ist ihm hierbei von besonderer Bedeutung.

In Kapitel II erfolgt die historische, pädagogische und organisatorische Kontextualisierung der katholischen Erwachsenenbildung. Dust verweist insbesondere auf den „defensiven Kulturkampfkatholizismus“ (75) und auf jene politischen Ereignisse, die zum Ende des demokratischen Rechtsstaats der Weimarer Republik führten. Dem Abschluss des Reichskonkordats und dem Sachverhalt, dass die kirchliche Hierarchie den politischen Katholizismus ohne größere Widerstände aufgab, widmet Dust sein besonderes Interesse.

Um den theologischen Hintergrund aufzuzeigen, erfolgt in Kapitel III die hermeneutische Analyse der Predigtzeitschrift „Der Prediger und Katechet“ der Jahrgänge 1929 bis 1938. Der Autor stellt das Spannungsverhältnis zwischen der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Realität Deutschlands und dem Anspruch der katholischen Kirche dar. Er bescheinigt den Inhalten der katholischen Lehre Realitätsferne: So sei es beispielsweise ein Antagonismus, das Idealbild einer ständisch-agrarstrukturierten Gesellschaft zu konzipieren, wenn Deutschland auf dem Weg sei, sich zu einer modernen Industriegesellschaft zu entwickeln. Das organologische Gedankengut der christlichen Soziallehre stellt er dabei ebenso in Frage wie die katholische Naturrechtslehre, da sie sich historisch-gesellschaftlicher Bedingtheiten entziehe. Im Führer-Gefolgschafts-Prinzip und in den autoritären und antidemokratischen Grundmustern der katholischen Kirche macht er eine charakteristische ideologische Schnittmenge zwischen Nationalsozialismus und katholischer Kirche aus. Er spricht von einem tragischen Dilemma der Autoritätsfixierung der katholischen Kirche, welches es den Katholiken in der Regel nicht ermöglichte, zu einem selbstbestimmten Urteil im Hinblick auf die Verantwortung für das eigene Leben und für die Gesellschaft zu gelangen (vgl. 215).

Die Analyse des Periodikums „Volkstum und Volksbildung“ fokussiert im IV. Kapitel die Situation der institutionell verankerten katholischen Erwachsenenbildung. Um Kontinuitäten bzw. Diskontinuitäten diagnostizieren zu können, integriert der Autor in seine Analyse sowohl die Vorgängerzeitschrift „Volkskunst“ als auch die Nachfolgeschrift „Geweihte Gemeinschaft“. Insgesamt untersucht er Ausgaben von 1912 bis 1941. Als Resultat seiner Zeitdiagnose ergeben sich auch hier kulturkritische und kulturpessimistische Deutungsmuster, die sich nach Abschluss des Reichkonkordats relativierten. Der auch die katholische Erwachsenenbildung dominierende Slogan „Volksbildung als Volk-bildung“ machte – so Dust – letztlich anfällig für einen ideologisch besetzten Volksbegriff. Der Bildungsbegriff wurde konzeptionell deutlich von einer rationalen Verstandesbildung abgesetzt und mit Inhalten wie „Erfasstsein, Entschiedenheit und Geschauthaben“ gefüllt (vgl. 250). Antiaufklärerische Denktraditionen dominierten, gesellschaftliche und wirtschaftliche Formen des Liberalismus wurden abgelehnt. Insgesamt war – letztlich auch bedingt durch Repressionen des totalitären Nationalsozialismus – eine Rückzugstendenz der katholischen Erwachsenenbildung aus der Gesellschaft in den Binnenraum der Kirche auszumachen. Durch diesen Rückzug trug sie dazu bei, „einen wesentlichen Teil ihres Auftrags, das selbstlose Wirken in der Welt als gesellschaftskritische Institution, zu vergessen“ (271).

Eine weitere Bildungsauffassung orientiert sich am neuplatonisch und christlich geprägten „Imago-Dei-Begriff“. Werde ein Bildungsverständnis jedoch theozentrisch konnotiert, so Dust, geschehe dies nur deshalb, um „den Glauben zu tradieren, die Einflusssphäre der Religion zu sichern und die Institution Kirche zu erhalten“ (337). Die rapide sich verschärfende Arbeitslosigkeit in der Endphase der Weimarer Republik forderte schließlich eine – dritte – Bildungsvorstellung der Erwachsenenbildung heraus, nämlich jene der Lebenshilfe. Der Autor stellt weiterhin die bevorzugten Lernarrangements der katholischen, institutionell gebundenen Erwachsenenbildung vor (Vereine, Arbeitsgemeinschaften und Heimvolkshochschulen) und verweist darauf, dass – bei aller inhaltlichen Modernitätsresistenz – die katholische Erwachsenenbildung sich der medialen Möglichkeiten der Moderne, wie z.B. des Films oder der Rundfunkansprache, durchaus gern bediente.

Im V. Kapitel zeichnet der Autor Leben und Nachlass Emil Ritters (1881-1968), eines führenden deutschen Erwachsenenbildners und Publizisten, nach. Ritter war u.a. Schriftleiter der Zeitschrift „Volkstum und Volksbildung“, einem Fachorgan für die gesamte Bildungsarbeit in den katholischen Vereinen, und der „Germania“, einer führenden Zentrumszeitung. Als die Bischöfe die allgemeinen Verbote und Warnungen gegenüber dem Nationalsozialismus zurücknahmen, gründete Ritter den „Bund katholischer Deutscher ‚Kreuz und Adler’“, dem an einer Verständigung zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus gelegen war. Ritters Regimefreundlichkeit blieb selbst dann ungebrochen, als zunehmend deutlicher wurde, dass eine Verständigung mit den Nationalsozialisten immer unmöglicher wurde. Der geistige Aufbau des Volkes sei Grundlage des deutschen Aufbaus und eine eminent wichtige Aufgabe der Erwachsenenbildung. Bildung sei somit keine Bildung für das Volk, sondern bestehe in der Bildung eines Volkes (vgl. 455). Um alle Volksgenossen zu bewussten Gliedern der christlich-deutschen Kulturgemeinschaft zu machen, habe sie auch konfessionelle Spaltung zu überwinden. Ritter setzte sich deshalb so empathisch für den Nationalsozialismus ein, weil er – abgesehen von einigen kleineren Einschränkungen – seine katholischen Vorstellungen im Aufbau von Staat und Gesellschaft verwirklicht sah (vgl. 485). Weiterhin weist Martin Dust auf, dass Ritter dem Führer eines Volkes – im Gegensatz zu einem demokratischen Volksvertreter – messianische Züge zuschrieb. Ein abschließender Vergleich mit zeitgenössischen Erwachsenenbildnern lässt erkennen, dass Ritter mit diesen Bemühungen nicht allein dastand.

In seinem Fazit – Kapitel VI – macht Dust der katholischen Erwachsenenbildung den Vorwurf, dass „sowohl eine Selbstreflexion als auch eine Rezeption unter einer kritischen Fragestellung bis heute ausgeblieben“ sei (554). Der Anhang besteht aus tabellarischen Biografien katholischer Erwachsenenbildner. Weiterhin werden die Mitgliederverbände des Zentralbildungsausschusses der katholischen Verbände Deutschlands, welcher das organisatorische Verständnis der katholischen Bildungsarbeit maßgeblich bestimmte, sowie der Mitgliederstand der angeschlossenen Verbände, Vereine und Gemeinschaften aufgelistet. Abschließend macht der Autor Angaben zur Auflagenhöhe der erwähnten Zeitschriften und Zeitungen.

62 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs legt Martin Dust mit seiner Kontinuitätsthese den Finger in die Wunde der katholischen Erwachsenenbildung. Es gelingt ihm anhand vieler quellengestützter Interpretationen zu zeigen, dass die katholische Kirche, die katholische Erwachsenenbildung und die erwähnten Protagonisten der Bildung Erwachsener vor dem Hintergrund antiaufklärerischer und antirationalistischer Denktraditionen und vor allem auch im Anschluss an das 1933 abgeschlossene Reichskonkordat, die Machenschaften des Regimes des Nationalsozialismus billigend in Kauf nahmen. Er verweist auf die herrschaftsstabilisierende Funktion katholischer Mentalitäts- und Denkmuster, patriarchalischer, autoritär-hierarchischer, kulturkritischer und antiliberaler Art. Eine Affinität für diese Deutungsmuster – dies sei am Rande angemerkt – kann nicht nur dem Episkopat und der katholischen Erwachsenenbildung bzw. ihren Akteuren zugeschrieben werden. Die zivilisationskritische, die Gemeinschaft und das Volk betonende Haltung müssen – auch wenn es immer vereinzelte Gegendiskurse gab – als Charakteristikum der gesamten historischen Periode aufgefasst werden. Auch der Bereich der Bildungsvorstellungen blieb von den vorherrschenden Überzeugungen nicht unberührt. Die „Neue Richtung“ der Volksbildungsbewegung wies beispielsweise Positionen auf, die Martin Dust als tendenziell katholisch apostrophiert: Die Bildung des Verstandes sollte durch die Entwicklung aller im Menschen angelegten Kräfte unterstützt werden, d.h. auch der Phantasie oder des Gefühls. Weiterhin stand die Bildung des Menschen und nicht die Vermittlung beruflich-utilitaristischer Kenntnisse im Mittelpunkt des Bildungsverständnisses.

Durch seine Beschränkung auf die institutionalisierte Erwachsenenbildung suggerieren Dusts Ausführungen, dass das katholische Milieu innerhalb der erwachsenenpädagogischen Szenerie homogen gewesen sei. Es wäre sicher im Sinne Wolfgang Klafkis gewesen, hätte Dust auch weitere Facetten katholischen Denkens in seiner Auswahl und Interpretation mit einbezogen. Es besteht meines Erachtens auch unter einer wissenschaftlichen Perspektive die Verpflichtung, diejenigen katholischen Laien und Theologen zu berücksichtigen, die sich – indem sie sich auf ihr Gewissen beriefen – der totalitären Gewalt des Nationalsozialismus entgegenstellten.

Unter einer methodischen Rücksicht könnte angeregt werden, eine Multiperspektivität von Sichtweisen sowie eine Lesartenvielfalt bei der hermeneutischen Textinterpretation ebenso zuzulassen wie eine Reflexion auf die eigene, individuelle (von der Aufklärung geprägte) Perspektivität. „Ziel der Hermeneutik ist keine eindeutige Tatsachenaussage, auch kein moralischer Impetus, sondern das Bewahren der ‚Fremde’ eines jeden interpretierten Gegenstandes, die geradezu eine intellektuelle Leitfigur der gegenwärtigen Hermeneutik zu sein scheint.“ [1] Andernfalls könnte leicht der Eindruck entstehen, dass die bereits zu Beginn der Ausführungen erfolgte Explikation der Kontinuitätsthese nicht ausschließlich die Validität der Gedankenführung des Autors garantieren soll, sondern dass nach Bestätigungen für Behauptungen gesucht wird.

Martin Dusts Arbeit enthält wertvolle publikationshistorische Details und quellenhistorische Inhalte und füllt unzweifelhaft eine historiographische Forschungslücke. Vor diesem Hintergrund empfiehlt sich die Lektüre des Buches sowohl für Wissenschaftler als auch für interessierte Laien. Die problematische Rolle der katholischen Erwachsenenbildung wurde und wird zwar bisher immer wieder erwähnt – z.B. als Ergebnis des Lehrforschungsprojekts DIVERS (2003-2005), welches den erwachsenenpädagogischen Diskurs im Zeitraum von 1928-1933 untersuchte [2] –, der Grad an empirischer Sättigung über einen so großen Zeitraum ist bei vorliegender Publikation jedoch unübertroffen. Leider machen es die detailgetreuen, sich auf mehrere Theorieebenen erstreckenden Ausführungen mitunter schwer, dem roten Faden seiner Gedankenführung zu folgen. Die Länge des Buches sowie die umfangreichen Fußnoten – so stehen auf manchen Seiten fünf Zeilen Text vierzig Fußnotenzeilen gegenüber – erschweren zuweilen den Lesefluss.

Trotz der erwähnten Einschränkungen lohnt es sich, Martin Dusts hermeneutischem Fingerzeig zu folgen. Es wäre – auch im Sinne der Professionalisierung der katholischen Erwachsenenbildung – zu wünschen, dass mit dieser Arbeit eine weitere Forschungsbewegung angestoßen wird.

[1] Rittelmeyer, Christian/Parmentier, Michael, Einführung in die pädagogische Hermeneutik. Mit einem Beitrag von Wolfgang Klafki, Darmstadt 2001, 14.
[2] im Internet einsehbar unter: www.wb-gieĂźen.de/divers (eingesehen am 26.05.2008)
Gudrun Hackenberg-Treutlein (MĂĽnchen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Gudrun Hackenberg-Treutlein: Rezension von: Dust, Martin: "Unser Ja zum neuen Deutschland", Katholische Erwachsenenbildung von der Weimarer Republik zur Nazi-Diktatur (Studien zur Bildungsreform; Bd. 49). Frankfurt am Main: Lang 2007. In: EWR 7 (2008), Nr. 3 (Veröffentlicht am 03.06.2008), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978363155693.html