EWR 12 (2013), Nr. 1 (Januar/Februar)

Bülent Ucar (Hrsg.)
Islamische Religionspädagogik zwischen authentischer Selbstverortung und dialogischer Öffnung
Perspektiven aus der Wissenschaft und dem Schulalltag der Lehrkräfte
Frankfurt am Main: Internationaler Verlag der Wissenschaften 2011
(528 S.; ISBN 978-3-631-60710-7; 64,80 EUR)
Islamische Religionspädagogik zwischen authentischer Selbstverortung und dialogischer Öffnung Nachdem vor gut 50 Jahren mit Abschluss von Anwerbeabkommen mit mehrheitlich muslimischen Ländern der Zuzug und die anschließende Heimischwerdung von Muslimen in Deutschland begann, ist der Islam in Form eines bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterrichts in deutschen Schulen angekommen. In Anbetracht von gut 900.000 Schülern muslimischen Glaubens, handelt es sich hierbei um eine folgerichtige Maßnahme, wird damit doch ein konstituierender Teil der Schülerpersönlichkeiten institutionell anerkannt und dem Anrecht muslimischer Kinder und Jugendlicher auf religiöse Bildung an staatlichen Schulen entsprochen.

Rund um die Entwicklung und Einrichtung des islamischen Religionsunterrichts ist mit der islamischen Religionspädagogik eine Fachwissenschaft entstanden, die entscheidend von Bülent Ucar, Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Osnabrück, geprägt wurde, dessen dritter Band aus der Reihe für Osnabrücker Islamstudien „Islamische Religionspädagogik zwischen authentischer Selbstverortung und dialogischer Öffnung – Perspektiven aus der Wissenschaft und dem Schulalltag der Lehrkräfte“ eine umfassende Analyse der gegenwärtigen islamischen Religionspädagogik anstrebt.

Der Sammelband betrachtet dieses Themenfeld in fünf Kapiteln aus sowohl wissenschaftlicher wie auch aus schulischer Perspektive und soll entsprechend des Titels dazu beitragen, den Prozess der autonomen wissenschaftlichen Etablierung einerseits und der dialogischen Öffnung zur Gewinnung hilfreicher Ratschläge andererseits zu beschreiben und voranzutreiben. Letztendlich sollen „Hinweise für einen künftigen Islamischen Religionsunterricht“ (13) gegeben werden, ohne dabei die Frage der konkreten Ausgestaltung des Unterrichts beantworten zu können, da es sich laut Ucar bei der Entwicklung einer islamischen Religionspädagogik um einen fortlaufenden Prozess handelt.

Der erste Abschnitt des Buches diskutiert die Bedeutung der Religion für den Menschen und kann als ein Plädoyer für Religion als ein menschliches Grundrecht verstanden werden, welchem auch in der Schule Geltung verliehen werden muss. Besonders interessant ist hier Winfried Verburgs Beschreibung der Position der katholischen Kirche zu religiöser Bildung in der Schule im Allgemeinen und ihrer Haltung zum Islamischen Religionsunterricht im Besonderen. Hervorzuheben ist insbesondere der Abschnitt „Islamischer Religionsunterricht an katholischen Schulen“, da dieser nicht nur befürwortet, sondern auch mit dem Praxismodell einer katholischen Haupt- und Realschule unterlegt wird. Klar gegensätzlich wirkt da der Artikel des stellvertretenden Generalsekretärs der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş, Mustafa Yeneroğlu, der in teils anklagendem Duktus den Diskurs um eine grundgesetzgemäße Einführung eines Islamischen Religionsunterrichts nach Artikel 7,3 beschreibt und pragmatische Lösungen fordert, während er gleichzeitig die in der Vergangenheit praktizierten Modelle einer religiösen Unterweisung verschiedener Bundesländer, hierbei handelt es sich um Vorläufer eines Islamischen Religionsunterrichts, als verfassungspolitisch höchst fragwürdig und inhaltlich problematisch bezeichnet (57).

Das zweite Kapitel behandelt den konzeptionellen Rahmen eines Islamischen Religionsunterrichts und beleuchtet dabei die Frage nach Unterrichtszielen, pädagogischen Prinzipien, möglichen Anknüpfungspunkten in der christlichen Fachdidaktik und humanistischen Ansätzen in der islamischen Ideengeschichte, welche als Grundlage für eine moderne Islamische Religionspädagogik dienen könnten. Interessant ist der Beitrag von Myrian Dietrich, die sich mit den inhaltlichen Grenzen eines Islamischen Religionsunterrichts auseinandersetzt und dabei eine mögliche Kollision von Unterrichtsinhalten und Glaubensgrundsätzen einerseits sowie andererseits mit dem geltenden Recht analysiert.

Der dritte Abschnitt widmet sich den Inhalten eines Islamischen Religionsunterrichts und nähert sich der konkreten Unterrichtspraxis. Hierzu findet sich am Schluss des Kapitels der Unterrichtsentwurf einer detailliert aufbereiteten Einheit zum Thema „Der Prophet Noah und seine Arche“ (245). Vorher erhält der Leser Hinweise zu Gottesvorstellungen muslimischer Jugendlicher, Fragen der Wissens- und Kompetenzvermittlung sowie eher speziellen Punkten, wie z.B. der Übersetzungsproblematik arabischer Begriffe im Schulalltag. Dieser Artikel von Sami Alphan setzt eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Arabischen voraus und erscheint für den eher interessierten als fachkundigen Leser im Kontext des Kapitels eher nicht zielführend. Jörg Ballnus hingegen beschreibt die bedeutende Rolle des Korans als didaktisches Mittel in einem Islamischen Religionsunterricht. Spannend wäre es gewesen, wenn auch hier – wie in Myrian Dietrichs Beitrag – ein möglicher Konflikt von Inhalten des Korans mit Rechtsnormen betrachtet worden wäre.

Eine Zustandsbeschreibung der gegenwärtigen Entwicklung eines Islamischen Religionsunterrichts wird im vierten Kapitel vorgenommen. Neben den Herausforderungen für die Islamische Religionspädagogik und Aspekten des interreligiösen Dialogs, wird hier auch ein Blick in islamische Schulen in den Niederlanden geworfen. Ucar selbst gibt einleitend einen umfassenden Überblick über die politische Intention der Einführung eines solchen Unterrichtsangebots und feiert diese Entwicklung gemäß dem Titel seines Beitrages als „Meilenstein der Integration“ (263). Birgit Väth legt in einem lesenswerten Artikel das Augenmerk auf einen im Kontext der Integrationsdebatte bedeutenden Punkt: den interreligiösen-, bzw. interkulturellen Dialog. Dazu untersucht sie die „Lehrpläne für den Islamunterricht“ (267) der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen sowie Niedersachsen und zeigt durch die Lehrpläne und die Schulorganisation gesetzte Grenzen für einen solchen Dialog auf.

Das fünfte Kapitel, im Vorwort als Höhepunkt des Bandes angekündigt (12), wird diesem Prädikat gerecht. In 13 Beiträgen werden Lehrerfahrungen aus vielfältigen Perspektiven geschildert. So haben die Artikel regionale und schulformspezifische Schwerpunkte. Der Leser erfährt viel über Unterrichtsansätze, Modellversuche des Faches und persönliche Erfahrungen von Lehrkräften. Allein die Fülle von Einblicken in dieses neue Schulfach sucht ihresgleichen und verleiht dem Buch somit ein Alleinstellungsmerkmal.

Der vorliegende Band eignet sich sowohl für Leser, die sich erstmalig mit dem Thema Islamischer Religionsunterricht in Deutschland auseinandersetzen, als auch für jene, die einen vertiefenden Einblick nehmen wollen. Besonders bereichert wird das Buch durch die Verknüpfung der verschiedenen Ebenen, auf denen eine Behandlung dieses facettenreichen Themas vorgenommen wird. Die fachwissenschaftliche Perspektive findet ebenso ausreichend Geltung, wie die Perspektive jener, die den Unterricht praktisch umsetzen. So ist ein höchst lesenswertes Kompendium aus multiperspektivischen Einblicken in das Frühstadium einer neuen Wissenschaft und eines neuen Schulfaches entstanden.
Benjamin Franz (Braunschweig)
Zur Zitierweise der Rezension:
Benjamin Franz: Rezension von: Ucar, Bülent (Hg.): Islamische Religionspädagogik zwischen authentischer Selbstverortung und dialogischer Öffnung, Perspektiven aus der Wissenschaft und dem Schulalltag der Lehrkräfte. Frankfurt am Main: Internationaler Verlag der Wissenschaften 2011. In: EWR 12 (2013), Nr. 1 (Veröffentlicht am 19.02.2013), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978363160710.html