EWR 11 (2012), Nr. 3 (Mai/Juni)

Gert Geißler
Schulgeschichte in Deutschland
Von den Anfängen bis in die Gegenwart
Frankfurt a.M.: Lang-Verlag 2011
(1003 S.; ISBN 978-3-631-61435-8; 79,00 EUR)
Schulgeschichte in Deutschland Neben den mehrfach vorliegenden Schulgeschichtsschreibungen anderer Autoren wirkt die vorliegende Publikation von Gert Geißler in Bezug auf ihren Umfang geradezu monumental. Das hängt offensichtlich mit einer kaum eingegrenzten Schwerpunktsetzung zusammen, denn zum einen möchte er – wie in den leider recht rudimentären Vorbemerkungen zu lesen ist – sich „ereignis- und sozialgeschichtlich“ mit der „Genese von Unterrichtsinstitutionen“ auseinandersetzen und sich dabei zum anderen „auf die Geschichte der sozialisatorischen, legitimatorischen, qualifikatorischen und selektiven Funktion und Wirkung der Schule“ (10) konzentrieren. Damit ist ein großes Untersuchungsfeld umschrieben, das in den folgenden Zeilen noch erweitert wird, denn auch auf Schulrecht und Schulverwaltung, Schulbildungsziele, die Praxis des Unterrichts, Strukturverhältnisse und Schultypennormierung im allgemeinbildenden und beruflichen Schulwesen, die Entwicklung von Einrichtungen im Bereich der frühkindlichen Erziehung, der Sozialerziehung und der Lehrerbildung, Schularchitektur sowie auf das schulpolitische Agieren des Gesamtstaates, der Länder, der Kirchen, von Parteien und Verbänden soll eingegangen werden. Bei dieser Liste fällt es kaum ins Gewicht, dass Geißler auf „pädagogische Ideen und die Schule begleitende erziehungswissenschaftliche Theorien“ (9) sowie auf pädagogische Strömungen und Einzelpersonen nur bedingt eingehen will: dies hätte ansonsten auch sicherlich noch ein paar hundert Seiten mehr mit sich gebracht.

Neben diesen Zielsetzungen nennt Geißler auch die Zielgruppe seiner Publikation, die er „vor allem“ in Studierenden sieht, aber auch in „sonstig Interessierte(n), die sich Grundtatsachen deutscher Schulgeschichte vergegenwärtigen wollen“ (9). Diese müssen sich nun erst einmal der Aufgabe stellen, sich durch tausend dicht bedruckte Seiten bei recht kleiner Buchstabengröße hindurchzuarbeiten, doch soll schon hier darauf hingewiesen werden, dass Geißler einerseits verständlich zu schreiben versteht und der Text andererseits durch viele, mit Erläuterungen versehene Abbildungen illustriert und aufgelockert wird, wobei der Zusammenhang mancher Fotos zur jeweiligen Textseite nicht immer auf den ersten Blick deutlich wird. Hilfreich sind auch die Stichwörter am Seitenrand, die eine inhaltliche Groborientierung ermöglichen und die statt eines Sachregisters eingefügt wurden, dessen Erstellung zwar sicherlich sehr aufwändig gewesen wäre, das für die Leserschaft aber zweifellos einigen Nutzen gebracht hätte.

Geißler beginnt seine Darstellung mit einem Abriss der Entwicklungen von den alten Germanen bis hin zu den ersten Formen institutionalisierter Schulen im Bereich der Kirche und der frühmittelalterlichen Städte, um im zügigen Zugriff die Entwicklungen über die frühe Neuzeit, den Absolutismus und die Aufklärung bis hin zu den ersten Verwaltungsreformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts abzuhandeln. Somit benötigt er für die ersten gut 1500 Jahre deutscher Schulgeschichte nur 100 Seiten, was nur durch höchste Konzentration auf die wichtigsten Ereignisse möglich ist. Zwangsläufig ausführlicher wird dann die Auseinandersetzung mit dem an schulpolitischen Auseinandersetzungen und Entscheidungen reichen 19. Jahrhundert, die aber für die Zeit bis 1871 immer noch recht knappe siebzig Seiten umfasst, ohne dass man jedoch den Eindruck hat, dass wichtige Themen fehlen. Die hier wie im ganzen Buch üblichen umfangreichen Literaturverweise geben zudem vielfältige Möglichkeiten zur Vertiefung.

Auf den sich anschließenden ca. 450 Seiten beschäftigt sich Geißler – den üblichen zeitlichen Einteilungen folgend – mit den schulgeschichtlichen Entwicklungen im Kaiserreich, in der Weimarer Republik und während der Jahre des Nationalsozialismus einschließlich des Zweiten Weltkriegs. Auch hier lässt sich eine große Bandbreite an Themen feststellen, die eine positive Bewertung dadurch verdient, dass Geißler seinen Blick schweifen lässt: Fürsorgeerziehung und Jugendpflege, soziale Aspekte schulischer Bildung, Entwicklungen im Ausland (z.B. die Situation von Schule in den im Zweiten Weltkrieg besetzten Gebieten), all dies sind Beispiele für die Themenvielfalt, die sich auch für die Betrachtung der Schulgeschichte seit 1945 fortsetzt, für die ca. 300 Seiten beansprucht werden. Geißler, dessen Forschungsschwerpunkte bekanntermaßen in diesem Zeitraum zu finden sind, widmet sich zum einen der Entwicklung von Schule unter dem Einfluss der Besatzungsmächte, wobei er in kurzen Exkursen auch die Schulgeschichte Frankreichs, der USA, Großbritanniens und der Sowjetunion skizziert. Zum anderen beschreibt er die Entwicklungen in den beiden deutschen Staaten detailliert (auch hier werden beispielsweise mit Themen wie Jugendkultur oder Heimerziehung wieder Felder berührt, die nur mittelbar mit Schule zu tun haben) und beendet seine Darstellung mit einer immerhin noch fünfzig Seiten umfassenden Bilanz zu den schulischen Entwicklungen seit der staatlichen Einigung. Ein fünfzigseitiges Literaturverzeichnis sowie ein kurzes geographisches Register schließen das Buch ab.

Bleibt die Frage, wie ein solches Werk zu bewerten ist. Klar ist, dass all diejenigen, die einen analytischen, problemorientierten oder neue Felder erschließenden Blick auf Phänomene der Schulgeschichte erwarten, enttäuscht sein werden. Nur wenig von dem, was Geißler behandelt, hat nicht schon vorher in anderen Publikationen Erwähnung gefunden, dann natürlich gründlicher und zumeist geleitet von klaren Fragestellungen. Liest man beispielsweise die schulgeschichtlichen Kapitel im „Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte“, so wird man größtenteils genauer über bestimmte Aspekte der Schulgeschichte informiert; andere Aspekte jedoch, die Geißler – wenn auch nur kurz – anspricht, fehlen dort wiederum. Möchte man eindeutige, methodisch klar begründete Forschungsergebnisse zu bestimmten Bereichen der Schulgeschichte zur Kenntnis nehmen, etwa zur selektiven Funktion der Schule, zu Schulreformen, zu der Geschichte einzelner Schulformen oder zur Rolle der Schule in bestimmten historischen Phasen (etwa im Nationalsozialismus), kommt man selbstverständlich nicht mit der Geißlerschen Publikation aus. Aber offensichtlich war dies auch nicht das Anliegen des Autors. Ihm ging es vielmehr darum, einen leicht zugänglichen, in einem Band versammelten Überblick zu schaffen. Man muss nun nicht mehr länger die gesamte Handbuchreihe in die Hand nehmen, sondern kann sich schnell aus einem Buch die gewünschten Erkenntnisse bzw. Anregungen verschaffen. Wenn der Leserin bzw. dem Leser dabei bewusst ist, dass vieles verkürzt dargestellt wird und wenn man dazu bereit ist, bei tiefer gehendem Interesse in die Referenzliteratur zu blicken, dann hat man mit dem Buch von Gert Geißler ein gutes Hilfsmittel gefunden. Dabei ist jedoch klar, dass für die finanziellen Verhältnisse von Studierenden der Preis des Buches zu hoch ist. In die Bibliothek muss man also allemal und kann dort dann auch den Verweisen Geißlers folgen.

Das Fazit lautet also: Nichts Neues, aber ein praktisches und kenntnisreiches Nachschlagewerk. Kritisch bleibt noch zu erwähnen, dass ein Lektorat mal wieder nicht stattgefunden hat, worauf zahlreiche Kommafehler, Buchstabendreher oder Unregelmäßigkeiten im Satzbau hinweisen. Auch die Fußnotenpraxis überzeugt nicht immer. So wäre es beispielsweise sehr interessant gewesen, eine Fußnote bzw. einen Literaturverweis zu der Behauptung zu finden, dass Schüler in den Kriegsjahren „an der Suche nach entflohenen KZ-Häftlingen teilnehmen“ durften (605) oder dass es in der DDR bei angeordneten Filmvorführungen angesichts der „monumentalen sowjetischen Produktionen immer wieder zu abfälligen, kaum in eigener Erfahrung oder gar im brüchigen Schulwissen gründenden Kommentaren“ gekommen sei (888).
Rüdiger Loeffelmeier (Berlin)
Zur Zitierweise der Rezension:
Rüdiger Loeffelmeier: Rezension von: Geißler, Gert: Schulgeschichte in Deutschland, Von den Anfängen bis in die Gegenwart. Frankfurt a.M.: Lang-Verlag 2011. In: EWR 11 (2012), Nr. 3 (Veröffentlicht am 31.05.2012), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978363161435.html