EWR 16 (2017), Nr. 3 (Mai/Juni)

Birgit HĂĽpping
Migrationsbedingte Heterogenität
Pädagogische Professionalität von Grundschullehrkräften im Umgang mit Vielfalt
Wiesbaden: Springer VS 2017
(285 Seiten; ISBN 978-3-658-14863-8; 39,99 EUR)
Migrationsbedingte Heterogenität Die Heterogenitätsorientierung ist ein aktuelles wie zentrales Anliegen im deutschen Bildungs- und Schulwesen und „Heterogenität“ kann gegenwärtig zu den wohl bedeutsamsten Themen im wissenschaftlichen Diskurs wie auch in gesellschaftspolitischen Diskussionen mit Bezug zur Institution Schule gezählt werden. Dabei wird u. a. für einen differenzierten Umgang mit Heterogenität hinsichtlich des Aspektes der Bildungsgerechtigkeit plädiert. Als ein Auslöser können hierfür die PISA-Studien angeführt werden, die u.a. die unterdurchschnittlichen Leistungen von nicht-deutschen Kindern aufgedeckt haben. Diese Thematik aufgreifend, zielt das Gesamtvorhaben der Studie von Hüpping „auf einen Professionalisierungsansatz, der an den Heterogenitätskonzepten von Lehrpersonen ansetzt, nach deren Konstruktionsmechanismen fragt und dabei die interkulturelle Perspektive mit der Geschlechterperspektive verbindet“ (18). Gleichwohl der Heterogenitätsbegriff sich auf unterschiedliche Merkmale erstreckt, wie z. B. den Migrationshintergrund (ethnisch-kulturelle Heterogenität), den sozioökonomischen Status (soziale Heterogenität) oder die Intelligenz (Leistungsheterogenität), fokussiert Hüpping ausschließlich auf die migrationsbedingte Heterogenität.

Die Grundlage der Studie bildet die Paderborner Lehrerstudie PROLEG (Professionalisierung von Lehrkräften für einen reflektierten Umgang mit Ethnizität und Geschlecht in der Grundschule), die folgendes widersprüchliches Ergebnis aufdeckt: Einerseits ist den befragten Lehrpersonen ein reflektierter Umgang mit der eigenen kulturellen Prägung wichtig. Gleichzeitig spielt aber die eigene ethnische Herkunft im Unterricht andererseits keine Rolle. Daher stehen in der qualitativen Studie von Hüpping „die Überzeugungen von Grundschullehrerinnen und -lehrern in Bezug auf den pädagogischen Umgang mit migrationsbedingter Heterogenität in der Schülerschaft“ (19) und deren Rekonstruktion im Fokus des Erkenntnisinteresses.

Die Monografie gliedert sich in acht Kapitel und entspricht der klassischen Gliederung einer Forschungsarbeit. So folgt nach der Einleitung in Kapitel 2 die kontextuelle Rahmung der Arbeit, in dessen Verlauf schwerpunktmäßig gesamtgesellschaftliche Veränderungsprozesse dargestellt werden. Dies erfolgt insbesondere entlang der Migrationsströmungen, die aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden. So skizziert Hüpping die nach 1960 entstandenen pädagogischen Ansätze, beginnend mit der „sogenannten Ausländerpädagogik“ (38) bis hin zum gegenwärtigen Inklusionsansatz „vor dem Hintergrund einer Pädagogik der Vielfalt“ (44). Im Rahmen der historischen Einordnung der unterschiedlichen Konzepte werden nicht nur die Vor-und Nachteile der jeweiligen Ansätze, sondern auch die Diskrepanz zwischen migrationsbedingter Heterogenität der Schülerschaft und dem Handlungsfeld Schule verdeutlicht. Das Kapitel schließt mit der Aufarbeitung des Forschungsstandes bezüglich des Umgangs von (angehenden) Lehrpersonen mit migrationsbedingter Heterogenität und einer gebündelten Zusammenfassung quantitativ wie qualitativ ausgerichteter Studien.

Um die theoretische Position der Studie zu skizzieren, stützt sich Hüpping im dritten Kapitel „Theoretische Rahmung“ auf drei Theorien: Strukturationstheorie, professionstheoretische Zugänge und subjektive Theorien. Vor dem Hintergrund der Strukturationstheorie von Anthony Giddens wird Bezug auf die Ebene der Strukturdimensionen genommen, die im Handeln einer Person sowohl ermöglichend wie auch einschränkend wirken können. Die drei vorgestellten professionstheoretischen Zugänge (strukturtheoretisch, systemtheoretisch und interaktionistisch) fokussieren auf die „Handlungsbedingungen und Anforderungen der Lehrpersonen in der Institution Schule“ (92). Bei den subjektiven Theorien mit Bezug auf Groeben und Kollegen stellt Hüpping heraus, dass diese sich auf die individuellen Sichtweisen und Alltagsroutinen beziehen. Ihr Augenmerk liegt auf dem Struktur-Agency-Ansatz, welcher das Zusammenwirken von Handlung und Struktur ordnet und sie betont die von Giddens beschriebene Dualität der Struktur und das Wirken von Strukturen.

Im Anschluss an die theoretischen Vorüberlegungen schließt sich im vierten Kapitel die konzeptionelle Rahmung, die Entfaltung der Fragestellung, die Darstellung des methodischen Vorgehens und die Beschreibung des Untersuchungsfeldes an. In der qualitativ angelegten Studie wurden 23 problemzentrierte Interviews mit Grundschullehrkräften an zehn Schulen in der „ländlich geprägten Region in Ostwestfalen-Lippe“ (115) durchgeführt. Als Auswertungsmethode findet die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring Anwendung. Als eine Stärke im methodischen Vorgehen kann der thematische Fallvergleich von fünf Interviews hervorgehoben werden, um sich den Begründungszusammenhängen immer wieder neu anzunähern.

In den zwei sich anschließenden Kapiteln werden die Ergebnisse auf gut 100 Seiten dargestellt. Zunächst werden im fünften Kapitel die Ergebnisse der Inhaltsanalyse in drei Schritten vorgestellt: „Die Darstellung hinsichtlich des Heterogenitätsaspekts im Allgemeinen“ (151), „Migrationsbedingte Heterogenität“ (163) und „Professionsverständnis“ (217). Im Anschluss werden diese Ergebnisse in Kapitel 6 mit den Erkenntnissen aus dem Fallvergleich ergänzt, wenngleich die Ausführungen hier auf 15 Seiten vergleichsweise knapp ausfallen.

Das siebte Kapitel eröffnet Themenfelder für Professionalisierungsperspektiven und stellt auf Grundlage der Ergebnisse Implikationen für die Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen vor. Die Arbeit schließt im achten Kapitel mit dem Ausblick, dass die Lehrerbildung und die Professionalisierung zunehmend auch einen Fokus auf das Themenfeld Migrationsgesellschaft legen sollte (268).

Hüpping zeigt über den gesamten Band hinweg, dass die Zuschreibung „Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund“, sei es im Bildungssystem oder in der Politik, nicht einfach ist. Auf dieser Basis verdeutlicht Hüpping die grundlegende Schwierigkeit einer dichotomen Kategorisierung von Kindern (deutsche und nicht-deutsche), die damit verbundene Homogenisierung von unterschiedlichen Herkunftsgruppen und die immer noch nicht gelingende differenzierte Betrachtung dieser Gruppen durch die Lehrpersonen. Eine präzisere Fokussierung auf verschiedene Herkunftsgruppen kann jedoch auch die vorliegende Studie nicht leisten und beschränkt sich auf die Gruppe der Spätaussiedler und auf diejenigen mit einem türkischen Hintergrund.

Hüpping legt anhand ihrer Ergebnisse dar, welchen Einfluss die Kategorisierung der Kinder (deutsche und nicht-deutsche) auf die Handlungspraktiken von Lehrkräften hat. Während die Betrachtung der leistungsstarken Kinder mit Migrationshintergrund auf der Fallebene individuell und gesondert stattfindet, werden die leistungsschwachen Kinder im Rahmen der Analyse zu einem Fall subsumiert. In diesem Zusammenhang macht sie auch auf die in aktuellen Debatten verwendete Begrifflichkeit der „Risikokinder“ aufmerksam. Folgerichtig zeigt die Autorin, dass durch diese Kategorisierung Handlungspraktiken der Lehrkräfte beeinflusst werden, denn „dabei sind Übergangsentscheidungen der Grundschullehrer/innen nicht losgelöst von dem angenommenen Unterstützungspotenzial der Eltern […]“ (256).
Angesichts der steigenden Migrationsbewegungen vermutet sie für die Zukunft große potentielle Probleme für die schulische Praxis und stellt heraus, dass aktuelle Herausforderungen eher verdeckt als aufgeklärt werden. Damit geht die Forderung einher, dass nicht nur empirische Studien wünschenswert sind, die sich ausschließlich auf Schülermerkmale konzentrieren, sondern auch ein Fokus auf die professionellen Akteure in der schulischen Praxis, die Lehrerinnen und Lehrer, gelegt wird. Daher erscheint die im Buch angestrebte Fokussierung auf die subjektiven Sichtweisen der Lehrkräfte genauso wegweisend wie erstrebenswert.
Cansu Topalak (TĂĽbingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Cansu Topalak: Rezension von: HĂĽpping, Birgit: Migrationsbedingte Heterogenität, Pädagogische Professionalität von Grundschullehrkräften im Umgang mit Vielfalt. Wiesbaden: Springer VS 2017. In: EWR 16 (2017), Nr. 3 (Veröffentlicht am 30.05.2017), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978365814863.html