EWR 21 (2022), Nr. 2 (April)

Julia Mach-Würth
Gesund bleiben im Lehrerberuf
Eine empirische Studie zu subjektiven Gesundheitstheorien von Lehrkräften
Wiesbaden: Springer Nature 2021
(223 S.; ISBN 978-3-658-32927-3; 49,99 EUR)
Gesund bleiben im Lehrerberuf Die Gesundheit von Lehrkräften ist schon seit vielen Jahren Gegenstand empirischer Forschung. Die Gründe dafür liegen unter anderem in der Einschätzung der Gesundheitssituation im Lehrberuf als dringend verbesserungswürdig, weiter aber auch in der Tatsache, dass dies nicht nur Konsequenzen für die Individuen nach sich zieht, sondern auch bedeutende Auswirkungen auf die Bildungsqualität nachfolgender Generationen hat. Im Fokus zahlreicher Studien steht die Untersuchung relevanter Belastungsfaktoren. Die Autorin des vorliegenden Werkes eröffnet hingegen eine weitere wichtige Perspektive und wirft den Blick auf internale Konzepte, die für Lehrkräfte selbst im Zusammenhang mit ihrem Gesundheitsverhalten stehen. Sie stellt die Frage nach den subjektiven Theorien, zu verstehen als ein Zusammenschluss von Kognitionen, die Lehrkräfte über die Handlungsmöglichkeiten ihrer Gesundheitserhaltung innehaben und die ihnen so bewusst sind, dass sie diese verbalisieren können. Dabei stehen sowohl die Struktur der subjektiven Theorien als auch deren Inhalt im Interesse der Forschungsarbeit. Da subjektive Theorien handlungsleitend fungieren, ist die Kenntnis dieser von besonderem Interesse.

Einführend erhält der interessierte Lesende im theoretischen Teil der vorliegenden Arbeit einen treffenden, prägnanten Einblick in die Gesundheitssituation an deutschen Schulen sowie den aktuellen Forschungsstand zur Lehrer:innengesundheit. Im Detail werden subjektive Gesundheitstheorien vor deren theoretischen Hintergrund und empirischen Erkenntnissen erläutert.

Auf dieser Wissensgrundlage baut nachfolgend der empirische Teil der Arbeit auf. Mittels Interviews werden interne Theorien von 16 Lehrkräften in Bezug auf Gesundheit exploriert. Die Zusammenstellung des Samples erfolgt auf Basis theoretischer Überlegungen. Von einem zunächst zufälligen Ausgangspunkt wird nach der Methode der minimalen und maximalen Kontrastierung die Stichprobe so mit Personen unterschiedlicher und gemeinsamer Kriterien angereichert bis aus Sicht der Forschenden kein bedeutender theoretischer Zugewinn durch die Gewinnung weiterer Interviewpartner:innen erwartet wird. Die individuell empfundene Belastung spielt bei der Auswahl des Samples keine Rolle. Aus diesem Grund kann kein Rückschluss darauf genommen werden, inwiefern die explorierten impliziten Theorien zielführend im Sinne der Gesundheitserhaltung sind oder nicht.

In der methodischen Herangehensweise gelingt der Autorin insgesamt ein Vorgehen, das sowohl forschungspraktische Empfehlungen als auch die individuellen Bedürfnisse der interviewten Stichprobe integriert. Methodische Empfehlungen werden konsequent referenziert, jedoch nicht unkritisch in der eigenen Untersuchung umgesetzt. Vielmehr wird das aus der Literatur empfohlene Vorgehen im vorliegenden Kontext hinterfragt und die Situationsspezifika stringent berücksichtigt, um die Unversehrtheit der Interviewten sowie das Untersuchungsergebnis nicht zu gefährden. Beispielsweise wird in diesem Zusammenhang die Interviewtechnik der Konfrontation vermieden. Die präzise Kosten-Nutzen Abwägung der Studie trägt somit zur Güte der Untersuchung bei. Interne und externe Validität werden sorgfältig gegeneinander abgewogen und eine für den Zweck der Untersuchung passende Balance gefunden. Dass sich dieses Vorgehen bewährt, zeigt sich beim näheren Blick auf die Ergebnisbildung.

Diese offenbart sich dem Lesenden im vierten Kapitel des Buches. Die Autorin stellt die aus den Interviews mittels Inhaltsanalyse explorierten impliziten Gesundheitstheorien in zwei Konkretisierungsstufen dar. Zunächst werden die genannten Strategien aus den Interviews extrahiert und in einem induktiv-deduktiv hergeleiteten Kategoriensystem eingeordnet. Die Strategien werden fallübergreifend in fünf Haupt- sowie 19 Subkategorien dargestellt. Die explizierten Hauptstrategien unterscheiden sich beispielsweise durch den Grad der Interaktion mit anderen oder auch den eigenen Aktivierungsgrad der Lehrperson. Die erstellten Subkategorien beinhalten interessante und hochbedeutende Faktoren und geben wichtige Anhaltspunkte für Präventionsmaßnahmen. Beispielsweise wird deutlich, dass viele gut erforschte und sehr hilfreiche Strategien keine systematische Umsetzung im Alltag der Befragten finden. Unterschieden wird auch in Bezug auf des Selbstwirksamkeitserleben des Lehrenden, was weitere wichtige Implikationen beinhaltet. Die Kategorienbildung erfolgt ausschließlich theoretisch. Weiterführende Untersuchungen könnte hier faktorenanalytisch prüfen, ob diese theoretische Kategorienbildung auch empirisch haltbar ist. Weiter wäre eine quantitative Einschätzung der Verbreitung dargestellter impliziter Theorien von großem Interesse, um daraus beispielsweise Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheitssituation ableiten zu können.

In einer weiteren Analyse nähert sich die Autorin den Daten von einer anderen Richtung. Ziel ist es, Muster innerhalb von Personen deutlich zu machen. Dabei wird geprüft, inwiefern bestimmte vorliegende Strategien sich auf einen Fokus bzw. mehrere übergreifende Foki ausrichten, die so auch bei weiteren Lehrkräften zu beobachten sind. Dabei identifiziert die Autorin unterschiedliche Typen von subjektiven impliziten Theorien der Gesunderhaltung. Konkret werden zwei wesentliche Typen impliziter Theorien unterschieden. Typ I zeichnet sich dadurch aus, dass er sich auf einen übergreifenden Aspekt der Gesunderhaltung fokussiert.

Genannte Muster in diesem Zusammenhang sind die Konzentration auf die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten und Aktivität, auf kooperative Zusammenarbeit und Unterstützung im beruflichen Umfeld oder auf die Ausbalancierung internen und externer Prozesse als Gesunderhaltungsmaßnahme. Typ II zeichnet sich dadurch aus, dass seine implizite Theorie zur Gesunderhaltung aus mehreren inhaltlich unterschiedlich ausgerichteten Strategien besteht, die additiv und in ihrer Bedeutung gleichwertig nebeneinanderstehen. Dieser Typ tritt in unterschiedlichsten Kombinationen auf, sodass hier keine widerholenden Muster zwischen Probanden ersichtlich wurden. Die Typenbildung erleichtert es, Erkenntnisse zu bündeln, zusammenzufassen und in ihrem hier theoretischen Zusammenhang zu verstehen. Gleichzeitig geht die Typenbildung in Bezug auf das Individuum stets mit einem Informationsverlust einher.

Diese Aspekte sollten bei der Interpretation und Anwendung sorgsam abgewogen werden.
In der abschließenden Diskussion der Arbeit werden die zentralen Ergebnisse mit Bezug auf die theoretische Ausgangslage in den Gesamtzusammenhang gestellt. Die Autorin gibt wertvolle Anregungen, inwiefern die Erkenntnisse der Untersuchung zur Komplexitätssteigerung des bisherigen Diskurses um die Theoriebildung der Gesundheitstheorien von Lehrkräften beitragen können. Weiter wird als zentrales Ergebnis die Bedeutung der sozialen Unterstützung als zentrale handlungsleitende Ressource bei manchen Studienteilnehmenden herausgestellt, die mit bestehenden wissenschaftlichen Erkenntnissen übereinstimmt, jedoch häufig nicht der gelebten Realität in vielen Schulen entspricht. Die Diskussion liefert unterschiedliche Erklärungsmodelle für eben diese Diskrepanz. Die in der Arbeit identifizierte subjektive Theorie des aktiven Handelns, die die Selbstbestimmung als wesentliche Ressource in den Fokus rückt sowie des Musters mit Fokus auf die Ausbalancierung von Anforderungen und Ressourcen, werden in der Diskussion in das Konstrukt der Agency-Theorie eingeordnet. Die Autorin zieht überzeugende Verbindungen zum professionellen Lehrer:innenhandeln und dessen Potenzial als wesentlichen Gesunderhaltungsfaktor.

Die identifizierten subjektiven Theorien könnten einen wichtigen Ausgangspunkt darstellen, um Präventionsmaßnahmen auf das Individuum zuzuschneiden. Dies wird außerdem durch das zentrale Ergebnis bestätigt, dass Gesundheit von den Lehrkräften selbst durch ein komplexes Zusammenspiel unterschiedlicher beruflicher und privater Faktoren bedingt ist, welche es zu harmonisieren gilt. In der Prävention ist es eine häufige Herausforderung gesundheitserhaltende Maßnahmen im beruflichen Alltag umzusetzen und neue Routinen langfristig zu etablieren. Durch die Anpassung bzw. Auswahl der Maßnahmen nach dem individuell vorliegenden Theorienmuster könnten bei der Bildung gesunder Gewohnheiten kognitive Ressourcen eingespart werden, sodass diese mit einer höheren Erfolgswahrscheinlichkeit einhergingen. Die Kenntnis subjektiver Theorien zur Gesunderhaltung von Lehrkräften beinhaltet weiter die bedeutende Möglichkeit, diese hinsichtlich des aktuellen Forschungsstandes zu den tatsächlich wirksamen Strategien der Gesundheitsförderung erweitern bzw. modifizieren zu können.

Von besonderer Bedeutung für die Wissenschaft sind Arbeiten wie diese, die den Blick aus vielfältig bearbeiteten Forschungsfeldern hinauswagen und Türen zu neuen Erkenntniswegen eröffnen. Dabei ist es dem Lesenden leicht gemacht, sich innerhalb des Buches zu orientieren. Zu Beginn jedes Kapitels wird in die Zielsetzung und Fragestellung eingeführt und abschließend werden wesentliche Aspekte des jeweiligen Abschnitts zusammengefasst sowie deren Relevanz in den Gesamtkontext eingeordnet. Dem Interessierten im Bereich der Lehrergesundheit sei daher dieses Werk als Erweiterung des theoretischen Kenntnisstandes sowie Ausgangspunkt wichtiger Überlegungen zur weiteren Forschung sowie der praktischen Gesundheitsförderung bei Lehrpersonen nahegelegt.
Natalie Gouasé (Bonn)
Zur Zitierweise der Rezension:
Natalie Gouasé: Rezension von: Mach-Würth, Julia: Gesund bleiben im Lehrerberuf, Eine empirische Studie zu subjektiven Gesundheitstheorien von Lehrkräften. Wiesbaden: Springer Nature 2021. In: EWR 21 (2022), Nr. 2 (Veröffentlicht am 03.05.2022), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978365832927.html