EWR 8 (2009), Nr. 3 (Mai/Juni)

Rainer Brödel / Alexander Yendell
Weiterbildungsverhalten und Eigenressourcen
NRW-Studie über Geld, Zeit und Erträge beim lebenslangen Lernen
Bielefeld: Bertelsmann Verlag 2008
(228 S.; ISBN 978-3-7639-3330-3; 29,90 EUR)
Weiterbildungsverhalten und Eigenressourcen Der von den beiden Autoren verfasste Band richtet sich an Wissenschaftler, aber auch Bildungspraktiker und bildungspolitische Entscheidungsträger und fasst die Ergebnisse einer repräsentativen Untersuchung zum Bildungsverhalten und den Bildungsinteressen der 16- bis 64-jährigen in Nordrhein-Westfalen zusammen. Die zum Teil an bestehende Weiterbildungsstudien anknüpfende Untersuchung setzt einen spezifischen Schwerpunkt im Erkenntnisinteresse. Im Zentrum steht die Fragestellung nach der Bereitschaft der Befragten, zeitliche und insbesondere monetäre Ressourcen für die eigene Weiterbildung aufzuwenden, was einen sowohl innovativen als auch riskanten Ansatz darstellt. Das Individuum wird als Investor in die eigene Weiterentwicklung gesehen und es wird gefragt, welche Eigenmittel Erwachsene für die eigene Weiterbildung bereits aufwenden und unter welchen Umständen aufzuwenden bereit wären. Damit wird einerseits ein vor dem theoretischen Hintergrund der Rational Choice-Theorie wichtiges und wissenschaftlich noch nicht ausreichend beachtetes Thema aufgegriffen, andererseits läuft die Studie Gefahr, als Wegweiser für den staatlichen Rückzug aus der Weiterbildungsfinanzierung missverstanden zu werden. Letztere Lesart dürfte den Autoren so fern liegen wie sicher den meisten Lesern. Die Befunde lassen sich ebenso als ein Plädoyer der gezielten Unterstützung bildungsferner Schichten lesen wie als Legitimation für den staatlichen Ausstieg aus einer breiten Förderung des quartären Bildungssektors, dessen Relevanz gerade vor dem Hintergrund demografischer Veränderungen in absehbarer Zukunft noch deutlich ansteigen dürfte.

Die Studie hat einen über die tradierte Weiterbildungsstatistik des Berichtssystems Weiterbildung hinausgehenden Anspruch, was die theoretische Verortung der Befunde anbelangt, bleibt aber dennoch im Schwerpunkt empirisch-deskriptiv. Allein in den ersten beiden Kapiteln finden sich neben einem Abriss über die wichtigsten bisherigen Repräsentativstudien zum Weiterbildungsverhalten auch Verweise auf Rational-Choice-Ansätze als theoretischen Bezugspunkt der Untersuchung von Investitionsbereitschaft der Weiterbildungsteilnehmer. Bereits hier werden Grenzen und Probleme eines auf telefonischen Selbstauskünften basierenden Untersuchungsdesigns kritisch diskutiert und reflektiert. Dieser kritisch-distanzierte Umgang mit dem eigenen methodischen Zugang, der sich über die Darstellung des eigenen Vorgehens bis in die Ergebnisdarstellung fortsetzt, gehört zweifelsfrei zu den Stärken der Publikation und spricht für einen gerade im Feld der Bildungsforschung keineswegs selbstverständlichen wissenschaftlichen Stil, der auch die Grenzen des gewählten methodischen Zugangs offenlegt. Angesprochen werden dabei auch Probleme von Repräsentativerhebungen und Gewichtungsverfahren insgesamt.

Grundlage der Studie ist eine telefonische Befragung von 1101 Bewohnern Nordrhein-Westfalens im Alter zwischen 16 und 64 Jahren. Das eingesetzte Frageninventar setzt dabei überwiegend auf eigene Skalen zur Erfassung des Bildungsverhaltens, die aber an die BSW-Tradition anschließen, und erprobt auch eine in der Weiterbildungsforschung bislang wenig etablierte szenariogestützte Befragungsform. Mit einfachen Items erfasst und in die Auswertungen einbezogen werden neben der Teilnahme an formalen und non-formalen Bildungsangeboten auch informelle Lernaktivitäten sowie – als spezifischer Fokus der Untersuchung – bisher für Weiterbildung aufgewandte finanzielle und zeitliche Ressourcen und die Bereitschaft zu entsprechenden Investitionen bei zukünftigen Bildungsaktivitäten. Die Aufwendungen für Weiterbildung werden auch in Verbindung mit den subjektiv wahrgenommenen Renditen bisheriger Bildungsaktivitäten gesehen, die ebenfalls erhoben werden.

Die Lernerträge aus informellen Lernwegen und insbesondere aus ehrenamtlichen Tätigkeiten sind bedeutsam, jedoch empirisch schwer zu fassen. Repräsentativbefragungen – wie die hier vorliegende Studie – stützen sich in der Einschätzung des Lernertrags auf das subjektive Urteil der Befragten, das zwar über individuelle Bedeutungsbeimessungen, nicht aber über objektive Lernerfolge Auskunft gibt. Zusätzlich zeigt sich das aus anderen Studien (z.B. Baethge & Baethge-Kinsky 2004) [1] bekannte Phänomen, dass Personen, die ihre Erträge aus formalen und non-formalen Lernsettings hoch einschätzen, auch den Ertrag informellen Lernens höher bewerten als andere. Basierend auf einer Faktorenanalyse arbeiten die Autoren jedoch sieben Lernkontexte heraus, die in Abhängigkeit von verschiedenen Personenmerkmalen als unterschiedlich bedeutsam eingestuft werden.

Die deskriptiven Befunde zum Weiterbildungsverhalten bestätigen die Befunde aus nationalen Erhebungen. Der direkte Vergleich der Teilnahmequoten mit dem Berichtssystem Weiterbildung scheint allerdings problematisch, da sich sowohl Erhebungsinstrumente als auch Erhebungsmethoden der Studien unterscheiden, was zu erheblichen Differenzen hinsichtlich der Teilnahmequote führen kann (vgl. Feller 2006) [2].

Bei der Darstellung der finanziellen Kosten von Weiterbildung auf Seiten der Teilnehmer wurden direkte und indirekte Kosten zwar separat erhoben, für die Auswertung wurden aber beide Formen zusammengefasst. Eine getrennte Auswertung direkter und indirekter Kosten wäre hier durchaus von Interesse gewesen und könnte Gegenstand weiterer Publikationen sein. Zu den Stärken der Studie gehören die in dieser Form bislang nicht vorliegende detaillierte Erfassung und Aufarbeitung des Zeitaufwands der Lernenden für verschiedene Lernaktivitäten. Hierbei werden formelle, non-formale und informelle Lernformen in gleicher Weise berücksichtigt, wobei gerade bei den letztgenannten eine erhebliche Streuung in den Angaben der Befragten deutlich wird. Insgesamt zeigt sich eine große Varianz hinsichtlich des individuellen Zeitaufwands für Weiterbildung, die sich im Vergleich verschiedener Untergruppen fortsetzt. Bei der Analyse spezifischer Soziogruppen stoßen die Autoren an die Grenzen des auf der Basis der Stichprobe noch Auswertbaren. Dennoch überraschen die in der Gesamtstichprobe wie in vielen Untergruppen hohen zeitlichen Ressourcen, die die Befragten auch in organisierte Formen der Weiterbildung investieren. Diese für Wissenschaft wie Bildungsadministration und -praxis aufschlussreichen Befunde werden ausführlich diskutiert und wiederum im Hinblick auf ihre Reichweite kritisch reflektiert.

Zu den besonderen Leistungen der Studie gehört die nähere Betrachtung des Zusammenspiels von Bildungsaktivitäten und familiären Rahmungen. Zu Recht beklagen die Autoren, dass die familiäre Situation und insbesondere die familiären Verpflichtungen bislang zu wenig in den Fokus der Weiterbildungsforschung gerückt sind. Brödel und Yendell verweisen anhand ihrer Daten auf die Interaktion von Weiterbildungsteilnahme und Kinderbetreuung, u.a. indem sie im Zuge der Analyse indirekter Weiterbildungskosten auch nach zusätzlichen Aufwendungen für eine außerfamiliäre Kinderbetreuung sowie nach der Aufgabenteilung in der jeweiligen Familie fragen.

Auf der Basis fiktiver, aber an die jeweilige Lebenslage der Befragten angepasster Szenarien werden Bildungsinteressen und die Bereitschaft zu Bildungsinvestitionen in konkreten Situationen erhoben. Diese Vorgehensweise ermöglicht gegenüber allgemeinen und nicht kontextsensitiven Fragen nach der Investitionsbereitschaft sehr viel präzisere und validere Befunde zu diesem Themenfeld. Diesem Verfahren liegt implizit die Annahme zugrunde, dass die individuell erwarteten Bildungserträge einen direkten Einfluss auf die Investitionsbereitschaft der Befragten haben, was vor dem Hintergrund des Rational-Choice-Ansatzes plausibel erscheint. Weniger klar ist dagegen die theoretische Grundlage, die hinter der – ebenfalls szenariengestützten – Erhebung von Bildungsinteressen steht. Hier wäre zunächst theoretisch zu klären, welche Zusammenhänge zwischen spezifischen Lebenssituationen und Bildungsinteressen angenommen werden können. Allerdings zeigen auch Befunde, wie eine auffallend geringe Investitionsbereitschaft beim beruflichen Wiedereinstieg, dass die Grundannahmen des Rational-Choice-Ansatzes alleine noch nicht ausreichen, um die gefundenen Differenzen ausreichend zu erklären. Damit decken die Autoren auch Defizite auf Ebene der Theoriebildung auf, die für weitere bildungsökonomische Arbeiten richtungsweisend sein könnten.

Die Zielsetzung der Theoriebildung scheint aber gegenüber der Politikberatung nachgeordnet zu sein. Diesen Eindruck erweckt zumindest das vorletzte Kapitel, das das Programm des Bildungssparens vor dem Hintergrund der eigenen Befunde beleuchtet. In diesem Kontext plädieren die Autoren sehr deutlich für eine erhöhte Eigenverantwortlichkeit der Lernenden für die Finanzierung der eigenen Weiterbildung, was nicht nur hinsichtlich der eingangs geschilderten Ambivalenz des Themas als eine zu einseitige Perspektive hinterfragt werden kann. Es darf bezweifelt werden, dass die Betrachtung von Bildung als rein privatem Investitionsgut dem Gegenstand gerecht wird, schon weil damit verbundene gesellschaftliche Ziele und Erträge ausgeblendet werden. Darüber hinaus wird pauschal davon ausgegangen, dass Weiterbildungsaktivitäten immer mit einer mittelbaren oder unmittelbaren Rendite für die Lernenden verbunden sind, was gerade für die außerberufliche Weiterbildung nicht generell angenommen werden kann. Die positive Bewertung des Bildungssparens durch die Autoren bleibt aber trotz dieser höchstens für Teile des Weiterbildungssektors zutreffenden Grundannahmen plausibel und nachvollziehbar.

Brödel und Yendell formulieren schließlich noch weitere Forderungen an staatliche Weiterbildungsförderprogramme, die zwar zum Teil auch über die eigenen Untersuchungsergebnisse hinausgehen, aber durchaus an den aktuellen Forschungsstand der Weiterbildungsforschung anknüpfen. So werden u.a. eine flexiblere Ausrichtung staatlicher Bildungsförderungen an der individuellen Lebenslage, eine mobile Weiterbildungsberatung in Berufsschulen und eine bessere Vorbereitung der Arbeitnehmer auf die Nacherwerbsphase gefordert. Gerade Letzteres dürfte mit dem Grundgedanken von Weiterbildung als privates Investitionsgut aber nur bedingt vereinbar sein.

Insgesamt kann das Buch sowohl Studierenden als auch Wissenschaftler(inne)n zur Lektüre empfohlen werden. Es ist gut verständlich geschrieben und übersichtlich gestaltet. Die Befunde zeigen einige wichtige und bislang wenig untersuchte Aspekte der Weiterbildung auf und verdeutlichen die Notwendigkeit regionaler Weiterbildungsstudien. Wenn die bildungspolitischen Positionen und das vertretene reduzierte Bild von Weiterbildung als Investitionsgut kritisch gelesen werden, ist die Studie sicherlich eine sehr lohnende Lektüre für Studierende und Bildungspraktiker(innen) und enthält viele interessante Befunde und Anknüpfungspunkte für im Bereich der Bildungsforschung tätige Wissenschaftler(innen).

[1] Baethge, Martin / Baethge-Kinsky, Volker (Hrsg.) (2004): Der ungleiche Kampf um das lebenslange Lernen. MĂĽnster.

[2] Feller, Gisela (Hrsg.) (2006): Weiterbildungsmonitoring ganz öffentlich. Entwicklungen, Ergebnisse und Instrumente zur Darstellung lebenslangen Lernens. Bielefeld.
Bernhard Schmidt (MĂĽnchen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Bernhard Schmidt: Rezension von: Brödel, Rainer / Yendell, Alexander: Weiterbildungsverhalten und Eigenressourcen, NRW-Studie ĂĽber Geld, Zeit und Erträge beim lebenslangen Lernen. Bielefeld: Bertelsmann Verlag 2008. In: EWR 8 (2009), Nr. 3 (Veröffentlicht am 05.06.2009), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978376393330.html