EWR 15 (2016), Nr. 6 (November/Dezember)

Thomas Faist / Margit Fauser / Eveline Reisenauer
Das Transnationale in der Migration
Eine EinfĂĽhrung
Weinheim / Basel: Belz Juventa 2014
(216 S.; ISBN 978-3-7799-2607-8; 24,95 EUR)
Das Transnationale in der Migration Der im Titel befindliche Begriff „transnational“ lädt den Lesenden zum Nachdenken ein, welchen Denkanstoß das „Transnationale“ interkultureller Pädagogik geben könnte. Spätestens seit dem Erscheinen des Buchs „Nations Unbound“ von Linda Basch et al. [1] in der Mitte der 90er Jahre entwickelt sich das Transnationale in der Migrationsforschung nicht nur im angelsächsischen, sondern auch im deutschen und internationalen Kontext zu einer novellierenden Perspektive. Eine schnelle „Karriere“ des Begriffs und die damit einhergehenden Streitigkeiten machen dieses Buch zu einem willkommenen Einführungsband, der allgemeine Grundlagenwerke auf dem Gebiet internationaler Migrationsforschung wunderbar ergänzt. Die vorliegende Monographie von Thomas Faist, Margit Fauser und Eveline Reisenauer basiert zum großen Teil auf der englischen Ausgabe „Transnational Migration“ von dem Autor und den Autorinnen [2]. Deutlich lässt sich an vielen Stellen die Tiefe und Breite sowie die Expertise v.a. von Thomas Faist erkennen, einem der führenden Protagonisten seit der frühsten Phase transnationaler Studien.

Das zu besprechende Buch umfasst neun Kapitel, die wiederum in vier Themenblöcke untergegliedert sind (Block I: „Überblick über die Konzepte Transnationalisierung und Transnationale Soziale Räume“, Block II: Bedeutung transnationaler Perspektiven für das „Verständnis von Migration und deren Folgen“, Block III „Transnationale Verflechtungen“ sowie Block IV: Methodologie und Methoden transnationaler Forschung (28-29)). In Kapitel 1 werden die Lesenden in die Kernbegriffe eingeführt. So geht es zunächst um die Klärung der Wortwahl „das Transnationale“. Es handelt sich hierbei um die Substantivierung des Adjektivs „transnational“, anstatt des sonst eher gebräuchlichen Begriffs des „Transnationalismus“ in der Migrationsforschung. „Das Transnationale“ bildet drei Sachverhalte ab: Erstens geht es um die Transnationalisierung, d.h. die „Prozesse, die grenzübergreifende Bindungen und Aktivitäten in unterschiedlichen Bereichen betreffen, einschließlich Transaktionen im Zusammenhang mit Waren, Dienstleistungen Kapital und Denkweisen“ (12). Zweitens handelt es sich um „Transnationale Soziale Räume“ als „grenzübergreifende soziale Strukturen“ (22). Diese „sozialen Gefüge“, in denen die „grenzübergreifenden Transaktionen von Migranten und anderen Akteuren (…) statt[finden]“, manifestieren sich als Kleingruppen, Kreisläufe und Gemeinschaften, die sowohl in räumlichen Mobilitätsprozessen entstehen als auch in breitere, durch Kolonialisierung, Wirtschaftsbeziehungen, politische Verflechtungen und kulturellen Austausch entstandenen Strukturen eingebettet sind (12). Schließlich ist mit dem Transnationalen auch Transnationalität gemeint, die durch das „Ausmaß der Konnektivität von Individuen und Gruppen über nationale Grenzen hinweg“ gekennzeichnet wird (12). Dies betrifft ein breites Spektrum grenzübergreifender Transaktionen von diversen Akteuren mit ihren heterogenen Merkmalen und Zugehörigkeiten, die weit über räumliche Mobilität hinausgehen (26).

Kapitel 2 veranschaulicht den Begriff der Transnationalität anhand familiärer, soziokultureller, wirtschaftlicher und politischer Praktiken von Migrantinnen und Migranten, die „Transaktionen“ genannt werden. Kapitel 3 beschäftigt sich mit der Wechselwirkung zwischen diesen grenzüberschreitenden Transaktionen von Migrantinnen und Migranten und der Entstehung bzw. der Verdichtung Transnationaler Sozialer Räumen“ [3]. Diskutiert werden u.a. die Bedingungen für Transnationalisierung in historischer Perspektive; durch die Weiterentwicklung von Technologien und deren Verbreitung unterscheidet sich heutige Transnationalität von der von gestern. Ferner werden drei Idealtypen „Transnationaler Sozialer Räume“ dargestellt, die nach der Dichte von Bindungen bemessen werden können. Diese Intensität bleibt aber nicht immer gleich, vielmehr kann diese sich während des Lebenslaufs oder über Generationen ändern.

Aus dieser transnationalen analytischen Perspektive setzen sich die darauffolgenden drei Kapitel mit den insgesamt drei Schlüsselthemen auf dem Gebiet internationaler Migration und deren Folgen auseinander und werden durch eine Vielzahl von empirischen Beispielen illustriert: Transnationalisierung und Entwicklung (Kapitel 4), Integration und Transnationalität (Kapitel 5), sowie transnationale politische Praktiken und Institutionen mit dem Schwerpunkt auf Staatsbürgerschaft (Kapitel 6). Bekanntlich tragen monetäre Rücküberweisungen zum Einkommen von zurückgeblieben Familien und „hometown associations“ zur Entwicklung lokaler Gemeinden bei, während im Falle der räumlichen Mobilität von Hochqualifizierten kontrovers diskutiert wird, ob diese zum Brain-Drain oder zum Brain-Gain führt. Ausgehend von der Zirkulation von Wissen im Zeitalter der Wissensgesellschaft wird jedoch zunehmend hochqualifizierte Migration als wiederholende, multidirektionale Bewegung anstatt als ein einmaliger Ortswechsel bzw. eine Abwanderung verstanden. Zusätzlich zu finanziellen Transaktionen und zum Wissenstransfer wird die Rolle von sozialen Überweisungen mit Blick auf den soziokulturellen und demokratischen Wandel in den Herkunftsländern diskutiert. Insgesamt beleuchtet Kapitel 4 die transnationale Perspektive auf die Entwicklungsthemen, den Herkunftskontext und somit grenzübergreifende Verflechtungen in mindestens zwei Ländern bzw. multi-lokalen Kontexten. In Kapitel 5 wird der Blick auf den Aufnahmekontext gelenkt, und zwar auf die Herausforderungen, die „sich aus Prozessen der Transnationalisierung und Transnationalität der Migranten für Fragen der Integration und vor allem für die existierenden Integrationsmodelle ergeben“ (94). Dies ist ein fundamentaler Aspekt, denn „Transnationationalismus“ war ursprünglich verknüpft mit einer „Kritik am Ideal der exklusiven Integration von Migranten in die Einwanderungsgesellschaft (…), und damit auch an den Konzepten klassischer Assimilationstheorien“. Demnach legten „in der Folge der physischen Wanderung die Menschen ihre vormaligen kulturellen Gebräuche und fremden Sprachen (…) [ab], [werden] Teil der für sie neuen Gesellschaft (…) und [integrieren] sich auch in deren zentrale gesellschaftliche Institutionen“ (93). Während es unterschiedliche Einschätzungen über das Verhältnis zwischen Transnationalisierung und Integration gibt – die hauptsächlich anhand von nicht-deutschen Beispielen illustriert werden –, vertreten der Autor und die Autorinnen die Meinung, dass „Transnationalisierung und Integration zwei zwar unterschiedliche, aber doch miteinander verwobene Prozesse darstellen. Ihre Kombination kann (…) letztendlich zu unterschiedlichen Ergebnisse führen“ (95).

Als eine besondere Art transnationaler Verflechtungen nimmt Kapitel 7 die Europäische Union (EU) in den Blick. Die Tatsache, dass die soziokulturelle Verdichtung mit der von Nationalstaaten gelenkten grenzübergreifenden politischen Struktur einhergeht, macht die EU zum wichtigen Untersuchungsgegenstand. In diesem Zusammenhang wird auf europäische Studien zum Thema Arbeitsmigration, studentische Mobilität, Familienleben und Ruhestandswanderung eingegangen.

Eines der interessantesten Kapitel im vorliegenden Buch ist zweifellos das Kapitel 8, „Grundlagen der transnationalen Methodologie“. Denn „für eine empirische Untersuchung der transnationalen Phänomene ist ein entsprechendes methodologisches Instrumentarium erforderlich und auch eine Reflektion darüber, wie die relevanten Techniken und Verfahren angewendet werden“ (153). Viele qualitative transnationale Untersuchungen lassen sich von den Ansätzen wie „multi-sited ethnography“ und „mobile ethnography“ inspirieren, um transnationale Organisationen, Migrantinnen und Migranten und deren relativ sesshafte Familien zu untersuchen, während andere Forschergruppen wie die von Mazzucato diese multi-lokalen Forschungsansätze zum Zweck des Vergleichs und der Vervollständigung systematisieren („simultaneous matched sampling method“) (168ff). Quantitative Studien hingegen nehmen oft sowohl die Transnationalen als auch Nicht-Transnationalen in den Blick, um das Ausmaß transnationaler Praktiken und die Faktoren zu identifizieren. Diskutiert werden hierbei die Befragungsmethode des von Alejandro Portes geleiteten „Comparative Immigrant Entrepreneurship Project“ (CIEP) sowie des von Douglas Massey und Jorge Durand geführten „Mexican Migration Project“ (MMP), wobei sowohl CIEP und MMP sich jeweils in der anfänglichen Phase auch auf qualitative Interviews gestützt haben, um die standardisierten Fragebögen zu konstruieren. Das Buch schließt mit einer Diskussion über die Bedeutung eines transnationalen Ansatzes für die Zivilgesellschaft ab (Kapitel 9). Beleuchtet werden die Konsequenzen transnationaler Aktivitäten u.a. für Menschenrechte, politische und soziale Rechte, migrantische Organisationen, Gewerkschaften und Familien. Die Analyse dieser Beispiele verdeutlicht, dass grenzübergreifende Praktiken von Migrantinnen und Migranten verschiedene Akteure und Institutionen gesamtgesellschaftlich prägen. In diesem Kontext argumentieren der Autor und die Autorinnen, dass „es sinnvoll ist, von einer Transnationalisierung der Zivilgesellschaft zu sprechen, statt nationale Zivilgesellschaft und transnationale Zivilgesellschaft als zwei unterschiedliche Typen einander gegenüberzustellen“ (196). Dieser Blickwinkel ist relevant für die eingangs gestellte Frage, welchen Denkanstoß das „Transnationale“ der interkulturellen Pädagogik geben könnte. Der Begriff „transnational“ regt uns an, Migration, räumliche Mobilität und deren Konsequenzen nicht nur mit Blick auf die Interaktionen von direkt beteiligten Akteuren zu verstehen, sondern auch mit Blick auf Wandel und Kontinuitäten in breiteren gesamtgesellschaftlichen Prozessen und Kontexten zu erfassen.

Insgesamt handelt es sich um ein sehr gelungenes Einführungslehrbuch, das anhand einer Vielzahl von Fallbeispielen im internationalen Kontext die in den letzten zwei Jahrzehnten stattgefundenen Debatten um das Transnationale in der Migrations- und (teilweise) Organisationsforschung in zugänglicher Sprache herausarbeitet. Alle Kapitel sind klar strukturiert und mit lebendigen Beispielen versehen. Die Themen sind nachvollziehbar ausgewählt und abwechslungsreich zugleich, wobei es aus der Perspektive der Studierenden durchaus wünschenswert gewesen wäre, am Ende der jeweiligen Kapitel Übungs- oder Diskussionsfragen zu finden, wie es einige Einführungslehrbücher tun. Während bei der deutschen Ausgabe deutschsprachige Literatur stärker in Betracht gezogen wird, hätte eine noch explizitere Einbeziehung von konzeptionellen und inhaltlichen Debatten in Deutschland, etwa die um Integration, dazu beigetragen, die international geführten Diskussionen zu kontextualisieren. Dennoch kann dieses Lehrbuch den Lehrenden und interessierten Studierenden breit und ohne Einschränkung empfohlen werden.

[1] Basch, L. G. / Glick Schiller, N. / Szanton Blanc, C. Nations Unbound: Transnational Projects, Postcolonial Predicaments, and Deterritorialized Nation-States. Yverdon: Gordon / Breach 1994.

[2] Faist, T. / Fauser, M. / Reisenauer, E.: Transnational Migration. Cambridge: Polity 2013.

[3] Pries, L.: Die Transnationalisierung der sozialen Welt. Sozialräume jenseits von Nationalgesellschaften. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2008.
Kyoko Shinozaki (Duisburg-Essen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Kyoko Shinozaki: Rezension von: Faist, Thomas / Fauser, Margit / Reisenauer, Eveline: Das Transnationale in der Migration, Eine EinfĂĽhrung. Weinheim / Basel: Belz Juventa 2014. In: EWR 15 (2016), Nr. 6 (Veröffentlicht am 29.11.2016), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978377992607.html