EWR 14 (2015), Nr. 2 (März/April)

Lena Correll / Julia Lepperhoff (Hrsg.)
Frühe Bildung in der Familie
Perspektiven der Familienbildung
Weinheim / Basel: Beltz Juventa 2013
(284 S.; ISBN 978-3-7799-2908-6; 29,95 EUR)
Frühe Bildung in der Familie Spätestens seit der Jahrtausendwende kommt Familie und Elternschaft eine immense Aufmerksamkeit in erziehungs- und sozialwissenschaftlichen Fachdiskursen zu. Nicht nur, aber insbesondere die Frage nach Familie und (früher) Bildung steht dabei im Fokus. In diesem Zusammenhang finden sich zwischenzeitlich zahlreiche Publikationen, gleichwohl gilt dies weniger für den Bereich der Familienbildung, der bisher kaum systematisch in den Blick genommen wurde. Ohne Zweifel zeigt sich für die Familienbildung – mit wenigen Ausnahmen – eine Leerstelle, die mit der vorgelegten Buchpublikation von Lena Corell und Julia Lepperhoff markiert und bearbeitet wird.

Ausgangspunkt der Publikation mit dem Titel „Frühe Bildung in der Familie. Perspektiven der Familienbildung“ ist das Bundesprogramm „Elternchance ist Kinderchance – Elternbegleitung der Bildungsverläufe der Kinder“, das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wurde. Lena Corell und Julia Lepperhoff als Herausgeberinnen des Sammelbands sind zugleich Leiterinnen des Kompetenzteams Wissenschaft an der Evangelischen Hochschule Berlin, das die Durchführung des Bundesprogramms wissenschaftlich unterstützte. Sabine Walper vom Deutschen Jugendinstitut München und Mark Stemmler von der Universität Erlangen-Nürnberg verantworteten die Evaluation des Bundesprogramms und sind mit einem Beitrag in der Publikation vertreten. Die in dem Band versammelten Beiträge basieren überwiegend auf Vorträgen einer internationalen Konferenz, die im Kontext des Bundesprogramms unter dem Titel „Zusammen denken: Familie und Bildung. Wissenschaftliche Perspektiven auf frühe Förderung durch Bildungsbegleitung“ im Oktober 2012 in Berlin stattfand.

Mit der vorgelegten Publikation beabsichtigen die Herausgeberinnen, einen weiterführenden Beitrag zur gegenwärtigen Debatte um das Verhältnis von Familie und (früher) Bildung aus einer interdisziplinären sowie internationalen Perspektive zu leisten. Im Fokus stehen der Stellenwert von Familie als Ort früher Bildung von Kindern zum einen und Familienbildung als mittlerweile auch international ausdifferenzierter, professionalisierter und auf seine Wirkung hin befragter Angebotsbereich der Bildungsbegleitung zum anderen. Einleitend wird Familienbildung als (sozial-)pädagogisches Feld konturiert, das im bundesdeutschen Kontext der Kinder- und Jugendhilfe zuzuordnen ist und dem das Potential innewohnt, soziale Bildungsungleichheit „frühzeitig“ zu bearbeiten. Mit ihren Angeboten (z. B. Geburtsvorbereitung, Krabbelgruppen, Elternkurse etc.) adressiert Familienbildung (werdende) Eltern und unterstütze Mütter und Väter niederschwellig in ihrer zentralen Position als Bildungsvermittler „von Geburt an“ und offeriere in besonderer Weise die Möglichkeit, bei Eltern für die Förderung von Lern- und Bildungsprozessen ihres Kindes notwendige Kenntnisse und Voraussetzungen zu schaffen. Dem Anspruch nach ginge es Familienbildung bildungsmilieuübergreifend um „alle“ Eltern, gleichwohl ist festzuhalten, dass die Nutzungsweisen von Angeboten der Familienbildung klassen- und geschlechtsspezifisch strukturiert sind, d. h. insbesondere Mütter eines ‚mittleren Milieus’ erreicht und sie zu Nutzerinnen von Familienbildung werden (13).

Während in der Familienbildung lange Zeit die elterliche „Erziehungskompetenz“ im Vordergrund stand, zeigten sich gegenwärtig Verschiebungen in Richtung „Bildungskompetenz“ von Eltern als zentrale Orientierung. Die Realisierung dieser „neuen“ Programmatik von Familienbildung werde gegenwärtig etwa in Form von Qualifizierung sozialpädagogischer Fachkräfte Rechnung getragen, die im Rahmen des Bundesprogramms „Elternchance ist Kinderchance“ an ausgewählten Modellstandorten mit einem spezifisch ausgearbeiteten Curriculum zu Elternbegleiterinnen und -begleitern geschult wurden (12).

Vor dem Hintergrund dieser einleitend von den Herausgeberinnen entwickelten, auch empirisch fundierten Diskurslinien zu Familienbildung strukturiert sich der Sammelband, der insgesamt 20 Beiträge umfasst, entlang von fünf Kapiteln, in denen (1.) die inhaltliche Ausrichtung des Bundesprogramms „Elternchance ist Kinderchance“ und seine Evaluation vermittelt, (2.) Familie als Bildungsort auch aus ungleichheitstheoretischer Perspektive konturiert, (3.) Bildungsbegleitung durch die Eltern- und Familienbildung unter Berücksichtigung professionalitätstheoretischer Fragestellungen diskutiert, (4.) frühe Förderung bzw. Bildungsbegleitung im europäischen Kontext vergleichend ausgelotet und schließlich (5.) die Perspektive einer quantitativen und qualitativen Wirkungsforschung zu früher Förderung aufgegriffen wird.

Insgesamt ist der Entstehungskontext des Sammelbands für seine Ausrichtung nicht unerheblich, speist er sich aus einer spezifischen familienpolitischen Programmatik, mit der Familie bzw. Eltern gegenwärtig zentral gesetzt und in den Fokus kindlicher Bildungserfolge und -qualität gestellt werden. Ist die Position von Familie als primärer Sozialisationsinstanz keineswegs in ihrer Bedeutung für kindliches Aufwachsen zu schmälern und Bereitstellung einer öffentlichen Unterstützungs- und Beratungsinfrastruktur für Familien und Eltern insgesamt wenig strittig, so ergeben sich gleichwohl aus der politischen Kontextuierung für den Band grundlegende familienwissenschaftlich relevante Fragen, die jedoch in ihrer Beantwortung weitestgehend der Leserin bzw. dem Leser überlassen bleiben und insgesamt wenig explizit zum Gegenstand der Analyse und Reflexion gemacht werden: Wie geraten Familien und Eltern gegenwärtig in familien-, bildungs- und arbeitsmarktpolitischer Hinsicht mit welchem Interesse in den Fokus? Welche (unhinterfragten) Implikationen ergeben sich aus einer politisch-programmatisch aufgeladenen Figur der „frühen“ Bildung („Bildung von Anfang an“) und was steht in der Gefahr, bei diesem Zugang aus dem Blick zu geraten? Inwieweit lassen sich politische Zugriffswünsche auf Familie und familiale Privatheit ausmachen, die im Feld der Kinder- und Jugendhilfe insgesamt aktuell zum Ausdruck kommen und offensichtlich auch im Bereich der Familienbildung deutlicher als noch in der Vergangenheit Einzug halten? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus perspektivisch für Bereiche der Familienbildung in ihrer inhaltlichen Orientierung, etwa mit Blick auf Momente von Kontrolle und Disziplinierung von („Risiko“-)Familien im Sinne einer vermehrten Etablierung einer „Erziehung von Eltern“ (beobachtbar auch am Beispiel Ganztagsschule)? Welche Grenzen von Familienbildung sind auszumachen und zu markieren, etwa auch mit Blick auf „benachbarte“ institutionelle Arrangements wie Kitas? Wie kommen gesellschaftliche Vorstellungen von bzw. Ansprüche an „gute(r)“ Elternschaft zum Tragen, etwa durch Medien, Politik und auch durch Lehr- und sozialpädagogische Fachkräfte, die nicht zuletzt spezifische Bedarfe an Unterstützung und Beratung im Rahmen von Familienbildung durchaus erst produzieren?

Unentschieden zeigen sich die Autorinnen bzw. Autoren des Sammelbands in Hinblick auf eine explizite Bezugnahme auf das Bundesprogramm „Elternchance ist Kinderchance“, die sich vereinzelt in den Beiträgen zeigt, aber wenig differenziert ausfällt und sich zumeist darauf beschränkt, das Programm beispielsweise anhand von „Erfolgsfaktoren“ in seinen positiven Konsequenzen zu kommentieren. Eine substanzielle Auseinandersetzung mit „Elternchance ist Kinderchance“ findet kaum statt, womit die Gelegenheit vergeben wird, den Bereich der Familienbildung mit Blick auf die neueren familienpolitischen und -wissenschaftlichen Entwicklungen weiterführend zu befragen und Akzente etwa in Richtung einer weiterführenden Professionalisierung zu setzen.

Insgesamt bietet der Sammelband einen vertieften Einblick in das heterogene Feld der Familienbildung im deutschsprachigen und internationalen Kontext. Deutlich wird die zunehmende Bedeutung von Programmen der „Bildungsbegleitung“ und Unterstützung von Familien und Eltern, die sich gerade vor dem Hintergrund aktueller familien-, bildungs- und arbeitsmarktpolitischer Strategien entfalten und dahingehend zu analysieren sind.
Martina Richter (Duisburg-Essen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Martina Richter: Rezension von: Correll, Lena / Lepperhoff, Julia (Hg.): Frühe Bildung in der Familie, Perspektiven der Familienbildung. Weinheim / Basel: Beltz Juventa 2013. In: EWR 14 (2015), Nr. 2 (Veröffentlicht am 08.04.2015), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978377992908.html