EWR 13 (2014), Nr. 6 (November/Dezember)

Rudolf KĂĽnzli / Anna-Verena Fries / Werner HĂĽrlimann / Moritz Rosenmund
Der Lehrplan – Programm der Schule
Weinheim / Basel: Beltz-Juventa 2013
(336 S.; ISBN 978-3-7799-2921-5; 24,95 EUR)
Der Lehrplan – Programm der Schule Seit jeher stellt der Lehrplan ein Instrument zur Steuerung und Organisation von Schule und Unterricht dar. Abhängig von den rechtlichen, administrativen und kulturellen Rahmenbedingungen ist im Lehrplan der gesellschaftliche Auftrag von Schule in einem mehr oder minder detaillierten und verbindlichen Ausmaß festgehalten. Einerseits übt der Lehrplan durch die relative Beständigkeit des inhaltlichen Kanons eine legitimierende und stabilisierende Funktion aus, andererseits ist er auch ein Medium, das im Kontext von gesellschaftlichen Veränderungsprozessen regelmäßig in Diskussion steht und von Reformen betroffen ist. Nicht zuletzt die Einführung von Bildungsstandards, Kompetenzmodellen und vergleichenden Schulleistungsstudien lassen die Frage nach dem Zweck, der Bedeutung, Reichweite, Verbindlichkeit und Wirkung von Lehrplänen, aber auch die Frage nach der Funktion von wissenschaftlicher Expertise in curricularen Entwicklungsprozessen, der sogenannten Lehrplanarbeit, erneut aufkommen. Welche Rolle nehmen Lehrpläne in Vergangenheit und Gegenwart ein, welche Konsequenzen hat dies auf Schule und Unterricht? Mit solchen Fragen beschäftigt sich das vorliegende Studienbuch.

Nach der Definition von grundlegenden Begriffen in der Einleitung orientieren sich die folgenden Kapitel an gezielten Leitfragen, die als Reflexionsansätze gesehen werden können, auf der jegliche Lehrplanarbeit fußt. Diese dienen als Ausgangspunkt von Diskussionen, im Rahmen derer wissenschaftlich anerkannte und fundierte Annahmen, Theorien und Modelle zur Analyse von curricularen Planungen vorgestellt werden. Dabei fließen Ergebnisse aus Forschungsarbeiten sowie Erfahrungsberichte aus aktuellen Lehrplanprojekten in der Schweiz (wie z. B. die Einführung von sprachregionalen Lehrplänen) immer wieder in die Auseinandersetzung mit ein. In Bezug auf Trends und neue Erwartungen an Lehrpläne wird ihre künftige Bedeutung für Schule und Unterricht auch weiterhin als hoch eingestuft, wenn auch entgegen der jetzigen Situation unterrichtsmethodische Aspekte vermehrt Eingang finden könnten.

Vor allem die Einleitung dient der Grundlegung von zentralen Termini. Als Instrument zur Analyse curricularer Planungen findet dabei besonders die „Topik der Lehrplanung“ Beachtung. Ausgehend von Letzterer, der auch die Idee zugrunde liegt, dass die Aufgabe jeglicher curricularer Planung in der Vermittlung des Spannungsfeldes von „Tradieren und Vorbereiten“ liegt, wird im zweiten Kapitel die Entstehung und Veränderung des gesellschaftlichen Auftrages von Schule aus gesellschaftstheoretischer, im Besonderen aus systemtheoretischer und funktionstheoretischer Sicht besprochen. Der Rahmen des Auftrages von Schule hat sich dabei im Spannungsfeld von Gegensätzen zu bewegen, welcher im Zuge eines gesamtgesellschaftlichen Schuldiskurses ausverhandelt wird.

In Anlehnung an aktuelle Entwicklungen im Schulsystem, mit welchen das Versprechen auf Vergleichbarkeit und Ergebniskontrolle des Leistungsauftrages von Schule verknüpft ist, wird in Kapitel zwei die Frage nach dem Detailreichtum und der Messbarkeit von Lehrplänen diskutiert. Als Triebkraft für die Transformation von Lehrplänen stellen die Autor/-innen hierbei ein verändertes Verständnis von Steuerung, Lehren und Lernen sowie der Eigenverantwortung von Schulen vor. Unterschiedliche Lehrplantypen und deren Reichweite werden beschrieben.

Wie können Sachverhalte, Themen und Gegenstände in der Schule als Lernstoff dargestellt werden? Repräsentation, Auswahl und Anordnung von Wissen stellen den Ausgangspunkt von Kapitel drei dar. Dabei wird vor allem die historische, soziale und kulturelle Konstituiertheit von Wissensordnungen, wie sie sich in Lehrplänen finden lassen, betont. Ebenso werden Kriterien für die Bestimmung der Auswahl von Lehrplaninhalten und sich daraus ergebende mögliche Konsequenzen etwa für den Transfer in die wissenschaftliche Bezugsdisziplin, herausgearbeitet.

Entwicklungsphasen, aber auch Modelle zur Analyse von Konflikt- und Entscheidungssituationen in der Lehrplanarbeit werden in Kapitel vier vorgestellt. In Abhängigkeit von der Stellung der Wissenschaft in einer Gesellschaft und der Vorstellung von Beständigkeit wissenschaftlichen Wissens, wird dabei idealtypisch zwischen Modellen der Lehrplanarbeit unterschieden, welche entweder die wissenschaftliche Expertise oder aber die Partizipation aller Mitglieder einer Gesellschaft, in den Vordergrund stellen (zweckrationale vs. diskursive Modelle). Unter Heranziehung von Beispielen aus aktuellen und vergangenen Lehrplanprojekten wird eine Vermischung beider Modelle in der Realität deutlich gemacht.

Im Anschluss an die vielfältigen Erwartungen, die seitens der Öffentlichkeit, Politik und Verwaltung, aber auch von Lehrer/-innen und Schüler/-innen an den Lehrplan gerichtet werden, schließt sich die Frage nach dessen Wirkung an. Unter Bewusstmachung der kontextuellen Abhängigkeit anderer schulischer Steuerungsinstrumente werden Dimensionen und Möglichkeiten zur Ermittlung der Wirkung von Lehrplänen auf verschiedensten Ebenen in Kapitel fünf hergeleitet. Das Ergebnis stellt ein Indikatorenraster dar, welcher als Anregung für künftige Lehrplanevaluation dient.

Eine Ausweitung seiner begrifflichen Bestimmung erfährt der Lehrplan in Kapitel sechs. Hier wird er auch als implizites Erziehungs- und Bildungsprogramm der Institution Schule betrachtet, wobei vor allem Studien und Ansichten der Bildungssoziologie zu Wort kommen und die sozialisatorische Wirkung der Organisation von Schule und Lehrplänen, den sogenannten „heimlichen Lehrplan“, ins Zentrum stellen. Daran anschließend wird im folgenden Kapitel das Verhältnis zu Lehrmitteln und Schulbüchern aufgegriffen. Beide werden als vermittelndes Medium zwischen Lehrplan und Unterricht aufgefasst, wobei besonders auf deren steuernde Bedeutung für Schule eingegangen wird.

Mit Rückgriff auf das curriculare Spannungsfeld zwischen Universalität und Partialität von Wissensinhalten wird in Kapitel acht eine Diskussion über die stabilitätsstiftende Funktion des Lehrplans für die Identität einer Nation eingeleitet, in welcher anhand des Bestrebens der Entwicklung eines europäischen Curriculums der Trend nach Internationalisierung und Vergleichbarkeit veranschaulicht wird. Ausklang des Studienbuches stellt die historische Herausbildung des erziehungswissenschaftlichen Faches im Studienplan für Lehramtsstudierende in der deutschsprachigen Schweiz dar. An diesem Beispiel werden nochmals die ausgeführten Modelle und Konfliktpunkte der Lehrplanarbeit aufgezeigt und ausführlich demonstriert.

Das Studienbuch erreicht die Zielsetzungen, die es sich zugrunde gelegt hat, und wird den gesetzten Erwartungen eines breiten Adressatenkreises gerecht. Nicht zuletzt der gut strukturierte Aufbau, die durchgängigen Querverweise und die pointierten Zusammenfassungen erlauben es auch mit der Materie bereits bekannten Leser/-innen, speziell die interessierenden Inhalte zu filtern. Das Buch empfiehlt sich zudem für Studienbeginner/-innen und bietet durch seine gute Lesbarkeit, Übersichtlichkeit und nachvollziehbare Argumentationsstränge eine gelungene Einführung in die schul- und lehrplantheoretische Auseinandersetzung. Trotz der gebotenen Notwendigkeit einer komprimierten und zusammenfassenden Darstellung im Rahmen eines Studienbuches gelingt es der Autor/-innengruppe, der Vielschichtigkeit des Sachverhalts gerecht zu werden und nicht an Tiefe zu verlieren. Zahlreiche Informationen und Anregungen bieten die themenspezifischen Quellen- und Linkangaben. Die einzelnen Kapitel stehen nicht in zwingender Verbindung zueinander, was einerseits als positiv zu sehen ist, andererseits wäre am Ende ein Resümee wünschenswert, in welchem die Kernfragen der curricularen Planung miteinander in Beziehung gesetzt werden. Nichtsdestoweniger gelangt die Komplexität der Lehrplanarbeit im Rahmen der Lektüre ins Bewusstsein und stärkt damit die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Lehrplänen.
Mariella Knapp und Tamara Katschnig (Wien)
Zur Zitierweise der Rezension:
Mariella Knapp und Tamara Katschnig: Rezension von: KĂĽnzli, Rudolf / Fries, Anna-Verena / HĂĽrlimann, Werner / Rosenmund, Moritz: Der Lehrplan – Programm der Schule. Weinheim / Basel: Beltz-Juventa 2013. In: EWR 13 (2014), Nr. 6 (Veröffentlicht am 04.12.2014), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978377992921.html