EWR 6 (2007), Nr. 3 (Mai/Juni 2007)

Werner Fiedler / Eike Hebecker / Manuela Maschke (Hrsg.)
Geschichten aus 1001 Promotion
Ein Promotionslesebuch
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2006
(228 S.; ISBN 978-3-7815-1483-6; 26,00 EUR)
Geschichten aus 1001 Promotion Eine Promotion wird häufig als Qualifikations- oder Bildungsprozess verstanden, wobei eindeutig die fachlichen bzw. wissenschaftlichen Aspekte im Vordergrund stehen. Dass dieser Prozess aber auch Sozialisations- oder gar Erziehungskomponenten aufweist und für die Persönlichkeitsbildung nachhaltig Wirkung zeigt, wird hingegen selten thematisiert.

Nach langjährigen Erfahrungen mit PromotionsstipendiatInnen und ihren Arbeits- und Lebenszusammenhängen hat nun die Hans-Böckler-Stiftung ein Lesebuch herausgegeben, in welchem die Erfahrungen mit dem Prozess der Promotion von (ehemaligen) Promovierenden auf unterhaltsame, selbstironische, witzige, geistreiche, aber auch nachdenkliche Weise zum Gegenstand der Darstellung gemacht wurden. Ziel der HerausgeberInnen ist es, Anregung zu geben für die Reflexion der eigenen Promotionsphase, aber auch all jenen Lust zu machen auf das Promovieren, die gerade mit der Doktorarbeit begonnen haben.

Materialkrise, Relevanzkrise, Orientierungskrise sind nur einige Schlagworte, mit denen Promovierende beim Einführungskurs der Hans-Böckler-Stiftung konfrontiert werden. Spätestens zu diesem Zeitpunkt bekommen auch diejenigen eine ungefähre Ahnung, die (vielleicht noch euphorisiert von der Zusage eines Stipendiums) glaubten, ihr Dissertationsvorhaben immer gutgelaunt, hochmotiviert und mit perfekter Zeitplanung bewältigen zu können.

Da erfährt man dann plötzlich etwas von Zweifeln, Krisen, fehlenden Strukturen oder Schreibblockaden. Ganz besonders schlimm soll es jene treffen, die nicht in Forschungs- und Arbeitsverbünden oder sonstigen nützlichen Netzwerken integriert sind. Daher der dringende Rat und Tenor des Einführungsseminars, sich KollegInnen zu suchen und, auch mit Blick auf das „Danach“, jede Menge Wissen um die Dissertation herum zu akkumulieren, sprich Schlüsselkompetenzen zu erwerben. Wen wundert es da, dass gleich zu Beginn der Dissertation die erste Orientierungskrise zu konstatieren ist.

Jene Krisen können nun durch die Lektüre dieses Promotionslesebuches kompensiert oder doch zumindest relativiert werden, und das nicht nur von Promovierenden der Hans-Böckler-Stiftung. Gleichwohl ist aber zu betonen, dass sich der Kontext der Stiftung zweifellos auf die Auswahl der Promovierenden und ihre Forschungsthemen auswirkt und auch die stiftungseigene Form der Förderung die Promotionsphase nachhaltig prägt. All diese Aspekte finden auf vielfältige Weise ihren Niederschlag in den einzelnen Beiträgen, was hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit auf andere Promotionszusammenhänge zu berücksichtigen ist.

Mit vielen Kurzgeschichten, welche facettenreich den Alltag oder das Leben mit der Dissertation widerspiegeln, wird versucht, viele kleine Eindrücke jenseits wissenschaftlicher oder statistischer Verlautbarungen zum Promotionsprozess einzufangen. Nicht omnipotente WissenschaftlerInnen, sondern die Menschen dahinter mit ihren Stärken und Schwächen, Sorgen und Nöten oder Freud und Leid stehen im Mittelpunkt der Betrachtung. Pathetischer formuliert könnte man auch sagen, die ‚Menschlichkeit des Promovierens’ im Sinne von menschlicher Alltäglichkeit, Einfachheit, aber auch Fehlbarkeit und Begrenztheit wird zum Thema. Allzu oft werden Lebensläufe im Wissenschaftsbetrieb ‚begradigt’: das, was der Karriere schaden könnte, wird ‚umformuliert’ oder entfällt. Genau hierdurch entsteht aber für den wissenschaftlichen Nachwuchs ein verzerrtes Bild von ach so geradlinigen, nie schwächelnden WissenschaftlerInnen. Das Eingestehen von Zweifeln oder Schwächen macht das große Projekt namens Dissertation menschlich und relativiert bedrohliche, beängstigende Momente. So könnte es mit Hilfe des Buches durchaus gelingen, ein realistischeres Bild vom Wachsen und Werden künftiger WissenschaftlerInnen zu gewinnen.

Die Gliederung orientiert sich an den für die AutorInnen und (ehemaligen) Promovierenden relevanten Themen im Rückblick auf ihren Forschungsprozess. So entstanden inhaltliche Zuordnungen wie „Biographie“, „Stimmungen“, „Texten und Schreiben“, „Wissenschaftsbetrieb“, „Umwelt“ oder „Betreuung“. Dabei sind die Beiträge sehr unterschiedlich strukturiert und akzentuiert, was sich aber nicht als Nachteil herausstellt. Vielmehr kommen hiermit die divergierenden Be- und Verarbeitungsformen des (Lebens-)Projektes „Dissertation“ bzw. dessen Integration in den Alltag gut zum Ausdruck. In allen Beiträgen wird somit deutlich, dass es sich um kein reines Arbeitsprojekt handelt und die Allgegenwärtigkeit oder Alltagspräsenz der ‚Diss’ überwiegt. Arbeits- bzw. Forschungsaspekte als solche treten in den Hintergrund.

So trifft man im gesamten Buch immer wieder auf sehr persönliche Schilderungen, die Einblick geben in die inneren Zustände, die persönliche Verfassung der Promovierenden. Ängste, Zweifel, Krisen, soziale und intellektuelle Isolation, konfuse Gefühle und Gedanken, eben jene Facetten, die allzu oft nach außen verborgen bleiben, kommen beispielsweise in den Beiträgen von Alexandra Scheele („10 Versuche über die Doktorarbeit zu reden“ oder „Selbstgespräch einer Doktorandin“), Rüdiger Löffelmeier („ Die Einsamkeit des Forschers“) oder Philip Anderson („Promotion als Lust- und Erfahrungsgewinn“) gut zum Vorschein. Achim Menges dagegen führt „In feindliche(n) Tiefen“ und lässt damit die LeserInnen an einer vortrefflichen Reflexion und Auseinandersetzung mit den Selbstzweifeln vor dem Hintergrund des Schreibprozesses teilhaben.

Erstaunlich ist der überaus brillante Wortwitz einiger Beiträge, der geistreich pointiert die eigene Darstellung zu einem kleinen textlichen oder gar literarischen Kunstwerk erwachsen lässt. Bei den eher routinierteren SchreibkünstlerInnen unter den AutorInnen [1] wie Stefan Matysiak, Nadja Sennewald oder Thomas Ernst verwundert das nicht. Vielmehr hat man es fast erwartet, dass deren Geschichten rund um das Promovieren ideenreich gestaltet und stilistisch überzeugend sind. Diesen Anspruch konnten sie einlösen, weshalb vor allem Stefan Matysiaks metaphernreiches „(Das) Märchen von der langen Reise“ zu meinen Favoriten des Buches zählt.

Sehr ausdrucksstark und – seinem Nachnamen alle Ehre machend – mit hohem erzählerischem Potenzial schreibt auch Peer Pasternak, der durch seinen Ausflug in die Politik des Berliner Senats – Pasternak war von 2002 bis 2003 Staatssekretär für Wissenschaft – eine gewisse Prominenz besitzt. Indem er in „Promovieren und betreuen“ das Promovieren mit dem Fliegen vergleicht und dabei auf die jeweils kritischen Phasen im Hinblick auf Start und Landung verweist, erhält die Leserschaft eine witzig pointierte technische Einweisung in die „geschickte Navigation des Promotionsfluges“ (213). Der Autor zeigt uns auf, dass eine gekonnte „Bottom-up-Pädagogik“ [2] des Promovierenden das Lektüreverhalten von Doktormüttern und Doktorvätern durchaus zu steuern vermag. Er erläutert auf amüsante Weise, welche Möglichkeiten sowohl zur Dämpfung als auch zur Stimulation der Leseneigung der BetreuerInnen zur Anwendung kommen können.

In vielen Beiträgen werden mit so mancher Koketterie, mit Witz und Selbstironie die tatsächlichen Schwierigkeiten der Promovierenden und des Umfeldes heiter überspielt, gekonnt verdrängt oder eben schonungslos kritisch bis zynisch dargestellt. Hier zeigt sich die Unterschiedlichkeit in Form und Grad der Reflexion sowie letztlich auch die Verarbeitung dieser einschneidenden Erfahrungen am deutlichsten. Und so verwundert es nicht, wenn sich fast alle AutorInnen mit anderen Menschen im näheren und weiteren sozialen Umfeld vergleichen. Das scheint den meisten sehr wichtig zu sein. Das Beobachten von Gemeinsamkeiten und Unterschieden im Vergleich mit anderen Menschen zählt zu den so genannten Universalisierungsmechanismen, die wiederum Ausdruck für einen persönlichen Wandlungsprozess sein können. Während wir bisher also eher geahnt haben, dass so eine Dissertation Veränderungen hervorruft und sich lebensgeschichtlich auswirkt, haben wir hier unter Umständen empirische Belege dafür. Wenn auch nicht beabsichtigt, so liefert das Buch hiermit sogar noch empirische Daten über den Promotionsprozess und die beteiligten AkteurInnen.

Das Spektrum der darstellerischen Mittel und Sichtweisen ist entsprechend der Vielzahl von AutorInnen umfassend. Und so geraten neben der persönlichen Betroffenheit und Erfahrung auch die politische Dimension oder der Status des Promovierens/der Promovierenden in den Blickpunkt. Beispiele hierfür geben die Beiträge von Oliver Schöller, der sich mit bildungspolitischen Entwicklungen (Stichwort: Studiengebühren) und der Chancengleichheit sozial benachteiligter Menschen kritisch auseinandersetzt, und Michael Meyen, der die teilweise chaotischen Zustände an ostdeutschen Hochschulen während der ‚Wendezeit’ um 1989 thematisiert.

Nicht nur die Beiträge des Kapitels „Wissenschaftsbetrieb“ setzen sich sehr kritisch mit den Strukturen desselben auseinander. Interessanterweise werden sowohl die prekären Arbeitsbedingungen des wissenschaftlichen Nachwuchses als auch die desaströsen Umgangs- und Betreuungsformen an deutschen Hochschulen entweder ironisiert oder mit einer zynischen Konnotation versehen. Diese Ausdrucksform könnte als alarmierendes Zeichen von Resignation, Ohnmacht oder Ablehnung gegenüber einem streng hierarchisch organisierten Wissenschaftsbetrieb verstanden werden. Die Ausführungen von Sylvia Setzkorn, Kenneth Anders, Birgit Szczyrba, Regina Klein oder Christiane Leidinger dokumentieren anschaulich die bisweilen ernüchternden Erfahrungen mit diesem System.

Eine erfrischende Alternative zu den Hochschulstrukturen stellen hingegen Annette Henninger und Susanne Heynen vor, die in einem selbst gegründeten Netzwerk von vier Frauen eigene Strategien für die gegenseitige berufliche, wissenschaftliche und persönliche Unterstützung entwickelt haben. Darüber hinaus finden viele weitere individuelle Formen des Zeitmanagements, der Bewältigung von Kinderbetreuung und -erziehung, der Vereinbarkeit von Nebentätigkeit und Dissertation, aber auch der oftmals leidvolle Umgang mit Entscheidungsfindungen Raum in diesem Buch.

Abschließend ist anzumerken, dass bei aller Vielfalt der Sichtweisen und Schreibstile nicht jeder Beitrag den Ansprüchen einer lesenswerten Darstellung genügt. Aber bekanntermaßen liegen die literarischen Vorlieben mitunter weit auseinander; den Geschmack der Leserin/des Lesers in jedem Punkt zu erfüllen ist freilich bei einer so großen Anzahl von AutorInnen kaum möglich.

Es kommt leider auch zu Redundanzen innerhalb des Buches, die aber wohl nur vermeidbar gewesen wären, wenn es gezielte Vorgaben zu den Beitragsinhalten gegeben hätte, wodurch sich aber womöglich die Sichtweisen stark verengt hätten. Eine andere, eher ungünstige bzw. undankbare Variante ist der Verzicht auf einige Beiträge.

Der Gesamteindruck wird hierdurch nur geringfügig geschmälert. Es ist ein durchaus lesenswertes Buch, das die Ansprüche der HerausgeberInnen einlöst. Ein echtes Promotionslesebuch also, aus welchem die eine oder andere Geschichte ausgewählt werden kann. Die ‚richtige’ Auswahl zu treffen, liegt schlussendlich in der Entscheidung der LeserInnen.

[1] Der Blick ins AutorInnenverzeichnis gibt Aufschluss ĂĽber deren bisheriges Wirken.

[2] Eine Parodie auf die (betriebswirtschaftliche) Strategie, bei der Handlungsansätze von der Basis her entwickelt werden (bottom up versus top down).
Susanne Schlabs (Braunschweig)
Zur Zitierweise der Rezension:
Susanne Schlabs: Rezension von: Fiedler, Werner / Hebecker, Eike / Maschke, Manuela (Hg.): Geschichten aus 1001 Promotion, Ein Promotionslesebuch. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt 2006. In: EWR 6 (2007), Nr. 3 (Veröffentlicht am 12.06.2007), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978378151483.html