EWR 7 (2008), Nr. 6 (November/Dezember)

Helmut Reiser / Marc Willmann / Michael Urban
Sonderpädagogische Unterstützungssysteme bei Verhaltensproblemen in der Schule
Innovationen im Fördeschwerpunkt Emotionale und Soziale Entwicklung
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2007
(359 S.; ISBN 978-3-7815-1546-8; 24,80 EUR)
Sonderpädagogische Unterstützungssysteme bei Verhaltensproblemen in der Schule Die Förderung von Schülerinnen und Schülern mit dem Förderschwerpunkt Emotionale und Soziale Entwicklung erfolgt innerhalb Deutschlands und auch innerhalb der Bundesländer auf sehr unterschiedliche Weise. Diese Vielfalt, die unterschiedlichen Bedürfnissen und regionalen bzw. bundeslandtypischen Gegebenheiten Rechnung trägt, ist in den letzten Jahren durch zahlreiche innovative Organisationsformen der schulischen Erziehungshilfe erweitert worden. Ziel des vorliegenden Bandes ist es, in Form ausgewählter Schwerpunkte einen Überblick über die verschiedenen Formen sonderpädagogischer Unterstützungssysteme zu bieten und dabei auch innovative Formen der Förderung vorzustellen. Dazu ist der Band in zwei Teile gegliedert.

Im ersten Teil werden von Marc Willmann grundlegende Fragen erörtert. Überblicksartig skizziert er die organisatorischen Grundformen der schulischen Erziehungshilfe in Deutschland, in denen auf die unterschiedlichen Organisationsformen, Konzepte und Prinzipien verwiesen wird. Willmann macht dabei auch eine wesentliche Forschungslücke aus, nämlich die fehlenden Kriterien zur Bestimmung von Qualität und Effektivität dieser Schulform. Die integrierte schulische Erziehungshilfe, bei der Sonderpädagogen in der Regelschule tätig sind, wird im zweiten Beitrag von Helmut Reiser vorgestellt. Dabei wird auch hier auf die zahlreichen Unterschiede dieser Ansätze hingewiesen. Gemeinsam ist diesen Ansätzen aber die (Erfolgs-)Abhängigkeit von guter Zusammenarbeit der Regel- und Sonderschullehrer, sowie von der Unterstützung durch die Schulleitung. Reiser stellt darüber hinaus fest, dass es sowohl an Konzepten als auch an der finanziellen Ausstattung mangele. Darüber hinaus geht er auch auf Untersuchungen zur Wirksamkeit integrativer schulischer Erziehungshilfe ein und warnt vor der Annahme, diese Form der Förderung könne jegliche Spezialeinrichtung überflüssig machen.

Im dritten Beitrag gibt Michael Urban einen knappen Überblick über die vielfältige Entwicklung der ambulanten und mobilen Unterstützung der schulischen Erziehungshilfe. Trotz aller Unterschiede der beiden Organisationsformen weist er auf zwei gemeinsame Trends hin: Einerseits werden Konzepte einer direkten Arbeit mit dem Kind von solchen einer Arbeit für das Kind abgelöst; andererseits erfolgt eine zunehmende Einbeziehung von Jugendhilfe, Familie und außerschulischen Helfersystemen. Schließlich stellt er die Arbeitsweisen der von ihm in drei unterschiedliche Formen unterteilten Hilfssysteme dar und geht auf internationale Erfahrungen und Formen mobiler schulischer Erziehungshilfe ein. Hier finden sich interessante Differenzen zu den in Deutschland verbreiteten Modellen.

Der erste Teil des Buches schließt mit einer systemtheoretischen Betrachtung der Vernetzung des Systems Schule für Erziehungshilfe mit seinen Umgebungssystemen. Dabei werden unterschiedliche Komplexitätsebenen der Vernetzung über Schnittstellen der Systeme – etwa Eltern, Tagesgruppen sowie weiteren Disziplinen – unterschieden. Diese teils komplexen Beschreibungen werden durch geeignete Abbildungen anschaulich dargestellt. Aufgezeigt wird schließlich der Zusammenhang des Vernetzungsgrades mit der Vielfalt an Interventionsmöglichkeiten, den unterschiedlichen Anforderungen sowie dem Handlungsrepertoire der Sonderpädagogen.

Ergänzend zum ersten Teil, in dem in die sonderpädagogischen Unterstützungssysteme eingeführt wurden, werden im zweiten Teil des Buches fünf Organisations- und Praxismodelle integrierter und ambulanter schulischer Erziehungshilfe vorgestellt, die die Autoren in den letzten Jahren wissenschaftlich begleiteten oder untersuchten. Im ersten Beitrag wird das Modell der Sonderschullehrer als Präventionslehrer in Grundschulen in Frankfurt am Main vorgestellt. Beschrieben werden zunächst die Entstehung und Entwicklung dieses Modells sowie die Besonderheiten und Herausforderungen für die dort arbeitenden Sonderpädagogen. Dazu zählen etwa verschiedene Interventionsformen, Schwierigkeiten in der Kooperation mit Regelschulkollegen, aber auch Auswirkungen auf das Selbstverständnis und Rollenkonflikte, die mithilfe von Interviewauszügen illustriert werden.

Der zweite Beitrag befasst sich mit dem Frankfurter Zentrum für Erziehungshilfe, welches 1991 konzipiert und ausgebaut wurde. Die dort arbeitenden interdisziplinären Teams (Sonderschullehrer und Sozialarbeiter) unterstützen ambulant die Regelschulen und die Schüler mit Förderbedarf, so dass diese im bisherigen Schulsystem verbleiben können. Insbesondere in der Anfangszeit zeigte sich hier eine große Verunsicherung in der Berufsidentität beider Berufsgruppen, wenngleich die Arbeitszufriedenheit hoch war. Die Weiterentwicklung dieser Einrichtung wird anschließend ebenfalls skizziert. Ein weiterer Beitrag geht auf die Mobilen Sonderpädagogischen Dienste (MSD) in Bayern ein und gibt einen Überblick über die landesweit großen Unterschiede in der konkreten Umsetzung der schulischen Erziehungshilfe. Exemplarisch werden dazu vier Modelle des MSD vorgestellt und die Unterschiede, die in lokalen Bedingungen, aber auch persönlichen Interessen und Kompetenzen der Sonderpädagogen begründet sind, erläutert. Trotz dieser Differenzen scheint auch hier ein konzeptueller Wandel feststellbar: Von direkt auf den Schüler bezogener Arbeit hin zu präventiven, beratenden Hilfen.

Im vorletzten Beitrag werden die Hamburger Regionalen Beratungs- und Unterstützungsstellen (REBUS) sowie deren Entwicklung vorgestellt. In diesen sind verschiedene Dienste zusammengeführt worden, deren Mitarbeiter Teil multiprofessioneller Teams sind, die aus Sonderpädagogen, Schulpsychologen und Sozialarbeitern bestehen. Basierend auf Interviews mit den Mitarbeitern einer exemplarisch betrachteten Unterstützungsstelle wurden Arbeitsspektrum, Aufgabenverteilung sowie Einschätzungen bezüglich der eigenen Institution erhoben und in diesem Beitrag übersichtlich dargestellt.
Im letzten Aufsatz werden die Arbeitsweisen von zwei verschiedenen Unterstützungssystemen in Niedersachsen untersucht. Mithilfe standardisierter Lehrerbefragungen wurden typische Fallbearbeitungsformen und deren Häufigkeit ebenso erhoben wie Bedingungen für deren Erfolg. Aus diesen Ergebnissen wurden schließlich bildungspolitische Empfehlungen für das Land Niedersachsen abgeleitet, die kurz aufgeführt und erläutert werden.

Der vorgestellte Band gibt insgesamt einen guten Einblick in die Entwicklung des Förderschwerpunktes Emotionale und Soziale Entwicklung von seinen Ursprüngen bis hin zu den zahlreichen, sehr verschiedenen Formen der Förderung heute. Dabei wird neben den Möglichkeiten innovativer Konzepte auch auf Schwierigkeiten und Grenzen bezüglich deren Umsetzung hingewiesen. Somit eignet sich dieses Buch sowohl für Studierende, die einen Einblick in den Förderschwerpunkt gewinnen möchten, als auch für diejenigen, die mit der Planung und Umsetzung eines neuen Förderkonzepts beauftragt sind.
Holger Wilhelm (Freiburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Holger Wilhelm: Rezension von: Reiser, Helmut / Willmann, Marc / Urban, Michael: Sonderpädagogische Unterstützungssysteme bei Verhaltensproblemen in der Schule, Innovationen im Fördeschwerpunkt Emotionale und Soziale Entwicklung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2007. In: EWR 7 (2008), Nr. 6 (Veröffentlicht am 05.12.2008), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978378151546.html