EWR 17 (2018), Nr. 2 (MĂ€rz/April)

Kathrin Futter
Lernwirksame Unterrichtsbesprechungen im Praktikum
Nutzung von Lerngelegenheiten durch Lehramtsstudierende und UnterstĂŒtzungsverhalten der Praxislehrpersonen
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2017
(287 S.; ISBN 978-3-7815-2171-1; 42,00 EUR)
Lernwirksame Unterrichtsbesprechungen im Praktikum Derzeit wird die erste Phase der Lehrerbildung in den meisten deutschen BundeslĂ€ndern neu strukturiert. Ziel ist die Ausweitung der Praxisphasen im Lehramtsstudium. Wie in bisherigen schulpraktischen Phasen werden die betreuenden LehrkrĂ€fte der Lehramtsstudierenden an den Praktikumsschulen fester Bestandteil der Ausbildung sein, und ihre Rolle rĂŒckt zunehmend in den Fokus der Lehrerbildungsforschung im deutschsprachigen Raum.

In Bezug auf dieses Forschungsfeld lohnt sich der Blick ĂŒber bundesdeutsche Landesgrenzen hinaus in die Schweiz, wo die als „PraxislehrkrĂ€fte“ bekannten Lehrerpersonen an den Ausbildungsschulen seit LĂ€ngerem im Fokus der Lehrerbildungsforschung stehen. Unterrichtspraktika werden hier wie dort als Kernelemente beruflicher Praxis angesehen, und Unterrichtsbesprechungen spielen in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle – sie gelten als wichtiger Lernanlass fĂŒr den Austausch ĂŒber Unterricht zwischen Praxislehrpersonen und Studierenden.
Kathrin Futter stellt sich in ihrer Studie unter dem Titel „Lernwirksame Unterrichtsbesprechungen im Praktikum“ den Fragen nach der Nutzung von Lerngelegenheiten durch Lehramtsstudierende und dem UnterstĂŒtzungsverhalten der Praxislehrpersonen. Besonders intensiv widmet sie sich der Frage, wie Lernen im Allgemeinen und im Speziellen bei Lehramtsstudierenden vor sich geht und wie deren Unterrichtsbesprechungen mit Praxislehrpersonen einzuschĂ€tzen sind. Dabei richtet sie den Fokus ihrer Untersuchungen sowohl auf Vor- als auch auf Nachbesprechungen.

Futters Studie entstand zwischen 2009 und 2013 als Teilstudie in dem von Fritz Staub geleiteten Projekt zum „Fachspezifischen Coaching in Lehrpraktika“ an den UniversitĂ€ten Freiburg und ZĂŒrich. Als Grundlage dienten 61 videografierte Unterrichtsbesprechungen, in denen potenzielle Lerngelegenheiten zwischen Praxislehrpersonen und Lehramtsstudierenden identifiziert wurden. Neben Mathematiklektionen wurden die von Praxislehrpersonen und Studierenden gehaltenen Vor- und Nachbesprechungen auf Video aufgezeichnet und analysiert, um das UnterstĂŒtzungsverhalten der Praxislehrpersonen anhand der Merkmale „GesprĂ€chsstil“, „Rolle“, „modaler Sprachgebrauch“ und „Interaktionsmuster“ zu untersuchen.

Im theoriebasierten ersten Teil der Studie widmet sich Futter der Frage, wie Lernen und Lehren funktionieren und wie es sich in Unterrichtsbesprechungen genau zeigt. Sie beleuchtet beide Begriffe aus der Perspektive der Lehr- Lernforschung, indem sie diese in die Paradigmen der Lehr-Lernpsychologie und die der Allgemeinen Didaktik einordnet und erörtert, welches Wissen Lehrpersonen fĂŒr ihre TĂ€tigkeit genau benötigen und wie sie das Unterrichten lernen. In diesem Zusammenhang unterstreicht sie, dass sich Lernen zukĂŒnftiger Lehrpersonen grundsĂ€tzlich wenig von dem erfahrener Lehrpersonen unterscheidet.

Futter geht von der allgemeinen PrĂ€misse aus, dass Lernen dann erfolgreich ist, wenn es mit der VerĂ€nderung von Wissen und/oder von Handeln einhergeht. Dabei spielt das Lernen im Dialog eine besondere Rolle. Sie unterscheidet zwischen aktiven, interaktiven und konstruktiven GesprĂ€chsmustern und nimmt dabei Bezug auf die These, dass interaktives Lernen, welches sowohl sequenzielle Konstruktion als auch Ko-Konstruktion umfasst, zu besseren Lernergebnissen fĂŒhrt als konstruktives Lernen im Sinne der Selbstkonstruktion. Ko-Konstruktion im GesprĂ€chsverlauf wiederum verlangt von beiden GesprĂ€chsteilnehmenden, dass sie eigene Ideen einbringen, damit neues, geteiltes Wissen entstehen kann [1]. In der konkreten Situation der Unterrichtsbesprechung kann dies beispielsweise bedeuten, dass eine Person die Argumentation der anderen weiterverfolgt und/oder deren Satz beendet und dadurch den GesprĂ€chsverlauf mitgestaltet.
Der empirische Teil der Studie erscheint auf den ersten Blick als sehr komplexer Lesestoff, lohnt aber die vertiefte LektĂŒre, weil er interessante BezĂŒge zur internationalen Mentoringforschung herstellt. Beispielsweise analysiert Futter GesprĂ€chsstile in Unterrichtsbesprechungen anhand des MERID-Modells („Mentor teachers‘ roles in dialogues“) [2], anhand dessen man die ThemenfĂŒhrung und die DirektivitĂ€t von Praxislehrpersonen in Unterrichtsbesprechungen messen kann. Das Modell ermöglicht eine Einordnung der Praxislehrpersonen als Initiator/in, Imperator/in, Ermutiger/in und Berater/in.

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurden darauf Bezug nehmend erstmals potenzielle Lerngelegenheiten in Unterrichtsbesprechungen identifiziert, um untersuchen zu können, ob sich das UnterstĂŒtzungsverhalten von Praxislehrpersonen in verschiedenen Situationen unterscheidet. Im Ergebnis zeigte sich, dass die begleitenden LehrkrĂ€fte einen eher direktiven GesprĂ€chsstil pflegten und die Themen in den Unterrichtsbesprechungen zumeist selbst bestimmten und initiierten, was die Ko-Konstruktion und damit das Lernen im Dialog bisweilen sogar verhinderte. Ein Schwerpunkt der RedebeitrĂ€ge der Lehramtsstudierenden lag in der Beschreibung zukĂŒnftigen Handelns – dieses wiederum wurde in Nachbesprechungen nur im entsprechend angeleiteten GesprĂ€ch anspruchsvoll reflektiert.

Daraus folgend formuliert Futter Implikationen fĂŒr die Aus- und Weiterbildung von Praxislehrpersonen. Es mĂŒsse thematisiert werden, wie GesprĂ€chsbeitrĂ€ge im Einzelnen formuliert werden können und wie der Interaktion zwischen Praxislehrpersonen und Studierenden grĂ¶ĂŸere Aufmerksamkeit beigemessen werden kann. Dialoge sollten ko-konstruktiv gestaltet und die Gestaltung von ertragreicher Unterrichtsreflexion in stĂ€rker in die Aus- und Weiterbildung integriert werden. An verschiedenen Stellen verweist Futter auf Studien, die ergaben, dass Studierende ihren Lernertrag in Vorbesprechungen positiver bewerten als in wenig angeleiteten Nachbesprechungen mit Praxislehrpersonen [3]. Auch der Befund, dass fachwissenschaftliche Themen signifikant hĂ€ufiger in Vorbesprechungen als in Nachbesprechungen aufgeworfen werden, unterstreiche das Potenzial der Vorbesprechungen in der Lehrerbildung.
Vor diesem Hintergrund schlĂ€gt Futter vor, im Kontext eines partizipativen Ansatzes in der berufspraktischen Ausbildung angehender Lehrpersonen den Unterrichtsbesprechungen ein neues Gewicht beizumessen. Dass diese Forderung in letzter Konsequenz eine grundsĂ€tzliche Umstrukturierung der Beratung und des UnterstĂŒtzungsverhalten von Ausbildungsbeauftragten und Praxislehrpersonen in beiden Phasen der Lehrerbildung impliziert, deutet Futter nur an – fĂŒr bundesdeutsche Leserinnen und Leser wĂ€re zur Beurteilung der Konsequenzen an dieser Stelle ein Rekurs auf die reformierten Praxisphasen in der Schweizer Lehrerbildung hilfreich gewesen.

In methodischer Hinsicht bleibt anzumerken, dass aus der abschließenden Diskussion der Studienergebnisse leider nicht hervorgeht, welchen Vorteil in diesem Fall die videobasierte GesprĂ€chsanalyse von Unterrichtsbesprechungen gegenĂŒber einer Analyse leitfadengestĂŒtzter Interviews hat. Da der Schwerpunkt der Studie auf der GesprĂ€chsfĂŒhrung liegt und die Analyse von nonverbalen Interaktionen in diesem Setting außen vor bleibt, erscheint die Erstellung von Videos zu den Mathematiklektionen, auf die in den Unterrichtsbesprechungen Bezug genommen wird, zwar als sinnvoll, in Bezug auf die Analyse der Unterrichtsbesprechungen aber als redundant.

Insgesamt zeigt Futters Studie jedoch eine konsequente Bearbeitung offener Forschungsfragen, die sich innerhalb des Projekts „Fachspezifisches Coaching in Lehrpraktika“ ergaben. Auch unabhĂ€ngig von Vorkenntnissen ĂŒber die Lehrerbildung in der Schweiz, wo der berufspraktischen Ausbildung seit jeher ein großer Stellenwert im Lehramtsstudium eingerĂ€umt wird, bietet die Studie wichtige Ansatzpunkte fĂŒr die Ausgestaltung zukĂŒnftiger (ausgedehnter) universitĂ€rer Praxisphasen in der Lehrerbildung im gesamten deutschsprachigen Raum sowie fĂŒr weitere entsprechende Forschung.

[1] McGregor, M.U. & Chi, M.T.H.: Collaborative Interactions. The process of joint production and individual reuse of novel ideas. In: W.D. Gray & C.D. Schunn (Hg.): 24th Annual Conference of the Cognitive Science Society. Mahwah: Lawerence Erlbaum, 2002, 655-700.
[2] Crasborn, F., Hennissen, P., Brouwer, N., Korthagen, F. & Bergen, T. Exploring a two-dimensional model of mentor teacher roles in mentoring dialogues. In: Teaching and Teacher Education, 27 (2), S. 320-331, 2011.
[3] Kreis, A.: Produktive Unterrichtsbesprechungen. Lernen im Dialog zwischen Mentoren und angehenden Lehrpersonen. Bern: Haupt, 2012.
Andrea Gergen (Marburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Andrea Gergen: Rezension von: Futter, Kathrin: Lernwirksame Unterrichtsbesprechungen im Praktikum, Nutzung von Lerngelegenheiten durch Lehramtsstudierende und UnterstĂŒtzungsverhalten der Praxislehrpersonen. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2017. In: EWR 17 (2018), Nr. 2 (Veröffentlicht am 09.05.2018), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978378152171.html