EWR 20 (2021), Nr. 3 (Mai/Juni)

Jonas Scharfenberg
Warum Lehrerin, warum Lehrer werden?
Motive und Selbstkonzept von Lehramtsstudierenden im internationalen Vergleich
Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt Verlag 2020
(354 S.; ISBN 978-3-7815-2324-1; 46,00 EUR)
Warum Lehrerin, warum Lehrer werden? Innerhalb der professionsbezogenen LehrkrĂ€fteforschung werden Studien- und Berufswahlmotive von Lehramtsstudierenden seit Jahrzehnten vielfach untersucht. Neben Erkenntnissen bezĂŒglich geschlechts-, fĂ€cher- sowie schulartenspezifischer Motive spielen in der vergleichenden Forschung auf internationaler Ebene auch lĂ€nderspezifische Unterschiede eine Rolle.
Angesichts der breiten Forschungslandschaft scheinen die Motive von Lehramtsstudierenden auf den ersten Blick ausreichend und differenziert untersucht. Bei genauerer Betrachtung lassen sich allerdings einige Forschungsdesiderate erkennen: Zum einen ist ĂŒber die Einflussfaktoren, die die Studien- und Berufswahlmotive bedingen und modifizieren, wenig bekannt. Zum anderen fehlt es an Erkenntnissen zum Einfluss von strukturellen Rahmenbedingungen auf die Motivlage der Studierenden, insbesondere aus Sicht der Studierenden selbst. Auch gibt es kaum Studien, die auf den wiederholten Einsatz von Erhebungsinstrumente setzen oder diese in mehreren UntersuchungslĂ€ndern einsetzen, was eine große Vielfalt an methodischen ZugĂ€ngen zur Folge hat.

Diesen Forschungsdesideraten begegnet Jonas Scharfenberg mit seiner 2020 veröffentlichen Dissertation „Warum Lehrerin, warum Lehrer werden?“, indem er das bestehende, quantitativ ausgerichtete Forschungsprojekt Student Teachers‘ Motives (STeaM) um einen qualitativen Ansatz erweitert. Die Studie fragt nach relevanten Motiven bei der Studien- und Berufswahl von Lehramtsstudierenden und dem Zusammenhang zwischen diesen Motiven und den Aspekten des Selbstkonzeptes der Studierenden. Welche Unterschiede gibt es in den MotivausprĂ€gungen deutscher, schwedischer, rumĂ€nischer und US-amerikanischer Lehramtsstudierender und inwiefern sind unterschiedliche MotivausprĂ€gungen zwischen den vier UntersuchungslĂ€ndern auf lĂ€nderspezifische Unterschiede zurĂŒckzufĂŒhren?

Die der Arbeit zugrunde gelegte Annahme sogenannter Person-Environment-Fit-Modelle findet sich in der systematischen Aufarbeitung des Forschungsstandes (Kapitel 2 und 3) wieder: Auf allgemeine Theorien zur Studien- und Berufswahl folgen spezifische, professionstheoretische Erkenntnisse zu den Motiven zukĂŒnftiger LehrkrĂ€fte (Person). Positiv hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass neben drei deutschsprachigen Einzelstudien auch zwei internationale Forschungsprojekte herangezogen werden (FIT-Choice Modell von Watts und Richardsons und das STeaM-Projekt). Ziel ist es, die „fragmentierte und national weitgehend isolierte Forschung zu den Studien- und Berufswahlmotiven aufzubrechen“ (41). In Kapitel 3 rĂŒcken die Arbeits- und Ausbildungsbedingungen von LehrkrĂ€ften (Environment) in den Blick. Anschließend werden Forschungsgegenstand und -ziele (Kapitel 4) sowie Forschungsdesign und Methodik (Kapitel 5) vorgestellt. Die empirischen Ergebnisse werden adaptiv zur vorgenommenen Operationalisierung der Forschungsziele in quantitative und qualitative Forschungsfragen prĂ€sentiert (Kapitel 6 und 7) und anschließend diskutiert bzw. limitiert (Kapitel 8).

Das vom Autor konstruierte Messmodell besteht aus neun intrinsischen, vier extrinsischen und drei pragmatischen Motiven und erweist sich als valide und reliabel bei der Messung lĂ€nderĂŒbergreifender Studien- und Berufswahlmotive. Die aufgrund bisheriger Forschung zu erwartenden geschlechts- und schulartenspezifischen Unterschiede in den Berufswahlmotiven der Lehramtsstudierenden lassen sich auch in dieser Studie nachweisen. Ein Aspekt, der bisher weniger im Fokus bestehender Untersuchungen liegt, ist die Beziehung zwischen der Motivlage und anderen personalen Merkmalen wie „Selbstwirksamkeit, Ungewissheitstoleranz oder dysfunktionale Kognitionen“. Durch die Betrachtung der Studien- und Berufswahlmotive innerhalb des Kontextes personaler Motive aus der Belastungsforschung setzt sich der Autor dieser hĂ€ufig isolierten Motivbetrachtung entgegen.

Die Frage nach dem Einfluss struktureller Unterschiede auf die Studien- und Berufswahlmotive von Studierenden unterschiedlicher LĂ€nder nimmt einen bedeutenden Anteil innerhalb des qualitativen Bereichs der Studie ein. Mittels problemzentrierter Interviews mit Studierenden sowie Dozierenden können relevanten Aspekte der beruflichen Umgebung von LehrkrĂ€ften identifiziert, mit den Motiven der Studien- und Berufswahl verknĂŒpft und im Hinblick auf die strukturellen Rahmenbedingungen diskutiert werden. Ergebnis ist ein neues Modell, welches Motive mit konkreten Environment-Variablen und konkreten Einflussfaktoren auf diese Variablen in Beziehung setzt. Der Arbeit gelingt es somit, einen Teil der ErkenntnislĂŒcke bezĂŒglich struktureller Rahmenbedingungen und den Einfluss dieser auf die Studien- und Berufswahlmotive zu schließen.

Die ErgÀnzung der quantitativen Untersuchung um eine qualitative Komponente bietet verschiedene Vorteile. Neben der ValiditÀt der quantitativen Analysen dient die qualitative Untersuchung vor allem zur Identifikation fehlender Motive und Hinweise auf die Ursachen der lÀnderspezifischen Unterschiede und damit der Schaffung eines ganzheitlichen Bildes.

Scharfenberg warnt dabei zu Recht vor der Gefahr der isolierten Betrachtung von Motivstrukturen. Durch die Hinzunahme der qualitativen Interviews gelĂ€nge es, den Gefahren bezĂŒglich einer transnationalen Übertragbarkeit (cultural bias), die das im deutschsprachigen Raum etablierte Messinstrument (STeaM-Fragebogen) zwangslĂ€ufig mit sich bringt, grĂ¶ĂŸtenteils zu begegnen.

HĂ€ufig beschrĂ€nken sich Untersuchungen innerhalb der Berufswahlmotive angehender LehrkrĂ€fte auf die Unterscheidung zwischen Schultyp und Geschlecht. BezĂŒglich der methodischen Herangehensweise gibt es dahingehend wenige Monographien, die eine so umfassende international vergleichende empirische Forschung aufweisen. Allerdings lĂ€sst sich mit Blick auf das Sample – drei von vier UntersuchungslĂ€ndern sind OECD-LĂ€nder – eine ÜberreprĂ€sentation von LĂ€ndern des globalen Nordens feststellen. Die in der Diskussion angedeuteten Ergebnisse lassen eine Sampleerweiterung auf asiatische, afrikanische bzw. sĂŒdamerikanische LĂ€nder schlĂŒssig und notwendig erscheinen.

FĂŒr die Lehramtsausbildung stellen die gewonnenen Erkenntnisse eine besondere Relevanz dar. Sie dienen dazu, Reflexionsangebote zu entwickeln und prĂ€ventive Angebote fĂŒr potentiell gefĂ€hrdete Studierende zu anzubieten. Diese Implikationen fallen jedoch verhĂ€ltnismĂ€ĂŸig knapp aus. Angesichts der aktuellen Herausforderungen wie der „Internationalisierung der Forschung, der Integration des Arbeitsmarktes fĂŒr LehrkrĂ€fte und der Flexibilisierung vieler StudiengĂ€nge“ (306) wĂ€re eine tiefere Elaboration an dieser Stelle wĂŒnschenswert gewesen.

Innerhalb der Reihe Studien zur Professionsforschung und Lehrerbildung handelt es sich bei der Dissertation insgesamt um eine thematisch einschlÀgige Monographie, welche durch einen Mixed-Methods-Ansatz einen stabilen Kern an Studien- und Berufswahlmotiven identifiziert und nachweist. Die Studie bringt diese Motive mit lÀnderspezifischen Einflussfaktoren in Zusammenhang und hebt sich durch ihre tiefgreifende Untersuchung des Einflusses struktureller Bedingungen auf die Studien- und Berufswahlmotive deutlich von bestehenden Untersuchungen ab. Scharfenberg erkennt die Notwendigkeit der vergleichenden Forschung und begegnet mit seiner Studie der heterogenen Befundlage zu den Studien- und Berufswahlmotiven sowie der Methodenvielfalt auf eine gelungene Art und Weise.

Lesedidaktisch ist insbesondere die Gliederung in intrinsische, extrinsische und pragmatische Motive, die ein einheitliches und somit lesefreundliches Gesamtbild schafft, positiv hervorzuheben. Diese transparente und klare Darstellung zieht sich durch die gesamte Arbeit bis hin zum Anhang, der abschließend einen strukturierten Überblick ĂŒber das Motivinventar bisheriger Forschung darlegt. Die Dissertation eignet sich durch ihren umfassenden theoretischen Einblick in die Studien- und Berufswahlmotive und ihrer methodischen Breite sowohl als Einstiegswerk in die Thematik als auch fĂŒr diejenigen, die sich bereits intensiv mit Motiven und Selbstkonzepten von Lehramtsstudierenden auseinandergesetzt haben.
Aline Steger (Weingarten)
Zur Zitierweise der Rezension:
Aline Steger: Rezension von: Scharfenberg, Jonas: Warum Lehrerin, warum Lehrer werden?, Motive und Selbstkonzept von Lehramtsstudierenden im internationalen Vergleich. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt Verlag 2020. In: EWR 20 (2021), Nr. 3 (Veröffentlicht am 07.07.2021), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978378152324.html