EWR 22 (2023), Nr. 1 (Januar)

Katharina Kuckuck
Reflexionen zu inklusiver Unterrichtspraxis
Eine qualitative Studie mit Textfallvignetten im Setting des Forschenden Lernens
Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt 2022
(242 S.; ISBN 978-3-7815-2495-8; 42,00 EUR)
Reflexionen zu inklusiver Unterrichtspraxis Der wissenschaftliche Diskurs zur Professionalisierung von Lehramtsstudierenden erfährt derzeit besondere Aufmerksamkeit. Mit der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ werden bundesweit Projekte an verschiedenen Hochschulstandorten zur Optimierung der Lehrer:innenbildung gefördert. Teil davon ist das an der Universität Hamburg angesiedelte Drittmittelprojekt „Professionelles Lehrerhandeln zur Förderung fachlichen Lernens unter sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen (ProfaLe)“, in das sich auch die hier rezensierte Publikation von Katharina Kuckuck einbettet.

Das Erkenntnisinteresse der 2021 von der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Hamburg angenommen Dissertation „Reflexionen zu inklusiver Unterrichtspraxis. Eine qualitative Studie mit Textfallvignetten im Setting des Forschenden Lernens“ richtet sich auf Professionalisierungsprozesse von Lehramtsstudierenden. Es wird im Längsschnitt empirisch untersucht, wie sich Reflexionen Lehramtsstudierender im Rahmen eines universitären Lehr-Lernformates zu inklusiver Unterrichtpraxis verändern und ob sich daran anschließend verschiedene Reflexionstypen herausarbeiten lassen (25).

Die Arbeit gliedert sich in zwei große Abschnitte. Zunächst werden im ersten Teil die theoretische Rahmung und der empirische Forschungsstand erläutert (Kapitel 1-5).

Dafür nimmt Kuckuck, ausgehend vom klassischen Professionsbegriff, eine begriffliche Schärfung vor und überträgt diesen auf den Lehrer:innenberuf, um darauf aufbauend die Begriffe Professionalisierung und Professionalität zu erläutern (15 ff.). Zur Definition von Lehrer:innenprofessionalität bezieht sich Kuckuck auf einen Strukturierungsvorschlag von Ewald Terhart [1], der in drei Ansätze unterscheidet. Zur Bearbeitung des Themas erscheint der Autorin besonders der kompetenz- und strukturtheoretische Professionsansatz (17-20) relevant, welche sie ergänzend vor dem Hintergrund des EPIK-Domänenansatzes (21) diskutiert. Warum der berufsbiographische Ansatz nicht beachtet wurde, bleibt offen, auch wenn dieser eine weitere interessante Perspektive bietet. Über allgemeine Aspekte zur Bestimmung von Lehrer:innenprofessionalität arbeitet sie den spezifischen Stellenwert von Reflexion heraus und stellt bereits an dieser Stelle Bezüge zum eigenen Forschungsdesign her. Um die professionstheoretische Bedeutung von Reflexionen auch theoriebasiert zu fundieren, werden in einem nächsten Kapitel Ansätze zu einer reflexiven Lehrer:innenbildung nach den Ausführungen und Kernideen von John Dewey und Donald Schön vertieft. In Kürze werden hingegen die theoretischen Ansätze zum Ablauf von Reflexionsprozessen angerissen. Um ein erstes eigenes Grundverständnis von Reflexion zu schaffen, führt sie die reflexionstheoretischen Konzeptionalisierungen zusammen und definiert Reflexion als einen „kognitiven Prozess“ (40), der im „Wechselverhältnis zwischen reflektierendem Subjekt und der Handlungspraxis“ (ebd.) steht. Zur empirischen Erfassung von Reflexion legt die Autorin den Fokus auf thematische Aspekte („Reflexionsbreite: Was?“, 50f.) und argumentative Strukturen („Reflexionstiefe: Wie?“, 52f.). Interessant ist, dass sich Kuckuck dem Thema Inklusion über die Erläuterung von Spannungsfeldern nähert. Diese macht sie in der uneinheitlichen Verwendung des Inklusionsbegriffs und auch in der Gegenüberstellung theoretischer Konzeptionen inklusiver Beschulung und der Umsetzung in der Schulpraxis aus. Auch wenn hier kein tiefgehender Einblick in den Inklusionsdiskurs gegeben wird und sich ein tendenziell enges Verständnis von Inklusion in den aufgezeigten Spannungsfeldern widerspiegelt, ist die kurze Ausführung und Strukturierung Kuckucks Forschungsarbeit dienlich.

Im zweiten Teil der Arbeit (Kapitel 8 und -9) steht die empirische Untersuchung im Vordergrund. Durch den Einsatz derselben Textfallvignette in fünf parallel stattfindenden Seminaren wurden zu zwei Erhebungszeitpunkten schriftliche Reflexionen initiiert. Das methodische Vorgehen stößt dabei an Grenzen, da die Reflexionsprozesse von außen veranlasst wurden und damit nicht von natürlichen Reflexionen gesprochen werden kann, wie Kuckuck auch abschließend resümiert (224). Die Auswertung der schriftlich fixierten Reflexionen erfolgt explorativ mit der qualitativen Inhaltsanalyse. Zur Erfassung der Reflexionsbreite wurde induktiv ein Kategoriensystem entwickelt (117 f.), für die Reflexionstiefe wurde ein bereits bestehendes Modell von Neville Hatton und David Smith [2] induktiv erweitert (118). Aufgrund einer geringen Stichprobe beschreibt Kuckuck das Herausarbeiten von Mustern als schwierig. Daher wählt sie zur Gegenüberstellung der Ergebnisse Vergleichskriterien, die sich sowohl auf kategorienbasierte Ergebnisse (wie Reflexionsbreite und -tiefe) stützen als auch Bezüge zum Gegenstand inklusiver Unterrichtspraxis herstellen lassen (169). Es zeigt sich, dass die Einstellungen der Studierenden in der Prä-Haupterhebung meist an einem weiten Inklusionsbegriff orientiert sind und die inklusive Unterrichtspraxis als von Spannungsfeldern geprägt dargestellt wird (171). In der Post-Haupterhebung nehmen die praxisbezogenen Umgangsweisen in inklusiver Unterrichtspraxis zu und kennzeichnen sich durch einen stärkeren Handlungsmodus. Mit einer typenbildenden Inhaltsanalyse ordnet Kuckuck die schriftlichen Reflexionen insgesamt acht Reflexionstypen zu (173 ff.). Sie fasst zusammen, dass sich die Studierenden im Prä-Post-Vergleich zunehmend differenzierter und abwägender mit inklusiver Unterrichtspraxis auseinandersetzen, „Spannungsfelder inklusionsbefürwortend auflösen“ (196) und bspw. multiprofessionelle Kooperation als ein Mittel zum Umgang mit heterogenen Lerngruppen ansehen. Dennoch macht sie deutlich, dass die Erkenntnisse nicht verallgemeinert werden können, da zum einen die Stichprobe zu gering ist und zum anderen die kategorienbasierten Ergebnisse auf einem mittleren Abstraktionsniveau liegen (227).

Die ausführliche Diskussion der Ergebnisse (Kapitel 10) spannt einen Bogen zum theoretischen Rahmen der Arbeit. Kuckucks Erläuterungen führen letztlich zu der Erkenntnis, dass die Teilnahme an der Forschungswerkstatt zur Anregung von Professionalisierungsprozessen beigetragen hat und ordnet ihre Ausführungen schlüssig in Bezug auf Werner Helspers Überlegungen zu einer „doppelten Professionalisierung“ [3] ein.

Kuckuck leistet mit ihrer Dissertation einen interessanten Beitrag zum Professionalisierungsdiskurs von Lehramtsstudierenden. Weiter zu diskutieren wäre etwa, inwieweit die Ergebnisse tatsächlich mit dem Seminarformat in Verbindung stehen und inwiefern schriftlich fixierte Reflexionen den kognitiven Prozess von Studierenden erfassen können. Ergänzende Methoden wie qualitative Interviews oder Lautes Denken wären hier interessant gewesen. Auch ein stärkerer Fokus auf Reflexionsprozesse denn auf die begriffstheoretischen Herleitungen von Reflexion wäre im theoretischen Teil der Arbeit hilfreich gewesen. Lesenswert ist die Studie dennoch nicht nur aus wissenschaftlicher, sondern auch aus didaktischer Perspektive, da die Darlegung der Seminarkonzeption inspirierende Impulse gibt, wie Reflexionsfähigkeit in der universitären Lehre durch Fallarbeit und Forschendes Lernen gefördert werden kann.

[1] Terhart, E. (2011). Lehrerberuf und Professionalität. Gewandeltes Begriffsverständnis – neue Herausforderungen. Zeitschrift für Pädagogik, 57, 202-224.
[2] Hatton, N., Smith, D. (1995). Reflection in Teacher Education. Towards Definition and Implementation. Teaching and Teacher Education, 11 (1), 33-49.
[3] Helsper, W. (2001). Praxis und Reflexion. Die Notwendigkeit einer „doppelten Professionalisierung“ des Lehrers. Journal für Lehrerinnen- und Lehrerbildung, 1 (3), 7-15.
Hannah Bartels (Dresden)
Zur Zitierweise der Rezension:
Hannah Bartels: Rezension von: Kuckuck, Katharina: Reflexionen zu inklusiver Unterrichtspraxis, Eine qualitative Studie mit Textfallvignetten im Setting des Forschenden Lernens. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt 2022. In: EWR 22 (2023), Nr. 1 (Veröffentlicht am 26.01.2023), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978378152495.html