EWR 10 (2011), Nr. 5 (September/Oktober)

Dirk Menzel / Werner Wiater (Hrsg.)
Verhaltensauffällige Schüler
Symptome, Ursachen und Handlungsmöglichkeiten
Stuttgart: UTB / Klinkhardt 2009
(414 S.; ISBN 978-3-8252-3295-5; 24,90 EUR)
Verhaltensauffällige Schüler Die zu besprechende Publikation von Dirk Menzel und Werner Wiater verfolgt drei Zielrichtungen: einen Überblick über die besonders im schulischen Kontext auftretenden Auffälligkeiten im Verhalten von Kindern und Jugendlichen zu geben, den Leser für das Erkennen auffälligen Verhaltens zu sensibilisieren und mögliche Handlungsmöglichkeiten bezogen auf den Lebensraum Schule aufzuzeigen. Dazu ist der Band so gegliedert, dass nach einführenden Betrachtungen hinsichtlich der Ursachengefüge und einem allgemeinen Ausloten des Gelingens von Prävention sowohl die Auswirkungen physiologischer Faktoren und sozialer Ursachenfelder als auch die Themengebiete Aufmerksamkeit und Konzentration, Aggression und Gewalt, Sexualisierte Gewalt, Sucht und Abhängigkeit und darüber hinaus eine Auswahl spezieller emotionaler Auffälligkeiten angesprochen werden. Abschließend werden noch Probleme der Schulden im Jugendalter und in einem Schlusswort die Herausforderungen, die sich mit dem Erkannten für die Lehrerprofession ergeben, thematisiert und diskutiert. Diese Besprechung nimmt Bezug auf ausgewählte Beiträge des Bandes.

In der Einführung grenzt Dirk Menzel auffällige Verhaltensformen aus der Perspektive unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen voneinander ab und unterlegt sie mit konkreten Beschreibungen. Dieser Einblick in diagnostische Instrumente bzw. Klassifikationssysteme und auch die Übersicht zu Prävalenzraten können als Basis für eine tiefergehende Beschäftigung mit der Thematik dienen.

Werner Wiater problematisiert Gelingensbedingungen von Präventions- und Interventionsmaßnahmen. Die Möglichkeiten der Intervention bei Unterrichtsstörungen bzw. bei antisozialem Schülerverhalten werden dabei jeweils mit konkreten Handlungsanweisungen unterfüttert. Sich direkt anschließende Literaturhinweise könnten an dieser Stelle für die Zielgruppe hilfreich sein. Die beispielhafte Vorstellung zweier Modellprojekte zur Prävention von Gewalt bzw. aggressiver Handlungen deckt sich zwar nicht ganz mit dem Grundkonzept des Beitrags, bietet jedoch eine gute Möglichkeit einer Konkretisierung des Vorangestellten.

Chronische Erkrankungen von Kindern und Jugendliche haben – so Alfred Wiater und Sandra Overmann – je nach Krankheitsbild unterschiedliche Auswirkungen auf den schulischen Alltag und bedingen deshalb eine fundierte Kenntnis auf Seiten der Lehrpersonen, um mit diesen Besonderheiten adäquat umgehen zu können. Es folgen mehrere Beiträge, die sich mit im weitesten Sinne physiologisch bedingten Ursachen möglicher „Verhaltensauffälligkeiten“ beschäftigen, etwa mit Adipositas, Linkshändigkeit und Autismus, oder die auf die Ausweitung sozialer Ursachenfelder eingehen. Speziell Autismus stellt hierbei, so J. Schor und Alfons Schweiggert, eine besondere Herausforderung für Lehrende dar, tritt er doch in sehr unterschiedlichen Ausprägungen auf. Er ist daher teilweise schwer zu erkennen und führt deshalb wiederum zu Fehleinschätzungen hinsichtlich der benötigten Unterstützung für den Schüler.

Die beiden Beiträge zu Konzentration und Aufmerksamkeit in der Schule bauen – wenn auch mit unterschiedlichen Akzenten – aufeinander auf und münden in konkreten Tipps und Handlungsanweisungen: Klaus Skrodski beschreibt eingehend das Krankheitsbild aus medizinischer Sicht, Ursachen und Möglichkeiten der Intervention. Dabei plädiert er für ein multimodales Therapiekonzept, das sowohl medikamentöse als auch erzieherische Aspekte umfasst.

Ulrike Schaups Beitrag profitiert unmittelbar von diesem Grundlagenwissen und propagiert eine dem Schüler zugewandte Herangehensweise. Es kommen dabei der Ansatz des beziehungsorientierten Lehrens und Lernens, die Bedürfnisorientierung, die Ressourcenorientierung ebenso wie die Förderorientierung als Mittel im Umgang mit hyperaktiven Kinder zur Sprache.

In einem weiteren Beitrag gibt Schaup den Lesern einen Überblick über das weite Bedeutungsspektrum, das den Begriffen „Aggression und Gewalt in der Schule“ innewohnt. In ähnlicher Breite werden Ursachentheorien und -faktoren sowie Diagnosemöglichkeiten dargestellt.

Basale, für Praktiker aber wichtige Einblicke zu Bullying und Cyberbullying unter Schülern bietet der Beitrag von Herbert Scheithauer und Anja Schulze-Krumbholz. Beispielhaft wird anschließend die Prävention von Bullying anhand des fairplayer.manuals durch die Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen von Herbert Scheithauer und Heike Dele Bull vorgestellt.

Helga Ihm und Alexandra Stupperich thematisieren in ihrem Beitrag zu sexualisierter Gewalt die Sexualdelinquenz bei Jugendlichen und ergründen deren vielfältige Ursachen und mögliche – nach Typen differenzierte – Interventionsstrategien. Die Bedeutung für das Setting Schule ergibt sich vor dem Hintergrund, dass an diesem Ort ein Großteil der sozialen Interaktion im Jugendalter stattfindet und Schule einen prädestinierten Ort für Diagnose und Intervention darstellt. Weitere Beiträge zum Themenkontext sexualisierter Gewalt fokussieren auf Mädchen und Frauen sowie auf Jungen als Opfer.

Der Thematik der Süchte und Abhängigkeiten im Jugendalter nähern sich drei Beiträge: Für eine Einordnung des Drogen- und Alkoholmissbrauchs unter Jugendlichen stellt Volker Barth den Konsum dieser Mittel in einen breiten gesellschaftlichen Kontext, um hernach über Ausmaß und Verbreitung bei der besagten Zielgruppe zu berichten. Dem schließt er eine Vorstellung verschiedener Programme zur Prävention sowie eine Einordnung dieser in den Rahmen der Leistungen und Aufgaben der Kinder und Jugendhilfe an.

Annette Teske stellt hingegen die Medienabhängigkeit von Kindern und Jugendlichen in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen. Unter Anlehnung an gängige stoffgebundene Abhängigkeiten werden den Lesern die schwierigen Möglichkeiten des Erkennens von Medienabhängigkeiten aufzeigt und eine Liste von Beratungsstellen und Kliniken vorgestellt.

Eva Wunderer greift in ihrem praxisnahen Beitrag die Problematik der Essstörungen auf und beschreibt, wie Lehrer und Eltern insbesondere Anorexia nervosa erkennen können. Andere emotionalen Auffälligkeiten in der Schule, wie Angststörungen, Tics oder gar Selbstverletzungen, sind Gegenstand weiterer Beiträge.

Eine große Herausforderung stellt im schulischen Bereich der Absentismus dar. Heinrich Ricking berücksichtigt die Vielschichtigkeit der Problematik, an welcher mehrere Sozialisationsinstanzen beteiligt sind und unterscheidet diesbezüglich zwischen Schulschwänzern, Schulverweigerern und dem Zurückhalten von Schülern insbesondere durch Erziehungsberechtigte.

In ihrem Schlusswort plädieren die beiden Herausgeber vor dem Hintergrund sehr belastender Arbeitsbedingungen von Lehrkräften für eine Entlastung durch Spezialisten. Letztendlich dürfe eine Förderung verhaltensauffälliger Schüler in problemhomogenen Gruppen jedoch nicht zu einer völligen Segregation führen; das grundsätzliche gemeinsame Lernen nütze schließlich allen Beteiligten.

Fazit: Die Absicht dieses Studienbuches, Studierenden, Lehrkräften und Eltern sowohl Hintergrundinformationen als auch Praxishilfen an die Hand zu geben, geht voll auf. In den meisten Beiträgen wird diese Herangehensweise konsequent umgesetzt. Insbesondere als erster Einstieg in die vielfältigen verschiedenen Thematiken ist das Werk zu empfehlen. Um eine noch übersichtlichere Handhabung für die genannten Zielgruppen zu ermöglichen, wäre allerdings eine noch einheitlichere Strukturierung der Beiträge bzw. der einzelnen Teilgebiete sicherlich eine Bereicherung gewesen.
Lars Oertel (Dresden)
Zur Zitierweise der Rezension:
Lars Oertel: Rezension von: Menzel, Dirk / Wiater, Werner (Hg.): Verhaltensauffällige Schüler, Symptome, Ursachen und Handlungsmöglichkeiten. Stuttgart: UTB 2009. In: EWR 10 (2011), Nr. 5 (Veröffentlicht am 04.10.2011), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978382523295.html