EWR 13 (2014), Nr. 5 (September/Oktober)

Reinhilde Stöppler
Einführung in die Pädagogik bei geistiger Behinderung
München und Basel: Ernst Reinhardt Verlag / UTB 2014
(220 S.; ISBN 978-3-8252-4135-3; 24,99 EUR)
Einführung in die Pädagogik bei geistiger Behinderung Die im Titel benannte Disziplin, von der Autorin als „jüngste und vielfältigste Disziplin innerhalb der Sonderpädagogik“ (11) bezeichnet, verfügt über eine sehr überschaubare Anzahl einführender Lehrwerke – das Erscheinen einer weiteren, aktuellen Einführung in diesem pädagogischen Zweig ist somit sehr begrüßenswert.
Der Adressatenkreis des Buches sind Studienanfänger/-innen der Pädagogik bei geistiger Behinderung, Studierende angrenzender Disziplinen wie z. B. Sozialpädagogik und Psychologie sowie Lehrkräfte an inklusiven Schulen, die sich über die Fachrichtung informieren möchten. Der Anspruch der Publikation ist die „Beschreibung des momentanen Standortes und der wegweisenden Perspektiven“ (ebd.) des Faches.

Das übersichtlich gegliederte Buch verteilt seine inhaltlichen Schwerpunksetzungen auf neun Kapitel, die bei einer Beschreibung des Personenkreises ihren Ausgang nehmen und sich nach einem kurzen Blick auf die historische Genese zentraler Leitideen der Pädagogik bei geistiger Behinderung an der Chronologie des Lebenslaufs orientieren und nacheinander die frühe, die schulische und die berufliche Bildung sowie abschließend das Alter zum Thema machen. Außerhalb dieser Chronologie der Lebensspanne liegt das letzte Kapitel, das verschiedene Teilhabebereiche identifiziert und jeweils Teilhaberisiken und -chancen skizziert.

Wie sind die einzelnen Kapitel inhaltlich gefüllt? Der Einstieg ins Thema erfolgt über die Darstellung des „Personenkreises der Menschen mit geistiger Behinderung“ und orientiert sich an Klassifikationssystemen (AAMR; ICF) und verschiedenen disziplinären Perspektiven (Medizin, Psychologie, Soziologie, Pädagogik). Im darauf folgenden Kapitel zur „Ätiologie“ werden die möglichen chromosomalen, metabolischen und exogenen Ursprünge geistiger Behinderung beschrieben und hinsichtlich ihres zeitlichen Auftretens (prä-, peri-, postnatal) differenziert. Ein tabellarischer Überblick zu zentralen Methoden der Pränataldiagnostik schließt das zweite Kapitel ab.

Das dritte Kapitel widmet sich den „Erscheinungsformen geistiger Behinderung“ und liefert erstens einen Überblick zu verschiedenen klinischen Syndromen (z. B. Down-Syndrom, Fragiles-X-Syndrom, Angelman-Syndrom) sowie zweitens eine Beschreibung des Personenkreises der Menschen mit schwerer Behinderung („Schwerste Behinderung“) samt tabellarischem Überblick zentraler Förderkonzepte.

Das vierte Kapitel skizziert in aller Kürze den „Wandel der Leitideen in Bildung und Erziehung von Menschen mit geistiger Behinderung“ entlang der Begriffe Exklusion, Segregation, Vernichtung, Normalisierung, Integration, Selbstbestimmung, Empowerment, Teilhabe, Partizipation und Inklusion.

Im fünften Kapitel zur „frühen Bildung und Förderung“ werden Bedeutung, Ziele, Bereiche, Prinzipien und Organisationsformen der Frühförderung sowie zentrale Aspekte der Elementarpädagogik beschrieben.
Die „schulische Bildung“ wird im sechsten Kapitel zum Thema gemacht. Im Vordergrund steht hier nicht die Darstellung konkreter didaktischer Aufgabenstellungen, sondern die institutionelle Beschreibung der Förderschule und des Gemeinsamen Unterrichts.

An die Schule schließt sich die Arbeitswelt an, die im siebten Kapitel zur „beruflichen Bildung“ entlang der Bereiche Vorbereitung auf das Arbeitsleben, Werkstatt für behinderte Menschen und Teilhabe an Arbeit und Beschäftigung dargestellt wird. Auf Menschen mit schwerer und mehrfacher Behinderung und entsprechende institutionalisierte Angebote (Förderbereiche innerhalb und außerhalb der Werkstätten für behinderte Menschen und Tagesförderstätten) wird in diesem Kapitel nicht explizit eingegangen.

Die Orientierung an der Chronologie des Lebenslaufs wird im achten Kapitel fortgeführt, das über den Bildungsbereich im Erwachsenenalter hinaus weitere Informationen zu „Menschen mit geistiger Behinderung im Alter“ liefert (z. B. zum Begriff Alter, zum demografischen Wandel, zur Freizeitgestaltung und zum Umgang mit Sterben und Tod).

Das abschließende neunte Kapitel zu verschiedenen „Teilhabebereichen“ ist auch das umfangreichste. Während die Kapitel eins bis sieben jeweils ungefähr zehn Seiten umfassen, werden die Inhalte dieses Kapitels auf insgesamt 60 Seiten dargestellt. Die Autorin identifiziert hier sieben Teilhabebereiche, die nun nicht entlang, sondern gewissermaßen quer zur Lebenslaufperspektive in den Blick genommen werden: Gesundheit, Mobilität, Wohnen, Freizeit, Erwachsenenbildung, Sexualität und politische Teilhabe. Vier Gesichtspunkte (zentrale Aspekte; aktuelle Situation; Teilhaberisiken und -chancen) strukturieren die Darstellung. Die Bereiche Gesundheit, Mobilität und vor allem politische Partizipation werden meines Wissens erstmalig in einer Einführung in die Pädagogik für Menschen mit geistiger Behinderung explizit als Teilhabebereiche thematisiert.

Dem Charakter einer Einführung zu Studienzwecken entspricht die didaktische Gestaltung des Buches, die sich auf die klar strukturierte Präsentation von Überblickswissen konzentriert, die Orientierung im Buch durch Symbole (z. B. für Definitionen) erleichtert, jedes Kapitel mit Empfehlungen für die weiterführende Lektüre und mit Übungsaufgaben abschließt und Hinweise auf zusätzliches Online-Material bietet, das auf der Homepage des Verlages ebenso zu finden ist wie Musterlösungen zu den Übungsaufgaben.

Die vorliegende Einführung in die „Pädagogik bei geistiger Behinderung“ ist eine im besten Sinne des Wortes pragmatische Darstellung des Faches, die vornehmlich an der Profession, ihren Handlungsfeldern und aktuellen Herausforderungen in verschiedenen Teilhabebereichen orientiert ist. Fragen der Disziplin, z. B. hinsichtlich der historischen Genese der Pädagogik bei geistiger Behinderung, möglicher wissenschaftstheoretischer Ausrichtungen oder ethischer Reflexion werden in dieser Einführung nicht ins Zentrum gerückt.

Durch das zweite und dritte Buchkapitel (Ätiologie und Erscheinungsformen) erhält der „klinische“ Blick auf den Personenkreis einen prominenten Stellenwert. Somit kann die Einführung auch als ein Statement für einen praxisorientierten Umgang mit medizinischem Orientierungswissen in der Pädagogik bei geistiger Behinderung gelesen werden.

Das Buch liefert einen klar strukturierten Überblick zu den zentralen Aufgaben- und Problemstellungen der Pädagogik bei geistiger Behinderung und ist Studierenden als Einstiegslektüre und zur inhaltlichen Orientierung im Studium sehr zu empfehlen.
Oliver Musenberg (Berlin)
Zur Zitierweise der Rezension:
Oliver Musenberg: Rezension von: Stöppler, Reinhilde: Pädagogik bei geistiger Behinderung. München und Basel: Ernst Reinhardt Verlag / UTB 2014. In: EWR 13 (2014), Nr. 5 (Veröffentlicht am 10.10.2014), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978382524135.html