EWR 7 (2008), Nr. 1 (Januar/Februar)

Julia Krause
Die Erziehung indianischer Mädchen im Zentralmexiko des 16. Jahrhunderts
Hamburg: Dr. Kovač 2007
(304 S.; ISBN 978-3-8300-2717-6; 58,00 EUR)
Die Erziehung indianischer Mädchen im Zentralmexiko des 16. Jahrhunderts Diese Dissertation macht sich zur Aufgabe, die Erziehungseinrichtungen für eine marginalisierte Personengruppe der frühen Kolonialphase Neuspaniens zu untersuchen: Die indigenen Frauen des Hochtals von Mexiko galten nicht als primäre Zielgruppe der Bildungsbemühungen durch die Kolonialherren, die über eine Einführung in die katholische Religion und ihrer traditionellen Gesellschaftsvorstellungen hinaus gingen.

Julia Krause hat ihre Untersuchung in zwei Hauptteile unterteilt, in denen sie zunächst das vorspanische (aztekische) und das frühneuzeitliche Erziehungssystem Europas vorstellt und vergleicht, um dann den Aufbau eines neuen Erziehungssystems in den ersten Jahrzehnten der Kolonialherrschaft zu beschreiben. Im Anhang der Arbeit finden sich eine Bibliographie und eine Auflistung der verwendeten Primärquellen aus Mexiko und Spanien.

In ihrer Einleitung stellt die Autorin fest, dass sich die nebensächliche Behandlung der Frauenerziehung auch in der Geschichtsschreibung zunächst fortsetzte. Bis zum Erscheinen von José Maria Kobayashis bekannter Studie Educación como Conquista (1974) hatte keine Studie zum Erziehungswesen überhaupt die indigene Bevölkerung zum zentralen Untersuchungsgegenstand. Anhand einer Diskussion des Forschungsstandes unter Einschluss der Arbeiten mexikanischer Expertinnen für Frauen- und Bildungsgeschichte wie Pilar Gonzalbo Aizpuru konstatiert die Autorin schließlich die Notwendigkeit einer detaillierten Einzelstudie, die auch die „historischen Hintergründe sowie Konsequenzen der Erziehung der indianischen Mädchen untersucht“ (33), was in der vorliegenden Arbeit zu leisten beansprucht wird. Dazu hat sie die Auswertung publizierten Quellenmaterials durch Recherchen im mexikanischen Nationalarchiv, im Archiv des Anthropologischen Museums in Mexiko Stadt sowie im Archivo General de las Indias im spanischen Sevilla ergänzt. Nach Aussage der Autorin erbrachten die Nachforschungen in den Diözesanarchiven von Mexiko Stadt und Sevilla keine brauchbaren Informationen.

Krause beginnt den empirischen Teil ihrer Arbeit damit, die Erziehung junger Frauen des Hochtals von Mexiko in vorkolumbischer Zeit zu rekonstruieren. Das Bildmaterial des Codex Mendoza wird dazu von der Autorin unter Zuhilfenahme weiterer – schriftlicher – Quellen einfallsreich gedeutet. Die Informationen der Autorin rühren mehrheitlich von den verfügbaren Aufzeichnungen aus der Zeit nach der Eroberung, wie etwa dem Florentiner Codex des Franziskanerpaters Bernado de Sahagún. Darin ist u.a. zu erfahren, dass die Vermittlung gesellschaftlicher Norm- und Wertvorstellungen an den weiblichen Nachwuchs über moralische Ansprachen seitens der Eltern geschah. Krause vermutet, dass diese ab dem sechsten Lebensjahr in formalisierten Reden anlässlich eines alle 80 Tage stattfindenden Treffens von Vater und Tochter vorgetragen wurden.

Die weitere Erziehung fand laut Krause in schulischen Institutionen wie dem telpochcalli und dem calmecac statt, wo Männer und Frauen getrennt Unterricht erhielten. Einzig im cuicacalli, dem Gesanghaus, kamen die beiden heranwachsenden Geschlechter zusammen, um das Tanzen und Musizieren zu erlernen. Aus ihrer Darstellung der Bildung und weiteren Entfaltungsmöglichkeiten für Frauen schließt Krause auf eine staatlich kontrollierte Erziehung zum Dienst an der Gesellschaft, der über die reine Haushaltstätigkeit hinausging.

Im zweiten Teil des ersten Kapitels zeichnet Krause die Entwicklung der Mädchenerziehung in der christlich-abendländischen Kultur der frühen Neuzeit nach, wobei sie sich auf die verfügbare Sekundärliteratur stützt. Dem von ihr selbst angezeigten Missstand, nach dem die frühneuzeitliche Erziehungsgeschichte Mitteleuropas wesentlich besser untersucht ist als diejenige der iberischen Halbinsel, wirkt die Autorin nicht durch eine eigene Quellenstudie entgegen.

Den Ausführungen in diesem Abschnitt ist zu entnehmen, dass die Analphabetenquote unter der weiblichen Bevölkerung auf der iberischen Halbinsel relativ groß war. Im Gegensatz zu Mitteleuropa ging der Verstädterungsprozess hier langsamer vonstatten, und anstelle von städtisch finanzierten Grundschulen wurde die elementare Bildung überwiegend von religiösen Stiftungen und der Kirche selbst übernommen. Krause zeichnet die Entstehung semireligiöser Gemeinschaften nach, die sich der Erziehung des weiblichen Nachwuchses annahmen. Im spanischen Raum wurde demnach die religiöse und weitere Erziehung des weiblichen Nachwuchses vorwiegend von Laienbewegungen der so genannten beatas angeboten, einem Sammelbegriff für Frauen, die sich zu einem frommen Leben außerhalb der Kirchen- und Ordenshierarchie entschlossen hatten. Während also die elementare Erziehung bei den Azteken staatlich geregelt war, fasst Krause am Ende des ersten Teils der Untersuchung zusammen, wurde die Erziehung in Spanien von der Kirche und weltlichen Interessenverbänden übernommen.

Im dritten Kapitel über Erziehung und Schule gibt Krause zunächst einen Überblick über die demografische Entwicklung Neuspaniens im 16. Jahrhundert. Sie beschreibt dabei, wie durch die Ablösung des traditionellen Tributsystems der indigene Adel seine Führungsrolle verlor und sich in der Folge bereitwilliger den Bildungseinrichtungen der Spanier öffnete, um Zugang zur Kolonialadministration zu erhalten. Nach dieser einleitenden Beobachtung wertet die Autorin die Chroniken zur Missions- und Kirchengeschichte bezüglich der ersten schulischen Einrichtungen für indigene Mädchen aus. Dabei kommt zum Vorschein, dass die Kolonialverwaltung auch auf vorspanische Erziehungseinrichtungen zurückgriff. Die aufgezeigten Auseinandersetzungen zwischen den Geistlichen und den Beamten über die Erziehung der kolonisierten Bevölkerung lassen den Leser nebenher einiges über die frühe Kolonialverwaltung erfahren und machen ihn mit den wichtigsten Protagonisten der frühen Frauenerziehung bekannt. Im Einklang mit anderen Untersuchungen der frühkolonialen Erziehungsgeschichte stellt auch Krause fest, dass seit der Mitte des 16. Jahrhunderts die Bildungsbemühungen schließlich auf die mestizische Bevölkerung umgelenkt wurden. Die aus den Verbindungen zwischen Spaniern und der autochthonen Bevölkerung hervorgegangenen Kinder sollten dem als schädlich angesehenen Einfluss ihrer indigenen Mütter entzogen werden.

Im Anschluss an diese chronologische Einführung entwickelt Krause eine Kategorisierung der schulischen Einrichtungen und legt sich auf vier Bezeichnungen fest, mit denen diese beschrieben werden sollen. Als Katechismusschule bezeichnet sie den Unterricht im Klosterinnenhof. Dazu kommt die Schule und Werkstätte des Laienlehrers Pedro de Gante. Mit beaterios wurden die Schulen der Laienschwestern benannt und schließlich gilt ihr eine von einem spanischen Ehepaar geführte Einrichtung als öffentliche Schule.

Unter Verwendung der genannten Begriffe beschreibt Krause im Folgenden die interne Organisation der Mädchenschulen. Die am weitesten verbreitete Schulform war die Katechismusschule. Die übliche Lehrform bestand darin, indigenes Lehrpersonal auszubilden, das dann die ‚Indoktrinierung‘ der jüngeren/neuen Schülerinnen mit den christlichen Glaubensgrundsätzen vorzunehmen hatte. Krause bemerkt, dass bei den weiblichen Schützlingen anscheinend nicht mehr wie noch zu vorspanischer Zeit zwischen adliger und nichtadliger Herkunft unterschieden wurde.

Die beaterios waren die zweithäufigste Schulform, in denen auch indigene Laienschwestern bis zu 400 Schülerinnen Unterricht erteilten. Krause stellt sich gegen die irrige Behauptung, es habe sich bei den beatas allgemein um Terzianerinnen des Franziskanerordens gehandelt. Vielmehr hätten diese Frauen auf ihrer Unabhängigkeit bestanden, so Krause, und seien darüber in einen Konflikt mit dem Franziskanerorden geraten. Einzelne Gelübde auf die Franziskanerregeln, wie das der Catalina Bustamante, habe es aber dennoch gegeben. Da die beatas lesen und schreiben konnten, vermutet Krause allgemein eine Herkunft aus besseren Verhältnissen. Die finanzielle Lage der beaterios blieb aber die meiste Zeit über recht unsicher.

Anschließend erörtert die Autorin, ob in den Schulen des aus Flandern stammenden Pedro de Gante auch Mädchen unterrichtet wurden. Aufgrund der Dokumentation kann aber anscheinend nur festgestellt werden, dass es eine schulische Einrichtung für die Töchter des indigenen Adels von diesem Protagonisten der Indianererziehung nicht gegeben hat.

Schließlich ist der Einzelfall der Schule von Elvira Diez de Olmillas zu nennen, die auch als einzige zusammen mit Pedro de Gantes Institution in den Dokumenten als „escuela“ (Schule) bezeichnet wird.

In einem anschließenden Abschnitt über Lehrziele und -inhalte muss festgestellt werden, dass es kaum gezielte Anweisungen für die Erziehung des weiblichen Nachwuchses gegeben hat. Nicht überraschend galt die Jungfrau Maria als Vorbild für die jungen Mädchen. Es wurde im Wesentlichen Haushaltshandwerk beigebracht und eine monogame Lebensweise propagiert. Im Rahmen der Bekehrungsversuche wurde den Mädchen die Aufgabe zugedacht, das Christentum in ihre Familien zu tragen. Für eine Antwort auf die Frage, ob indigenen Mädchen institutionell Lesen und Schreiben beigebracht wurde, fehlen aber offenbar die Quellen.

Die Reaktion der indigenen Bevölkerung auf die Katechismusschulen war laut Krause unproblematisch, während die geforderte Unterbringung der Töchter in den beaterios sehr misstrauisch aufgenommen wurde. Die Übernahme erzieherischer Arbeit durch indigene Frauen im Anschluss an die eigene Ausbildung wertet Krause jedoch als Nachweis einer positiven Reaktion auf die Bildungseinrichtungen.

In ihrer abschließenden Zusammenfassung weist Krause die Kategorisierung der Schultypen und die herausgearbeiteten Unterschiede in der Lehrform als Ergebnisse der Arbeit aus. Die Konsequenzen der Erziehung werden hingegen nicht, wie angekündigt, weiter untersucht.

Die Arbeit hinterlässt den Eindruck, dass die Quellenlage für eine Untersuchung der Erziehung indigener Mädchen im Hochtal von Mexiko des 16. Jahrhunderts ausgesprochen dünn ist. Die vorhandene Dokumentation scheint viel mehr als ein längeres Kapitel, wie etwa in Gomez Canedos La educacion de los marginados durante la epoca colonial, nicht herzugeben. Die Autorin behilft sich daher über weite Strecken mit der Diskussion des Wirkens von Persönlichkeiten wie Pedro de Gante oder erörtert ausführlich einzelne Lehrmittel wie den Katechismus, ohne jedoch zu diesen Themen viel Neues beizutragen und nur um im Anschluss festzustellen, dass diese nichts mit der Erziehung von indigenen Mädchen im Besonderen zu tun haben. Als Verdienst der Arbeit bleibt festzuhalten, dass das behandelte Thema einem deutschsprachigen Lesepublikum zugänglich gemacht wird. Insgesamt entsteht aber der Eindruck, dass hier ein bereits untersuchter Forschungsgegenstand nur durch eine geschlechtliche Spezifizierung des Titels neu aufgearbeitet wurde.
Lasse Hölck (Berlin)
Zur Zitierweise der Rezension:
Lasse Hölck: Rezension von: Krause, Julia: Die Erziehung indianischer Mädchen im Zentralmexiko des 16. Jahrhunderts. Hamburg: Dr. Kovac 2007. In: EWR 7 (2008), Nr. 1 (Veröffentlicht am 06.02.2008), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978383002717.html