EWR 11 (2012), Nr. 4 (Juli/August)

Sabine MĂŒller / Marcus Pietsch / Wilfried Bos (Hrsg.)
Schulinspektion in Deutschland
Eine Zwischenbilanz aus empirischer Sicht
MĂŒnster / New York / MĂŒnchen / Berlin: Waxmann 2011
(262 S.; ISBN 978-3-8309-2542-2; 29,90 EUR)
Schulinspektion in Deutschland QualitĂ€tssicherung ist in deutschen Schulen seit dem Pisa-Schock ein öffentliches Anliegen geworden. Dies wurde auch befördert durch die Entwicklung der EigenstĂ€ndigkeit von Schulen, die eine PrĂŒfung der Ergebnisse und Prozesse als Steuerungselement erforderlich machen. Externe Evaluation im Abgleich und in ErgĂ€nzung zu Systemen von Selbstevaluation ist das Mittel der Wahl, national wie international. So wurden Schulinspektionen in den meisten BundeslĂ€ndern, ebenso im Auslandsschulwesen, eingerichtet mit der Blickrichtung darauf, einerseits Schulen durch eine Spiegelung ihrer externen Ergebnisse Impulse zur QualitĂ€tsentwicklung zu geben, andererseits der Kultusbehörde Steuerungswissen fĂŒr schulpolitische Entscheidungen zur VerfĂŒgung zu stellen.

Die Fragen, wie gut die Inspektionen arbeiten, wie genau ihre Instrumente messen, was mit ihren Ergebnissen geschieht, inwieweit die Berichte und Ergebnisse QualitĂ€tsverbesserungen in den Schulen bewirken, ob all die Effekte eintreten, deretwegen die externe Evaluation eingerichtet wurde, mĂŒssen zum jetzigen Zeitpunkt gestellt werden, da der erste Durchgang in den BundeslĂ€ndern erfolgt ist und fĂŒr die weitere Arbeit neue Verfahren und Instrumente entwickelt werden. Die Inspektionen können nach Kenntnis so vieler Schulen und ihrer Ergebnisse neu ausgerichtet werden, neue Fragestellungen rĂŒcken nach vorne.

Eine Zwischenbilanz aus empirischer Sicht, so der Untertitel des Buches, das von Sabine MĂŒller, Marcus Pietsch und Wilfried Bos herausgegeben wurde, erscheint daher notwendig. Die Weiterentwicklung der Instrumente und eine QualitĂ€tssicherung der Inspektion ist allerdings eine Daueraufgabe, wozu die empirischen Studien wesentliche BeitrĂ€ge liefern. Dem eigenen Anspruch „Ansatzpunkte und Anregungen“ zu geben, wird dieser Band mit Sicherheit gerecht. NĂŒtzliche Impulse durch die kritische empirische Sicht können nicht nur die Inspektionen selbst gewinnen, sondern auch Schulen, die an der ValiditĂ€t ihrer Ergebnissen zweifeln, Verbandsvertreter oder Bildungspolitiker, die Entscheidungen vorbereiten. SpĂ€tere Forschungsarbeiten können hier Ansatzpunkte finden zur PrĂ€zisierung ihrer nachfolgenden Fragestellungen. Letztlich stĂ€rkt die kritische Forschung die Akzeptanz der Schulinspektionen und ihrer Ergebnisse.

Ein grundlegendes Problem der Übertragbarkeit der Ergebnisse stellt sich, da die Untersuchungen stets auf die Verfahren ausgewĂ€hlter einzelner BundeslĂ€nder bezogen sind und zum Teil auf inzwischen nicht mehr praktizierten Verfahren aus dem ersten Durchgang beruhen. Ein grundsĂ€tzlicher Vorbehalt ist der insgesamt schmalen Datenbasis geschuldet, auf der sich mehrere der empirischen Untersuchungen bewegen, wie beispielsweise hinsichtlich der Frage der Kontextuierung schulischer Leistungsergebnisse.

Eine kritische wissenschaftliche Begleitung gehört zum QualitĂ€tsstandard der Inspektionen und ist selbstverstĂ€ndlicher Teil des Systems. Viele der Autoren arbeiten genau auf diesem Gebiet. Sie sind vertraut mit der Praxis der Schulinspektion, arbeiten in der wissenschaftlichen Begleitung innerhalb der Inspektionen, in Instituten zum Bildungsmonitoring oder der universitĂ€ren Forschung. Sie treffen sich zweimal jĂ€hrlich in der Arbeitsgemeinschaft fĂŒr empirische pĂ€dagogische Forschung und bilden ein Netzwerk fĂŒr lĂ€nderĂŒbergreifende Fragestellungen zur externen Evaluation von Schulen.

Der ĂŒbersichtlich strukturierte Aufbau des Bandes mit einer klaren thematischen Gruppierung der BeitrĂ€ge erleichtert den Zugang zu den zehn AufsĂ€tzen, die hier inhaltlich nicht in GĂ€nze berĂŒcksichtigt werden können, daher wird jeweils kurz auf den Leitaufsatz eingegangen.

Eine kritische Bestandsaufnahme zu den zentralen Erhebungsinstrumenten, insbesondere in Bezug auf die Unterrichtsbeobachtung und leitfadengestĂŒtzten Interviews, finden sich im ersten Block „Die Instrumente der Schulinspektion auf dem PrĂŒfstand“:

Holger GĂ€rtner und Hans A. Pant machen in ihrem Beitrag „Validierungsstrategien fĂŒr Verfahren und Ergebnisse von Schulinspektion“ auf Probleme mit der Messung von SchulqualitĂ€t auf Ebene einer Einzelschule ohne theoretische Fundierung aufmerksam. Schulinspektion soll SchulqualitĂ€t nicht nur messen, sondern auch bewerten. DafĂŒr mĂŒssen Standards gelten, die in den BundeslĂ€ndern sehr unterschiedlich vorgegeben werden. Die Autoren prĂŒfen am Beispiel Brandenburgs eine Übertragung von Samuel Messicks Konzept von ValiditĂ€t auf das Verfahren der Schulinspektion. Insgesamt konstatieren sie die bisher geringe Belastbarkeit der empirischen Daten. Die Sammlung von offenen Fragen zur Forschung und zur ValiditĂ€t der Ergebnisse der Schulinspektionen dient zur Orientierung bei nachfolgenden Forschungsarbeiten.

Die Frage nach der Belastbarkeit der Ergebnisse wird im zweiten Block „Ergebnisse der Schulinspektion“ gestellt:

In ihrem Beitrag „Lassen sich starke und schwache Schulen eindeutig unterscheiden, wenn man eine Rangordnung gemĂ€ĂŸ von Inspektionsdaten bildet?“ zeigen Steffen Brandt und Heino Reimers auf, dass ein Ranking „guter“ und „schlechter“ Schulen in mehreren BundeslĂ€ndern methodisch problematisch ist. Ebenso sei der Schulentwicklungsimpuls durch eine differenzierte Analyse von spezifischen StĂ€rken und SchwĂ€chen eher dazu geeignet, schulspezifische Entwicklungsprogramme zu definieren. Zu unterschiedlich sind die StĂ€rken und SchwĂ€chen der „schwachen“ Schulen verteilt, als dass ein aggregierter GesamtqualitĂ€tswert einer Schule etwas ĂŒber ihren Entwicklungsstand aussagen könnte. Auch bei einem schlechten Abschneiden im Gesamtergebnis könne es in einzelnen QualitĂ€tsbereichen StĂ€rken geben.

Im dritten Abschnitt stehen „Effekte und Wirkungen von Schulinspektionen“ in den Schulen selbst im Fokus:

Norbert Sommer zielt mit der Frage im Beitragstitel „Wie beurteilen schulische Gruppen die erlebte Schulinspektion? Ergebnisse einer Befragung“ auf die Effekte der Inspektionsergebnisse fĂŒr die Schulenentwicklung. Die Ergebnisse von Befragungen im Nachgang belegen zwar ĂŒberwiegend positive RĂŒckmeldungen von inspizierten Schulen und auch, dass die Inspektionsteams wertvolle Hinweise erhalten ĂŒber die Wirkung ihrer Arbeit. Welche Wirkung auf VerĂ€nderungsmaßnahmen und –prozesse die Inspektion zeigt, werde zu wenig deutlich. Eine Überarbeitung des Verfahrens und einen spĂ€teren Zeitpunkt des Einholens von Feedback leitet der Verfasser selbst daraus ab. Die Ergebnisse der Befragung geben ebenso Hinweise darauf, wie die RĂŒckmeldung der Ergebnisse sowohl bei „starken“ wie bei „schwachen“ Schulen mehr mit Blick auf die QualitĂ€tsentwicklung gerichtet sein mĂŒsste.

Den vierten, mit „Perspektiven“ ĂŒberschriebenen Abschnitt eröffnen Marcus Pietsch, Peter Schulze, Jochen Schnack und Mareile Krause mit ihrem Beitrag „Elaborierte RĂŒckmeldungen zur QualitĂ€t von Unterricht. Über empirisch abgesicherte Bezugsnormen als Grundlage fĂŒr die Weiterentwicklung von Unterricht und Schule“.
Das RĂŒckmeldeverfahren zum Unterricht steht im Zentrum dieses Beitrags. Hoffnung sei, die RĂŒckmeldung derart zu gestalten, dass sie zu Schulentwicklungsprozessen fĂŒhre, die letztlich in verbesserte SchĂŒlerleistungen mĂŒnde. Die Spiegelung des Ist-Zustandes mĂŒsse mit einem Soll-Zustand abgeglichen werden, was durch die Bezugsnormen in den in fast allen LĂ€ndern eingefĂŒhrten QualitĂ€tsrahmen angebahnt werde. Deren Definition von UnterrichtsqualitĂ€t gebe allerdings keinen eindeutig quantifizierbaren Standard vor. Eine Aggregierung von Einzelbeobachtungen zu einer aufeinander aufbauenden Niveaustufenfolge von vier Leveln von UnterrichtsqualitĂ€t, sei hilfreich fĂŒr die EinschĂ€tzung von UnterrichtsqualitĂ€t einer Schule. Dass eine RĂŒckmeldung aggregierter Ergebnisse grundsĂ€tzlich möglich ist, sei empirisch vertretbar, da hinreichend große, systematische EinflĂŒsse der Schule auf die QualitĂ€t von Unterricht nachweisbar seien. Die Unterrichtskultur einer Schule sei so erfassbar, strategische Entscheidungen zur Unterrichtsentwicklung ließen sich daraus ableiten. Über eine geeignete Form der RĂŒckmeldungen ist damit noch nichts WeiterfĂŒhrendes ausgesagt. Ein Verdienst dieses Aufsatzes sind die Überlegungen zu Bedingungen wirksamer RĂŒckmeldungen. Die Autoren ziehen empirische Forschungsergebnisse heran, unter welchen UmstĂ€nden RĂŒckmeldungen eine zielgerichtete, positive EffektivitĂ€t entfalten können.

Insgesamt ermöglicht dieses Abschlusskapitel allerdings weniger Ausblicke auf wirklich neue Konzeptionen, sondern sammelt eher Einzeluntersuchungen zur Kontextualisierung von Ergebnissen zur UnterrichtsqualitĂ€t, zur RĂŒckmeldung der Ergebnisse oder zur Einbindung von Inspektion in andere Verfahren der QualitĂ€tssicherung.

Abschließend betrachtet, bemisst sich der besondere Wert dieser „Zwischenbilanz“ nicht so sehr nach den Antworten, sondern besteht eher in den vielfĂ€ltigen Fragestellungen fĂŒr weitere Forschungen und die Reflexion der Praxis von Schulinspektion.
Hiltrud Koch (Hannover)
Zur Zitierweise der Rezension:
Hiltrud Koch: Rezension von: MĂŒller, Sabine / Pietsch, Marcus / Bos, Wilfried: Schulinspektion in Deutschland, Eine Zwischenbilanz aus empirischer Sicht. MĂŒnster / New York / MĂŒnchen / Berlin: Waxmann 2011. In: EWR 11 (2012), Nr. 4 (Veröffentlicht am 02.08.2012), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978383092542.html