EWR 14 (2015), Nr. 5 (September/Oktober)

Heinz GĂŒnter Holtappels (Hrsg.)
Schulentwicklung und Schulwirksamkeit als Forschungsfeld
TheorieansÀtze und Forschungserkenntnisse zum schulischen Wandel
MĂŒnster / New York / MĂŒnchen / Berlin: Waxmann 2014
(264 S.; ISBN 978-3-8309-3108-9; 34,90 EUR)
Schulentwicklung und Schulwirksamkeit als Forschungsfeld Der Sammelband greift ein Ă€ußerst aktuelles und wichtiges Thema der Erziehungswissenschaften auf. In insgesamt zehn BeitrĂ€gen werden sowohl zentrale Themen und Theorien der Schulentwicklungs- und Schulwirksamkeitsforschung bilanzierend zusammengefasst als auch ausgewĂ€hlte Forschungsbefunde vorgestellt.

Im ersten Beitrag von Heinz GĂŒnter Holtappels werden einschlĂ€gige theoretische AnsĂ€tze zu Schulentwicklungsprozessen zusammengefasst (z.B. innovationstheoretische Annahmen, Schulen als lernende Organisationen) und mit Bezug zu nationalen und internationalen Forschungsergebnissen empirisch untermauert. Der Autor erklĂ€rt, dass es insbesondere dem Theorieansatz der lernenden Organisation gelingt, Dimensionen und Prozesse der Organisationskultur aufzuzeigen, die besonders bedeutsam fĂŒr Schulentwicklungsprozesse sind. Abschließend werden sowohl Forschungsdesiderata als auch Probleme der Schulentwicklungsforschung benannt, die auch das Zusammenspiel von Schulentwicklung und SchuleffektivitĂ€t implizieren. Damit liefert der Beitrag eine wesentliche EinfĂŒhrung in die Thematik des Bandes insgesamt, die von den nachfolgenden Autoren (z.B. der Ansatz der lernenden Organisation von Feldhoff et al.) vertiefend betrachtet wird. Diese Querverbindungen hĂ€tten insbesondere im Rahmen dieses Beitrages deutlicher aufgezeigt werden können, um die durch den Autor intendierte vertiefende Reflexion der Verbindung von Schulentwicklung und Schulwirksamkeit anzuregen.

Als Antwort auf verĂ€nderte strukturelle Vorgaben (z.B. zentrale PrĂŒfungen, ganztĂ€giges Lernen, Inklusion) sind Schulentwicklungsprozesse notwendig. Die empirische Schul(entwicklungs)forschung zeigt, dass die Umsetzung von Neuem im schulischen Kontext jedoch oftmals nicht, nicht vollstĂ€ndig oder mit nicht intendierten Nebeneffekten vollzogen wird. Zur Analyse und zum VerstĂ€ndnis von Schulentwicklungsprozessen bieten die Innovationstheorie und -forschung wesentliche Ansatzpunkte, mit denen sich der zweite Beitrag von Uwe Hameyer befasst. „Überzeugende Ideen allein verĂ€ndern Schule nicht – selbst dann nicht, wenn der Fall ausreichender Sachmittel eintritt“ (71), so konstatiert der Autor und zeigt anhand eines Prozessmodells wesentliche Voraussetzungen und inhaltliche Eckpfeiler eines gelingenden Innovationsprozesses auf, die er gelungen mit Beispielen illustriert.

Schulentwicklung steht unter der Maßgabe der SchuleffektivitĂ€t, das heißt Schulentwicklungsprozesse sollen im Idealfall zu messbar besseren Ergebnissen fĂŒhren, die durch einschlĂ€gige Outputvariablen erfasst werden. Bert Creemers gibt in seinem Artikel einen fundierten Überblick ĂŒber SchuleffektivitĂ€tsforschung. DarĂŒber hinaus stellt er das „Dynamic Model of Educational Effectivesness“ vor, das er auf der Grundlage empirischer Forschungsergebnisse gemeinsam mit Leonidas Kyriakides entwickelt hat. Darauf aufbauend postuliert er zentrale Kriterien fĂŒr die theoriegeleitete Evaluation im Bildungskontext, so zum Beispiel die BerĂŒcksichtigung des Mehrebenensystems von Schule.

Der Schulleitung wird im Schulentwicklungsdiskurs eine hohe Bedeutung zugeschrieben. Tony Townsend und Jochen Wissinger legen in ihren BeitrĂ€gen zentrale Forschungsergebnisse zur Wirkung des Schulleitungshandelns dar. WĂ€hrend Tony Townsend thematisch weiter ausholt und zunĂ€chst Phasen der School-Effectiveness-Forschung und Bedingungen von VerĂ€nderungen referiert, fokussiert Jochen Wissinger das Schulleitungshandeln expliziter. Mit Blick auf seine Wirksamkeit prĂ€feriert Tony Townsend als Schulleitungsmodell den unterrichtsbezogenen FĂŒhrungsstil („Leadership for Learning“). Die kontrastierende Darstellung verschiedener FĂŒhrungsmodelle und die Diskussion ihrer AnschlussfĂ€higkeit zu Organisations- bzw. Schulentwicklungstheorien durch Jochen Wissinger stellt eine gelungene ErgĂ€nzung zum Artikel von Tony Townsend dar. Mit Blick auf die Bedeutung des Schulleitungshandelns insgesamt wĂ€re eine kritische Diskussion derselben vor dem Hintergrund international divergierender bildungspolitischer Rahmenbedingungen zusĂ€tzlich wĂŒnschenswert gewesen.

Im Rahmen des nun folgenden Forschungsbeitrages von Katja Scharenberg und Wilfried Bos werden Ergebnisse zu Kompositions- und Institutioneneffekten mit Blick auf das LeseverstĂ€ndnis dargestellt, die im Rahmen der Studie „Kompetenzen und Einstellungen von SchĂŒlerinnen und SchĂŒlern“ (KESS) lĂ€ngsschnittlich erhoben wurden. Die Autoren resĂŒmieren, „dass sich bereits zu Beginn der Sekundarstufe I an den Hamburger Schulen differenzielle Lern- und Entwicklungsmilieus herausbilden, die sich bis zum Ende der Jahrgangsstufe 8 verhĂ€rten“ (164).

Wolfram Rollett geht in seinem Forschungsbeitrag auf der Datengrundlage der „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen“ (STEG) der Frage der Realisation des konzeptuellen Anspruchs von Ganztagsschulen nach. Dazu betrachtet er u.a. die Anmeldezahlen der SchĂŒlerinnen und SchĂŒler im Ganztag in verschiedenen Schulstufen unter BerĂŒcksichtigung ihrer soziokulturellen Herkunft und die Zusammenarbeit von LehrkrĂ€ften und pĂ€dagogischem Personal im Ganztag. Abschließend benennt er zentrale Entwicklungsbereiche, die im Rahmen von Ganztagsschulentwicklungsprozessen fokussiert werden sollten. Obgleich die zuletzt beschriebenen ForschungsbeitrĂ€ge ausgesprochen spannende Ergebnisse prĂ€sentieren, wĂ€re eine explizite Einordnung und vertiefende theoretische RĂŒckkopplung zum Thema des Bandes „Schulentwicklung und Schulwirksamkeit“ bereichernd gewesen.

Hans-GĂŒnter Rolff stellt zentrale Trends und Probleme der Unterrichtsentwicklung zusammenfassend dar, um dann empiriebasiert die Bedeutung professioneller Lerngemeinschaften im Kontext der Schul- und Unterrichtsentwicklung zu entfalten. Besonders positiv hervorzuheben ist der abschließende praktische Bezug zur Umsetzung professioneller Lerngemeinschaften an Schulen.

Schulen scheinen immer hĂ€ufiger auf externe Experten zur Beratung, Fortbildung und Moderation im Kontext von Schulentwicklungsprozessen zurĂŒckzugreifen. Den Fragen, in welchem Ausmaß dies tatsĂ€chlich geschieht und ob es Unterschiede zwischen den Schulformen bzw. dem Stand der Schule mit Blick auf ihr Schulentwicklungsniveau gibt, gehen Martin Goecke und Klaus-JĂŒrgen Tillmann nach. Dazu greifen sie einerseits auf quantitative Daten einer Schulleitungsbefragung in NRW zurĂŒck und andererseits auf qualitative Daten, die im Rahmen einer kontrastiven Fallanalyse zweier Gymnasien erhoben wurden. Die Ergebnisse bestĂ€tigen zunĂ€chst den Eindruck der zunehmenden Verbreitung externer Schulentwicklungsberatung. DarĂŒber hinaus zeichnen die Autoren ein insgesamt positives Bild externer Schulberatung und deren Bedeutung sowohl fĂŒr Schulen mit hohem als auch mit niedrigem Schulentwicklungspotential. Die vertiefende theoretische Analyse der beiden unterschiedlichen ProzessverlĂ€ufe in den Fallstudien gerĂ€t jedoch etwas kurz, so bieten zum Beispiel die Reaktionen der LehrkrĂ€fte auf die beschriebene Schulentwicklungsberatung durchaus Anlass, diese auch kritisch zu reflektieren und auf dieser Grundlage zu einer zurĂŒckhaltenderen EinschĂ€tzung des Potentials externer Beratung zu gelangen.

Vor dem Hintergrund einer outputorientierten Steuerung des Bildungssystems gewinnen Daten zur QualitĂ€tssicherung und QualitĂ€tsentwicklung an Bedeutung. Verschiedene Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass die Nutzung solcher Daten fĂŒr die Schul- und Unterrichtsentwicklung nicht von selbst geschieht, sondern es sowohl organisationaler Rahmenbedingungen als auch individueller Kompetenzen schulischer Akteure bedarf. Die Autoren Tobias Feldhoff, Lisa Gromala und Thomas BrĂŒsemeister nutzen den Ansatz des Organisationalen Lernens zur Einordnung und Analyse des Potentials sowie der Nutzung von Daten am Beispiel der Schulinspektion. Dazu entwerfen sie den Ansatz der KapazitĂ€ten, der es erlaubt, einen sehr detaillierten Blick auf das Zusammenspiel von Akteuren zu entwickeln und der die Umsetzung von Reformen (hier der Datennutzung) aufgrund der hohen KomplexitĂ€t des Systems Schule voraussetzungsreich erscheinen lĂ€sst.

Der Band bietet durch die BeitrĂ€ge namhafter Vertreterinnen und Vertreter der Schul- und Unterrichtsentwicklung sowie der SchuleffektivitĂ€tsforschung einen fundierten und vielfĂ€ltigen Überblick ĂŒber zentrale theoretische Entwicklungen und Forschungsergebnisse der beiden Bereiche. BezĂŒge der Artikel untereinander wĂ€ren zur besseren Lesbarkeit des Bandes, aber auch um einen theoriegeleiteten Diskurs um Schulentwicklung und Schulwirksamkeit anzuregen, förderlich gewesen. Im Sinne der Gesamtkomposition des Buches bietet der Artikel von Feldhoff et al. einen wesentlichen theoretischen Grundlagenbeitrag, der besser im vorderen Teil des Bandes platziert gewesen wĂ€re. Zusammenfassend ist der Band aufgrund seiner Vielfalt und der Darstellung des derzeit aktuellen Forschungsstandes, aber auch der historischen SensitivitĂ€t, als geeignetes Werk zur Einarbeitung in die benannte Thematik fĂŒr Studierende sowie fĂŒr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu empfehlen. Auch bietet der Band in seiner Gesamtheit Impulse fĂŒr weitere ForschungsaktivitĂ€ten. FĂŒr Schulpraktikerinnen und Schulpraktiker erscheint insbesondere der Beitrag von Hans-GĂŒnter Rolff lesenswert.
Kathrin RacherbÀumer (Essen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Kathrin RacherbĂ€umer: Rezension von: Holtappels, Heinz GĂŒnter (Hg.): Schulentwicklung und Schulwirksamkeit als Forschungsfeld, TheorieansĂ€tze und Forschungserkenntnisse zum schulischen Wandel. MĂŒnster / New York / MĂŒnchen / Berlin: Waxmann 2014. In: EWR 14 (2015), Nr. 5 (Veröffentlicht am 23.09.2015), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978383093108.html