EWR 8 (2009), Nr. 6 (November/Dezember)

Ilona Diesner
Bildungsmanagement in Unternehmen
Konzeptualisierung einer Theorie auf der normativen und strategischen Ebene
Wiesbaden: Gabler 2008
(487 S.; ISBN 978-3-8349-0886-5; 69,90 EUR)
Bildungsmanagement in Unternehmen In der heutigen Gesellschaft, in der Wissen und seine Organisation vermehrt zur Grundlage sozialen und ökonomischen Zusammenlebens werden sowie demografischer Wandel zu massiven Veränderungen beim Erwerbspersonenpotenzial führt, wird Bildungsmanagement für Unternehmen zunehmend bedeutsamer und komplexer. So wird ein umfassendes Management von Bildung gefordert, das sich nicht mehr nur auf operative Aspekte einer weitgehend unabhängigen Aus- und Weiterbildungsabteilung beschränkt, sondern ganzheitlich in das Konzept des Unternehmensmanagements integriert ist. Das bedeutet auch, dass betriebswirtschaftliche Aspekte nicht mehr allein für Ökonomen relevant sind. Berufs- und Wirtschaftspädagogen, deren Fokus bisher v. a. auf methodisch-didaktischen Ansätzen lag, müssen sich vermehrt auch mit managementtheoretischen Fragen befassen. Obwohl ein ganzheitliches Bildungsmanagement mit fester Verankerung in der Unternehmensstrategie auch als Begriffskonzept zunehmend vor allem in Praxiskontexten thematisiert wird, widmeten sich diesem Fokus bisher kaum Buchpublikationen. Wenn doch, zielen sie auf operative und weniger normative oder strategische Aspekte ab. Hier setzt die von Ilona Diesner vorgelegte Dissertation an.

Das zentrale Anliegen der Autorin liegt in der Erörterung der Frage: Wie kann Bildungsmanagement als komplexe Managementaufgabe auf der normativen und strategischen Ebene in Unternehmen konzeptualisiert werden? Ihre Argumentation entfaltet sie in neun Kapiteln. Im ersten Kapitel werden Erkenntnisinteresse und Problemzusammenhang, Forschungsfokus und forschungsparadigmatische Ausrichtung sowie das Forschungsvorgehen, -fragen und -methodik skizziert. Basierend auf dem St. Galler Management-Modell soll ein Bezugsrahmen entwickelt werden, mit dessen Hilfe zentrale Entscheidungs- und Handlungsfelder für Bildungsmanagement in Unternehmen auf der normativen und strategischen Ebene sichtbar werden. Darauf aufbauend will die Autorin ein für Management von Bildung spezifisches heuristisches Modell entwerfen. Die Theoriebildung orientiert sich in der vorliegenden Arbeit methodologisch an der Wissenschafts-Praxis-Kommunikation des Wirtschaftspädagogen Dieter Euler. Dabei wird das Verhältnis von Wissenschaft und Praxis als gegenseitige Beeinflussung und reziprokes Lernen gesehen. So „kann die Wissenschaft ihre Untersuchungsgegenstände im Hinblick auf die Probleme der Praxis auswählen […] [und] die Praxis dann zur Lösung ihrer Probleme auf die entwickelte wissenschaftliche Theorie zurückgreifen“ (8). Diese Ausrichtung ist für die Berufs- und Wirtschaftspädagogik insofern von Interesse, da ein wesentlicher Teil der gegenwärtigen berufs- und wirtschaftspädagogischen Forschung, u. a. in der Modellversuchsforschung, qualitativ vorgeht und dabei die Gestaltung von Praxisfeldern für sich in Anspruch nimmt.

In Kapitel zwei definiert die Autorin Bildungsmanagement als breites handlungsorientiertes Konzept, das auf eigen- und sozialverantwortliches individuelles Handeln mit dem dafür erforderlichen Wissen sowie Einstellungen und Fertigkeiten abzielt. Als komplexe Managementaufgabe umfasst es die Tätigkeit des Gestaltens und Entwickelns (funktionale Perspektive) sowie die damit befassten Personen (institutionale Perspektive). Zudem bezieht sich Bildungsmanagement in der vorliegenden Dissertation, in Anlehnung an Euler, auf die Ansprüche des Unternehmens an Qualifizierung (Managementperspektive) und die des Einzelnen auf Bildung (Bildungsperspektive). Damit distanziert sich die Autorin von den in der Literatur dominierenden Definitionen, die etwa bei Gonschorrek, Sander und Grüner, nur auf unternehmerische Anforderungen fokussieren. Die konzeptionelle Abgrenzung des Bildungsmanagement-Begriffs von den damit verwandten Themenaspekten Personalentwicklung, Personalmanagement, Wissensmanagement und Lernende Organisation führt u. a. zu der Erkenntnis, dass im Bildungsmanagement Personal- und Persönlichkeitsentwicklung ebenso bedeutsam sind und dieses als Grundlage für eine Lernende Organisation betrachtet werden können.

Die Theoriebildung wird im dritten und bei weitem umfangreichsten Kapitel anhand einer Vielzahl an Konzepten aus unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen mit Bezug auf die zentrale Fragestellung entfaltet: Auf der normativen Ebene werden mit der Managementphilosophie und den damit verbundenen Aspekten Menschenbild und Werte, der Unternehmenspolitik und dem Leitbild drei wesentliche Entscheidungs- und Handlungsfelder analysiert. Auf der strategischen Ebene legt die Autorin Theorien v. a. aus dem strategischen Management dar. Hier erscheint die Trilogie Strategie – Kultur – Struktur, die wechselseitig aufeinander Einfluss nehmen, hinsichtlich der Unternehmensentwicklung von zentraler Bedeutung.

Darauf aufbauend entwickelt die Autorin im vierten Kapitel einen ersten Management-Bezugsrahmen (Bezugsrahmen I), der als „Orientierungslandkarte“ (16) zentrale Erkenntnisse auf Bildungsmanagement in Unternehmen überträgt und diese mit daran anknüpfenden Annahmen erweitert. Der Bezugsrahmen soll schließlich Grundlage für die Formulierung weiterer, theoriegeleiteter Fragen an das Forschungsfeld sein.

In Kapitel fünf werden im Rahmen einer empirischen Exploration vier Fallstudien über Bildungsmanagement in organisatorisch sehr ungleichen Unternehmen auf der Grundlage von Dokumenten und Interviews mit Unternehmensvertretern dargestellt, um das relevante Praxisfeld genauer zu umreißen. Dem Untersuchungsgegenstand angemessen, bezieht sich die Autorin bei der Begründung der Auswahl ihrer Forschungsmethodik auf Eisenhardt, die die Fallstudienmethode auch im Kontext von wenig betrachteten Untersuchungsfeldern verortet, sowie auf Rowley und Yin, die diese u. a. als explorativ und vor allem zur Beantwortung von Wie-Fragen sehen. Es zeigt sich, dass bei der Deutschen Lufthansa ein Modell zur strategischen Orientierung der Führungskräfteentwicklung (264ff), bei Bertelsmann der Einfluss der Gründerpersönlichkeit mit einer entsprechenden Werteausrichtung sowie die Rolle der Bertelsmann-University (295ff), bei Kienbaum die Ansätze der verstärkten Ausrichtung an einem Kompetenzmodell, die Erkenntnisse im Wandel von einer Angebots- zur Nachfrageorientierung im Bildungsmanagement und die Bedeutung des informellen Lernens (320ff) sowie bei SICK die Wirkung der Produktart auf die Unternehmenskultur (339) zentral sind. Dabei wird auch deutlich, dass Bildungsmanagement in Unternehmen vor dem Hintergrund einiger Widersprüchlichkeiten erfolgt.

Die Analyse der Fallstudien in Kapitel sechs soll zu einer inhaltlichen Präzisierung und Erweiterung des ersten Bezugsrahmens beitragen und führt zur Entwicklung eines darauf aufbauenden zweiten Management-Bezugsrahmens (Bezugsrahmen II).

Der Schlussteil bietet als Zusammenfassung eine überblickartige Darstellung des entwickelten Bildungsmanagement-Konzepts (Kapitel sieben). Überlegungen zur Anwendung in der Praxis (Kapitel acht) sowie Desiderata für weiterführende Forschungsaktivitäten (Kapitel neun) runden den Argumentationsgang der Arbeit ab.

Die leicht verständliche Sprache sowie die zahlreichen Tabellen und Übersichten führen zu einer anschaulichen Darstellung der zum Teil komplexen Inhalte der Dissertation. Kritisch anzumerken bleibt in diesem Kontext, dass einige Aspekte, vor allem im Hinblick auf das Forschungsvorgehen, mehrfach im Text erläutert werden. Diese dem Lesefluss abträglichen Redundanzen hätten durch interne Verweise auf andere Kapitel durchaus vermieden werden können.

Überraschend für eine Dissertation erscheint der Anspruch der Autorin, nicht nur wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn, sondern zugleich eine praktische Anwendbarkeit der Erkenntnisse herbeiführen zu wollen. Die vorliegende Arbeit beansprucht ein grundlegendes Werk für zentrale Fragen von Bildungsmanagement als ganzheitliche Unternehmensaufgabe zu sein, indem sie über Zusammenhänge und Perspektiven im Kontext informiert und zu deren Reflexion einlädt.

Problematisch erscheinen m. E. der sehr weit gefasste Theoriebegriff sowie die Vorgehensweise bei der Theoriebildung, durch die zwar der oftmals diskutierte Gegensatz von Theorie und Praxis aufgelöst wird, allerdings damit auch die Frage des wissenschaftlichen Vorgehens zu stellen ist, so etwa im Hinblick auf die Phasenabhängigkeit des Leitbildes. Eine erweiterte deskriptiv-quantitative Analyse der vielfältigen Zusammenhänge erwiese sich hierbei als nötig.

Die Fülle und Breite der bearbeiteten Themenaspekte ist zugleich Stärke und Schwäche der Arbeit. So ergeben sich für den wissenschaftlich-kritischen Leser stets (neue) Fragen, z. B. hinsichtlich tatsächlicher Bezüge zwischen Leitbildern und dem Handeln in Unternehmen oder der Zweckmäßigkeit einer bewussten Kulturgestaltung durch Bildungsmanagement, die durch die Autorin nicht hinreichend beantwortet werden. Eine fundierte Auseinandersetzung mit (auch vielfältigen) Themenaspekten sollte eine Dissertation m. E. durchaus für sich in Anspruch nehmen. Dementsprechend vermisst man in der vorliegenden Arbeit eine vertiefte Auseinandersetzung. Andererseits zeigt sich gerade darin, dass Forschung zu Bildungsmanagement mit dem von der Autorin vertretenen Untersuchungsfokus erst am Anfang steht.

Insgesamt bietet die vorliegende Untersuchung zwar kaum fundierte Erkenntnisse in Bezug auf ein integriertes Bildungsmanagement in Unternehmen, jedoch ergeben sich hieraus vielfältige Anschlussmöglichkeiten für weitere empirische Forschungsarbeiten sowie für die Praxisgestaltung. Man darf gespannt sein, was die Zukunft bringt.
Simone Korb (München)
Zur Zitierweise der Rezension:
Simone Korb: Rezension von: Diesner, Ilona: Bildungsmanagement in Unternehmen, Konzeptualisierung einer Theorie auf der normativen und strategischen Ebene. Wiesbaden: Gabler 2008. In: EWR 8 (2009), Nr. 6 (Veröffentlicht am 01.12.2009), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978383490886.html