EWR 15 (2016), Nr. 2 (März/April)

Andreas Langenohl / Ralph Poole / Manfred Weinberg (Hrsg.)
Transkulturalität
Klassische Texte
Reihe: Basis-Scripte. Reader Kulturwissenschaften
Bielefeld: transcript 2015
(328 S.; ISBN 978-3-8376-1709-2; 24,99 EUR)
Transkulturalität Die Herausgeberinnen der Reihe „Basis-Scripte. Reader Kulturwissenschaften“ Dorothee Kimmich und Schamma Schahadat haben mit ihrem ersten Band „Kulturtheorie“ (2010) eine „Lücke“ im deutschsprachigen kulturwissenschaftlichen Publikationsangebot geschlossen, indem sie erstmals eine Sammlung mit Grundlagentexten für die akademische Lehre vorlegten (vgl. Informationsflyer des Verlags). Wie die beiden Folgebände „Gender Studies“ (2012) und „Bildwissenschaft und Visual Cultures“ (2014) ist der vierte Band „Transkulturalität“ (2015) den didaktischen Prinzipien der Reihenherausgeberinnen verpflichtet:

Es handelt sich um eine Sammlung von 15 Texten, die von den Bandherausgebern als repräsentativ für unterschiedliche Perspektiven in der akademischen Debatte zu „Transkulturalität“ eingeschätzt werden. Die Texte sind zum Teil, deutlich gekennzeichnet, gekürzt. Die Begrenzung des Textumfangs wird mit der Orientierung an dem möglichen Lesepensum in einem Universitätssemester begründet.

In einem gemeinsamen Vorwort diskutieren die drei Herausgeber das titelgebende Konzept der „Transkulturalität“ und kommentieren ihre erste interpretative Auffächerung dieses Themas durch die Untergliederung der Textsammlung in die vier Kapitel „Diaspora und Exil“, „Migration, Globalisierung, Transnationalisierung“, „Übersetzung“ sowie „Wissen um das Fremde“. Jedem dieser Kapitel ist eine Einführung vorangestellt, die im Kern aus einem kurzen Abriss der historischen Entwicklung und Ausdifferenzierung der zentralen Begriffe besteht und eine Einordnung der, den Kapiteln zugeordneten, Texte in die historischen und aktuellen Diskussionen vornimmt. Diese Texte werden zudem jeweils durch eine knappe biographische Information über die Autorin bzw. den Autor sowie durch Hinweise auf weiterführende Literatur ergänzt. Ein besonderes Verdienst dieses Bandes ist, dass hier einige englische Publikationen erstmals ins Deutsche übertragen oder für diese Veröffentlichung neu übersetzt wurden. Erklärtes Ziel der didaktischen Konzipierung ist es, Studierenden und Lehrenden sowohl einen „fokussierten Einstieg in die wichtigsten Fragestellungen“ des Wissensgebiets zu ermöglichen als auch ein „vielfältiges Panorama unterschiedlichster Perspektiven“ anzubieten (vgl. Editorial).

Dem zweiten Ziel wird der Reader mit seiner breit gefächerten und perspektivenreichen Textauswahl ohne Zweifel gerecht. Den Herausgebern ist es hervorragend gelungen, „neben Klassikern der Debatte auch solche Texte einzubeziehen, die sich nicht zu Transkulturalität im engeren Sinne äußern, aber einen entscheidenden Beitrag zur Diskussion leisten können“ sowie „bislang weitgehend unbekannte Texte“, die „oft noch unterbelichtete Facetten von Transkulturalität erhellen“ (15).

Das Kapitel „Diaspora und Exil“ beispielsweise ergänzt als in der Tat „klassisch“ zu bezeichnende Texte von Hannah Arendt „Wir Flüchtlinge“, Alfred Schütz „Der Fremde“ und Paul Gilroy „Black Atlantic“ durch den erstmals ins Deutsche übersetzten Beitrag von Virinder S. Kalra, Raminder Kaur und John Hutnyk „Sexual Limits of Diaspora“, einen der „wenigen Texte, der die beiden Diskurse um Transkulturalität und Sexualität zusammenführt“ (28). Gemeinsam ist diesen vier sehr unterschiedlichen Publikationen, so die Einführung in das Kapitel von Ralph J. Poole, eine Perspektivverschiebung vom dominanten „Opferdiskurs“ im Kontext von Flucht, Exil und Diaspora zu einem Diskurs, der das „generative Potential, das trotz widrigster Umstände aus repressiven Systemen erwachsen kann“, betont (ebd.).

Weniger übersichtlich und abgerundet ist die Einführung in das Kapitel „Migration, Globalisierung, Transnationalisierung“, in der Andreas Langenohl versucht, die Beiträge zweier Literaturwissenschaftler – Homi K. Bhabha, einem Vertreter der postkolonialen Theorie, und Leslie A. Adelson, einer amerikanischen Germanistin, die im Feld der „türkisch-deutschen“ Literaturproduktion forscht – mit dem Grundlagentext der Transnationalismusforschung der drei Anthropologinnen Nina Glick Schiller, Linda Basch und Cristina Blanc-Szanton sowie einem Auszug aus dem Werk zur kulturellen Globalisierung des Ethnologen Arjun Appadurai zusammenzuführen. Langenohl organisiert seine Einführung „in drei thematischen Querschnitten“, nämlich „hinsichtlich des historischen und räumlichen Indexes von Migration, Globalisierung und Transnationalisierung, bezüglich des paradigmatischen Bedeutung von Migration sowie in Hinsicht auf die Verhältnisse von Globalisierung bzw. Transnationalisierung zum Prinzip der Nation“ (100). Sind bereits diese drei Querschnittsthemen recht sperrig benannt, so wirkt auch der Versuch, alle vier Beiträge entlang dieser Zugänge einzuordnen und in Beziehung zu setzen, etwas gezwungen. Die theoretischen Ausführungen sind zugleich zu dicht und zu oberflächlich, um Studierenden ohne einschlägige Vorkenntnisse tatsächlich eine erste Orientierung zu ermöglichen. Kundigere Leserinnen und Leser wiederum kommen nicht umhin, den Textrand hier und da mit Fragezeichen zu markieren. Zum Beispiel, wenn Langenohl als Einwand gegen eine soziologische Sicht auf Transnationalität die nicht weiter begründete Behauptung aufstellt: „Zwar kann hier wohl konzediert werden, dass Migrationsprozesse eine transnationale Dimension haben – aber diese ist für die Forschungsfrage „Was passiert mit Migranten in Land XYZ?“ kaum relevant“ (106).

Die Struktur des einführenden Essays zum dritten Kapitel „Übersetzung“, in der Autorschaft aller drei Herausgeber, folgt wieder dem übersichtlicheren Prinzip, die vier Beiträge, hier von Walter Benjamin, Michael Bachtin, Gayatri Chakravorty Spivak und Alexander Gacía Düttmann, einzeln zusammenzufassen und in eine zuvor skizzierte „Szene der Übersetzung“ (175) einzuordnen. Als kleinster gemeinsamer Nenner der vier Werke gilt den Autoren die Erkenntnis der internen Differenzierung von Kultur, so „dass Transkulturalität nicht mehr als Begegnung von Einheiten verstanden werden kann“ (183). Diese Bilanz scheint nun aber nicht nur im Hinblick auf die hochkarätig besetzte Autorenliste und die geballte theoretische Komplexität der so zusammengefassten Texte recht mager. Man würde sich etwas mehr Tiefgang in der Analyse des Konzepts der „Übersetzung“ – mit Blick auf „Sprache“ wie mit Blick auf „Kultur“ – wünschen, zum Beispiel eine prägnantere Herausarbeitung des Gedankens, dass „Kultur“ wie „Text“ immer schon und nur als (vielfach) gedeutetes „Gewebe“ von Bedeutungen vorliegen, dass jegliche Deutung einem unabschließbaren Prozess der internen Verweisungen unterliegt und dass es daher nicht darum gehen kann, eine „originäre“, ursprüngliche Bedeutung zu übersetzen. Im poststrukturalen Duktus formuliert: Es gibt nur Übersetzungen ohne Original.

Manfred Weinberg führt schließlich in das letzte Kapitel „Wissen um das Fremde“ ein, dem Texte der Ethnologen James Clifford und Johannes Fabian sowie ein, für diesen Band übersetzter, Beitrag des Japanologen Naoki Sakai zugeordnet sind. Das zentrale Anliegen dieser Einführung ist eine Darstellung der Entwicklung des ethnologischen Denkens seit dem Zeitalter der „Entdeckungen“, und zwar eingebettet in die Geschichte des „Wissen-Wollen(s) um die Fremden“ im „Abendland“ seit der Antike (247). Dass das Wissen-Wollen auf Seiten der „Europäer“ und das Fremdsein auf derjenigen der „Nicht-Europäer“ zu situieren ist, versteht sich offenbar von selbst. Viel zu kurz kommt m.E. eine Auseinandersetzung mit der Verwurzelung des ethnologischen Denkens im kolonialen Kontext, und das heißt mit der unauflöslichen Verbindung zwischen „Wissen über die Fremden“ und ihrer Kontrolle. Zwar haben die Herausgeber mit Bhabha und Spivak zwei Klassiker der postkolonialen Theorie in ihr Textrepertoire aufgenommen, doch werden die zentralen Beiträge dieser Theorierichtung zum Verständnis von „(Post)-Kolonialismus“ als (kulturelles) Wissens- und Repräsentationssystem und zur Konstruktion des „Anderen“ (othering) leider nur oberflächlich gestreift. Dem korrespondiert aus meiner Warte ein irritierend kritikloser Umgang mit problematischer (ethnisierend-rassistischer) Begrifflichkeit wie „die Indianer“ (249) oder „Eingeborene“ (250f), aber auch mit dem für das Anliegen des Readers zentralen Begriff der „Kultur“.

Letzteres mag mit der im Vorwort präsentierten Entscheidung der Herausgeber zusammenhängen, „vorsätzlich keine Position“ zur Frage der begrifflichen Fassung und Ausdeutung des „Kulturellen“ zu beziehen (12). Die weitere Lektüre des Vorworts erweist, dass der Verzicht auf eine explizite Positionierung nicht durchzuhalten ist. Ihre Abhandlung diverser Konzeptionen von „Kultur“ schließen die Autoren mit dem Hinweis, dass sich die Anthologie einem Konzept der „Transkulturalität“ verpflichtet sehe, das „die Historizität und Kontingenz der Unterscheidungen, die mittels des Kulturbegriffs jeweils verhandelt wurden resp. werden“ betont (14). Hier findet dann also doch eine – aus meiner Sicht begrüßenswerte – Positionierung statt. Leider bleibt die Schreibweise der Herausgeber hinter dieser reflektierten Position immer wieder zurück, die dazu tendiert, „Kultur“ diskursiv zu vergegenständlichen und wie eine fassbare „Entität“ zu behandeln, bspw. wenn von der Begegnung von „zwei (oder mehr) Kulturen“ die Rede ist (z.B. 9; 15).

Schließlich vermisse ich in diesem Reader eine Perspektive, die im Fachgebiet der „Interkulturellen Erziehungswissenschaft“, dem ich mich zurechne, zentral ist, nämlich die Frage nach der Funktion der fortgesetzten „Kulturalisierung“ der internen „Migrationsanderen“ in modernen, „transkulturellen“ Gesellschaften und „Global Cities“. Statt der essentialisierenden Fragen danach, wie „die Kultur von X“ erforscht werden könne oder was in der „Begegnung von zwei Kulturen“ geschehe, wären aus dieser Perspektive Fragen folgender Art zu formulieren: Wer spricht wann und mit welchem Ziel über „die Kultur“ der jeweils Anderen – und über die „eigene (Leit)-Kultur“? Und welche (produktiven) Effekte haben solche auf „Kultur“ rekurrierenden Zuschreibungen?

Fazit: Der Band „Transkulturalität. Klassische Texte“ ist ein in der Textauswahl für die akademische Lehre in erziehungs- und sozialwissenschaftlichen Fächern lohnender Reader, dessen Rahmung allerdings nur bedingt als orientierende Einführung in die übergreifende Thematik taugt.
Heike Niedrig (Hamburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Heike Niedrig: Rezension von: Langenohl, Andreas / Poole, Ralph / Weinberg, Manfred (Hg.): Transkulturalität, Klassische Texte Reihe: Basis-Scripte. Reader Kulturwissenschaften. Bielefeld: transcript 2015. In: EWR 15 (2016), Nr. 2 (Veröffentlicht am 24.03.2016), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978383761709.html