EWR 17 (2018), Nr. 2 (März/April)

Ann-Cathrin Drews / Katharina D. Martin (Hrsg.)
Innen – Außen – Anders
Körper im Werk von Gilles Deleuze und Michel Foucault
(Edition Moderne Postmoderne)
Bielefeld: transcript 2017
(396 S.; ISBN 978-3-8376-3575-1; 34,99 EUR)
Innen – Außen – Anders In ihrer sehr kenntnisreichen und dicht belegten Einleitung – 192 Fußnoten – bezeichnen die Herausgeberinnen Ann-Cathrin Drews und Katharina D. Martin ihr Buch als eine Monographie. So hat es auf den Rezensenten nicht gewirkt. Für ihn handelt es sich um einen Sammelband, bei dem sich die einzelnen Patches zu einem Patchwork verbinden sollen, was selten gelingt, letztlich auch in diesem Fall nicht, obwohl es sich um einen schönen und auch reich illustrierten Band handelt, der die Beiträge einer internationalen Konferenz versammelt, die im Herbst 2013 an der Kunstakademie Münster stattfand. Als Ausgangspunkt des Bandes nennen die Herausgeberinnen „die spezifische Fragestellung nach den Übereinstimmungen und Widersprüchlichkeiten in Deleuzes und Foucaults Denken in Bezug zum Körper und Körperlichkeiten“ (23).

Alles in allem handelt es sich am ehesten um einen kulturwissenschaftlich geweiteten kunsthistorischen, -theoretischen oder -philosophischen Band, wie besonders die erste der vier Sektionen zu „Körper und Bild“ zeigt. Der Band empfiehlt sich also vor allem einer kunst- oder kulturpädagogischen Lektüre, nährt aber durchaus auch erziehungs- und bildungsphilosophische Interessen am Thema „Körper“ oder an den Arbeiten Foucaults, Deleuzes und Deleuze/Guattaris. Die weiteren Sektionen tragen die Titel „Fremdkörper“, „Körper, Politik und Widerstand“ und „Körper und unkörperliche Affekte“. Und ganz vereinzelt enthält der Band sogar Elemente einer Bildungstheorie, selbstverständlich ohne dass diese als solche ausgewiesen werden.

Im ersten Abschnitt ihrer Einleitung folgen die Herausgeberinnen den mehr oder minder offensichtlichen Kreuzungen und Überschneidungen des Denkens von Foucault und Deleuze und referieren deren gegenseitige Wertschätzungen ihrer jeweiligen Arbeiten, die sich auch über den Bruch, der sich – so die gängige Lesart – 1977 über ihre unterschiedlichen Haltungen zur Auslieferung des RAF-Anwalts Klaus Croissant aus Frankreich in die Bundesrepublik Deutschland ereignet hat, aber auch mit einer Diagnose Deleuze zu tun haben könnte, die ebenfalls Erwähnung findet und sich als vollständige – heißt: fluchtlinienfreie – Verstrickung Foucaults in seine letztlich holistisch gewordene Machttheorie fassen lässt. Im Hinblick auf das Anliegen und den Titel des Bandes sowie das Denken von Foucault und Deleuze liegt es nah, von (ihren) „topologischen Ansätzen“ (24) auszugehen. Leider erschließt sich nicht wirklich, ob Topologie hier wirklich Topologie meint, oder ob die mathematischen Implikationen nicht – wie oft – einem metaphorischen Gebrauch geopfert werden. Die folgenden beiden Abschnitte erschließen erst das Körper-Denken Foucaults und dann das von Deleuze und Deleuze/Guattari. Das Guattari nicht als eigene Stimme vernehmbar wird, ist auch üblich und dennoch schade, weil er – wie die auf deutsch noch unveröffentlichten Anti-Oedipus-Papers zeigen – viel zum auch im vorliegenden Band vielgenutzten Konzept des Köpers ohne Organe beigetragen hat. Der letzte Abschnitt führt dann in die einzelnen Beiträge ein.

Die erste Sektion umfasst Beiträge von Irene Breuer, Claudia Blümle, Jadwiga Kamola, Cathrin Drews und Anna Schober. Sie widmen sich den Intensitäten und den Prozessen des Fleisch-Werdens in Deleuzes Buch über Francis Bacon (Breuer) und den von Foucault herangezogenen Bildern von Goya, Bosch und Géricault (Blümle). Gefragt wird außerdem nach dem materiellen Stellenwert und der Bedeutung von Bildern für die „medizinische Episteme“ (Kamola, 99). Ann-Cathrin Drews prüft dann Deleuzes und Foucaults Sichtweisen der Bilder Gérard Fromangers an Bildern Fromangers, und Anna Schober weitet die Perspektive im Blick auf die Popkultur und deren „Fest der Bilder“, das Foucault und Deleuze auch in ihren Philosophien feiern.

Zur zweiten Sektion zählen Beiträge von Kerstin Borchardt, Kyla Bruff, Jeanne Bindernagel und Agnieszka Anna Wolodzko, die ausgehend von Foucaults Vorlesung Die Anormalen mönströsen Hybridbildungen nachspürt (Borchardt), Foucaults utopischen Körper und dessen Verbindung zu Deleuzes(/Guattaris) Körper ohne Organe in den Blick rücken (Bruff), und das produktive Konzept der Körper ohne Organe mit George Didi-Hubermans Studien zur Hysterie in Zusammenhang bringt (Bindernagel). Wolodzko untersucht Materie und Intensität in der Bioart, die selbst wie ein Hybrid aus bios und Kunst wirkt.

Die Beiträge der der dritten Sektion, die den von Foucault inspirierten Diskursen in der (allgemeinen) Erziehungswissenschaft am nächsten stehen, stammen von Pierre Buhlmann, Jürgen Gunia, Sjoerd van Tuinen, Kathrin D. Martin, Christoph Dittrich und Ariana Sforzini. Als Beitrag Sforzinis wurde extra für den Sammelband ein Kapitel aus ihrem Buch Michel Foucault. Une pensée du corps [1] übersetzt, so dass hier eine neue Stimme zu entdecken ist. Leider sind die englischsprachigen Beiträge von Bruff, Wolodzko und van Tuinen nicht übersetzt und unterbrechen so den Lesefluss. Martin sieht das Widerstandspotential von Deleuze und Guattris Körperphilosophie in der Aktionskunst Pussy Riots aktualisiert, und Sforzine greift den Faden des utopischen Körpers wieder auf und spannt diesen bis zum wahrsprechenden Körper des Kynikers in Foucaults späten Vorlesungen.

Die letzte Sektion widmet sich vor allem den Arbeiten Deleuzes. Angelika Seppi versucht sich an einer materialistischen Theorie des Virtuellen, Guillaume Colette an der Überwindung der Dichotomie von Sein und Denken im Körper und Marc Rölli zeigt im Durchgang durch Deleuze’ Leibniz-Rezeption und anhand des Denkens Leibniz’ selbst wie der Köper einer möglichen Welt Ausdruck verleihen kann. Der Diskurs über die Nähen und Intersektionen der Körperphilosophien von Foucault und Deleuze endet im Labyrinth der Zeit, durch das Borges Rölli zufolge Leibniz in Der Garten der Pfade, die sich verzweigen [2] fortschreibt.
Unter diesem Blickwinkel erscheint der mannigfaltig dahinmäandernde Gedankenstrom, dann doch als ein Strom.

Als bildungstheoretisch anschlussfähig im engeren Sinn erweist sich vor allem das Paar utopischer Körper/Körper ohne Organe, über den sich Transformationen von Weltselbstverhältnissen vollziehen können, schlicht indem sie werden. Diese Körper bilden ein Drittes und eine Denkalternative zum Leib für die phänomenologisch inspirierten Bildungstheoriezweige. Dass das Beispiel einer widerständigen russischen Punkperfomerinnengruppe auf ähnliche Weise wie ein Stein des Denkanstoßes wirken kann wie Foucaults Kyniker, glaube ich eher nicht.

[1] Sforzini, Arianna (2014): Michel Foucault : une pensée du corps. PUF; [2] Borges, Jorge Luis (1992): Fiktionen. Erzählungen 1939 – 1944. Fischer Taschenbuch.
Olaf Sanders (Hamburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Olaf Sanders: Rezension von: Drews, Ann-Cathrin / Martin, Katharina D. (Hg.): Innen – Außen – Anders, Körper im Werk von Gilles Deleuze und Michel Foucault (Edition Moderne Postmoderne) . Bielefeld: transcript 2017. In: EWR 17 (2018), Nr. 2 (Veröffentlicht am 09.05.2018), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978383763575.html