EWR 20 (2021), Nr. 5 (September/Oktober)

Christin Tellisch
Instrumente für eine inklusive Schulentwicklung
Schulmanagement, Qualitätsentwicklung, Lernarrangements
Opladen, Berlin, Toronto: Barbara Budrich 2020
(330 S.; ISBN 978-3-8474-2382-9; 38,00 EUR)
Instrumente für eine inklusive Schulentwicklung Inklusive Schulentwicklung ist eine große Herausforderung und ein intensiver Prozess. Trotz hoher Diversität in den Begrifflichkeiten und Perspektiven herrscht darüber wohl Konsens. Dass eine inklusive Schule für alle Schüler*innen zugänglich sein sollte, der Heterogenität also in alle Richtungen gerecht werden sollte, scheint umstrittener. Das vorliegende Buch von Christin Tellisch hat den Anspruch eine Praxishandreichung zu sein, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit legt. So werden auch Themen der Inklusion wie Migration oder auch Sonderpädagogik weitestgehend ausgeklammert, was bei der Titelwahl überrascht. Dabei steigt Tellisch im ersten Kapitel mit einer Begriffsklärung zu Inklusion und deren rechtlichen, praktischen und empirischen Grundlagen mit einem als gelungen zu bezeichnenden Abriss ein. Im Verlauf kristallisiert sich jedoch ein Verständnis von Inklusion heraus, dass den Einbezug von Schüler*innen mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf als Integration bezeichnet und deutlich zu Inklusion abgrenzt. Für alle anderen, die gemeinsam lernen, wird die Bezeichnung Inklusion gewählt; dieses Verständnis verwundert, denn es zeigt sich aktuell weder rechtlich noch normativ.

Das Buch richtet sich an die Praxis: Schulleitungen, Lehrkräfte und weitere an Schule Beteiligte. Einer konsistenten Logik folgend wird jeweils in den kurzen Kapiteln ein Einblick in theoretische Aspekte gegeben und dann die praktische Umsetzung fokussiert. Ausgewählte Erkenntnisse aus der Forschung werden als Basis für Praxisausführungen zusammengefasst. Oft gelingt dies gut, wichtig wären teilweise sowohl eine Einbindung aktueller Literatur als auch, dem Thema Inklusion entsprechend, neben anderen eine Integration der sonderpädagogischen Perspektive, zumindest anhand von Verweisen. Damit hätte das Buch sicher an Aussagekraft und Bedeutung gewonnen – eine Kombination der schulpädagogischen und der sonderpädagogischen Expertise wäre für das Thema inklusive Schulentwicklung sicher gewinnbringend gewesen.

Zum Aufbau: Unter drei Oberkategorien (I. Pädagog*innen als Team, II. Lernen im System und in der Praxis, III. Eltern als Partner) wird eine Vielzahl an Einzelthemen verortet.

Die Themen Schulleitung, Kommunikationsmanagement, Multi-, Inter- oder Transdisziplinarität im Team, Quer- und Seiteneinsteiger*innen in der inklusiven Schul- und Hochschulentwicklung, Supervision, schulinterne pädagogische Weiterentwicklungen sowie Teamteaching sind dem ersten Kapitel zugeordnet. Als alle Teammitglieder einer inklusiven Schule auf Seite 60 aufgelistet werden, erstaunt, dass zwar Erzieher*innen, Sozialpädagog*innen ebenso wie Hausmeister, Küchenkraft und Reinigungspersonal aufgeführt sind, jedoch keine sonderpädagogische Profession im inklusiven Schulalltag mitgedacht wird, was z. B. im Bereich (multiprofessioneller) Teams und Teamteaching naheliegend wäre. Positiv fällt in diesem ersten Kapitel jedoch die Forderung einer inklusiven Hochschulentwicklung auf. Gemeint ist eine Hochschulentwicklung für Inklusion, hier also in Bezug auf vertiefende Inhalte der inklusiven Bildung in der Lehrkräftebildung, was der inklusiven Schulentwicklung langfristig absolut zuträglich wäre. Das umstrittene Thema der Seiten- und Quereinsteiger*innen spielt in allen Lehramtsdisziplinen eine große Rolle; es wird neutral dargestellt und in seiner Bedeutsamkeit wertgeschätzt. Zum Thema Supervision hätte auch bspw. die Kooperative oder Kollegiale Beratung eine wertvolle Ergänzung zur Erreichung der genannten Ziele geleistet. Fortbildungen und deren Wirkungen wurden in den letzten Jahren tiefergehend erforscht in verschiedenen Bereichen, auch hier wäre noch Potenzial in der Darstellung gewesen.

Das zweite Kapitel beherbergt die Themen Qualitätsmanagement, Etablierung eines Qualitätsmanagementsystems, demokratische Schule, Bildung vor dem Hintergrund der Digitalität, Integration in der inklusiven Schulentwicklung, individuelle Förderung der Schüler*innen (Mentorenschaften, Angebote, selbstorganisiertes Lernen, Drehtürmodell zur Begabtenförderung), Lernen innerhalb und außerhalb von Schule, politische und überregionale Projektarbeit für Engagement der Schüler*innen, ganzheitliche Förderung durch besondere Fächerformate (Ganztagsangebote, Fächerverbindender Unterricht, Kulturschule, Verantwortung als Unterrichtsfach zur Stärkung sozial-emotionaler Kompetenzen, Projekt Herausforderung zur Persönlichkeitsentwicklung und Entwicklung von Planungsmanagementkompetenzen, Unterrichtsfach Glück für eine positive Lebensperspektive), Haltung von Pädagog*innen und Schüler*innen (Pädagog*innenteam als Vorbild, Teambildung der Klassen, Wertschätzung im Schulalltag). In diesem umfassenden Kapitel wäre viel Potenzial gewesen alle Schüler*innen einzubeziehen, z. B. in der individuellen Förderung oder im Bereich der Digitalität, wo bspw. für Schüler*innen mit Migrationshintergrund oder sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf besondere Chancen und Herausforderungen liegen, deren Beachtung aber oft allen zugutekommt. Auf Seite 168 wird erstmals die Sonderpädagogik in Form einer Auflistung sonderpädagogischer Unterstützungsbedarfe erwähnt. Die kurzen und isolierten Ausführungen zu sonderpädagogischen Schwerpunkten sind in vielen Aspekten leider falsch, häufig zumindest missverständlich (z. B. bezügliches eines Förderschwerpunkts Krankheit oder einer Bezeichnung der Förderschwerpunkte als Klassifikationssystem). Das Kapitel wird als Thematik der Integration eingeführt, mit dem man sich beschäftigen könne „sofern man sich als Schule auf dem Weg zur Inklusion damit auseinandersetzen möchte“ (169). Ganz klar und deutlich: Man muss! Rein rechtlich (und man sollte meinen auch ethisch-normativ) ist der Einbezug von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf keine Option, sondern Verpflichtung. Sollte laut Autorin doch ein Kind mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf in der Schule aufgenommen werden, solle eine Fortbildung zum Thema für die betroffenen Lehrkräfte von einer Integrationsberater*in gehalten werden. Trotz dieses ‚Exkurses‘ zu den sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfen wird keine sonderpädagogische Expertise thematisiert, die spätestens hier hilfreich und notwendig wäre. Es sind mannigfaltige Anknüpfungspunkte für eine inklusive Schul- und Unterrichtsgestaltung vorhanden – ein Verlust, dass sie kaum genutzt werden.

Das dritte Kapitel setzt sich mit Elternarbeit zur individuellen Schüler*innenförderung und mit Elternarbeit als Identifikation mit der Schule auseinander. Es ist kurz und abgegrenzt, zeigt jedoch das hohe Potential, wenn es gelingt, die elterliche Partizipation zu fördern.

Die Menge der inhaltlichen Punkte innerhalb der einzelnen Kapitel zeigt deutlich, wie komplex Schulentwicklung ist. Die Autorin möchte diese spezifischen Themen als Puzzleteile verstanden wissen, die jeweils zu ergänzen sind. Die vielfältigen Themen bedeuten natürlich Abstriche in der Intensität der Auseinandersetzung, es ist jeweils notwendig, sich mit ergänzenden Quellen in ein Thema zu vertiefen, erste Einblicke kann das Buch (mit den genannten Einschränkungen) jedoch liefern. Für eine weitere Auflage wäre es wichtig, den Blick zu weiten. Wünschenswert wäre, dass die gesamte Schulentwicklung alle Schüler*innen einbezieht. Erst dann wäre sie als inklusiv zu betrachten. Zudem wäre es hilfreich, wenn alle Grafiken lesbar wären und es würde den Lesefluss unterstützen, wenn weniger Tippfehler vorhanden wären. Auffallend ist der positive und wertschätzende Blick auf die Schüler*innen, das Kollegium sowie die Eltern und weitere Beteiligte. Es wird deutlich, dass das Ziel des Buches nicht die Problematisierung, sondern das Schaffen von Perspektiven im Kontext von Schulentwicklung ist. Das wird mit zahlreichen praktischen Beispielen aus der eigenen Erfahrung der Autorin angereichert.
Marie-Christine Vierbuchen (Flensburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Marie-Christine Vierbuchen: Rezension von: Tellisch, Christin: Instrumente für eine inklusive Schulentwicklung, Schulmanagement, Qualitätsentwicklung, Lernarrangements. Opladen, Berlin, Toronto: Barbara Budrich 2020. In: EWR 20 (2021), Nr. 5 (Veröffentlicht am 25.10.2021), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978384742382.html