EWR 18 (2019), Nr. 1 (Januar/Februar)

Júlia Wéber
Zugehörigkeit und Teilhabe junger Frauen im Übergang in die Arbeitswelt
Institutionelle Interventionen der Jugendhilfe und Arbeitsvermittlung aus Adressatinnen-Sicht
Opladen u.a.: Budrich UniPress 2018
(320 Seiten; ISBN 978-3-86388-765-0; 39,90 EUR)
Zugehörigkeit und Teilhabe junger Frauen im Übergang in die Arbeitswelt Die unter dem Titel „Zugehörigkeit und Teilhabe junger Frauen im Übergang in die Arbeitswelt“ veröffentlichte Dissertationsstudie von Júlia Wéber beschäftigt sich mit einer spezifischen Adressatinnengruppe: junge Frauen mit langjährigen Erfahrungen im Übergangssystem in Deutschland. Das so genannte Übergangssystem nimmt Jugendliche und junge Erwachsene auf, für die die erste Schwelle des Übergangs von der Schule in den Beruf eine besondere Hürde darstellt. Es antwortet auf das Risiko sozialer Ausgrenzung, das durch die gleichzeitigen Anforderungen des Übergangs entsteht, sich aber insbesondere entlang sozialer Ungleichheitsverhältnisse entfaltet. In der sich wandelnden Arbeitsgesellschaft und ihrer sozialpolitischen Rahmung stellen zugeschriebene Merkmale wie geringe Qualifizierung, Ausbildungsunreife und Bildungsferne regelmäßig Anlässe für Jugendberufshilfe, Jugendsozialarbeit und Arbeitsförderung dar. Dahinter steht die Vorstellung, dass Teilhabe hauptsächlich und wesentlich durch Erwerbsarbeit erreichbar sei.

Wéber stellt diesen folgenreichen Annahmen und Adressierungen die subjektiven Deutungen und Relevanzen der Adressatinnen gegenüber. Gegenstand der Studie, die sich im interpretativen Paradigma verortet, ist die Bewältigung des erwerbsbezogenen Übergangs durch die Adressatinnen wohlfahrtsstaatlicher Interventionen. Im Fokus der Analyse stehen deren Zugehörigkeits- und Teilhabeerfahrungen in Anbetracht von Bildungsungleichheit entlang der Achsen Geschlecht, soziale Herkunft und Ethnizität (29ff).

Der erwerbsbezogene Übergang wird als institutionelle Reproduktionsinstanz existenzieller Gefährdungen im Zusammenhang von Aktivierung und Prekarisierung konzeptionalisiert (113ff). Die Autorin beansprucht, „soziale Kategorien und Zuschreibungspraktiken infrage [zu] stellen und die Brisanz von ethnisierenden oder kulturalisierenden Zuschreibungsprozessen exemplarisch auf[zu]zeigen“ (128). Geschlecht wird als soziale Konstruktion (bezogen auf geschlechtsspezifische Erwartungen und Normvorstellungen) konzipiert, zugleich im Hinblick auf konkrete gesellschaftliche Lebenslagen mit unterschiedlichen Spielräumen im Hinblick auf Bildung, Arbeit und Familie (31f). Die Studie bewegt sich durchgehend in dem Spannungsfeld, diesen intersektionalen Differenzlinien nachzugehen, ohne sie essentialisieren. Dazu verbindet Wéber theoretische Zugänge zu Anerkennung und sozialer Ungleichheit mit der postkolonialen Kritik an Identität und Repräsentation (110f).

Der forschungsmethodische Zugang der Studie ist durch die Grounded Theory Methodologie gerahmt und umfasst teilnehmende Beobachtungen, Interviews mit Fachkräften und leitfadengestützte, biografisch orientierte Interviews mit jungen Frauen im Längsschnitt (2 Interviewzeitpunkte). Die zentralen Kategorien der Theoriegenerierung sind Teilhabe und Zugehörigkeit. Zugehörigkeit wird, anschließend an Mecheril [1], als changierend zwischen Mitgliedschaft, Wirksamkeit und Verbundenheit gefasst. Mit dem Fokus auf Zugehörigkeitskonstruktionen sollen, so Wéber, Orientierungsmuster und Verortungspraktiken statt ethnischer Differenzen im Zentrum der Analyse stehen (54). Dieser Zugehörigkeitsbegriff rekurriert auf ein Wechselverhältnis von Zuschreibungen und Selbst- bzw. Weltverhältnissen, wobei, analog zu Mecheril, eine Herausbildung gelebter Zugehörigkeit aus Fremdkonstruktionen angenommen wird.

Im Methodenkapitel (6.) wird das sowohl erkenntnistheoretische als auch forschungsethische Problem reflektiert, dass in Forschungssituationen jene Differenzen aktualisiert und gesetzt werden, über die das empirische Vorhaben gerade hinausweisen soll. Die (selbst-)kritische Analyse der miteinander verflochtenen Anrufungen der Forscherin (als Person mit Migrationshintergrund, als erfolgreiche Bildungsinländerin) durch die vermittelnden Sozialarbeiter*innen und der Interviewten durch die Forscherin ist ausgesprochen anregend (136f.). Wichtig sind auch die Überlegungen zur Vermeidung ethnisierender Pseudonyme sowie zur geänderten Strategie, sich den jungen Frauen vorzustellen: Von einer auf die eigene Biografie und Zugehörigkeiten bezogenen Präsentation entwickelte die Forscherin ihre Kontaktaufnahme dahingehend weiter, den Angesprochenen vor allem ihr Interesse an deren Erfahrungen und Perspektiven zu präsentieren. Auf diese Weise, und nicht so sehr über mögliche Gemeinsamkeiten, weckte sie das Interesse der jungen Frauen, Interviews zu geben (135). Diese Einblicke in die Forschungspraxis stellen auch ein Beispiel methodischer Fremdheitshaltung gegenüber der Praxis Sozialer Arbeit dar.

Im 7. Kapitel, dem Herzstück der Arbeit, werden vier exemplarische Fallstudien präsentiert, die sich je zur Hälfte auf junge Frauen mit und ohne einen zugeschriebenen Migrationshintergrund beziehen. Bestrebt, eine Reifizierung der Kategorie Ethnizität zu vermeiden, zielt die Analyse auf die Gemeinsamkeiten der Problemlagen und Bewältigungsstrategien der jungen Frauen. Gleichwohl werden Rassismuserfahrungen von zwei Untersuchten thematisiert. Die Analyse ergibt, dass Ethnizität im Sinne einer Fremdzuschreibung für sie von Belang und folgenreich ist, weniger für ihr Selbstverständnis. Wéber interpretiert dieses Ergebnis als doing/undoing ethnicity und schließt hier eine Kritik der Differenzsetzung in Bildungsinstitutionen an (271). Sie betont auch im Ausblick, dass die Kategorie Ethnizität hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Bewältigungsprozesse zu relativieren sei, wobei damit verbundene Fremdzuschreibungen und Diskriminierungspraxen zu beachten bleiben (277). Daran lässt sich mit der Unterscheidung sozialer Identität und habitueller Handlungspraxis anknüpfen [2]. Die Herstellung, Markierung oder Aufhebung ethnisch-kultureller Differenz als relevanter Dimension sozialer Identität fällt nicht in eins mit der handlungspraktischen Bewältigung von (Nicht-)Zugehörigkeits- und Diskriminierungserfahrungen.

In den Fallstudien zeigen sich identitätsbezogene und handlungspraktische Aspekte verwehrter Zugehörigkeit: „Diana Fanten“ ist eine junge Frau mit Rassismuserfahrungen seit der Schulzeit. Wéber versteht „Zugehörigkeitskonstruktionen im Kontext von Citizenship“ als Identitätskonstrukte, derer sich Diana Fanten intentional bedient (222f). Dass die junge Frau, obwohl in Deutschland geboren und aufgewachsen, keine deutsche Staatsbürgerschaft erhält, ordnet diese distanziert im Hinblick auf ihren dadurch eingeschränkten Handlungsspielraum ein (223f). Handlungspraktisch zu bewältigen ist jedoch der Ausschluss aus einer gemeinsamen Praxis im Freiwilligen Sozialen Jahr (220).

Zugleich ist an dieser wie an den anderen Fallstudien spannend, wie vergeschlechtlichte Rollenerwartungen ganz selbstverständlich übernommen werden, obwohl Kinderbetreuung und Hausarbeit handlungspraktisch mit den Qualifikationsprozessen der jungen Frauen kollidieren. Die jungen Frauen problematisieren dies nicht grundsätzlich, stellen auch nicht die Norm der Erwerbstätigkeit infrage, sondern berichten von individuellen Arrangements (273).

In den Fallstudien vermittelt Wéber etwas von der biografischen Arbeit, die die Adressatinnen leisten, um den institutionellen Interventionen einen biografischen Sinn abzugewinnen oder biografischen Sinn gegen diese zu behaupten. Diese unterscheiden gelingende Arbeitsbündnisse von Formen der Betreuung, in denen sie durch die Fallmanager*innen im Jobcenter oder in der Übergangsbegleitung gegängelt werden und die erhoffte Unterstützung nicht bekommen. Die eigensinnigen Deutungen der jungen Frauen lassen sich darüber hinaus auch auf die Deutungsmuster der Aktivierung als Arbeitsmarktbürgerin und Erziehung als verantwortliches Sozialsubjekt [3] beziehen. Im Fall „Nina Schuve“ bringt die junge Schwangere, später Mutter, die Verantwortung für ihr Kind argumentativ in Stellung. Sie dreht gewissermaßen den Spieß der Verantwortungsaktivierung um, indem sie das Fallmanagement als inkompetent gegenüber Müttern auf Ausbildungssuche kritisiert (248f).

Die vorliegende Studie kann mit großem Gewinn von allen gelesen werden, die sich – nicht nur im Übergangssystem zwischen Schule und Beruf – für das Verhältnis von Adressat*innen und institutionell-professionellen Adressierungen in der Migrationsgesellschaft interessieren.

[1] Mecheril, Paul (2003): Prekäre Verhältnisse. Über natio-ethno-kulturelle (Mehrfach-)Zugehörigkeit. (Münster: Waxmann).
[2] Bohnsack, Ralf/Nohl, Arnd-Michael (2001): Ethnisierung und Differenzerfahrung: Fremdheit als alltägliches und als methodologisches Problem, in: Zeitschrift für qualitative Bildungs-, Beratungs- und Sozialforschung (2. Jg.), 1/2001: S. 15-36 (hier: 30).
[3] Lessenich, Stephan (2018): Soziale Ungleichheit und Sozialpolitik, in: Otto, Hans-Uwe et al. (Hg.): Handbuch Soziale Arbeit. 6. Auflage (München: reinhardt) S. 1531-1542 (hier: 1540).
Julia Franz (Hannover)
Zur Zitierweise der Rezension:
Julia Franz: Rezension von: Wéber, Júlia: Zugehörigkeit und Teilhabe junger Frauen im Ãœbergang in die Arbeitswelt, Institutionelle Interventionen der Jugendhilfe und Arbeitsvermittlung aus Adressatinnen-Sicht. Opladen u.a.: Budrich UniPress 2018. In: EWR 18 (2019), Nr. 1 (Veröffentlicht am 22.03.2019), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978386388765.html