EWR 12 (2013), Nr. 4 (Juli/August)

Gerald Blaschke (Hrsg.)
Schule schnuppern
Eine videobasierte Studie zum Ãœbergang in die Grundschule
Opladen, Berlin & Toronto: Verlag Barbara Budrich 2012
(196 S.; ISBN 978-3-86649-497-8; 24,90 EUR)
Schule schnuppern Übergänge sind in der pädagogischen Diskussion ein allgegenwärtiges Thema. Vor allem die Schulforschung hat sich in den letzten Jahren damit beschäftigt, wie die Wechsel institutioneller Bildungsräume bewältigt und gestaltet werden, in denen wichtige Lern- und Entwicklungsprozesse stattfinden sollen. Die frühe Übergangssituation vom Kindergarten in die Grundschule stellt in diesem Zusammenhang ein wichtiges Analysefeld dar. Schaut man in das 15. Jahrbuch der Grundschulforschung finden sich unterschiedliche Forschungsprojekte, die sich beispielsweise mit länderspezifischen Schuleingangsmodellen, der Kooperation zwischen beteiligten Akteuren oder der didaktischen Gestaltung der Schuleingangsphase beschäftigen [1].

Die vorliegende Studie von Gerald Blaschke geht dem spezifischen Moment des Schüler-Werdens am Übergang nach. Im Fokus seiner Untersuchung, die sich durch ein ethnografisches Vorgehen und eine praxeologische Methodik von vielen Beiträgen zu diesem Themengebiet abhebt, stehen die Praktiken der gestaltenden Akteure und Aspekte professionellen pädagogischen Handelns.

Als Gegenstand seines Dissertationsprojektes wählte der Autor Unterrichtsbesuche von Kindergartenkindern bei ihren zukünftigen Lehrern. Die sogenannten Schnupperstunden, die er an drei unterschiedlichen Berliner Grundschulen untersuchte, sollen den angehenden Schulanfängern während der Einschulungsphase erste Erfahrungen mit der Institution Schule bieten. Aus Sicht Blaschkes eignen sich diese Stunden für die Analyse der Praxis des Übergangs, da es „um eine Präsentation von Schule und Unterricht geht“ und „sich in ihnen handlungsleitende Orientierungen zu Schule und Unterricht“ (9) verdichten.

Zu Beginn präsentiert Blaschke einen theoretischen Abriss. Mit Rückgriff auf ausgewählte qualitative Studien macht der Autor die dem Kindergarten und der Grundschule immanenten Antinomien sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlich. Mehr noch wird das Interesse des Lesers auf die „Annäherungen“ (26) beider institutioneller Erfahrungsräume und deren Gestaltung gelenkt. Diese Befunde bisheriger Untersuchungen heben die besondere Bedeutung und den prägenden Charakter des Übertritts für ein Kind hervor. Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse für Blaschke, dass die Erfahrung des Übergangs in die Schule immer im Zusammenhang mit der konkreten institutionellen Praxis betrachtet werden müsse und das Handeln der Fachkräfte hier eine besondere Rolle einnehme. Die Performanz dieser Gestaltungsweisen sieht er in bisherigen Studien jedoch kaum beachtet.

Genau diese bisher fehlende „Blickrichtung auf das Performative“ (35) beschreibt Blaschkes theoretische Herangehensweise an sein Forschungsprojekt. Neben den Erkenntnissen der Ritualforschung fließen dabei sowohl Mannheims Konzept des Erfahrungsraumes als auch Meyer-Drawes Verständnis von Lernen als Erfahrung grundlegend in die Studie ein. Insgesamt kennzeichnet der Autor die Schnupperstunden als „performative Prozesse der Hervorbringung von Erfahrung und praktischem Wissen“ (ebd.) und rückt deren „wirklichkeitskonstituierenden Inszenierungs- und Aufforderungscharakter“ (40) in seinen Fokus.

Blaschke bezeichnet sein methodisches Vorgehen als „dokumentarisch fokussierende Ethnografie“ (13). Hierbei schließt er an Knoblauchs Konzept einer „fokussierten Ethnografie“ (55) an, der damit eine Herangehensweise beschreibt, bei der die Logik dem Gegenstand und nicht der Methodik folgt, sich aber vorab Fokussierungen und kürzere Feldaufenthalte anbieten. In der vorliegenden Studie geht die Fokussierung auf die Schnupperstunden aus einem vorgelagerten längeren Prozess im Rahmen weiterer ethnografisch ausgerichteter Forschungsprojekte an den beteiligten Schulen hervor. Schließlich wurden die Schnupperstunden mit Hilfe videogestützter teilnehmender Beobachtung genauer untersucht und der Modus der handlungspraktischen Gestaltung des Übergangs unter Anwendung der dokumentarischen Methode rekonstruiert. Da es erst wenige Erfahrungen zu der von Bohnsack erarbeiteten Methodik im Bereich der Videointerpretation gibt, kann das methodische Vorgehen des Autors zu Recht als innovativ bezeichnet werden. Gerade deshalb wäre es durchaus willkommen gewesen, hier eine ausführlichere und materialnahe Beschreibung der Besonderheiten dieser dokumentarisch fokussierenden Ethnografie als Methode vorzufinden.

Das Herzstück der Arbeit sind die Falldarstellungen verschiedener Schnupperstunden bei unterschiedlichen Lehrerinnen an den Berliner Grundschulen. Diese präsentiert Blaschke entlang der zwei von ihm rekonstruierten sinngenetischen Typen. Eine solche Darstellungsform macht im Sinn der sinngenetischen Typenbildung deutlich, dass jeder Typus von unterschiedlichen Fällen repräsentiert werden kann, nimmt aber an dieser Stelle leider den Fallvergleich vorweg. In den Beschreibungen richtet der Autor seinen Blick vor allem auf die Gestaltung des Beginns der beobachteten Stunden sowie die Lehrerreaktion zum Verhalten der Kindergartenkinder. Beim ersten Typus arbeitet er den „Übergang als Bruch“ (68) heraus. Kennzeichnend hierfür werden die Differenz und der Statuswechsel vom Vorschulkind zum Grundschulkind in der Unterrichtsgestaltung betont. In den beobachteten Stunden, die dieses Muster repräsentieren, wird die Aufnahme der Kindergartenkinder in die Gemeinschaft der schulerfahrenen Kinder inszeniert und deutlich gemacht, dass es dort um „richtiges Lernen“ (73) und klare Verhaltensanforderungen gehe. So würden die beiden Lehrerinnen dieses Typus in ihrer Stundengestaltung „das Normative und Regelhafte des schulischen Alltages“ betonen (67). Im kontrastiven Vergleich dazu wird der Typus eines „Übergangs als Passage“ beschrieben. Hier stehen „Aspekte der Kontinuität“ (ebd.) im Vordergrund, was an einer schnellen Integration der Kinder in normale schulische Alltagsabläufe erkennbar werde. Blaschke sieht im Kontrast zum ersten Typus bei diesen Lehrerinnen den Versuch, „die Kinder nicht gleich brachial mit den Leistungserwartungen und Veränderungen, die der Übergang in die Schule bedeutet, zu konfrontieren“ (146). Die Unterrichtsführung in den angeführten Beispielen sei zudem offener und an der Selbsttätigkeit der Kinder sowie auf ihre Bedürfnisse hin ausgerichtet.

Aus seinen Rekonstruktionen der Kontraste und Gemeinsamkeiten erarbeitet Blaschke schließlich zwei Stile „Pädagogischer Führungen im Ãœbergang in die Schule“. Auf der einen Seite orientieren sich die Lehrerinnen des ersten Typus an expliziten Normen und definierten Verhaltensmustern eines Schülers und setzen diese als „instruktive, geschlossene oder eben normierende Unterrichtsführung“ um, „nach der es möglichst das zu produzieren gilt, was die Lehrer-innen sic! erwarten“ (143). Auf der anderen Seite stehen im zweiten Typus die Erfahrung schulischen Alltags und die Eingliederung in die Klassengemeinschaft im Mittelpunkt eines offenen und begleitenden Führungsstils der Lehrkräfte. Unter Rückgriff auf Foucault spitzt er den Vergleich zu und unterscheidet „zwischen einem eher normierend-geschlossenen (Typus 1) sowie einem eher normalisierend-offenen modus operandi der Unterrichtsführung (Typus 2)“ (147). Dabei weist er darauf hin, dass beiden Mustern eine Normalisierung zuzuschreiben ist, diese aber auf unterschiedliche Art und Weise – als Strukturierung oder Individualisierung – ausgeführt wird.

Abschließend reflektiert der Forscher seine Ergebnisse im Spiegel aktueller Diskussionen um die Selbstorganisation kindlichen Lernens und die Ambivalenzen schulischer Praxis. Dabei fragt er zu Recht, welche Schüler von diesen Entwicklungen profitieren und wie die Aus- und Weiterbildung der Lehrer angelegt sein sollte, um die „professionelle pädagogische Praxis“ (177) zu befördern. Darüber hinaus ließe sich an dieser Stelle aber auch eine Verknüpfung seiner Ergebnisse mit Aspekten der Professionalisierungsforschung herstellen, die durchaus lohnenswert gewesen wäre.

Insgesamt legt Gerald Blaschke mit diesem Werk eine nicht nur eingehend zu lesende, sondern auch sehr empfehlenswerte Studie zum Übergangsgeschehen vom Kindergarten in die Grundschule vor. Vor allem in der sinngenetischen Typenbildung und dem Kapitel zum Führungsstil der Lehrerinnen verbindet er seinen intensiven Einblick in die Praxis mit theoretischem Wissen und bietet dem Leser damit eine reichhaltige Reflexionsfolie.

[1] Kucharz, D./ Irion, T./ Reinhoffer, B.: Grundlegende Bildung ohne Brüche. Jahrbuch Grundschulforschung. Band 15. Wiesbaden: VS Verlag 2011.
Angela Bauer (München)
Zur Zitierweise der Rezension:
Angela Bauer: Rezension von: Blaschke, Gerald (Hg.): Schule schnuppern, Eine videobasierte Studie zum Ãœbergang in die Grundschule. Opladen, Berlin & Toronto: Verlag Barbara Budrich 2012. In: EWR 12 (2013), Nr. 4 (Veröffentlicht am 24.07.2013), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978386649497.html