EWR 17 (2018), Nr. 4 (Juli/August)

Natalie Fischer/ Hans Peter Kuhn/ Carina Tillack (Hrsg.)
Was sind gute Schulen?
Teil 4: Theorie, Praxis und Forschung zur QualitÀt von Ganztagsschulen
Immenhausen bei Kassel: Prolog-Verlag 2016
(268 S.; ISBN 978-3-934575-91-2; 26,80 EUR)
Was sind gute Schulen? Der hier rezensierte Sammelband herausgegeben von Natalie Fischer, Hans Peter Kuhn und Carina Tillack ist Bestandteil einer Buchreihe zum Thema „Was sind gute Schulen?“. WĂ€hrend die ersten drei BĂ€nde konzeptionellen Überlegungen zur guten Schule sowie deren Diskussion (Teil 1), Schulprofilen und Unterrichtspraxis (Teil 2) sowie Forschungsergebnissen zur SchulqualitĂ€t (Teil 3) gewidmet sind, fragt der hier vorliegende vierte Band nach den Bedingungen, Merkmalen und Perspektiven guter SchulqualitĂ€t spezifisch an Ganztagsschulen.

Der Band enthĂ€lt neben einem thematisch-gliedernden Editorial insgesamt 17 BeitrĂ€ge, die unterschiedliche Betrachtungsebenen zu Ganztagsschule und deren Gelingensbedingungen auffĂ€chern. So werden in sieben Kapiteln verschiedene (QualitĂ€ts-)Bereiche nĂ€her beleuchtet, wobei stets ĂŒber theoretische und ForschungsbeitrĂ€ge hinaus auch ein Praxisbeispiel fĂŒr den jeweiligen Bereich integriert ist. Die BeitrĂ€ge wenden sich damit sowohl an Forscherinnen und Forscher als auch an Praktikerinnen und Praktikern mit dem Ziel, „DenkanstĂ¶ĂŸe und Anregungen fĂŒr Praxis und Forschung geben zu können“ (9).

In dem einleitenden Beitrag gibt das Herausgeberteam zunĂ€chst einen Überblick ĂŒber spezifische QualitĂ€tsmerkmale der Ganztagsschule. Differenziert werden dazu empirische Befunde dargestellt und das Potenzial dieser fĂŒr QualitĂ€t in Form merkmalsbezogener Kriterien abgeleitet. Thematisiert werden aber auch Schwierigkeiten der Kontrolle von Inputs und Kontexten etwa im Zuge der Ă€ußerst heterogenen Ganztagsschulpraxis sowie der Fassung von QualitĂ€tskriterien und Merkmalen, die sich auf ein erweitertes BildungsverstĂ€ndnis bzw. fachĂŒbergreifende Wirkungen von Ganztagsschule beziehen.

Das nachfolgende erste Kapitel des Bandes vereint drei BeitrĂ€ge, die die QualitĂ€t von Unterricht und Angeboten in der Ganztagsschule zum Thema haben. Julia Höke, Doris Drexl und Petra A. Arndt erörtern anhand einer Untersuchung an 50 Grundschulklassen das Potenzial der Hort- und Ganztagsangebote-Skala HUGS zur Erfassung und Weiterentwicklung der QualitĂ€t im Anfangsunterricht. FĂŒr die Erfassung der QualitĂ€t von Ganztagsangeboten schlĂ€gt Markus N. Sauerwein in seinem Beitrag ebenso ein um Aspekte außerschulischer Bildung erweitertes QualitĂ€tsverstĂ€ndnis vor. Der Idee der Ganztagsbildung folgend argumentiert er fĂŒr die BerĂŒcksichtigung sowohl von Basisdimensionen guten Unterrichts als auch von QualitĂ€tsmerkmalen der SozialpĂ€dagogik und stellt eine entsprechende Operationalisierung in Skalen eines SchĂŒlerinnen- und SchĂŒlerfragebogens der Teilstudie StEG-S vor. Am Beispiel der Kooperativen Gesamtschule Barth berichtet schließlich Matthias Morten Schöpa, wie in der einzelschulischen Praxis empirische Daten unterschiedlicher Reichweite (regional, schulspezifisch) genutzt werden können, um eine „schĂŒlerorientierte Angebotsstruktur“ (81) zu entwickeln.

Im zweiten Kapitel zu „Ganztagsschule und Chancengleichheit“ beschĂ€ftigen sich Wolf-Dieter Lettau, Falk Radisch und Katharina Fussangel mit „Systematiken der Teilnahmen an offenen Ganztagsschulen“ (94). Auf der Grundlage einer eigenen Studie gehen sie der Frage nach, inwieweit die Zielgruppe des Ausbaus der Ganztagsschule erreicht wird und welche EinflĂŒsse fĂŒr die bzw. gegen die Teilnahme an den Angeboten sprechen. Leider ĂŒberwiegt in diesem wie auch den beiden vorhergehenden empirischen BeitrĂ€gen der Anteil der Diskussion des methodischen Zugriffs auf die Problematik, wĂ€hrend dessen die Darstellung sowohl der theoretischen Grundlagen als auch der Ergebnisse recht kurz kommen. Der nachfolgende Praxisbericht von Kristian Bartak-Lippmann vermag dann ergĂ€nzend einen Einblick in das komplexe GefĂŒge von konzeptionellen Überlegungen und praktischen SchulentwicklungsaktivitĂ€ten zu geben, die Chancengleichheit fĂŒr alle Kinder der in einem sozialen Brennpunkt gelegenen Grundschule Gießen-West ermöglichen sollen.

Den gemeinhin hĂ€ufig als qualitativen Mehrwert betrachteten erweiterten Zeitrahmen an Ganztagsschule thematisiert das dritte Kapitel. Stephan Kielblock und Johanna M. Gaiser untersuchen hier entlang eines Mixed Methods Design das Engagement der LehrkrĂ€fte im Ganztagsbetrieb genauer. Interessant ist dabei angesichts der These potenzieller Entprofessionalisierungsprozesse innerhalb theoretischer Diskurse der empirische Befund, dass die LehrkrĂ€fte innerhalb ihrer subjektiven Theorien deutlich Professionalisierungsgewinne etwa durch erweiterte Reflexionsnotwendigkeiten oder eine positivere Gestaltung der Lehrer-SchĂŒler-Beziehung Ă€ußern. Meike Baasen schildert dann aus ihrer Praxis an einer Bremer Ganztagsschule, wie Zeit und Raum fĂŒr die Kinder wie auch das an der Schule tĂ€tige Personal mit einem fĂŒr alle erfahrbaren Mehrwert strukturiert und gestaltet werden können.

Gegenstand des Beitrages von Hans Peter Kuhn, Natalie Fischer und Edgar Schoreit im vierten Kapitel „Soziales Lernen und Ganztagsschule“ (147) ist die „Bedeutung der Mitbestimmung in den Angeboten fĂŒr die Entwicklung der schulbezogenen sozialen VerantwortungsĂŒbernahme“ (148) von Jungen und MĂ€dchen in der Ganztagsschule. Anhand der Ergebnisse ihrer quantitativen Studie zeigen Sie einen lĂ€ngsschnittlichen Effekt des QualitĂ€tsmerkmals Mitbestimmung im Sinne von Autonomieerleben auf das Ausmaß der schulbezogenen sozialen VerantwortungsĂŒbernahme auf. ErgĂ€nzend berichtet im nachfolgenden Beitrag die Lehrerin und Ganztagskoordinatorin Susanne Liedel Erfahrungen, wie an ihrer Schule ein gelingendes Ganztagskonzept die Verbesserung des sozialen Klimas bewirkt.

Innerhalb des fĂŒnften Kapitels zu „Hausaufgabenbetreuung und/oder Lernzeiten in der Ganztagsschule“ (176) geben Katrin Heyl, Natalie Fischer und Carina Tillack einen Überblick ĂŒber Ergebnisse der (Ganztags)Schulforschung bezĂŒglich der Organisation und Gestaltung sowie der Wirksamkeit von Hausaufgabenbetreuungen an Ganztagsschulen. WĂ€hrend diese abschließend resĂŒmieren, dass Hausaufgabenbetreuung „durchaus das Potenzial bietet, Bildungsungleichheiten abzubauen und individuelle Förderung von SchĂŒler/innen zu ermöglichen“ (182), plĂ€diert Markus Emden nachfolgend aus der Perspektive der Fachdidaktik fĂŒr eine „Entzauberung“ (191) der Funktionen von Hausaufgaben in Hinblick auf den Chemieunterricht und argumentiert fĂŒr die Entwicklung einer Kultur der Lernaufgaben, die in Lernzeiten und ebenso gut im Klassenunterricht ihren Platz finden kann.

Das sechste Kapitel fokussiert auf die „Multiprofessionelle Kooperation“ (201) an Ganztagsschulen. Im Zentrum des Beitrages von Tina Wiesner, Thomas Olk und Karsten Speck stehen empirische Befunde zu Rahmenbedingungen und Strategien von Kooperation an Schulen mit Ganztagsangebot und zur Sicht der handelnden Akteure auf diese. Direkt anschlussfĂ€hig daran ist der nachfolgende Beitrag von Christa Kappler, Emanuela Chiapparini und Patricia Schuler Braunschweig, der die handlungsleitenden Motive von je zwei Lehrerinnen und Lehrer sowie SozialpĂ€dagoginnen und SchulpĂ€dagogen einer Schweizer Tagesschule zu den jeweiligen pĂ€dagogischen ZustĂ€ndigkeiten und deren Umsetzung im sozialen Handeln untersuchen. Ein fĂŒnfköpfiges multiprofessionelles Autorenteam aus der Tami-Oelfken-Schule in Bremen reflektiert schließlich am Ende dieses Kapitels seine Teamarbeit inklusive damit verbundener Herausforderungen.

Abgeschlossen wird der Band durch zwei BeitrĂ€ge zu „Ganztagsschule und Bewegung“. Reiner Hildebrandt-Stramannn und Rolf Laging erlĂ€utern auf der Grundlage theoretischer Überlegungen und Forschungsbefunde die wichtige Bedeutung von Bewegung und Körperlichkeit im Rahmen einer Ganztagsschule, die sich als Lern-, Lebens- und Erfahrungsort der Kinder versteht. Angelehnt an die Ergebnisse des vorherigen Artikels portrĂ€tieren im letzten Beitrag Heike Beckmann und Reiner Hildebrandt-Stramann zwei Braunschweiger Schulen. Hier erfĂ€hrt die Leserschaft im Gegensatz zu den vorhergehenden PraxisbeitrĂ€gen auch das der Auswahl dieser Schulen zu Grunde liegende Angemessenheitsurteil: es sind PreistrĂ€gerschulen des Deutschen Schulpreis und sie vertreten ein „dezidiert reformpĂ€dagogisches Konzept“ (252).

An dieser Stelle zeigt sich explizit das Dilemma des gesamten Bandes, nĂ€mlich jenseits der thematischen BĂŒndelung entlang ganztagsschulspezifischer Handlungsfelder eine Vermengung unterschiedlicher BegrĂŒndungen in Bezug auf die Frage der (eigenen?) NormativitĂ€t von Ganztagsschule bzw. dessen was „besonders gut“ ist. Die Perspektiven wechseln hier zwischen aus der Schul- und Bildungsforschung entnommenen Kriterien zu guten Unterricht und der außerschulischen Bildungsarbeit sowie deren Taxonomierung, Kriterien die aus der Anforderungsstruktur des Ganztags selbst erst rekonstruiert werden sowie einer aufklĂ€rerisch-belehrenden Perspektive. Widerspiegelt dies tatsĂ€chlich auch die unterschiedlichen Linien im QualitĂ€tsdiskurs zu (Ganztags-)Schule, so muss sich der Sammelband doch auch daran messen lassen, inwiefern es ihm gelingt, diese zu strukturieren und (theoretisch bzw. auch methodologisch) in Beziehung zu setzen. Hier weist der vorliegende Sammelband deutliche SchwĂ€chen auf.

Insgesamt bietet der Band dem Leser einen informativen Einblick in die aktuelle Forschung und Debatte zu Ganztagsschule und erfĂŒllt sein Ziel, den Leser bzw. die Leserin zum Nachdenken anzuregen. Entwicklungsweisend sind hier besonders jene Stellen, an denen jenseits programmatischer bzw. deskriptiver Befunde Forschungsbedarfe empirisch und theoretisch gehaltvoll herausgearbeitet sowie deren Übersetzung in Forschungsdesigns angedacht werden. Damit entgehen sie auch der durchaus in den vorhergehenden BĂ€nden beobachtbaren Gefahr, dass sich der QualitĂ€tsdiskurs (zu Ganztagsbildung) vorwiegend zu methodischen Fragen verselbstĂ€ndigt.
Gudrun Meister (Halle)
Zur Zitierweise der Rezension:
Gudrun Meister: Rezension von: Fischer, Natalie / Kuhn, Hans Peter / Tillack, Carina (Hg.): Was sind gute Schulen?, Teil 4: Theorie, Praxis und Forschung zur QualitĂ€t von Ganztagsschulen. Immenhausen bei Kassel: Prolog-Verlag 2016. In: EWR 17 (2018), Nr. 4 (Veröffentlicht am 30.08.2018), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978393457591.html